Malta 16.10.2020

Auch drei Jahre nach Mord keine Aufklärung

Demonstrierende halten Bilder von Daphne Caruana Galizia hoch
© picture alliance / AP Photo / Rene Rossignaud

Drei Jahre nach der Ermordung der Journalistin Daphne Caruana Galizia in Malta zeigen die maltesischen Behörden noch immer kaum Engagement dabei, den Fall aufzuklären. Die Männer, die beschuldigt werden, das Autobombenattentat geplant und durchgeführt zu haben, wurden bis heute nicht vor Gericht gestellt. Premierminister Robert Abela hat versucht, auf die unabhängige öffentliche Untersuchung der Hintergründe des Mordes Einfluss zu nehmen. Die bei Abelas Amtsantritt erhofften Reformen sind indes ausgeblieben. Die Atmosphäre im Land ist nach wie vor immens polarisiert, und investigativ arbeitende Journalistinnen und Journalisten sind einem hohen Risiko ausgesetzt. Reporter ohne Grenzen (RSF) erneuert deshalb anlässlich des dritten Todestages von Daphne Caruana Galizia am heutigen 16. Oktober seine Forderungen nach einer umgehenden Aufklärung und Aufarbeitung des Falls sowie nach sofortigen und umfassenden Reformen zugunsten der Pressefreiheit in Malta.

„Es ist unerträglich, dass die Mörder von Daphne Caruana Galizia nun schon seit drei Jahren straflos davon gekommen sind. Genau so unerträglich ist es, dass die Mängel im politischen System Maltas, die dieses schreckliche Verbrechen erst ermöglicht haben, auch nach drei Jahren nicht behoben sind“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die internationale Gemeinschaft muss die maltesische Regierung unverzüglich zur Rechenschaft ziehen. Wenn ein Mord mitten in der EU straflos bleibt, öffnet das die Tür für weitere Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten. Deshalb muss jetzt ein klares Signal gesendet werden, dass so etwas weder in der EU noch nirgendwo sonst auf der Welt noch einmal geschehen darf.“

Ermittlungen wieder ins Stocken geraten

Die Ermittlungen im Fall Caruana Galizia sind nach zwischenzeitlichen Fortschritten wieder ins Stocken geraten. Die drei Männer, die beschuldigt werden, den Mord ausgeführt zu haben – Alfred Degiorgio, George Degiorgio und Vincent Muscat – sind seit Dezember 2017 inhaftiert, wurden jedoch noch immer nicht vor Gericht gestellt. Der geständige Mittelsmann und Hauptzeuge Melvin Theuma wurde im Juli mit schweren Verletzungen, darunter einer aufgeschlitzten Kehle, ins Krankenhaus eingeliefert. Es soll sich hierbei um Selbstverletzungen gehandelt haben. Gegen den mutmaßlichen Auftraggeber Yorgen Fenech werden noch immer Beweise gesammelt. Seine Verteidiger argumentieren, dass er kein faires Verfahren erhalten wird, und behaupten, dass die „echten Drahtzieher“ noch immer frei sind.

RSF fordert, dass jede Person, die in den Mord verwickelt ist, vorurteilsfrei identifiziert und strafrechtlich verfolgt wird – alle Auftragsmörder, alle Mittelsmänner und alle Drahtzieher. Damit Daphne Caruana Galizia und ihren Hinterbliebenen endlich Gerechtigkeit zuteil werden kann, muss die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der öffentlichen Untersuchung geschützt werden, zudem muss ein Ermittlerteam von Europol als Unterstützung angefordert werden. RSF fordert außerdem die unverzügliche Umsetzung der wichtigsten internationalen Empfehlungen zur Behebung allgemeiner systembedingter Mängel in Malta – beginnend mit der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) vom Juni 2019.

In einer gemeinsamen Erklärung mit 18 weiteren internationalen Nichtregierungsorganisationen hat RSF am heutigen dritten Todestag von Daphne Caruana Galizia diesen Forderungen Nachdruck verliehen.

Vor genau einem Jahr dokumentierten RSF und das maltesische Nachrichtenportal The Shift News in einem detaillierten Bericht die Versäumnisse der maltesischen Behörden nach dem Mord sowie die internationalen Empfehlungen zur Lösung der systemischen Probleme und zur Aufarbeitung des Falls. Die einzige Empfehlung, die bislang umgesetzt wurde, ist die Einleitung einer unabhängigen öffentlichen Untersuchung, eines sogenannten Public Inquiry, die unabhängig von Justiz und Politik der Frage nachgeht, welche Umstände das Verbrechen ermöglichten. Dies ist nur dem anhaltenden internationalen Druck zu verdanken, darunter der Resolution der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, die der maltesischen Regierung im Juni 2019 ein Ultimatum gesetzt hatte.

Politische Einmischung in unabhängige Untersuchung

Die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit der öffentlichen Untersuchung ist derzeit jedoch bedroht: Obwohl er nicht die Kompetenz dafür besitzt, hat der seit Januar amtierende Premierminister Robert Abela versucht, der Arbeit der Kommission eine Frist bis Dezember dieses Jahres zu setzen. Nicht nur hier hat Abela gezeigt, dass seine Regierung die Politik seines Vorgängers Joseph Muscat, der im Januar nach Massenprotesten im Zusammenhang mit Entwicklungen in Caruana Galizias Fall zurückgetreten ist, weitgehend fortsetzen wird. Erst am 5. Oktober schied Muscat auch aus dem Parlament aus.

Bei einer Reise nach Malta im Juli interviewte RSF Journalistinnen und Journalisten von mehreren unabhängigen Medien, die das besorgniserregende Bild einer anhaltenden tiefen Spaltung in der maltesischen Medienlandschaft zeichneten. Sie berichteten auch, dass sich trotz früher Anzeichen für oberflächliche Reformen durch Abela – so wird das improvisierte Mahnmal für Caruana Galizia in in der Hauptstadt Valletta nicht mehr regelmäßig von den Behörden zerstört – im Kern nichts geändert habe. Obwohl Abela als nicht ganz so feindselig gegenüber den Medien wahrgenommen wird wie sein Vorgänger, berichten Medienschaffende, dass sie mehr Schwierigkeiten denn je haben, Informationen oder Zugang zu Regierungsvertreterinnen und -vertretern zu erhalten.

Einige der Journalistinnen und Journalisten kritisierten auch die finanzielle Unterstützung der Abela-Regierung für Medien als Corona-Hilfsmaßnahmen. Die Bedingungen für diese teils direkten Subventionen, teils Werbevereinbarungen seien nicht transparent gewesen. RSF sind auch Berichte über Versuche von Regierungsstellen bekannt, die redaktionelle Linie einiger Medien zu beeinflussen, die die staatlichen Hilfen erhalten haben.

Aufgrund Corona-bedingter Reisebeschränkungen kann RSF in diesem Jahr erstmals nicht an den Gedenkfeiern in Malta teilnehmen und hat stattdessen Mahnwachen in kleinem Rahmen in Berlin (13 Uhr Ortszeit vor der maltesischen Botschaft) und London organisiert und nimmt an virtuellen Veranstaltungen teil.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit ist Malta seit der Ermordung von Daphne Caruana Galizia um 34 Plätze gefallen. Es belegt derzeit Platz 81 von 180 Ländern. 



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