Überwachungskontrolle 16.07.2019

Einigung zu Dual-Use enttäuscht

Eine Polizeidrohne als Überwachungstechnologie © picture alliance/APA/picturedesk.com

Im Tauziehen um die bessere Kontrolle von sogenannten Dual-Use-Gütern zieht Reporter ohne Grenzen (ROG) ein ernüchterndes Fazit: Nach fast dreijährigen Verhandlungen in Brüssel lässt die jüngste Einigung des Rats der Europäischen Union zum Export von Überwachungstechnologie keinen Platz für menschenrechtliche Prinzipien. 

Während die EU-Kommission einen fortschrittlichen Entwurf zur schärferen Exportkontrolle von Überwachungstechnologie an Drittstaaten vorlegte, hinter den sich dann auch das Parlament stellte, scheiterte die vielversprechende Reform nun an den Differenzen der Mitgliedstaaten im Rat. Nach langem Stocken der Verhandlungen einigten sich die Mitgliedsstaaten im Juni 2019 doch noch. Allerdings erfolgte die Einigung nur, indem viele der kritischen Knackpunkte einfach ganz entfernt wurden. Das in seiner jetzigen Form beschlossene Ratsmandat enthält eine überaus löchrige Definition der Überwachungstechnologie und präzisiert die für digitale Überwachung genutzte Technik nicht. Staatliche Transparenz- und Sorgfaltspflichten seitens der Unternehmen werden nicht mehr eingefordert. Damit setzte sich das Interesse der Wirtschaft einmal mehr gegen menschenrechtliche Prinzipien durch.

„Es ist bedauerlich, dass sich die EU-Staaten nach so langwierigen Verhandlungen lediglich auf einen Text einigen konnten, der die menschenrechtlichen Schutzpflichten außen vorlässt und somit Medienschaffende und ihre Quellen weltweit großen Gefahren aussetzt“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Wenn Wirtschaftsinteressen Vorrang erhalten, bedeutet dies, dass europäische Technologie weiter von Diktatoren dazu genutzt wird, die Informations- und Pressefreiheit einzuschränken und Journalistinnen und Journalisten zu verfolgen.“ 

Aktueller denn je: FinSpy in 20 Ländern aufgetaucht

Wie drängend das Thema ist, zeigte sich erst vergangene Woche, als bekannt wurde, dass die deutsche Spähsoftware FinSpy der Firma Finfisher nun auch in Myanmar gefunden wurde, wo es regelmäßig zu Menschenrechtsverstößen kommt. FinSpy verschafft sich uneingeschränkten Zugriff auf ein Endgerät und kann somit auch verschlüsselte Kommunikation einsehen, Passwörter abgreifen und Anrufe mitschneiden. Kaspersky Lab, ein auf Sicherheitssoftware spezialisiertes Unternehmen, hat den Einsatz der deutschen Spähtechnologie in 20 Ländern aufgedeckt, geht aber von einer noch weitaus höheren Dunkelziffer aus. Überwachungstechnologie wird somit weiterhin in nicht demokratischen Staaten allzu oft dafür genutzt, gegen Medienschaffende, Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten sowie Oppositionelle vorzugehen.

Da der Missbrauch von Überwachungstechnologie weiterhin ein großes Problem darstellt, wurde dieses erstmals im Mai 2019 international auf höchster Ebene adressiert. Der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, forderte in seinem Bericht an den UN-Menschenrechtsrat einen umgehenden Stopp aller Verkäufe und Exporte von Überwachungstechnologie, bis sich Regierungen und Unternehmen auf ein Kontrollregime mit angemessenen Menschenrechtsstandards einigen können. Auch Reporter ohne Grenzen hatte im Dezember 2018 an einer Expertenanhörung mit David Kaye in Bangkok teilgenommen und mit einer Stellungnahme zu seinem Bericht beigetragen.

Ein Kompromiss, der seinen Namen nicht verdient hat

Das jetzt ausgehandelte Ratsmandat ist der kleinste gemeinsame Nenner. Auch Deutschland trug die Entscheidung mit. Aus einer Protokollerklärung der Bundesregierung geht hervor, dass sie sich dem Ratsmandat anschloss, um den Verhandlungsprozess voranzutreiben und die Reform der EU-Verordnung nicht zu gefährden. Darüber hinaus ruft die Erklärung zu weiteren inhaltlichen Überarbeitungen in den Verhandlungen mit dem Parlament auf. 

„Deutschland steht als exportstarkes Land in der Verantwortung dafür, dass ein Kompromiss Wirtschaftsinteressen und Menschenrechtsbelangen gleichermaßen Rechnung trägt. Daher ist die Enttäuschung jetzt groß. Wir fordern, dass sich Deutschland in den noch anstehenden Verhandlungen stärker für menschenrechtliche Prinzipien und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten und ihre Quellen einsetzt“, so Mihr weiter.

Viele der Elemente, die Reporter ohne Grenzen im ursprünglichen Kommissionsentwurf als durchaus positiv bewertete, tauchen in der jetzigen Version gar nicht mehr auf, so etwa eine Erweiterung der Definition der Dual-Use-Güter auf die Überwachungstechnologie. Die notwendige Differenzierung dieser als eigene Kategorie der Dual-Use-Güter, auf deren Spezifika im Kontrollregime besonders eingegangen werden muss, wurden zu großen Teilen entfernt. Zudem wurden Transparenzvorschriften, die bereits im Original sehr vage formuliert wurden, jetzt noch mehr verwässert. Informationen darüber, welche Überwachungstechnologie aus welchen europäischen Ländern in welche Drittstaaten geliefert wird, wären auch künftig nicht zu erhalten. Die Erweiterung der sogenannten Menschenrechts-Catch-All-Klausel wurde ganz aus der Verordnung gestrichen. Sie sollte eigentlich dafür sorgen, dass Unternehmen menschenrechtliche Risiken abzuschätzen sollten, bevor sie Cyber-Technologie exportieren, und zwar auch solche, die aufgrund des rasanten technischen Wandels noch gar nicht auf der EU-Liste möglicher Überwachungstechnologie aufgeführt wird.

Insofern ist das jetzige Ratsmandat, in dem Menschenrechtsprinzipien nur eine minimale Rolle spielen und in dem kein adäquates Regime für den Export von Cyber-Technologie geschaffen wurde, ein Schatten des ehemaligen Kommissionsentwurfs aus dem Jahr 2016.

Der Versuch einer europaweiten Regulierung

Cyber-Surveillance-Technologie, wie zum Beispiel Spähsoftware, Datenzentren zur Vorratsdatenspeicherung oder Equipment für die Überwachung von Demonstrationen, zählen zu sogenannten Dual-Use-Gütern. Das sind Produkte mit doppeltem Verwendungszweck, die sowohl für zivile als auch militärische Vorhaben genutzt werden können. Daher wurde Überwachungstechnologie erstmals 2015, nebst konventionellen Rüstungsgütern, in die europäische Dual-Use-Verordnung aufgenommen, um ihre Ausfuhr in Drittstaaten zu kontrollieren. Doch Unternehmen haben bis heute Schlupflöcher, um mit autokratischen Regimen zu handeln, weshalb die EU-Kommission im September 2016 einen Reformvorschlag vorlegte, der neue Bedrohungen im Zusammenhang mit Cyber-Überwachung besser erfassen und Menschenrechte als Teil der allgemeinen Ausrichtung auf einen verantwortungsvolleren und wertebasierten Handel berücksichtigen soll.

Nach einigen Änderungen stellte sich das EU-Parlament Anfang 2018 hinter den Entwurf der Kommission. Dieser ging in nächster Instanz an den Rat der Europäischen Union, doch die Mitgliedstaaten konnten sich lange nicht einigen. Die Verhandlungen kamen ins Stocken, und ein gemeinsamer Beschluss war vor den EU-Parlamentswahlen im Mai 2019 nicht mehr möglich. Nach anderthalb Jahren des Für und Wider erfolgte dann der Kompromiss am 5. Juni dieses Jahres.

Quo vadis Dual-Use Verordnung?

Aktuell ringt das neue EU-Parlament um die Besetzung weiterer wichtiger Posten. Daher beginnen die Trilog-Gespräche, also die abschließend gesetzgebende Handlungsinstanz zwischen EU-Parlament, -Rat und -Kommission, zur Dual-Use-Verordnung frühestens Ende September. Eine Einigung wird nicht vor Mitte 2020 erwartet. Im zweiten Halbjahr 2020 übernimmt Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft. Im Hinblick auf die konträren Positionen des EU-Parlaments und der Kommission auf der einen Seite, und des Rats der EU auf der anderen, dauert es vielleicht noch mehrere Jahre.

Reporter ohne Grenzen wird das Gesetzgebungsverfahren weiterhin eng begleiten und sich dafür einsetzen, dass menschenrechtliche Prinzipien und der Schutz journalistischer Arbeit doch noch einen entsprechenden Platz in der EU-Regulierung finden.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 13 von 180 Staaten. 

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