Tunesien 17.09.2013

Journalisten streiken gegen staatliche Willkür

Zied al-Heni nach seiner Freilassung. Mit freundlicher Genehmigung von © Fethi Belaid/AFP

Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen streiken heute in Tunesien Journalisten. Sie protestieren gegen die Festnahme des bekannten Journalisten und Bloggers Zied al-Heni am 13. September, der erst gestern Nachmittag gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen wurde. Er hatte seinerseits die Festnahme des Kameramannes Mourad Meherzi kritisiert und erklärt, er könne nachweisen, dass die Staatsanwaltschaft die Beweise gegen den Kameramann gefälscht habe.

Mourad Meherzi hatte gefilmt, wie ein Mann ein Ei auf Kulturminister Mehdi Mabrouk geworfen hatte – auch wenn das auf dem Video kaum zu erkennen ist. „Die Aufregung um diesen Eierwurf ist absolut unverhältnismäßig. Wir fordern, dass die Staatsanwaltschaft alle Vorwürfe gegen al-Heni fallen lässt“, erklärte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen. „Wir erklären uns solidarisch mit den streikenden Journalisten in Tunesien. Die tunesische Regierung benutzt weiterhin Gesetze aus der Diktatur, um die Medien unter Druck zu setzen.“ Auch Mourad Meherzi ist mittlerweile wieder auf Kaution frei, der Prozess gegen ihn – unter anderem wegen „Verschwörung zur Gewalt gegen Funktionäre“ und „Verleumdung von Amtsträgern“ – beginnt am 23. September, einen Tag vor dem Prozess gegen Zied al-Heni.

Vor allem Artikel 245 des tunesischen Strafgesetzbuches, der die „Verleumdung von Amtsträgern“ unter Strafe stellt, ist ein problematisches Erbe des im Januar 2011 gestürzten Diktators Zine el-Abidine Ben Ali. Nicht nur die Anklagen gegen Meherzi und al-Heni stützen sich unter anderem auf diesen Artikel, sondern auch das Verhör des Radiomoderators Zouhair al-Jiss am vergangenen Mittwoch (9. September 2013). Al-Jiss wurde verhört, nachdem ein Gast in seiner Sendung Korruptionsvorwürfe gegen Tunesiens Präsidenten vorgebracht hatte. Artikel 245 führt zweieinhalb Jahre nach Ben Alis Sturz weiter zu Angst und Selbstzensur unter Journalisten. Gemeinsam mit Artikel 128, der „falsche Beschuldigung von öffentlichen Angestellten“ bestraft, wird er immer wieder gegen kritische Journalisten eingesetzt.

Reporter ohne Grenzen registriert schon seit einiger Zeit einen beunruhigenden Anstieg der Strafverfolgungen gegen Journalisten in Tunesien, während körperliche oder verbale Angriffe gegen Journalisten oft ungestraft bleiben. Vor dem Sturz Ben Alis war Tunesien eines der schwierigsten Länder weltweit für Journalisten. Seitdem hat das Land, in dem der sogenannte „Arabische Frühling“ begann, auf dem Weg zu mehr Pressefreiheit große Fortschritte gemacht. Vor allem in jüngster Zeit erfährt es jedoch immer wieder heftige Rückschläge: Bereits vor zwei Wochen streikten die Journalisten im Land und protestierten vor dem Sitz der Rundfunkanstalt ERT, weil die Regierung die Vorsitzenden von fünf öffentlichen Radiosendern willkürlich selbst ernannt hatte.

Dabei hatte auch Reporter ohne Grenzen noch im Mai 2013 die Ernennung der unabhängigen Rundfunkkommission als ersten Schritt hin zu einem neuen tunesischen Mediensystem begrüßt. Diese Kommission sollte die Regierung unter anderem bei der Postenvergabe im Medienbereich beraten – doch die tunesische Regierung überging sie eigenmächtig. Damit ist die Unabhängigkeit der staatlichen Medien nicht nur formal, sondern auch inhaltlich stark beschädigt.

Auch auf anderen Wegen übt der Staat Druck aus: So hat beispielsweise der Direktor der Rundfunkbehörde am 31. Juli die Ausstrahlung einer Sendung unterbrochen, die Zusammenstöße zwischen Armee und Islamisten im algerischen Grenzgebiet zum Thema hatte. Außerdem wurde im August bekannt, dass der öffentliche Sender Radio Nationale seine Journalisten auffordert, die Ablaufpläne aller Sendungen 24 Stunden vor Ausstrahlung der Direktion vorzulegen und sämtliche Informationen zu streichen, die die öffentliche Ordnung oder den sozialen Frieden stören könnten.

Tunesien hat auch immer noch keine demokratische Verfassung. Reporter ohne Grenzen hat schon mehrfach kritisiert, dass der bisherige Verfassungsentwurf beim Schutz der Pressefreiheit viel zu kurz greift. So fehlen beispielsweise Garantien für die in den Artikeln 30 und 31 genannten Rechte der Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit. Problematisch ist auch die in Artikel 124 beabsichtigte Regulierung des Informationssektors.

Tunesien war nach dem „Arabischen Frühling“ in der ROG-Rangliste der Pressefreiheit um dreißig Plätze nach vorne gesprungen und liegt aktuell auf Rang 134. Weitere Informationen zur Pressefreiheit in Tunesien finden Sie hier in englischer Sprache.

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