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Indien

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 161 von 180
Indien 06.02.2019

Reporter auf BJP-Parteiveranstaltung angegriffen

Gedenkdemonstration für die ermordete Journalistin Gauri Lankesh in Neu Delhi am 7.9.2017

Reporter ohne Grenzen (ROG) verurteilt die jüngste Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten durch Lokalpolitiker der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP). Auf einer internen Parteiveranstaltung in der Stadt Raipur wurden am Wochenende zwei Reporter und eine Reporterin tätlich angegriffen und verletzt. Die Übergriffe reihen sich in eine Vielzahl von Verletzungen der Pressefreiheit in Indien ein, die sich insbesondere gegen Journalisten richten, die die regierenden Hindu-Nationalisten kritisieren. Auch die Berichterstattung über organisierte Kriminalität bringt Journalisten in Lebensgefahr. Im vergangenen Jahr gehörte Indien zu den fünf Ländern, in denen weltweit die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit getötet wurden.

„Wer Journalisten angreift, darf nicht straffrei davonkommen. Wir fordern die Parteiführung auf, sich klar zur Pressefreiheit zu bekennen und die für den Übergriff verantwortlichen BJP-Mitglieder sofort aus der Partei auszuschließen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Gerade angesichts der Parlamentswahlen im Frühjahr müssen Journalisten ungehindert arbeiten können, um eine kritische Debatte zu ermöglichen. Die Behörden müssen dabei die Sicherheit der Berichterstatter gewährleisten.“

Der Reporter Suman Pandey berichtete für die Nachrichtenseite The Voices über eine Parteiveranstaltung in Raipur, der Hauptstadt des Bundesstaats Chhattisgarh in Zentral-Indien. Als er ein Handgemenge zwischen BJP-Politikern filmte, wurde er von lokalen Parteiführern angegriffen und geschlagen. Die Angreifer zwangen ihn, das Filmmaterial auf seinem Handy zu löschen und verletzten ihn dabei am Kopf.

Pandey hat Anzeige gegen vier BJP-Politiker erstattet. Unter ihnen ist der BJP-Parteivorsitzende in Raipur. Ihnen wird zudem vorgeworfen, The-Voice-Reporter Vinod Dongre und eine weitere Journalistin angegriffen zu haben. Als die vier Angreifer die Polizeistation verließen, wurden sie von weiteren BJP-Mitgliedern zur „Anerkennung“ mit Blumenketten begrüßt.

Am Abend bedrohten mit Messern bewaffnete Mitglieder des BJP-Jugendverbandes Journalisten, die sich aus Protest gegen die Übergriffe versammelt hatten. Die Polizei konnte verhindern, dass sie dabei tätlich angegriffen wurden.

Online-Hetze und Todesdrohungen gegen Journalisten

Die Vorfälle in Raipur sind kein Einzelfall. Seit der Wahl Narendra Modis zum Ministerpräsident im Jahr 2014 registriert ROG einen Anstieg an verbaler und physischer Gewalt insbesondere gegen Journalisten, die die regierenden Hindu-Nationalisten oder ihre Ideologie kritisieren. 

Viele Medienschaffende wurden 2018 das Ziel von Mordversuchen, körperlichen Angriffen und Drohungen. Hasskampagnen gegen Journalistinnen und Journalisten bis hin zu Aufruf zum Mord sind in sozialen Netzwerken alltäglich und werden von Trollarmeen aus dem Umfeld der hindunationalistischen Regierung befeuert. Vor diesem Hintergrund wächst auch die Selbstzensur.

Die freie Journalistin Swati Chaturvedi wurde immer wieder Opfer von Hetz-Kampagnen im Internet. Als Antwort auf die Anfeindungen im Netz recherchierte sie investigativ über die Troll-Armee der BJP und veröffentlichte das Buch „I am a Troll: Inside the Secret World of the BJP’s Digital Army.” Darin beschreibt sie, wie Modis Trolle mittels Todesdrohungen und der Androhung von Gruppenvergewaltigung Journalistinnen schikanieren, die regierungskritisch berichtet haben. Seit ihren Recherchen steht Chaturvedi besonders im Visier der Trolle. ROG hat Chaturvedi 2018 als Journalistin des Jahres ausgezeichnet.

Auch die prominente Journalistin Gauri Lankesh erhielt vor ihrer Ermordung vor allem im Internet Todesdrohungen; Anhänger der BJP hatten sie dort oft kritisiert. Lankesh wurde am 5. September 2017 im südindischen Bangalore erschossen. Die 55-jährige Herausgeberin der Wochenzeitung Lankesh Patrike war bekannt für den Mut und die Entschlossenheit, mit der sie für Frauenrechte eintrat und sowohl das Kastensystem als auch den Hindu-Nationalismus im Land kritisierte. In ihrem letzten Leitartikel erklärte die Journalistin, wie Falschmeldungen zum Wahlsieg der BJP im Jahr 2014 beigetragen hätten. Seit Lankeshs Tod haben mehrere regierungskritische Journalisten in Indien Todesdrohungen erhalten, in denen auf den Mord an der Journalistin Bezug genommen wurde.

Rund neun Monate nach dem Mord gestand im Juni 2018 ein Mitglied einer rechtsextremen Hindu-Gruppe nach seiner Verhaftung, Lankesh erschossen zu haben. Wer die Drahtzieher des Verbrechens sind, ist bis heute unklar.

Seit 2017 mindestens zehn Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet

Neben Lankesh wurden 2017 drei weitere Medienschaffende wegen ihrer Arbeit getötet. Im Jahr 2018 ist die Zahl auf mindestens sechs gestiegen. Damit gehörte Indien im vergangenen Jahr neben Afghanistan, Syrien, Mexiko und dem Jemen zu den weltweit fünf gefährlichsten Ländern für Medienschaffende.

Vor allem die Berichterstattung über organisierte Kriminalität ist in Indien lebensgefährlich. In den vergangenen drei Jahren haben kriminelle Organisationen mindestens sechs Journalisten in Indien ermordet. Im März 2018 wurde der Journalist Sandeep Sharma im Bundesstaat Madhya Pradesh absichtlich mit einem Kipplaster überfahren. Er hatte dort über die sogenannte Sand-Mafia recherchiert – kriminelle Gruppen, die mit illegalem Sand-Abbau ein Vermögen verdienen. Obwohl er die Polizei über Todesdrohungen gegen ihn informiert hatte, blieb diese untätig. Sharma hatte zuvor herausgefunden, dass ein örtlicher Polizeichef Verbindungen zur Sand-Mafia hat.

Wenige Monate später wurde der Journalist Satyendra Gangwar im Norden des Bundesstaates Uttar Pradesh nahe der nepalesischen Grenze von Mitgliedern der lokalen Bergbau-Mafia angeschossen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Indien auf Platz 138 von 180 Staaten. Mindestens zwei Journalisten sitzen dort derzeit wegen ihrer Arbeit in Haft.

Mitte April veröffentlicht ROG die Ergebnisse des Media Ownership Monitor (MOM) in Indien.



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