Ukraine 11.10.2016

Massenmedien als Machtinstrumente

© Media Ownership Monitor Ukraine

Die Massenmedien in der Ukraine sind vor allem den persönlichen Interessen ihrer Besitzer verpflichtet und dienen ihnen als politische und wirtschaftliche Machtmittel. Zusätzlich kranken die Medien des Landes an Korruption und mangelnder Transparenz über ihre Eigentumsverhältnisse. Dies zeigen die Ergebnisse dreimonatiger Recherchen im Rahmen des weltweiten Projekts Media Ownership Monitor, die Reporter ohne Grenzen zusammen mit der ukrainischen Partnerorganisation Institut für Massenmedien (IMI) am Dienstag in Kiew vorgestellt hat. Die detaillierten Ergebnisse sind ab sofort auf Ukrainisch und Englisch auf der MOM-Webseite abrufbar.

Besonders stark ist die Konzentration auf dem ukrainischen Fernseh- und Radiomarkt. Der Hauptgrund dafür ist das Fehlen einer wirksamen Regulierung von Medienoligopolen. Die Eigentumsverhältnisse wichtiger Medienunternehmen werden über Steueroasen verschleiert, wodurch die Eigentümer auch die schon bestehenden rechtlichen Anforderungen umgehen.

„Die meisten wichtigen Medien in der Ukraine sind ein integraler Teil des engen Geflechts zwischen politischen und wirtschaftlichen Interessen“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Medien werden in der Ukraine oft schamlos zur Manipulation zugunsten unternehmerischer Interessen, für Wahlwerbung oder politische Projekte ihrer Besitzer eingesetzt. Um dieser Instrumentalisierung Einhalt zu gebieten, ist eine deutlich wirksamere Regulierung nötig.“

„Unsere Recherchen bestätigen die Wahrnehmung vieler Ukrainer: Wir leben in einem Land der Vetternwirtschaft, in dem Unternehmer nur durch enge Beziehungen zur politischen Elite erfolgreich sein können und umgekehrt“, ergänzte IMI-Projektmanager Maksym Ratuschnyi.

Die MOM-Ergebnisse bestätigen die besondere Rolle der „Oligarchen“ für die Medienlandschaft – jener kleinen Gruppe einflussreicher Unternehmer, die auch andere Wirtschaftszweige der Ukraine dominieren. In der ukrainischen Öffentlichkeit ist es kein Geheimnis, wem etwa die beliebtesten landesweiten Fernsehkanäle gehören. Diese umfassende Untersuchung legt nun jedoch offen, welche wirtschaftlichen und politischen Interessen hinter diesen Eigentumsstrukturen stehen. Die Ergebnisse stehen der ukrainischen Öffentlichkeit künftig als leicht durchsuchbare Datenbank zur Verfügung.

Starker politischer Einfluss, hohe Besitzkonzentration

Der politische Einfluss auf die Medien bleibt in der Ukraine äußerst stark. Zehn der zwölf wichtigsten im Rahmen des MOM untersuchten Fernsehsender haben direkte oder indirekte Verbindungen zu Politikern. Auch auf dem Radiomarkt ist die Nähe zwischen Eigentümern und politischer Klasse groß.

Die audiovisuellen Medien sind zudem stark konzentriert. So vereinen die vier wichtigsten Fernsehkonzerne – StarLightMedia, 1+1 Media, Inter Media und Media Group Ukraine – mehr als drei Viertel der Zuschaueranteile auf sich. Zugleich gehören sie den Oligarchen Viktor Pintschuk, Ihor Kolomojskyj, Dmytro Firtasch und Rinat Achmetow, die unter den reichsten Unternehmern der Ukraine sind.

Die Auswirkungen für die Berichterstattung sind deutlich: Die Sender des Stahlmagnaten Achmetow werben für die humanitäre Arbeit seiner Stiftung und widmen Politikern, die ihm nahestehen, reichlich Aufmerksamkeit. Die des Multimilliardärs Kolomojskyj unterstützen dessen Verbündete und machen seine Gegner schlecht: Als Kolomojskyj sich mit Staatspräsident Petro Poroschenko überwarf, änderte auch sein Fernsehsender 1+1 die Färbung seiner Berichte über den Politiker.

Auf dem Radiomarkt sind sogar 92 Prozent der Höreranteile auf die vier größten Sendergruppen konzentriert: auf die Tavr Radio Group, Ukrainian Media Holding, Business Radio Group und TRK Lux. Drei dieser vier Gruppen gehören wiederum einigen der reichsten Ukrainer. Nur TRK Lux fällt aus diesem Schema: Die Sendergruppe gehört der Ehefrau des Bürgermeisters von Lemberg.

Bei Print- und Online-Medien ist die Besitzkonzentration geringer. Gerade Online-Medien bieten zumindest für Internet-affine Ukrainer deutlich mehr Pluralismus und Auswahl, obwohl sie bislang völlig unreguliert sind.

Verschachtelte Konzerne mit Besitzern in Steueroasen

Die MOM-Ergebnisse zeigen auch, dass viele der großen Medienkonzerne der Ukraine sehr verschachtelte, teils in Steueroasen versteckte Strukturen haben. Ihre Besitzer verbergen ihre Vermögen etwa in Zypern, auf den Jungferninseln, in Hongkong, auf den Seychellen, in Samoa oder Belize – ungeachtet eines ukrainischen Gesetzes, das Einwohnern von Steueroasen explizit den Besitz von Medienunternehmen in der Ukraine verbietet.

So wird 1+1 Media zu 30 Prozent von dem zyprischen Unternehmen Caddoa Ltd. kontrolliert, das zu gleichen Teilen fünf Zyprern ohne offensichtlichen Bezug zur Ukraine gehört. Im Fall der Ukraine Media Holding, die dem Unternehmer Serhij Kurtschenko zugerechnet wird, ist für fast alle beteiligten Unternehmen ein einziger Bürger des mittelamerikanischen Staates Belize als Eigentümer eingetragen, der zugleich als Chef von mehr als 30 weiteren Offshore-Firmen fungiert.

Auf gesetzlicher Ebene gibt es einige Versuche, Licht in die Eigentumsverhältnisse der Medien zu bringen. Insbesondere wurde 2015 ein Gesetz verabschiedet, um mehr Transparenz über den Medienbesitz zu erreichen. Allerdings haben bislang nicht alle Medienunternehmen ihre Besitzer wie vorgeschrieben offengelegt.

Noch lückenhaft sind die Vorschriften zur Regulierung der Medienkonzentration; und wo es sie gibt, stockt die Umsetzung. Regulierungsbehörden wie der Nationale Fernseh- und Rundfunkrat und die Antimonopolkommission klagen, ihnen fehle eine gesetzliche Grundlage, um die Konzentration zu untersuchen. Außerdem seien die potentiellen Sanktionen bei Verstößen unzureichend. Wegen der engen Verflechtungen von Politik und Wirtschaft fehlt es wie auch in anderen Branchen am politischen Willen, den Medienmarkt zu reformieren und zu regulieren.

Schon im vergangenen Juni veröffentlichte Reporter ohne Grenzen einen Bericht über die Lage der Journalisten und Medien in der Ukraine. Unter dem Titel "Ernüchterung nach dem Euromaidan" beschreibt er die fragile Situation eines Landes, in dem Journalisten zwar frei arbeiten und investigativ berichten können, gleichzeitig aber durch Probleme wie den Einfluss der Oligarchen behindert werden. Die Bericht schildert auch, wie es die Wirtschaftskrise unabhängigen Medien schwer macht, funktionierende Geschäftsmodelle zu entwickeln. Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht die Ukraine auf Platz 107 von 180 Ländern.

Der Media Ownership Monitor - ein globales Rechercheinstrument

Der Media Ownership Monitor ist ein internationales Projekt von Reporter ohne Grenzen, das mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung umgesetzt wird. Gemeinsam mit lokalen Partnerorganisationen wurde er 2015 erstmals in Kolumbien und Kambodscha durchgeführt. Weitere Projektländer im laufenden Jahr sind Tunesien, die Türkei, die Philippinen, Peru und die Mongolei. Weitere Länder sind in Planung.



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