Türkei 08.10.2007

Alle Beweismittel im Mordfall Hrant Dink müssen berücksichtigt werden

Reporter ohne Grenzen (ROG) ist entsetzt, dass Beweismaterial im Mordfall Hrant Dink möglicherweise verschwunden ist und weitere wichtige Informationen offensichtlich nicht berücksichtigt werden. Außerdem wurde ROG nicht als Nebenkläger in dem Verfahren zugelassen. Die Organisation sei nicht direkt von dem Mordfall betroffen, hieß es zur Begründung. Am 1. Oktober fand der zweite Verhandlungstermin in dem Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder des türkisch-armenischen Zeitungsherausgebers statt.

„Es gibt Beweise, die belegen dass die Behörden – vor allem jene in Trabzon, wo die meisten der Angeklagten lebten – über die Pläne zur Ermordung Dinks informiert waren. Doch werden diese ganz bewusst ignoriert“, so ROG. „Die Justiz kann das nicht länger abstreiten. Trotzdem weigert sie sich, die betroffenen Sicherheitskräfte strafrechtlich zu verfolgen, wie es eigentlich ihre Pflicht wäre,“ so ROG weiter.

Fethiye Cetin, Anwältin der Familie Dink, sagte zudem, dass die Videobänder der Überwachungskamera einer Bank in der Nähe des Tatortes nach der Übergabe an die Polizei verschwunden sind. „Hier wird etwas versteckt“, so die Anwältin. „Vielleicht wurden dem Mörder nahestehenden Personen entdeckt.“

Der zweite Verhandlungstermin war bestimmt vom Geständnis Ogün Samasts. Er gab zu, auf Dink geschossen zu haben. Auf Antrag der Anwälte von Dinks Familie wurden zwei der Angeklagten, die Samast angeblich zu der Tat bewegt haben sollen (Yasin Hayal und Erhan Tuncel), während seiner Aussage des Verhandlungssaales verwiesen.

Samast gab an, dass er „Gewissensbisse habe“ und die Bedeutung des Mordes an Dink „nicht verstanden hatte“, weil er unter Drogeneinfluss stand. Er erklärte weiter, dass Hayal ihm Ecstasy-Pillen gegeben und ihn zu der Tat gezwungen habe. Samast fügte hinzu, nicht gewusst zu haben, dass Dink eine Familie hatte und er die Tat ansonsten nicht begangen hätte. Ein Routinetest zum Zeitpunkt von Samasts Verhaftung ergab allerdings, dass dieser nicht unter Drogeneinfluss stand.

Die Verhandlung, die bis 22.30 Uhr dauerte, wurde mit der Anhörung der anderen Angeklagten fortgesetzt. Diese versuchten zu beweisen, dass die türkische Arbeiterpartei PKK (seit 2003 auch „Volkskongress Kurdistans“) und sogar Israel sowie die USA hinter dem Mord stecken.

Zum Zeitpunkt der Verhandlung tauchten Zeitungsberichte auf über den Mitschnitt eines Telefonats zwischen Mühittin Zenit, einem der Polizeibeamten in Trabzon, und Erhan Tuncel, einem der Angeklagten. In dem Gespräch fand etwa eine halbe Stunde nach dem Mord an Dink statt. Aus ihm geht hervor, dass Zenit Kenntnis von den Mordplänen hatte.

Das Innenministerium lässt nun untersuchen, wer die Tonbandaufnahme an die Medien weitergegeben hat. Das Gericht entschied, den Polizisten Zenit, gegen den bereits ein verwaltungsrechtliches Verfahren läuft, derzeit nicht anzuklagen. Die Nebenkläger befürchten daher, dass Zenit nie wegen seiner Rolle in dem Mordfall vor Gericht gestellt werden wird.

Der nächste Verhandlungstermin ist für den 11. Februar 2008 angesetzt.


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Katrin Evers
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