Überwachungstechnologie 10.02.2017

EU-Entwurf nicht verwässern

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Reporter ohne Grenzen fordert die Bundesregierung auf, sich bei den im März anstehenden EU-Verhandlungen über neue Exportregeln von Überwachungstechnologie für eine schärfere Regulierung einzusetzen. Der Entwurf der EU-Kommission für eine Neufassung der Dual Use-Verordnung darf trotz massiven Drucks der Industrie nicht verwässert werden. Im Gegenteil: Erstmals will die EU Unternehmen verpflichten, beim Verkauf der eigenen Produkte sorgfältig zu prüfen, ob damit Menschenrechte gefährdet werden könnten. ROG begrüßt dies ausdrücklich, verweist aber weiterhin auf Defizite etwa durch vage Formulierungen und mangelnde Transparenz. Dazu hat die Organisation am Freitag in einer Stellungnahme beim Bundeswirtschaftsministerium Vorschläge eingereicht, wie mit einer präziseren Ausgestaltung die Pressefreiheit wirksam geschützt werden kann.

„Mit europäischer Software werden in vielen Ländern der Welt Journalisten illegal überwacht. Es ist richtig, dass die EU diesem Handel einen Riegel vorschieben will und sich in der Exportkontrolle zum Schutz der Menschenrechte bekennt“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Regelungen im Entwurf müssen allerdings weiter präzisiert werden, um für Unternehmen umsetzbar zu sein – und keine Schlupflöcher für schwarze Schafe zu bieten.“

Mit einer sogenannten Catch All-Klausel müssen Unternehmen künftig auch Exportlizenzen beantragen, selbst wenn die Produkte in den offiziellen Kontrolllisten der Behörden nicht aufgeführt sind, die Unternehmen aber um die Gefahr für Menschenrechte wissen. Erstmals wären Hersteller damit stärker für ihre eigenen Produkte verantwortlich und könnten strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie gegen Sorgfaltspflichten verstoßen.

Im September 2016 hat die EU-Kommission einen Entwurf für die neue Dual Use-Richtlinie vorgelegt. Dual Use-Güter können sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke eingesetzt werden. Seit 2015 zählt auch Überwachungssoftware dazu. Wer zum Beispiel aus Deutschland ein Programm zur Vorratsdatenspeicherung aus der EU heraus exportieren will, benötigt dafür eine Genehmigung bei der nationalen Kontrollbehörde. Im Zuge des Arabischen Frühlings war bekannt geworden, dass Journalisten von autokratischen Regierungen mit Technologien auch aus der EU überwacht worden waren. Mit der Aufnahme solcher Produkte in die Dual Use-Vorordnung wollte die EU den Handel europäischer Hersteller mit diesen Ländern unterbinden – doch das Geschäft ging weiter.

Menschenrechte als Prüfkriterium

Reporter ohne Grenzen ist regelmäßig mit Fällen konfrontiert, in denen Journalisten überwacht wurden und sie oder ihre Informanten dadurch in Gefahr geraten sind. Die Verschärfung der Dual Use-Verordnung begrüßt ROG daher ausdrücklich. In Zukunft sollen Menschenrechte ein explizites Prüfkriterium werden, sodass Behörden fragwürdige Exportvorhaben besser stoppen können. Neben der stärkeren Verpflichtung für Unternehmen durch die Catch All-Klausel hat die EU außerdem die Möglichkeit, eine sogenannte autonome Liste einzuführen. Bisher werden in der EU nur Güter kontrolliert, wenn sie in den Kontrolllisten anderer internationaler Exportabkommen wie dem Wassenaar-Abkommen auftauchen. Solche Abkommen haben lange Listen mit Produkten, für die Unternehmen eine Exportlizenz benötigen. Was dort nicht auftaucht, kann bisher weitgehend frei gehandelt werden. In Zukunft will die EU eine eigene Liste führen, um auch Produkte zu listen, die auf internationaler Ebene (noch) nicht aufgenommen worden sind.

Die Stoßrichtung des Entwurfs zur neuen Verordnung ist richtig, gleichwohl liegen im Detail noch entscheidende Hürden. Viele Bestimmungen sind zu vage formuliert. Es muss stärker präzisiert werden, wie Menschenrechtsgefahren in der Exportkontrolle konkret geprüft werden können. Die aktuelle Version ist für Unternehmen und Kontrollbehörden kaum umsetzbar, gleichzeitig bietet sie Schlupflöcher für schwarze Schafe.

Nachholbedarf bei Transparenz der Exporte

Reporter ohne Grenzen schlägt vor, sich bei der konkreten Umsetzung der Exportkontrollen an neu entwickelten Verfahren der menschenrechtlichen Folgenabschätzung (Human Rights Impact Assessments) zu orientieren. Dies sind Prüfmethoden, um zum Beispiel beim Bau von Fabriken etwa in Bangladesch die Menschenrechte achten zu können. Außerdem regt ROG an, auf europäischer Ebene eine Datenbank zu erstellen, in der Menschenrechtsverletzungen dokumentiert werden. Hiermit entstünde eine verlässliche Recherchegrundlage für Unternehmen, damit diese besser einschätzen könnten, ob Exporte ihrer Produkte negative Auswirkungen für die Menschenrechte haben könnten.

Nachholbedarf gibt es zudem bei der Transparenz der Exporte. Die Pflichten für Kontrollbehörden, über Art und Umfang genehmigter Exporte zu informieren, sind unzureichend. Bisher kommen nur Einzelfälle ans Licht, wenn etwa europäische Firmen Überwachungstechnologie in den Nahen Osten liefern. Es braucht regelmäßige, mindestens jährliche Statistiken, die Dual Use-Güter in Untergruppen kategorisieren. Digitale Überwachungstechnik könnte eine Untergruppe sein. Dazu braucht es dann detaillierte Informationen, aus welchen Ländern wie viele Genehmigungen gestellt wurden, wie viele abgelehnt und wie viele bewilligt wurden, in welche Länder wie viele Exporte vollzogen worden sind und welches Handelsvolumen sich damit ergibt. Dadurch ließe sich etwa erkennen, ob aus Deutschland immer noch Überwachungstechnologie in Bürgerkriegsländer wie Syrien geliefert wird.

Wie schwer es ist, zu Exporten von Überwachungstechnologie zu recherchieren, zeigt der Fall des Investigativjournalisten Boris Kartheuser. Seit dem Jahr 2012 versucht er, Auskunft über staatliche deutsche Unterstützung für Überwachungsexporte zu erhalten. Dazu stellte er an mehrere Bundesministerien Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, die teils nur mit Verzögerungen von einem halben Jahr und mehr beantwortet wurden und mit Verweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Firmen oder auf angebliche Gefahren für die innere und äußere Sicherheit kaum relevante Informationen enthielten. Reporter ohne Grenzen hat deshalb Klagen Kartheusers gegen das Innen- und das Wirtschaftsministerium unterstützt. Am Donnerstag bekam er vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin Recht, dass das Bundesinnenministerium Informationen darüber liefern muss, in welchen Fällen Deutschland den Export von Überwachungstechnologie unterstützt hat, und welche Politiker daran beteiligt waren.

Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 16 von 180 Staaten. 



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