China 03.07.2014

Merkel soll Freilassung von Journalisten fordern

Xi Jinping, chinesischer Staatspräsident im Gespräch mit Angela Merkel © picture alliance

Reporter ohne Grenzen bittet Bundeskanzlerin Angela Merkel eindringlich, bei ihrem am Samstag beginnenden Chinabesuch eine Freilassung aller in der Volksrepublik inhaftierten Journalisten und Blogger sowie ein Ende der Zensur anzumahnen. Seit Xi Jinpings Amtsantritt als Staats- und Parteichef gehen Chinas Behörden mit neuer Härte gegen Kritiker vor. Im Vorfeld des 25. Jahrestages der Niederschlagung der Pekinger Studierendenproteste auf dem Tiananmen Platz wurden knapp zehn Journalisten und Blogger von den Behörden zum Teil vorübergehend eingesperrt.

„Die jüngste Verhaftungswelle von Journalisten zeigt, dass die chinesische Regierung trotz der wirtschaftlichen Öffnung des Landes weiter unerbittlich gegen Kritiker und unabhängige Reporter vorgeht“, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Bei den anstehenden Gesprächen mit der Staats- und Parteiführung darf es deswegen nicht nur um eine engere, wirtschaftliche Zusammenarbeit und weitere Aufträge für die deutsche Industrie gehen. Wir fordern die Kanzlerin vielmehr dazu auf, auch die Freilassung der inhaftierten Journalisten und Bürgerrechtler ausdrücklich einzufordern.“

Bundeskanzlerin Merkel wird bei ihrer viertägigen Reise auch Staats- und Parteichef Xi Jinping und Ministerpräsident Li Keqiang treffen. Dabei wird sie von einer Wirtschaftsdelegation begleitet, zu der unter anderem die Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser (Siemens), Martin Winterkorn (VW), Thomas Enders (Airbus), Jürgen Fitschen (Deutsche Bank) und Carsten Spohr (Lufthansa) gehören.

In China sitzen derzeit rund 30 Journalisten und 70 Blogger hinter Gittern, so viele, wie in keinem anderen Land der Welt. Erst vor wenigen Tagen, am 21. Juni wurde der Investigativjournalist Yin Yusheng in die Haftanstalt Zengzou in der Provinz Henan eingeliefert, weil er im Februar an einer Gedenkveranstaltung für den ehemaligen Premierminister Zhao Ziyang teilgenommen hat. Zhao Ziyang war 1989 wegen seiner verständnisvollen Haltung gegenüber den Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens parteiintern in Ungnade gefallen und stand bis zu seinem Tod im Jahr 2005 in Peking unter Hausarrest.

Am 25. Juni wurde der freie Journalist Jiang Lijun offiziell verhaftet und angeklagt. Die Behörden werfen ihm vor, Chinas kommunistische Partei in den sozialen Netzwerken mit kritischen Äußerungen diffarmiert und Unruhe gestiftet zu haben. Jiang Lijin wurde bereits Mitte Mai von den Behörden abgeholt. Bislang war er ohne Anklageerhebung festgehalten. Der Netzaktivist war schon einmal im Jahr 2003 in China angeklagt.

Die unabhängige Journalistin Gao Yu, die regelmäßig für die Deutsche Welle arbeitet, ist wegen der „Weitergabe von Staatsgeheimnissen“ seit Ende April in Haft. Sie soll im August vergangenen Jahres den Inhalt eines angeblich „streng geheimen", parteiinternen Dokuments über das Internet an ausländische Webseiten weitergeleitet haben. Reporter ohne Grenzen geht jedoch davon aus, dass ihre Festnahme mit einem geplanten Besuch einer Veranstaltung im Gedenken an den 4. Juni 1989 gestanden hat. Die unabhängige Journalistin Gao Yu gilt in China als gut vernetzt, auch zu Dissidenten und Bürgerrechtlern. Anfang Mai wurde die 70-Jährige im chinesischen Staatsfernsehen CCTV offenbar zur Abschreckung vorgeführt. In eine Gefängnisjacke gekleidet, musste sie öffentlich ein Schuldeingeständnis ablegen. Bei der Befragung durch zwei Polizisten sagte sie, sie habe „ihre Lektion gelernt“.

Der prominente Blogger und Bürgerrechtler Xu Zhiyong ist bereits seit vergangenem Jahr hinter Gittern. Im Januar dieses Jahres wurde er wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“ zu vier Jahren Gefängnis verurteilt. Als Mitbegründer der reformorientierten Gruppierung „Bewegung neuer Bürger“ galt Xu Zhiyong neben dem inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo als einer der wichtigsten Menschenrechtsaktivisten des Landes. Xu Zhiyong und seine schätzungsweise mehrere Tausend Mitstreiter mahnten wiederholt soziale Reformen an. Zur Bekämpfung der Korruption hatten sie im vergangenen Jahr bei Protestaktionen gefordert, Chinas staatliche Funktionäre sollten ihre Vermögensverhältnisse offenlegen.

Chinas Medien werden mit strengen Gesetzen überwacht und kontrolliert. Vor kurzem erst wurden Pläne bekannt, denen zufolge Redaktionen und einzelne Journalisten künftig nur noch über Themen und Regionen berichten dürfen, die in ihren definierten Zuständigkeitsbereich fallen. Verboten werden soll zudem, dass Journalisten auf eigenen Blogs oder Webseiten Nachrichten posten.

Das Propagandaministerium verschickt täglich Direktiven, die die Berichterstattung gezielt steuern. Die mehr als 300.000 chinesischen Redakteure und Reporter sind seit vergangenem Jahr zum Besuch von Schulungen in marxistischer Ideologie verpflichtet. Facebook, YouTube und Twitter sind seit 2009 blockiert. Schon im September vergangenen Jahres erschwerten die Behörden die Aktivitäten beim chinesischen Twitterklon Weibo. Seither können Nutzer mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden, wenn sie bei Weibo sogenannte Gerüchte verbreiten und diese mindestens 500 Mal weitergeleitet werden. Was unter einem Gerücht zu verstehen ist, haben die Behörden jedoch nicht klar definiert.

Auch Veröffentlichungen über die lukrativen Geschäfte der Pekinger Polit-Elite in internationalen Finanzoasen – die sogenannten China Leaks – werden zensiert. Reporter ohne Grenzen macht sie über seine Webseite We Fight Censorship zugänglich.

Im Rahmen seiner Nothilfearbeit hat Reporter ohne Grenzen im vergangenen Jahr für den Blogger Liu Dejun ein Stipendium beim deutschen PEN-Zentrum vermittelt. Der Aktivist war in China wegen seiner Menschenrechtsarbeit mehrmals inhaftiert und gefoltert worden.

Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen belegt die Volksrepublik Platz 175 von 180 Ländern.



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