Bulgarien 08.10.2018

Behörden müssen Mord aufklären

Viktoria Marinova/©TVN Bulgaria

Update:
Am 18. Oktober 2018 wurde in Niedersachsen ein Tatverdächtiger festgenommen und nach Bulgarien ausgeliefert. Die bulgarischen Justizbehörden legen dem 20-Jährigen zur Last, die Fernsehmoderatorin Viktoria Marinova vergewaltigt und anschließend getötet zu haben. Sie betrachten den Fall als aufgeklärt. Die Hintergründe der Tat sind allerdings nach wie vor unklar. ROG untersucht den Mord weiter und versucht zu klären, ob Marinovas journalistische Arbeit ein Tatmotiv war.


08.10.2018 - Reporter ohne Grenzen (ROG) fordert die Behörden in Bulgarien auf, den Mord an der Fernsehjournalistin Viktoria Marinova unverzüglich aufzuklären und Journalisten besser zu schützen, die zum Missbrauch von EU-Geldern in dem südosteuropäischen Land recherchieren. Die brutal zugerichtete Leiche der 30-jährigen Moderatorin war am Samstag in einem Park in der nordbulgarischen Stadt Russe entdeckt worden. Seit Anfang 2017 wurden innerhalb der Europäischen Union bereits vier Journalistinnen und Journalisten ermordet.

„Der Mord an Viktoria Marinova steht für einen erschreckenden Trend: Immer häufiger werden auch in der Europäischen Union Journalistinnen und Journalisten ermordet, weil sie unangenehme Themen ansprechen“, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die EU darf nicht wegschauen, wenn die Regierungen in den entsprechenden Ländern unfähig oder unwillig sind, investigative Reporter zu schützen.“

Gefährliches Thema: Missbrauch von EU-Geldern

Marinova arbeitete beim privaten Lokalsender TVN, einem der meistgesehenen Fernsehsender im Nordwesten Bulgariens, für den sie die politische Talkshow „Detektor“ moderierte. In ihrer letzten Sendung am 30. September interviewte Marinova den Journalisten Dimitar Stojanow von der investigativen Nachrichtenseite Bivol und seinen Kollegen Attila Biro vom Rise Project aus Rumänien. Dabei ging es vor allem um deren Recherchen zur mutmaßlichen Veruntreuung von EU-Geldern in Millionenhöhe durch Geschäftsleute und Politiker.

Bivol hatte am 11. September einen Bericht veröffentlicht, der große bulgarische Unternehmen des Missbrauchs von EU-Geldern bezichtigt. Unmittelbar darauf begann das Bauunternehmen GP Group mit der Vernichtung von Dokumenten in großem Stil. Als Stojanow und Biro – die beiden von Marinova interviewten Journalisten – dies dokumentieren wollten, wurden sie von der Polizei festgehalten. Reporter ohne Grenzen kritisierte dies scharf und forderte die bulgarischen Behörden auf, investigative Journalisten, die zu Korruption recherchieren, und deren Quellen unter besonderen Schutz zu stellen. Marinovas Sender TVN war eines der wenigen reichweitenstärkeren Medien in Bulgarien, die über die politisch brisanten Recherchen des Investigativteams von Bivol berichteten.

Mehr ermordete Journalisten als im Vorjahr

Seit Anfang 2017 wurden innerhalb der Europäischen Union bereits vier Journalistinnen und Journalisten  getötet. Im August 2017 wurde die schwedische Journalistin Kim Wall bei Recherchen auf dem U-Boot eines dänischen Erfinders auf brutale Weise ermordet. Am 16. Oktober 2017 starb die maltesische Investigativjournalistin und Bloggerin Daphne Caruana Galizia durch eine Autobombe. Im Februar 2018 wurden der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kusnírová in ihrem Privathaus erschossen.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Zahl der ermordeten Journalistinnen und Journalisten weltweit 2018 größer sein wird als im Vorjahr. Seit Beginn dieses Jahres wurden bereits 71 Journalisten, Blogger oder Medienmitarbeiter in Zusammenhang mit ihrer Arbeit getötet. 2017 lag diese Zahl für das gesamte Jahr bei 65. Besonders Frauen geraten zunehmend in das Blickfeld der Täter: 2017 wurden doppelt so viele Journalistinnen ermordet (10) wie im Jahr zuvor (5).

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Bulgarien auf Rang 111 von 180 Staaten und ist damit das am schlechtesten platzierte EU-Land. 



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