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Vereinigte Arabische Emirate

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 145 von 180
Überwachung 30.10.2019

Kampfansage von WhatsApp

WhatsApp Logo auf einem Smartphone
© picture alliance/xim.gs

Reporter ohne Grenzen begrüßt das entschiedene Vorgehen von WhatsApp gegen den israelischen Überwachungstechnologie-Anbieter NSO Group. Wie WhatsApp am Dienstag bekanntmachte, hat das Unternehmen gemeinsam mit seinem Mutterkonzern Facebook bei einem US-Bundesgericht in San Francisco eine Klage gegen NSO wegen eines Überwachungsangriffs gegen rund 1400 WhatsApp-Nutzerinnen und -Nutzer eingereicht. Dieser habe ein eindeutiges Muster von Menschenrechtsverletzungen offenbart: Unter den Betroffenen seien mindestens 100 Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten, Journalistinnen und Journalisten sowie andere Mitglieder der Zivilgesellschaft gewesen.

„Diese Klage ist ein entscheidendes Signal gegen Überwachungsexzesse und sollte zum Vorbild für andere Technologieunternehmen werden“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Sichere Kommunikation ist ein Menschenrecht und eine Voraussetzung dafür, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Aufgabe erfüllen und den Mächtigen auf die Finger schauen können. Telekommunikations- und Technologieunternehmen könnten eine wichtige Rolle bei der Durchsetzung dieses Menschenrechts übernehmen, wenn sie konsequent gegen Überwachungsangriffe vorgehen würden.“

Zugleich wies Mihr auf die bis heute nie überprüfbar beantwortete Frage hin, ob Facebook-Produkte heimliche Zugriffsmöglichkeiten für US-Geheimdienste bieten: „WhatsApp könnte seinem Vorgehen zusätzliches Gewicht verleihen, indem es den Quellcode seines Messengers offenlegt. Dann könnten unabhängige Expertinnen und Experten endlich überprüfen, wie umfassend WhatsApp seine Nutzerinnen und Nutzer vor staatlicher Überwachung schützt.“

Mit Blick auf aktuelle Forderungen nach der Schwächung von Verschlüsselungsstandards auch in Deutschland und Europa fügte Mihr hinzu: „Dieser Fall zeigt auch, wie blauäugig die Forderung nach Hintertüren für Geheimdienste zum Beispiel in Messenger-Anwendungen ist. Jede Schwachstelle in solchen Produkten stellt nicht nur die Privatsphäre von Millionen oder gar Milliarden Menschen infrage, sondern setzt auch Journalistinnen und ihre Informanten unabsehbaren Gefahren aus.“

Server, Hosting-Dienste und WhatsApp-Accounts mit Verbindungen zur NSO Group identifiziert

Konkret fordern WhatsApp und Facebook in der Klage, NSO den Zugriff sowie jeden Zugriffsversuch auf Produkte beider Unternehmen zu verbieten. Außerdem verlangen sie Schadenersatz in ungenannter Höhe.

Die WhatsApp-Klage bezieht sich auf eine im Mai bekanntgewordene Schwachstelle, durch die sich die Videoanruf-Funktion des Messengers dazu nutzen ließ, Schadsoftware auf ein Smartphone aufzuspielen. Auf diese Weise seien Nutzerinnen und Nutzer in 20 Ländern ausspioniert worden; namentlich erwähnt die Klage Mexiko, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain.

Die NSO Group hat bestritten, mit diesem Angriff zu tun zu haben, und wiederholte dies am Dienstag in eindringlicher Form. WhatsApp zeigt sich aber überzeugt, dass diesen Dementis kein Glauben zu schenken sei, denn die Angriffe ließen sich zu Servern, Hosting-Anbietern und WhatsApp-Accounts mit Verbindungen zu NSO zurückverfolgen.

Medienschaffende in Mexiko und den VAE ausgespäht

Die Klage nennt keine Namen von Menschen, die durch den mutmaßlichen NSO-Angriff ausgeforscht wurden. Reuters berichtete unter Berufung auf das Citizen Lab der kanadischen Universität Toronto, das von WhatsApp bei der Untersuchung des Angriffs eingeschaltet wurde, unter den Betroffenen seien bekannte Fernseh-Persönlichkeiten, prominente Frauen, die Online-Hasskampagnen ausgesetzt gewesen seien, sowie Menschen, die Mordversuche und Gewaltandrohungen erlebt hätten.

Die Spähsoftware „Pegasus“ der israelischen NSO Group ist schon mehrfach mit Menschenrechtsverletzungen im Nahen Osten und in Lateinamerika in Verbindung gebracht worden. In Mexiko gehörten prominente Anwälte, Journalistinnen und Antikorruptionsaktivisten zu den Zielen der Überwachung. Auch steht der Vorwurf im Raum, sie habe eine Rolle bei der Ermordung des saudi-arabischen Exil-Journalisten Jamal Khashoggi gespielt. Ein Freund Khashoggis hat gemeinsam mit weiteren Betroffenen in Israel und Zypern wegen mutmaßlicher Manipulation ihrer Smartphones gegen NSO geklagt.

In den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde NSO-Software für einen technisch sehr aufwendigen Spähangriff auf den Menschenrechtsverteidiger und Blogger Ahmed Mansoor verwendet. Wegen seines friedlichen, unter anderem mit dem renommierten Martin-Ennals-Preis anerkannten Einsatzes für Menschenrechte verbüßt Mansoor dort inzwischen eine zehnjährige Haftstrafe.

EU berät über wirksamere Exportkontrollen 

Überwachungstechnologie-Anbieter wie die NSO Group argumentieren regelmäßig, sie stellten ihre Produkte nur Regierungen und staatlichen Stellen für legitime Zwecke wie die Ausforschung von Terrorgruppen oder die Verfolgung schwerer Straftaten zur Verfügung. Allerdings gibt es immer wieder substanzielle Hinweise darauf, dass ihre Produkte allen Dementis zum Trotz in die Hände repressiver Regime gelangen und für schwere Menschenrechtsverletzungen eingesetzt werden. Reporter ohne Grenzen setzt sich deshalb seit Jahren dafür ein, den Export solcher Produkte aus Deutschland und der EU wirksam zu regulieren.

In dieser Woche beginnt dazu auf EU-Ebene der sogenannte Trilog – also die Verhandlungen zwischen EU-Kommission, Europaparlament und dem Rat der EU als Vertretung der nationalen Regierungen – über eine Reform der Dual-Use-Richtlinie. Dabei geht es um eine Einigung auf schärfere Regeln für den Export von Überwachungstechnologie an Drittstaaten, um die in der Europäischen Union seit drei Jahren gerungen wird. Die Kommission hatte hierzu einen fortschrittlichen Entwurf vorgelegt, hinter den sich auch das Europaparlament stellte. Die EU-Mitgliedsstaaten konnten sich im Juni nach langem Stocken der Verhandlungen jedoch nur auf einen schwachen Kompromiss einigen, der viele der kritischen Fragen ausklammert und Interessen der Wirtschaft über menschenrechtliche Prinzipien stellt.

Digitaler Helpdesk für Journalistinnen und Journalisten

Regelmäßig erfährt Reporter ohne Grenzen auch im Rahmen seiner Nothilfearbeit von digitalen Bedrohungen und Angriffen gegen Journalistinnen und Journalisten. Um ihnen gebündelte Informationen zu Themen wie Verschlüsselung, Anonymisierung und Account-Sicherheit anzubieten, hat ROG im Juli einen digitalen Helpdesk gestartet, der sich an Medienschaffende in aller Welt richtet. Der Helpdesk ist Teil des Berliner Stipendienprogramms zur Stärkung von Journalistinnen und Journalisten im digitalen Raum, das aus Mitteln der Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft gefördert wird.

Der Helpdesk ist erreichbar unter helpdesk.rsf.org. Um Zensur des Angebots zu umgehen und Interessierten eine anonyme Nutzung zu ermöglichen, ist der Helpdesk auch im sogenannten „Darknet“ über das Tor-Netzwerk erreichbar.



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