02.05.2003

Reporter ohne Grenzen: Alarmierende Bilanz zur Situation der Pressefreiheit

Eine alarmierende Zwischenbilanz zur Situation der Pressefreiheit zieht Reporter ohne Grenzen (RoG) am Internationalen Tag der Pressefreiheit. 15 getötete Journalisten seit Januar 2003, davon allein neun im Irak, eine Verhaftungswelle in Kuba, gewalttätige übergriffe auf Journalisten und Angriffe auf unabhängige Medien in Kasachstan, Zensur in Serbien-Montenegro; in den ersten vier Monaten diesen Jahres wurde die Pressefreiheit vielerorts schwer attackiert. In ihrem Jahresbericht"Freedom of the Press throughout the World" der am 3. Mai erscheint, dokumentiert die internationale Organisation, wie es um die Pressefreiheit in 156 Ländern im Jahr 2002 bestellt war und veröffentlicht die Liste der schärfsten Widersacher der Pressefreiheit mit 42 Namen.

Gewalt nimmt zu

"Das Jahr 2002 war ein schlechtes Jahr für die Pressefreiheit," fasst Robert Ménard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, den 587-seitigen Bericht zusammen. "Die Gewalt stieg rasant und viele Länder nutzen den Anti-Terror-Kampf, um schärfer gegen die unabhängige Presse vorzugehen."

RoG registrierte im Jahr 2002 1420 gewalttätige übergriffe auf Journalisten. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl damit nahezu verdoppelt. Auch die Zahl der Journalistinnen und Journalisten, die vorübergehend festgenommen, verhört oder entführt wurden, liegt um über 40 Prozent höher als im Vorjahr. 692 Journalisten saßen zeitweilig hinter Gittern.

25 Journalisten wurden 2002 getötet, 23 starben im eigenen Land. Die hohe Zahl von Reportern, die im Irak während des Kriegsgeschehen ums Leben kamen, darf daher nicht darüber hinweg täuschen, dass einheimische Journalisten ständig bedroht sind. Die russische Provinz gehörte mit vier getöteten Journalisten zu den gefährlichsten Ländern für Berichterstatter gefolgt von Kolumbien (3), die Philippinen (3) und Israel (3).

Die ersten vier Monate des Jahres 2003 lassen wenig Hoffnung auf bessere Aussichten. 127 Journalisten befinden sich zur Zeit in Haft. 246 Journalisten wurden bedroht oder schikaniert. 120 Medien zensiert oder eingestellt.

Irak-Krieg

Der Irak-Krieg dominierte die Berichterstattung weltweit und wie in kaum einem Krieg zuvor, wurde von den Frontlinien aus direkt berichtet. Er kostete neun Journalisten und einen Medienmitarbeiter das Leben, zwei weitere Journalisten gelten immer noch als vermisst. Nach wie vor haben die US-Streitkräfte weder die Bombardierung des arabischen Senders al Dschasira noch den Beschuss des Hotels Palestine, in dem die meisten ausländischen Journalisten wohnten, aufgeklärt. "Die Erklärungen des Pentagon, die auf unsere Protestschreiben folgten, sind lapidar und allgemein. Daraus können wir nur schließen, dass es kein Interesse an Aufklärung gibt", kommentiert Robert Ménard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen. In beiden Fällen hatte die Organisation angemahnt, dass nach der Genfer Konvention Medien als zivile Partei gelten und gezielte Angriffe "auch auf sogenannte Propaganda-Medien" daher völkerrechtswidrig sind.

Erosion der Pressefreiheit im Schatten des Irak-Kriegs: Das Beispiel Kuba

Im Schatten des Krieges verschlechterte sich die Situation in Kuba dramatisch. Im März wurden bei landesweiten Razzien 78 Dissidenten innerhalb einer Woche festgenommen, darunter 26 unabhängige Journalistinnen und Journalisten. Wenig später standen sie bereits vor Gericht. In der Regel dauerten die Verhandlungen einen Tag, weder ausländische Journalisten noch Diplomaten wurden als Prozess-beobachter zugelassen. Die Anklagepunkte wiederholten sich: konspirative Tätigkeit zugunsten der USA. Am Ende standen drakonische Haftstrafen zwischen 14 und 26 Jahren. Die Verfahren verstoßen nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen gegen rechtsstaatliche Mindestanforderungen und die Menschenrechte.

Kuba ist mit 28 inhaftierten Journalisten das derzeit größte Gefängnis für Journalisten, gefolgt von Eritrea (18), Nepal (16), Birma (16) und China (11).

Liste der Feinde der Pressefreiheit verlängert

Jedes Jahr am 3. Mai nennt Reporter ohne Grenzen die schlimmsten Feinde der Pressefreiheit beim Namen.

Drei Länder und ihre Staatschefs sind in diesem Jahr neu auf der Liste: aus Kasachstan Präsident Nursultan Nasarbajew, aus Singapur Ministerpräsident Goh Chok Tong, und aus Liberia Präsident Charles Taylor. In Kasachstan wird Nursultan Nazarbajew verdächtigt, rund 20 Milliarden Dollar aus ölgeschäften veruntreut zu haben. Er schreckt vor nichts zurück, um Journalisten, die Licht in diese Affäre bringen könnten, zum Schweigen zu bringen. Charles Taylor nutzt den Krieg mit den Rebellen, um kritische Stimmen in Liberia einzuschüchtern, u.a. wurde Hassan Bility, Direktor der Zeitschrift The Analyst mehrere Monate an einem geheimen Ort gefangen gehalten. Goh Chok Tong regiert in Singapur seit mehr als zehn Jahren und obwohl die Bürger Zugang zu ausländischen Medien haben, lesen und sehen sie in den nationalen Medien keine Kritik am System. Dafür sorgt die Androhung hoher Haftstrafen. In allen drei Ländern wird die Pressefreiheit täglich mit Füßen getreten.

Mit auf der Liste stehen erwartungsgemäß autoritäre Machthaber wie die in Nord-Korea, Haiti und Simbabwe, aber auch die Führer bewaffneter Gruppen in Kolumbien, die islamistischen Gruppen in Afghanistan, Algerien sowie die ETA in Spanien. Der russische Präsident Wladimir Putin steht ebenfalls auf der Liste. Russland ist ein Beispiel dafür, wie effektiv ein Staat ökonomische Waffen gegen unbequeme Medien einsetzt, stellt RoG fest. Mittels staatlicher und halbstaatlicher Konzerne kontrolliert Wladimir Putin die Massenmedien. Zensur der Berichterstattung über den Krieg in Tschetschenien und Ignoranz gegenüber der Gewalt an Journalisten, die die Verantwortlichen straffrei ausgehen lässt, begründet Putins Präsenz auf der Liste.

"Hinter den Morden an Journalisten, den willkürlichen Verhaftungen, Drohungen und Schikanierungen von Medien, die wir weltweit täglich registrieren, stehen ganz konkrete Personen. Damit meinen wir nicht diejenigen, die Befehle ausführen, die Polizisten, Soldaten, kriminelle oder politische Extremisten, sondern diejenigen, die als Präsidenten, Minister, religiöse Führer oder Kommandanten die Befehle erteilen. Sie sind die Verantwortlichen für die Gewalt, die das Recht auf freie Information in ihren Ländern aushöhlt und deshalb stellen wir sie international an den Pranger", erklärt Robert Ménard die Intention der Liste.

Die komplette Liste der Feinde der Pressefreiheit finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de
Den Jahresbericht können Sie als Print-Version in Englisch anfordern unter presse@reporter-ohne-grenzen.de oder digtal downloaden unter: www.rsf.org. Zur Verfügung stehen außerdem kurze Updates der neusten Entwicklungen in fünf Weltregionen.

Für weitere Informationen:
Sabina Strunk
Tel. (030) 615 85 85
presse@reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de / www.rsf.org

Webmaster: Beate Baumgarten

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