Aserbaidschan 27.08.2012

Hundert Tage nach dem Eurovision Song Contest: Regierungskritiker gelten als Verräter

© Abbas Atilay

100 Tage nach dem Eurovision Song Contest (ESC) in Baku ist die internationale Aufmerksamkeit für Aserbaidschan deutlich abgekühlt und das Regime geht wie gewohnt rigoros gegen kritische Journalisten vor. Während Reporter unter fingierten Anschuldigungen verhaftet, Gerichtsprozesse verschleppt und Gesetze verschärft werden, investiert die Regierung im Ausland hohe Summen, um das Bild eines modernen, offenen Landes zu vermitteln.

Reporter ohne Grenzen fordert deutsche und internationale Politiker dazu auf, auf der Einhaltung internationaler Menschenrechtsverträge zu bestehen und diese zur Bedingung für politische Zusammenarbeit mit Aserbaidschan zu machen. Themen wie Menschenrechte und Pressefreiheit dürfen wirtschaftlichen Interessen nicht untergeordnet werden. Journalisten müssen Verflechtungen zwischen Politik, PR-Agenturen und Lobbyisten aufdecken und dürfen sich in der Berichterstattung nicht politischem Druck beugen, so die Organisation.

Wie groß der Einfluss internationaler Partner auf die aserbaidschanische Regierung ist, zeigte die symbolträchtige Freilassung des Bloggers Bachtijar Hajijew zwei Tage vor dem Besuch der US-amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton am 6. Juni. Er saß 15 Monate lang im Gefängnis, nachdem er in sozialen Netzwerken zum Protest gegen das Regime aufgerufen hatte.

In Deutschland, wo die Medien vor dem ESC ausführlich über Verletzungen der Pressefreiheit in Aserbaidschan berichtet hatten, bemüht sich das Regime intensiv darum, sein Image aufzubessern – unter anderem mit Hilfe der Berliner PR-Agentur Consultum Communications. Dass der Beiratsvorsitzende dieser PR-Agentur, der ehemalige ZDF-Intendant Dieter Stolte, gleichzeitig als Beiratsmitglied der Nachrichtenagentur dapd deren redaktionelle Unabhängigkeit garantieren soll, hat Reporter ohne Grenzen mit Verwunderung zur Kenntnis genommen. Auch eine Anzeige im Nachrichtenmagazin Der Spiegel, die auf zwei Seiten den „kraftvollen Modernisierer“ Aserbaidschan pries, sorgte kürzlich für Irritationen. Der Spiegel, der zuvor mehrfach über Menschenrechtsverletzungen in Baku berichtet hatte, erhielt dafür Medienberichten zufolge rund 110.000 Euro.

Wie wenig die aserbaidschanische Regierung Presse- und Meinungsfreiheit achtet, macht sie immer wieder unverhohlen deutlich. Nur fünf Tage nach dem ESC, am 31. Mai, rief Präsidentenberater Ali Hasanow zum „öffentlichen Hass“ gegen all jene auf, die internationale Berichterstatter auf Menschenrechtsverletzungen hingewiesen hatten. Präsident Ilcham Alijew bezeichnete die Aktivisten bei einer Regierungssitzung am 11. Juli als „Verräter der Nation“.

Seit Mitte Juni schränken neue Gesetze die Pressefreiheit in Aserbaidschan stark ein. Sie erlauben es aserbaidschanischen Firmen, Informationen über Besitzer und Aktionäre geheim zu halten und garantieren dem Präsidenten und seiner Frau gleichzeitig lebenslange Immunität vor Strafverfolgung. Die Gesetzänderungen folgten auf mehrere Artikel der investigativen Journalistin Khadija Ismayilova, die über lukrative Auslandsgeschäfte der Präsidentenfamilie und Korruption in der Staatsspitze berichtet hatte.

Ismayilova wurde im Frühjahr mit einer beispiellosen Schmutzkampagne überzogen und versucht seither in einer Reihe von Gerichtsprozessen, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen – bisher vergeblich. Ebensowenig aufgeklärt ist der brutale Überfall auf den Reporter Idrak Abbasow, der im April bewusstlos geschlagen wurde, als er Zwangsräumungen in der Nähe von Baku dokumentierte.

Mindestens vier Journalisten sitzen derzeit in Aserbaidschan wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Am 21. Juni wurde der 52-jährige Journalist Hilal Mammadow festgenommen und der Spionage für den iranischen Geheimdienst angeklagt. Ihm drohen bis zu zwölf Jahre Gefängnis. Wenige Tage zuvor, am 12. Juni, verhaftete die Polizei den Fotografen und Videoblogger Mehman Husejnow. Der 23-Jährige galt als das „erste Opfer nach dem ESC“. Er wurde einen Tag später wieder freigelassen, ist aber nach wie vor wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt.

Vom 17. bis zum 19. September lädt das International Press Institute, ein Zusammenschluss leitender Redakteure weltweit, zur Konferenz „Öl, Gas und Medien“ nach Baku ein. Zu den Referenten gehören unter anderem der aserbaidschanische Energieminister und der Chef der staatlichen Ölfirma Socar, nicht jedoch kritische Journalisten aus Aserbaidschan. Reporter ohne Grenzen ruft zu einer ausgewogenen Programmgestaltung bei solchen Veranstaltungen auf. Den aserbaidschanischen Präsidenten Ilcham Alijew, der das Grußwort zur Konferenz spricht, zählt ROG zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit.

Weitere Informationen finden Sie unter www.pressefreiheit-fuer-baku.de

Den ROG-Bericht „Zwischen Staatskontrolle und Selbstzensur“ vom 24. Mai 2012 finden Sie hier.


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