Vereinigtes Königreich / USA 27.11.2020

Corona-Ausbruch lebensgefährlich für Assange

Eine Frau hält während einer Demonstration zwei Bilder hoch: auf dem einen wird auf Assange gezielt, auf dem anderen ist Assange mit der Unterschrift "Hands of Assange - Don't shoot the messenger" zu sehen
Demonstration vor dem Westminster Magistrates‘ Court © picture alliance / ASSOCIATED PRESS / Matt Dunham

Angesichts der stark steigenden Zahlen von Corona-Infektionen im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London fordert Reporter ohne Grenzen die umgehende Freilassung des Wikileaks-Gründers Julian Assange. Assange wird aufgrund des Corona-Ausbruchs seit mehr als einer Woche 24 Stunden am Tag in seiner Zelle in der Haftanstalt festgehalten und konnte deshalb seiner für Donnerstag (26. November) angesetzten Anhörung vor Gericht nicht beiwohnen.

„Die Berichte über eine rapide Zunahme von Corona-Infektionen im Belmarsh-Gefängnis sind alarmierend, und wir sind in großer Sorge um Julian Assange, der deswegen de facto in Isolationshaft gehalten wird. Aufgrund seiner körperlichen und geistigen Verfassung ist es für ihn lebensbedrohlich, unter diesen Bedingungen weiter in Haft zu bleiben“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Es ist deshalb so dringend wie nie zuvor, dass Julian Assange unverzüglich freigelassen wird. Jeder weitere Tag im Gefängnis ist für ihn lebensgefährlich.“

RSF war am Donnerstag im Westminster Magistrates‘ Court, um die dort anberaumte Anhörung zu beobachten. Der Termin wurde jedoch auf den 11. Dezember vertagt, da es laut Assanges Anwälten für ihn aufgrund des Corona-Ausbruchs im Gefängnis zu riskant sei, in den Videokonferenzraum gebracht zu werden, um per Schalte vor Gericht zu erscheinen. Aus demselben Grund hatte Assange während des Lockdowns Anfang des Jahres nicht an Anhörungen teilgenommen.

Laut Assanges Lebensgefährtin Stella Moris sind in dem Gefängnisflügel, in dem der Wikileaks-Gründer inhaftiert ist, 56 Covid-Infektionen bestätigt worden, betroffen sind Gefangene wie Personal. Moris sagte, er sei seit dem 18. November an neun aufeinanderfolgenden Tagen 24 Stunden am Tag in seiner Zelle eingesperrt gewesen, abgesehen von 20 Minuten am 23. November. Moris hat sich am Donnerstag in einem Tweet direkt an US-Präsident Donald Trump gewandt und ihn darum gebeten, Assange zu begnadigen. Trump hatte zuvor seinen in die Russland-Affäre verwickelten ehemaligen nationalen Sicherheitsberater Michael Flynn begnadigt, weitere Begnadigungen bis zum Ende seiner Amtszeit werden erwartet. Trumps Vorgänger Barack Obama hatte in seinen letzten Tagen im Amt der Whistleblowerin Chelsea Manning ihre Reststrafe erlassen.

Assange gilt aufgrund einer langen Geschichte von Atemwegsinfektionen als Risikopatient. Zudem könnte sich seine besorgniserregende psychische Verfassung – Ärzte berichten von Depressionen und häufigen Suizidgedanken – bei längerer Isolation weiter verschlechtern. Am 2. November beging ein Gefangener, der mit Assange befreundet gewesen sein soll und im selben Flügel des Belmarsh-Gefängnisses inhaftiert war, Suizid. Der Vorfall wird derzeit untersucht.

Die nächste Anhörung Assanges vor dem Westminster Magistrates‘ Court am 11. Dezember wird die letzte sein, bevor am 4. Januar 2021 vor dem Central Criminal Court eine Entscheidung über den Auslieferungsantrag der USA gefällt werden soll.

RSF war die einzige Nichtregierungsorganisation, die das vierwöchige Auslieferungsverfahren gegen Assange im September kontinuierlich persönlich beobachtet hat, wobei das Gericht Beobachterinnen und Beobachtern immer wieder Steine in den Weg legte. Im Anschluss an diese Anhörungen stellte das Gericht die Möglichkeit für NGOs, sich aus der Ferne zuzuschalten, komplett ein. Trotz des derzeitigen erneuten nationalen Lockdowns in Großbritannien ist also die einzige Option, dem Verfahren zu folgen, die persönliche Anwesenheit im Gericht.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Großbritannien auf Platz 35 von 180 Staaten.



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