Mexiko 18.11.2020

Bittere Bilanz für die Pressefreiheit

Der Präsident steht mit ernstem Blick neben der mexikanischen Nationalflagge
Präsident Andrés Manuel López Obrador © picture alliance / NurPhoto / Eyepix

Im November 2019 haben sich 17 Menschenrechts- und Pressefreiheitsorganisationen, darunter auch Reporter ohne Grenzen, zu der Internationalen Koalition zivilgesellschaftlicher Organisationen zur Sicherheit von Journalistinnen und Journalisten (ISCO SOJ-Koalition) zusammengeschlossen. Das Ziel dieses Zusammenschlusses ist ein besserer Schutz der Presse- und Meinungsfreiheit in Mexiko. Dafür sind Vertreterinnen und Vertreter der Organisationen in das lateinamerikanische Land gereist, um vor Ort in konkrete Verhandlungen mit der Regierung unter Präsident Andrés Manuel López Obrador zu treten.

Die Situation der Menschenrechte und der Pressefreiheit in Mexiko ist äußerst prekär. Absprachen zwischen Behörden und kriminellen Banden stellen eine ernste Bedrohung für die Sicherheit von unabhängigen Medienschaffenden dar und lähmen das Justizsystem. Immer wieder werden Journalistinnen und Journalisten bedroht, verfolgt, entführt oder sogar ermordet. Allein in diesem Jahr wurden wieder sieben Reporterinnen und Reporter  getötet, und seit 2003 sind insgesamt 21 Medienschaffende spurlos verschwunden.  Fast immer bleiben die Vergehen an Medienschaffenden ungesühnt, , weshalb  immer mehr Journalistinnen und Journalisten ins Ausland fliehen. Außerdem nimmt die Medienkonzentration durch den Einfluss der Politik weiter zu, so dass die Gruppen Televisa und TV-Azteca mittlerweile beinahe alle Fernsehkanäle kontrollieren. Kommunale Rundfunkmedien werden behindert, indem sie keine Lizenzen mehr erhalten.

Kein Geld mehr für föderalen Schutzmechanismus

Ein Jahr nach den Gesprächen in Mexiko ziehen die Organisationen eine bittere Bilanz: Die mexikanische Regierung hat ihre Versprechen nicht gehalten. Laut diesen sollte die Regierung unter anderem den sogenannten Föderalen Mechanismus zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigerinnen finanziell unterstützen. Stattdessen strich der mexikanische Kongress diesen Oktober wegen der Covid-19-Pandemie  auch den Treuhandfonds, der den Föderalen Mechanismus finanziert hatte.

Eine ungesicherte Finanzierung des nationalen Schutzmechanismus wird unweigerlich zu einer noch größeren Gefährdung von Journalistinnen und Journalisten führen, da Sofortmaßnahmen weniger flexibel und schnell umgesetzt werden können. Auch die zusätzlichen bürokratischen Hürden könnten die Sicherheit der Antragstellenden gefährden. Außerdem steht zu befürchten, dass künftig weniger Transparenz über die Verwendung der Mittel des Mechanismus herrscht.

Fast alle Fälle bleiben ungesühnt

Grundsätzlich hat sich die Lage der Menschenrechte und der Pressefreiheit 2020 kontinuierlich verschlechtert. Die Stigmatisierung unabhängiger Medien, die Schwächung projournalistischer Organisationen und die Gewalt gegenüber Medienschaffenden nahmen weiter zu. Außerdem blieb die Straflosigkeit für Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten unverändert hoch.

Die britische Menschenrechtsorganisation Artikel 19 verzeichnete einen Anstieg der Übergriffe auf Medienschaffende um rund 45 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Dabei liegt die Straflosigkeit für Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten laut des US-amerikanischen Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) bei 98 Prozent. Fast jeder Fall bleibt demnach unbestraft. Deshalb belegt Mexiko aktuell auch Platz sechs auf dem globalen Straflosigkeitsindex von CPJ. Schlechter platzieren  sich nur Kriegsstaaten.

Hinzu kam die Covid-19-Pandemie, welche die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten zusätzlich erschwert. Laut Artikel 19 sind seit April dieses Jahres 32 Medienschaffende an SARS-CoV-2 gestorben, wobei sich die meisten während ihrer Arbeit in einer Hochrisikoumgebung wie einem Krankenhaus infizierten. Darüber hinaus dokumentierte Artikel 19 von März bis September 73 Übergriffe auf Journalistinnen und Journalisten, die über die Pandemie berichtet hatten.

Forderungen an die mexikanische Regierung

Aufgrund der enttäuschenden Jahresbilanz zur Presse- und Meinungsfreiheit in Mexiko ruft die ISCO-SOJ-Koalition die mexikanische Regierung dazu auf, folgende Vorschläge umzusetzen:

Straffreiheit:

  • Es muss eine Strategie gefunden werden, um die Straflosigkeit für Verbrechen an Journalistinnen und Journalisten zu beenden.
  • Die Straflosigkeit bei Einschränkungen der Meinungsfreiheit muss ebenfalls durch eine Strategie angegangen werden.

Schutz:

  • Es muss mehr Transparenz geben, wie der Föderale Mechanismus zum Schutz von Journalisten und Menschenrechtsverteidigerinnen nach Streichung des Treuhandfonds finanziert werden kann.

Prävention:

  • Die Stigmatisierung der freien Medien muss auf allen Regierungsebenen ein Ende haben und die wesentliche Rolle der Presse für die Demokratie anerkannt werden.
  • Beamtinnen und Beamten müssen sich bewusst darüber sein, dass sie aufgrund ihrer öffentlichen Position jederzeit kritisiert werden können und dürfen.
  • Bei Pressekonferenzen der Regierung müssen wegen der aktuellen Covid-19-Pandemie angemessene Schutzmaßnahmen für alle Anwesenden geschaffen werden. Diese sollten sich an den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientieren.
  • Die Regierung und die Medien müssen in Abstimmung mit den Richtlinien der Vereinten Nationen ein Hygienekonzept entwickeln, das die Ansteckungsgefahr von Journalistinnen und Journalisten während ihrer Arbeit verringert und infizierte Medienschaffende bei ihrer Genesung unterstützt.

Recht auf Information:

  • Die unabhängige und zuverlässige Information der Bürgerinnen und Bürger muss eine besondere Priorität erhalten - gerade im Kontext der Covid-19-Pandemie.
  • Der Zugriff auf Informationen jeglicher Art muss an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt verlässlich möglich sein.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Mexiko aktuell auf Platz 143 von 180 Staaten.



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