Deutschland 06.06.2016

Massenüberwachung nicht pauschal legalisieren

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Reporter ohne Grenzen kritisiert die Pläne der großen Koalition zur Reform des Bundesnachrichtendienstes als verpasste Chance, die Überwachung durch den Auslandsgeheimdienst auf ein angemessenes und verhältnismäßiges Maß zu begrenzen. Damit reagiert die Organisation auf die Veröffentlichung des entsprechenden Gesetzentwurfs durch das Internetportal Netzpolitik.org

„Dieser Gesetzentwurf würde die grundrechtswidrige Massenüberwachung durch den BND einfach legalisieren, statt sie einzustellen“, sagte ROG-Vorstandsmitglied Matthias Spielkamp. „Das zeigt, dass die große Koalition auch drei Jahre nach Beginn der Snowden-Enthüllungen kein ernsthaftes Interesse hat, die grundrechtswidrige Überwachungspraxis einzustellen.“

Spielkamp kritisierte auch, dass der Gesetzentwurf das Sammeln von Metadaten bis auf eine vorgesehene Befristung nicht einschränkt: „Dass die Koalition die anlasslose Massenspeicherung von Metadaten nicht sofort einstellt, sondern weiter zulassen will, offenbart eine erschütternde Geringschätzung für den Quellenschutz als Grundpfeiler der Pressefreiheit. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands gegenüber der willkürlichen Überwachungspraxis autoritärer Staaten wie China, Saudi-Arabien oder Turkmenistan stärkt dieser Gesetzentwurf auf jeden Fall nicht.“

Reporter ohne Grenzen fordert seit langem eine bessere Kontrolle über die deutschen Geheimdienste. Dazu gehört, dass es weder im Inland noch im Ausland Überwachungsmaßnahmen ohne gesetzliche Grundlage geben darf. Die Gesetze müssen verhältnismäßig und angemessen ausgestaltet sein und die Voraussetzungen, die Anordnung und das Verfahren sowie die Rechtsschutzmöglichkeiten klar benennen. Die Ungleichbehandlung von In- und Ausländern in den einzelnen Überwachungsvorschriften ist zu beenden. 

Laut dem Gesetzentwurf würde das reformierte BND-Gesetz in der geplanten Form das Ausmaß der Überwachung durch den deutschen Auslandsgeheimdienst aber keineswegs einschränken, sondern es sogar erhöhen. So sieht der Text vor, dass künftig ganze Telekommunikationsnetze auf Anordnung des Bundeskanzleramts auf bestimmte Suchbegriffe abgehört werden dürfen statt wie bisher nur einzelne Kabel- oder Funkverbindungen. 

Ebenso enthält der Gesetzentwurf laut Netzpolitik.org keine Beschränkung für das Sammeln von Metadaten. Diese dürften also anlasslos und von jedermann erhoben, wenn auch nur für begrenzte Zeit gespeichert werden – und nicht nur von bestimmten Zielpersonen oder bei beim Auftreten bestimmter Suchbegriffe. Dem Bericht zufolge soll das Gesetz noch vor der parlamentarischen Sommerpause in den Bundestag eingebracht werden und zum Jahreswechsel in Kraft treten.

Klage gegen strategische Fernmeldeüberwachung und Metadatensammlung

Reporter ohne Grenzen hatte am 30. Juni 2015 beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen den BND eingereicht: Nach allem, was über die strategischen Fernmeldeüberwachung des Geheimdienstes bekannt ist, muss ROG davon ausgehen, dass er aufgrund der verwendeten Suchbegriffe auch zahlreiche E-Mails der Organisation erfasst und weitergehend bearbeitet hat. 

Die Klage von ROG richtet sich ferner gegen den Einsatz des Verkehrsanalysesystems „VerAS“. Mit diesem Programm erhebt und verarbeitet der BND seit dem Jahr 2002 Metadaten auch von deutschen Bürgern, die im Zusammenhang mit ihrer Kommunikation anfallen. Dabei erfasst der Nachrichtendienst neben Telefonverbindungen, SMS und E-Mails auch das Surfen im Internet sowie die Nutzung von sozialen Netzwerken. Für diese Art von Datensammlung und -analyse gibt es bislang keine gesetzliche Grundlage; nach Auffassung von ROG muss sie deshalb sofort eingestellt werden.

Konkrete Forderungen zur Aufsicht über die Geheimdienste

Reporter ohne Grenzen setzt sich seit langem für eine umfassende Kontrolle über die deutschen Geheimdienste ein. Im März 2015 – ein Jahr nach der Einsetzung des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags – bemängelte die Organisation zusammen mit dem Privacy Project, der Humanistischen Union, dem Rechtsanwalt Niko Härting, der Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation sowie dem Whistleblower-Netzwerk, dass in Deutschland bislang praktisch keine politischen Konsequenzen aus den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden gezogen wurden. Zugleich begrüßte ROG, dass auch durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses die Tätigkeit der deutschen Geheimdienste verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit gerückt ist.

In einer Stellungnahme an die Vorsitzenden der Bundestagsfraktionen und an die Ausschussmitglieder legten die genannten Organisationen konkrete Vorschläge für eine bessere Aufsicht über die Geheimdienste vor.



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