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Rangliste der Pressefreiheit — Platz 21 von 180
Vietnam / Deutschland 22.12.2022

Schikane gegen kritische Nachrichtenseite

© picture alliance / Ostalb Network

Reporter ohne Grenzen (RSF) ist besorgt über die jüngsten Angriffe gegen das in Berlin ansässige vietnamesisch-deutsche Medium thoibao.de auf Facebook und kritisiert die mangelnde Kommunikation des Facebook-Konzerns Meta. Seit Ende November beansprucht ein RSF und Thoibao unbekanntes Unternehmen das Urheberrecht an von den Mitarbeitenden der Nachrichtenseite produzierten Videos auf Facebook. Dadurch fließen die mit den Videos generierten Werbeeinnahmen an dieses Unternehmen statt an Thoibao. Facebook reagiert nur schleppend und hat sich auf Anfrage von RSF bisher nicht zu den Hintergründen geäußert. Es ist nicht das erste Mal, dass kritische Stimmen aus Vietnam im Ausland auf Facebook eingeschränkt werden. RSF berichtete etwa schon 2018, dass Beiträge von im Exil lebenden vietnamesischen Bloggern wegen angeblicher Verletzungen der Community Standards gelöscht wurden. Die Organisation ging damals von einem politischen Hintergrund aus.

„Wieso kann ein Unternehmen auf Facebook einfach behaupten, Urheber der Videos einer regierungskritischen Seite zu sein und das Geld dafür bekommen? Handelt es sich um politisch motivierten Betrug? Facebook muss den Fall gründlich prüfen und mögliche Sicherheitslücken schließen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Soziale Medien wie Facebook spielen gerade in Ländern wie Vietnam mit stark eingeschränkter Pressefreiheit eine wichtige Rolle für die Verbreitung von Informationen. Facebook muss sich dieser Verantwortung bewusst sein und deutlich schneller reagieren, wenn eine bereits mehrmals betroffene kritische Nachrichtenseite in ihrer Arbeit eingeschränkt wird.“ 

Unternehmen beansprucht Urheberrecht

Die Nachrichtenseite thoibao.de berichtet über politische Entwicklungen in Vietnam und hat auf Facebook mehr als 400.000 Followerinnen und Follower. Nach Angaben des Betreibers Trung Khoa Le behauptet seit dem 27. November ein Unternehmen namens AJ Parkners, Urheber der von ihm und seinen Mitarbeitenden produzierten Videos auf Facebook zu sein und unterstellt Thoibao wiederum, das Urheberrecht verletzt zu haben.

Trung Khoa Le hat bei Facebook Widerspruch gegen den Vorwurf der Urheberrechtsverletzung eingelegt. Dieser wurde demnach zwar akzeptiert, jedoch habe Facebook die Monetarisierung auf AJ Parkners umgestellt. Dadurch beziehe das Unternehmen in den meisten Fällen weiter Werbeeinnahmen über die von Thoibao produzierten Videos. In ganz wenigen Fällen wurde nach der Akzeptanz des Widerspruchs die Monetisierung wieder auf Thoibao umgestellt, jedoch nicht rückwirkend. Laut Le sind bisher 60 Videos betroffen, die insgesamt rund fünf Millionen Mal geklickt wurden. Die Einnahmen mit Facebook-Werbung machen fast zwei Drittel der Gesamteinnahmen von Thoibao aus.

Le vermutet einen politisch motivierten Betrug und hat Anzeige gegen die Firma AJ Parkners erstattet. Der Journalist hat sich an Facebook gewandt, bisher habe sich aber niemand bei Thoibao gemeldet. Auch RSF hat Facebook mehrfach kontaktiert, nach wie vor hat die Organisationen jedoch keine Angaben dazu erhalten, was der Stand der Prüfung ist, wie lange diese noch dauert und was das soziale Netzwerk genau unternimmt, um den Fall zu klären.

Kritiker im Ausland verfolgt

Mit Einschränkungen der Arbeit haben die Mitarbeitenden von thoibao.de Erfahrung. So wurden im Oktober 2020 in Vietnam vier Facebook-Beiträge von Le „aufgrund lokaler rechtlicher Beschränkungen“ in Vietnam blockiert. Sie enthielten Links zu regierungskritischen Artikeln deutscher Medien, darunter auch die deutsche Seite von Reporter ohne Grenzen.

Im Dezember 2018 berichtete RSF, dass Facebook wegen angeblicher Verletzungen der „Community Standards“ Beiträge von im Exil lebenden vietnamesischen Bloggern gelöscht oder ganze Accounts gesperrt hatte. So hatten Unbekannte Trung Khoa Le laut Facebook unwissentlich zum Administrator einer Seite gemacht, auf der in grober Weise gegen die „Community Standards“ vorstoßen wurde. Das soziale Netzwerk räumte damals ein, Opfer eines „böswilligen Angriffs“ geworden zu sein. Details zu den möglichen Angreifern nannte Facebook nicht. Methodik und Versiertheit der Angreifer sprachen nach Recherchen von RSF jedoch für einen politischen Hintergrund. Unter den Betroffenen waren auch die damals ebenfalls in Deutschland lebenden vietnamesischen Blogger Bui Thanh Hieu und Nguyen Van Dai.

Im Frühjahr berichtete Trung Khoa Le im Podcast-Gespräch mit RSF ausführlich über Einschüchterungsversuche, Cyberattacken und Morddrohungen und beschreibt, wie weit der Einfluss des vietnamesischen Regimes reicht.

Mit mindestens 39 inhaftierten Journalistinnen und Journalisten gehört Vietnam neben China, Myanmar, Iran und Belarus zu den fünf Ländern, in denen die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit im Gefängnis sitzen. Eine rund 10.000 Personen starke „Cyber-Armee“ unter dem Kommando des Ministeriums für öffentliche Sicherheit spürt zudem „Verstöße“ und „reaktionäre Kräfte“ in den sozialen Netzwerken auf – also alle Kräfte, die in Opposition zur vietnamesischen Regierung stehen. RSF zählt diese sogenannte „Force 47“ zu den größten Feinden des Internets.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Vietnam auf Platz 174 von 180 Staaten.



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