21.08.2008

Interne Polizeidokumente enthüllen Strategie für den Umgang mit ausländischen Journalisten

Reporter ohne Grenzen ist im Besitz von mehreren Direktiven offizieller chinesischer Stellen, die der Polizei vorschreiben, wie sie mit ausländischen Journalisten und mit chinesischen Interviewpartnern sowie Demonstranten umgehen soll.

Die Dokumente weisen chinesische Sicherheitskräfte an, die internationale Presse nicht bei ihrer Arbeit zu behindern. Trotzdem sind seit dem Beginn der Spiele am 8. August mindestens zehn ausländische Journalisten Opfer von Übergriffen oder Schikanen geworden. Außerdem soll die chinesische Polizei gegen Chinesen ermitteln, die mit ausländischen Medien sprechen. In einem weiteren Dokument vom 7. August werden sie angehalten, schnellstmöglich religiöse Demonstrationen aufzulösen.

„Die Vorschriften für ausländische Medien vom Januar 2007 versprachen zwei Dinge: Bewegungsfreiheit und das Recht Interviewpartner frei zu wählen“, sagt Reporter ohne Grenzen (ROG). „Die uns vorliegenden chinesischen Polizeidokumente zeigen, dass die Sicherheitskräfte zwar ausländische Medien frei arbeiten lassen sollen. Doch sie besagen auch, dass unliebsame Stimmen in der Bevölkerung überwacht werden sollen. Dies beweisen die neuesten Festnahmen von Chinesen, die in dafür vorgesehenen Parks demonstrieren wollten.“

Reporter ohne Grenzen veröffentlicht drei offizielle Direktiven der chinesischen Polizei bezüglich ausländischer Medien. Diesen zufolge sollen akkreditierte Journalisten frei berichten können. Nicht-akkreditierte Journalisten soll die Polizei jedoch vom Arbeiten abhalten und auch alle Interviewpartner überwachen. Reporter ohne Grenzen befürchtet nun, dass es nach den Olympischen Spielen und dem Abzug internationaler Medien zur Verfolgung der Betroffenen kommen könnte.

Das auf den 25. Juli datierte erste Dokument „Vier Vorschriften für den Umgang mit ausländischen Journalisten“ fordert die Sicherheitskräfte auf: 1. Kameralinsen nicht zu
blockieren, 2. Ausrüstungen nicht zu beschädigen, 3. Memory-Karten nicht zu beschlagnahmen, 4. Nicht zu ermitteln, wenn die Journalisten im kleineren Rahmen gegen Regeln verstoßen.

Reporter ohne Grenzen registrierte jedoch mehrere Vorfälle, bei denen diese Anweisungen missachtet wurden. Am 25. Juli hielten uniformierte Beamte einen Journalisten aus Hong Kong gewaltsam davon ab, eine außer Kontrolle geratene Menschenmenge während des Ticketverkaufs für die Olympischen Spiele zu filmen.
Der Brite John Ray von „ITN“ berichtete am 13. August über eine Pro-Tibet Demonstration. Pekinger Polizisten schleiften ihn über den Boden und hielten ihn 20 Minuten lang fest, obwohl er sich als Journalist zu erkennen gab. Seinen Kameramann hielt die Polizei davon ab, die Festnahmen der Demonstranten zu filmen.
Polizisten zerstörten auch Material und Ausrüstung eines Fotografen der britischen Tageszeitung „The Guardian“.
In Xingjiang zwangen sie „Associated Press“-Fotografen, ihre Bilder zu löschen.

Das zweite Dokument enthält acht Hinweise, wann Interviews von ausländischen Journalisten mit Chinesen unbehelligt vonstatten gehen sollen. Die Polizei wird aufgefordert, nicht zu intervenieren:
1. Wenn der Journalist akkreditiert ist,
2. Wenn der Journalist nicht akkreditiert ist, aber keine politischen Fragen stellt,  
3. Wenn die befragte Person dem Interview zustimmt,
4. Wenn der Journalist Fragen zu einem Drittland stellt,  
5. Bei Pressekonferenzen genehmigter ausländischer Organisationen,  
6. Wenn der Journalist heikle Fragen stellt, sich aber keine Zuschauer ansammeln oder die öffentliche Ordnung gestört wird,
7. Wenn der Befragte über Themen wie Tibet, Xinjiang, Taiwan oder Falun Gong spricht oder die kommunistische Partei kritisiert, sich aber nicht ungehörig verhält,
8. Wenn ein Journalist Polizisten fotografiert oder filmt, aber nicht deren Arbeit stört.

Bei Punkt sieben soll die Polizei jedoch „den chinesischen Gesetzen entsprechend mit dem Interviewten reden und dem ausländischen Journalisten folgen und ihn überwachen.“
In mehr als zehn Fällen wurden Chinesen verhaftet, nachdem sie versucht hatten, die internationale Öffentlichkeit auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen.
Zhang Wei, ehemalige Bewohnerin des Pekinger Qianmen Bezirks, wurde am 9. August festgenommen, nachdem sie sich bei ausländischen Medien über ihre Umsiedlung beschwert hatte.
Am 17. August wurden zwei alte Frauen von knapp 80 Jahren zu einem Jahr Umerziehung im Arbeitslager verurteilt. Sie hatten um Erlaubnis gebeten, während der Olympischen Spiele demonstrieren zu dürfen.

Mehr als 40 Menschenrechtler wurden bereits unter Hausarrest gestellt oder gezwungen Peking zu verlassen.

Das dritte Dokument befasst sich mit nicht genehmigten Protestaktionen. Das Amt für kriminelle Angelegenheiten weist die Polizei an, in diesen Fällen gründlich zu ermitteln und schlechte Presse zu vermeiden. Das Amt schlägt vor, ausländische Demonstranten festzunehmen und schnellstmöglich auszuweisen. Die Polizei ist auch angehalten, ihre Handlungen zu „entpolitisieren“, in dem sie in ihrer Begründung auf die Wahrung der öffentlichen Ordnung verweist.
Punkt vier der Direktive fordert die Pekinger Polizei auf, religiöse Vorfälle „umgehend“ zu bearbeiten. Sie sollen „Zuschauer auf Abstand halten, die Situation entschärfen und sofort das Amt für religiöse Angelegenheiten informieren.“

Die Richtlinien können sie auf der internationalen Seite von Reporter ohne Grenzen auf Chinesisch einsehen. Opens external link in new window

 

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