Länderportal

China

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 179 von 180
China 04.07.2017

Merkel muss Freilassung von Journalisten fordern

Merkel und Xi bei einem Treffen 2016 © picture alliance / Photoshot

Vor dem Treffen des chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit Angela Merkel appelliert Reporter ohne Grenzen an die Bundeskanzlerin, sich öffentlich für die Freilassung inhaftierter Journalisten und die Ausreise des schwerkranken Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo einzusetzen. Unter Xi hat die Unterdrückung unabhängiger Journalisten und Blogger erschreckende Ausmaße angenommen. Mindestens 103 Medienschaffende sitzen derzeit wegen ihrer Arbeit in Haft. Merkel wird Xi noch vor Beginn des G20-Gipfels am Freitag zu Gesprächen empfangen.

„Bei den Gesprächen zwischen Xi Jinping und Angela Merkel darf es nicht nur um wirtschafts-, umwelt- und sicherheitspolitische Themen gehen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Dass Dissidenten wie Liu Xiaobo und Gao Yu trotz ihres ernsten Gesundheitszustands die Ausreise verweigert wird, zeigt, wie gnadenlos die chinesische Regierung mit Kritikern umgeht. Bundeskanzlerin Merkel muss sich öffentlich für ihre Ausreise und die Freilassung der in China inhaftierten Journalisten einsetzen.“

Der seit Ende 2008 inhaftierte chinesische Bürgerrechtler Liu Xiaobo leidet an Leberkrebs im Endstadium. Nach der Diagnose im Mai gewährten ihm die chinesischen Behörden „Bewährung aus medizinischen Gründen“. Der 61-Jährige wurde vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen und zur Behandlung in ein Krankenhaus in der nordöstlichen Stadt Shenyang verlegt. Sein Zustand hat sich jedoch nicht verbessert. Bisher wurde Liu weder operiert noch konnte er mit der notwendigen Chemotherapie beginnen.

Trotz seines Gesundheitszustands verweigern die chinesischen Behörden Liu und seiner Frau Liu Xia die Ausreise zur medizinischen Behandlung im Ausland. Laut Lius Anwalt hatten beide beantragt, ins Ausland zu gehen. In einem gemeinsamen Brief mit der Internationalen Journalisten-Föderation und der Nichtregierungsorganisation Freedom House fordert Reporter ohne Grenzen Xi Jinping, den Ministerpräsident Li Keqiang und den Präsident des Obersten Volksgerichtshofs auf, Liu und seiner Frau aus humanitären Gründen die Ausreise zu genehmigen. Liu Xia steht seit 2010 unter Hausarrest und leidet aufgrund der Isolation und Schikanen durch die Behörden an Depressionen.

Dissidenten werfen der chinesischen Führung laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vor, Liu nicht ausreichend untersucht zu haben. Bei Liu bestand aufgrund einer früheren Hepatitis-B Infektion ein erhöhtes Leberkrebsrisiko.

BERICHTERSTATTUNG ÜBER LIU XIAOBO VERBOTEN

Vergangene Woche verschickten Chinas Zensur-Behörden Anweisungen an Redaktionen, nicht über die Haftaussetzung Lius zu berichten oder sie zu kommentieren. Einige Dissidenten in China berichteten, sie seien davor gewarnt worden, über den Fall zu sprechen oder ihrer Meinung zu äußern. Bei seinem Besuch Hongkongs anlässlich des 20. Jahrestags der Übergabe wurde Xi Jinping mehrfach von Reportern nach dem Schicksal Lius gefragt, ohne jedoch zu antworten. Ein Regierungsmitglied sagte, Xi könne die Fragen nicht hören.

Liu gehört zu den Gründern der 2008 veröffentlichten „Charta 08“, eines öffentlichen Aufrufs zu politischen Reformen, Demokratie und Menschenrechten in China. Ende 2009 wurde er wegen angeblicher „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu elf Jahren Haft verurteilt. Im Jahr 2004 erhielt Liu für sein Engagement für eine freie Presse den ROG-Menschenrechtspreis.

BEHÖRDEN VERWEIGERN SCHWERKRANKEN GAO YU DIE AUSREISE

Reporter ohne Grenzen fordert Bundeskanzlerin Merkel zudem auf, sich für die Ausreise der schwerkranken Journalistin Gao Yu einzusetzen. Die Deutsche-Welle-Autorin war im April 2015 wegen vermeintlichen Verrats von Staatsgeheimnissen zunächst zu einer siebenjährigen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Im Berufungsverfahren reduzierte ein Pekinger Gericht Ende November 2015 die Strafe auf fünf Jahre und entließ Gao wegen ihrer Gesundheitsprobleme in den Hausarrest. Ende 2016 warnte ein chinesisches Gericht in Peking, Gao könne „jederzeit“ zurück ins Gefängnis geschickt werden.

Die Behörden verweigern Gao seit Anfang Januar 2016 die Ausreise zur medizinischen Behandlung im Ausland. Laut ihrem Anwalt, der sich auf Angaben ihrer Ärzte bezieht, leidet Gao unter anderem an Herzproblemen, hohem Blutdruck, einer Erkrankung des Innenohrs und einer Wirbelsäulenverkrümmung.

Nach ROG-Informationen hatten die Behörden Gao und ihrem Sohn Zhao Meng Ende 2015 Reisepässe ausgestellt. Zudem hatten beide bereits deutsche Visa erhalten. Kurz vor der geplanten Ausreise signalisierten die Behörden Gao jedoch, dass zunächst die Führung der Kommunistischen Partei grünes Licht geben müsse.

Die Behörden werfen Gao vor, sie habe sich ein geheimes Parteidokument verschafft und an eine Webseite im Ausland weitergegeben. Dabei dürfte es sich um das sogenannte Dokument Nr. 9 handeln, das vor den Gefahren universeller Menschenrechte und eines „westlichen“ Verständnisses von Pressefreiheit für die Herrschaft der Kommunistischen Partei warnt.

GEWALT GEGEN KRITIKER UND STRIKTE ZENSUR

Auch vor physischer Gewalt schrecken die chinesischen Behörden nicht zurück. Ende März 2016 zerstörten rund 20 Zivilpolizisten den Garten Gao Yus und verprügelten ihren Sohn Zhao Meng. Pekings Stadtverwaltung hatte behauptet, ihr Garten und seine kleine Umfassungsmauer seien ungenehmigt angelegt worden. Anfang März 2017 griffen Schläger ein BBC-Kamerateam bei Recherchen in der südwestlichen Provinz Hunan an und zerstörten ihre Ausrüstung.

Über solche Repressalien können chinesische Medien aufgrund strikter Zensur jedoch oft nicht berichten. So zeigte etwa eine Untersuchung der Universität Toronto im April, dass die Behörden systematisch Inhalte in sozialen Medien über die 2015 gestartete Repressionswelle gegen Anwälte zensiert hat.

Reporter ohne Grenzen zählt Xi Jinping zu den schlimmsten Feinden der Pressefreiheit weltweit. Insbesondere Blogger stehen im Visier der Behörden. Unter den über 100 wegen ihrer Arbeit inhaftierten Medienschaffenden sind mindestens 82 Bürgerjournalisten und Online-Aktivisten. Ende November etwa wurde der Gründer der Nachrichtenseite 64tianwang.com, Huang Qi, festgenommen. Die Seite dokumentiert Menschenrechtsverletzungen in China. Die Zahl 64 ist eine Anspielung auf den 4. Juni, den Tag des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens in Peking vor knapp 30 Jahren. Ende 2016 zeichnete ROG die Seite als Medium des Jahres aus.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 176 von 180 Staaten.



nach oben