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Saudi-Arabien

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 170 von 180
Strafanzeige gegen Saudi-Arabiens Kronprinz 02.03.2021

Fragen und Antworten zur Anzeige gegen MBS

Auf einem Schild mit Bundesadler steht: Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof
© picture alliance / Uwe Anspach / dpa / Uwe Anspach

Reporter ohne Grenzen hat beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe Strafanzeige gegen Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed bin Salman („MBS“) und weitere Vertreter des Königreichs wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erstattet. Um welche Fälle geht es dabei und worauf stützt RSF die Vorwürfe? Warum wurde die Anzeige in Deutschland eingereicht und was hofft RSF damit zu erreichen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Strafanzeige von RSF:

Warum hat RSF gerade diese Fälle ausgewählt?

Der Mord an Jamal Khashoggi hat in vielerlei Hinsicht internationale Normen verletzt: Khashoggi wurde nicht nur in eine Falle gelockt, gefoltert und ermordet, seine Leiche zerstückelt und die Leichenteile bis heute nicht gefunden. Das Verbrechen wurde auch auf dem Gelände einer völkerrechtlich geschützten diplomatischen Vertretung in einem fremden Land von ranghohen, mutmaßlich von höchsten Stellen beauftragten Staatsvertretern verübt. Sollte ein so gravierendes Verbrechen nicht nach völkerrechtlichen Maßstäben verfolgt werden, dann würde das einen Präzedenzfall schaffen, der Journalistinnen und Journalisten weltweit zum Freiwild für skrupellose Diktatorinnen und Diktatoren machen könnte.

Zugleich darf der Khashoggi-Mord nicht die fortdauernden Verbrechen an Medienschaffenden in Saudi-Arabien verdecken. Die hohe Zahl an willkürlich inhaftierten Journalistinnen und Journalisten und deren ausweglose Situation spiegeln den katastrophalen Zustand der Pressefreiheit im Land wider und machen deutlich, welchen Bedrohungen für Freiheit und Leben alle Medienschaffenden dort ausgesetzt sind.

Das Handeln von Regierung und Justiz in Saudi-Arabien ist so intransparent, dass es dort mit einiger Wahrscheinlichkeit weitere, öffentlich nicht bekannte Fälle von willkürlich inhaftierten oder gewaltsam verschwundenen Medienschaffenden gibt. Es ist deshalb gut möglich, dass der Generalbundesanwalt im Zuge von Ermittlungen zusätzliche Opfer solcher Verbrechen identifiziert.

Worauf beruht der Vorwurf der Verbrechen gegen die Menschlichkeit?

Als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet das deutsche Völkerstrafgesetzbuch bestimmte Tatbestände, die „im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“ begangen werden. Die in der Strafanzeige benannten Fälle erfüllen all diese Merkmale:

Das Regime in Saudia-Arabien verfolgt Journalistinnen und Journalisten und damit eine ganze Gruppe der Zivilbevölkerung allein aufgrund ihrer Tätigkeit und setzt sie Gefahren für Leben und Freiheit aus. Dies geschieht aktiv als Teil einer Regierungspolitik mit dem Ziel, diese Gruppe zu konformem Verhalten zu zwingen; damit sind die Verbrechen systematisch. Sie sind auch ausgedehnt, denn die Zahl an inhaftierten Medienschaffenden ist eine der höchsten weltweit für ein einzelnes Land. Zudem betreffen die Folgen die ganze Bevölkerung, weil die Verbrechen dazu führen, dass die Medien im Land ihre Funktion als unabhängige Kontrollinstanz nicht erfüllen können. Auch deshalb wiegen die Taten besonders schwer.

Um welche Straftatbestände geht es konkret?

In der Strafanzeige benennt RSF die folgenden Tatbestände gemäß Paragraf 7 des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs: vorsätzliche Tötung, Folter, sexuelle Gewalt und Nötigung, zwangsweises Verschwindenlassen, Zufügung schwerer körperlicher und seelischer Schäden, schwerwiegenden Entzug der körperlichen Freiheit sowie Verfolgung aus politischen Motiven.

Warum erstattet RSF diese Strafanzeige in Deutschland?

Das Völkerstrafgesetzbuch erlaubt es deutschen Gerichten, nach dem Weltrechtsprinzip gegen schwerste Verbrechen von internationaler Bedeutung auch dann vorzugehen, wenn sie im Ausland und ohne Bezug zu Deutschland begangen wurden. Deutsche Gerichte haben in anderen Fällen bereits gezeigt, dass sie bereit und in der Lage sind, diese rechtliche Möglichkeit zu nutzen.

Zudem hat die Bundesregierung wiederholt erklärt, wie wichtig es für Deutschland sei, Menschenrechtsverletzungen zu ahnden und die Täter überall auf der Welt einschließlich in Deutschland zur Rechenschaft zu ziehen. Eigens als Reaktion auf den Khashoggi-Mord hat die deutsche Regierung Sanktionen gegen mehrere Einzelpersonen verhängt und Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien ausgesetzt; dies unterstreicht die hohe Bedeutung, die sie dem Fall für Deutschland beimisst.

Gegen wen richtet sich die Strafanzeige?

Der von RSF eingereichte Schriftsatz benennt fünf Hauptverdächtige für die angezeigten Verbrechen:

  • Kronprinz Mohammed bin Salman wird verdächtigt, die Ermordung Jamal Khashoggis direkt befohlen zu haben und hauptverantwortlich für die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten in Saudi-Arabien zu sein.
  • Saud al-Kahtani war als enger Berater des Kronprinzen mutmaßlich direkt an der Planung und Ausführung des Khashoggi-Mordes sowie an der Verfolgung anderer Journalistinnen und Journalisten beteiligt.
  • Ahmad Mohammed Asiri soll als damaliger Vize-Geheimdienstchef die Aufsicht über die Tötung Khashoggis gehabt haben.
  • Mohammad al-Otaibi war zur Zeit des Khashoggi-Mordes als Generalkonsul Saudi-Arabiens in Istanbul Hausherr über die mutmaßlichen Tatorte.
  • Maher Abdulasis Mutreb soll als Geheimdienstoffizier das Kommando angeführt haben, das Khashoggi folterte, tötete und den Leichnam verschwinden ließ.

Sofern der Generalbundesanwalt zu den Vorwürfen ein Verfahren eröffnet, könnten seine Ermittlungen zur Benennung weiterer mutmaßlicher Mittäter oder Mittäterinnen führen.

Was will RSF mit der Strafanzeige erreichen?

Übergeordnetes Ziel der Strafanzeige ist es, die Verantwortlichen für den Mord an Jamal Khashoggi und für die Verbrechen an Medienschaffenden in Saudi-Arabien zur Rechenschaft zu ziehen. Damit will RSF gegen die Straflosigkeit für solche Taten angehen, die in dem Königreich insbesondere seit dem Arabischen Frühling von 2011 den Nährboden für immer weitere Repressalien bildet. Außerdem hofft RSF, zur Freilassung der 33 derzeit in Saudi-Arabien wegen ihrer Arbeit inhaftierten Medienschaffenden beizutragen.

Als unmittelbare Folge der Strafanzeige könnte der Generalbundesanwalt eine sogenannte Situationsanalyse erstellen. Dies wäre der erste Schritt zur Eröffnung eines formellen Ermittlungsverfahrens, das zu Haftbefehlen gegen die Beschuldigten und zu einem rechtsstaatlichen, Strafprozess gemäß internationalen Standards führen könnte.



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