Saudi-Arabien / Türkei 24.11.2020

RSF beobachtet Khashoggi-Prozess in der Türkei

Rebecca Vincent, Erol Önderoglu und Christian Mihr halten Plakate mit Jamal Khashoggi hoch
(v.l.) Rebecca Vincent, Erol Önderoglu und Christian Mihr © RSF

Im Khashoggi-Mordprozesses in der Türkei hat ein Gericht in Istanbul den Antrag von Reporter ohne Grenzen auf Zulassung als Nebenklägerin abgewiesen. Am zweiten Prozesstag am Dienstag (24.11.) befragte das Gericht einen Freund des 2018 in Istanbul ermordeten saudi-arabischen Exil-Journalisten Jamal Khashoggi als Zeugen. Dieser berichtete, wie sich das ehemals enge Verhältnis Khashoggis zum saudischen Königshaus unter dem Eindruck des Arabischen Frühlings eintrübte. Von 2016 an habe Khashoggi von beunruhigenden Begegnungen mit hohen und höchsten Vertretern des Königreichs berichtet und begonnen, sich bedroht zu fühlen.

„Wir sind enttäuscht, dass das Gericht uns nicht als Nebenklägerin zugelassen hat“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr in Istanbul. „Dieser Prozess bietet eine wichtige Chance, dass die vielen offenen Fragen um dieses grausame und dreiste Verbrechen doch noch aufgeklärt werden können. Das Gericht hat eine gute Gelegenheit verpasst, entsprechend internationalen Standards größtmögliche Transparenz sicherzustellen. Wir werden das Verfahren trotzdem weiterhin eng beobachten und die Einhaltung internationaler rechtlicher Maßstäbe einfordern.“

RSF beobachtet den Prozess intensiv und war am Dienstag als einzige internationale Nichtregierungsorganisation im Gerichtssaal vertreten. Als einziger ausländischer Diplomat beobachtete ein Vertreter des deutschen Generalkonsulats in Istanbul den Prozess persönlich.

Die türkische Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten vor, direkt oder indirekt an der Ermordung Khashoggis im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul am 2. Oktober 2018 beteiligt gewesen zu sein. Beschuldigt werden unter anderem der frühere Vize-Geheimdienstchef Saudi-Arabiens, Ahmad al-Asiri, sowie der ehemalige enge Medienberater von Kronprinz Mohammed bin Salman, Saud al-Kahtani. Am Dienstag ließ das Gericht eine zusätzliche Anklage gegen sechs weitere Personen zu, so dass nun gegen insgesamt 26 saudi-arabische Staatsbürger verhandelt wird. Da keiner von ihnen der Vorladung des Gerichts Folge geleistet hat, werden sie von türkischen Anwälten vertreten und per Haftbefehl gesucht.

Den RSF-Antrag auf Zulassung zur Nebenklage lehnte das Gericht mit der Begründung ab, die Organisation sei nicht direkt von dem Verbrechen betroffen. Als nächsten Prozesstermin legte das Gericht den 4. März fest.

Vertrauter berichtet von Drohungen vom Medienberater des Kronprinzen

Am Dienstag befragte das Gericht den ägyptischen Oppositionspolitiker Aiman Nur als Zeugen, der jahrzehntelang mit Khashoggi befreundet war und seit 2015 in Istanbul lebt. Nur berichtete, Khashoggi habe seit 2016 davon gesprochen, dass er sich von Kronprinz Mohammeds Medienberater Al-Kahtani bedroht gefühlt habe. Der Kronprinz persönlich habe Khashoggi einmal gefragt, warum er Nur ständig treffe. Weil dieser für die politischen Umbrüche des Arabischen Frühlings stehe, habe Mohammed in ihm eine Gefahr für die saudische Monarchie gesehen.

Noch 2017 habe Khashoggi es zunächst abgelehnt, sich gegenüber einem von Nur in der Türkei finanzierten Fernsehsender kritisch über die Monarchie in Saudi-Arabien zu äußern, berichtete der Ägypter weiter. Nachdem er schließlich doch per Skype ein kritisches Interview gegeben habe, sei er sehr plötzlich nach Istanbul gereist. Danach habe Khashoggi von einem Anruf Al-Kahtanis berichtet, der ihn sehr beunruhigt habe: Der Berater des Kronprinzen – so Nurs Schilderung – habe gesagt, dass er Khashoggis Kinder kenne und wisse, wo sie wohnten. Nach diesen Drohungen habe Khashoggi das Interview zurückgezogen, so dass es nie ausgestrahlt worden sei.

Später habe Khashoggi eine Nachricht von Al-Kahtani erhalten, dass er sicher sei, wenn er nach Saudi-Arabien komme, berichtete Nur weiter. Zur gleichen Zeit sei dort jedoch ein enger Freund Khashoggis verhaftet worden.

Vier Tage vor seinem Tod habe Khashoggi schon einmal das Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul besucht, schilderte der Ägypter weiter. Khashoggi habe nach Dokumenten für die geplante Hochzeit mit seiner türkischen Verlobten Hatice Cengiz gefragt. Bedroht gefühlt habe er sich dabei nicht. Er sei gut behandelt worden und habe nach dem Besuch im Konsulat gesagt, dass er vielleicht zu schlecht über seine Landsleute denke.

Intransparente Verfahren in Saudi-Arabien

In Saudi-Arabien wurden für den Mord an Khashoggi inzwischen acht Männer rechtskräftig zu sieben bis 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Drei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Sowohl der ursprüngliche Prozess 2019 als auch das Berufungsverfahren in diesem Jahr fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und entsprachen rechtsstaatlichen Anforderungen in keiner Weise. Die Namen der Verurteilten sind bis heute nicht bekannt, die Frage nach der politischen Verantwortung für den Mord blieb ungeklärt. Stattdessen bestätigte die Justiz entgegen allen bekannten Fakten die offizielle Darstellung des Königreichs, das Verbrechen sei nicht geplant gewesen.

RSF hat wiederholt gefordert, den Mord durch eine transparente internationale Untersuchung aufzuarbeiten. Vergangene Woche führte RSF dazu zusammen mit Khashoggis Verlobter politische Gespräche in Berlin. 2019 reiste eine internationale RSF-Delegation nach Saudi-Arabien und setzte sich bei saudi-arabischen Regierungsvertretern für umfassende Aufklärung ein. Auch die UN- Sonderberichterstatterin zu außergerichtlichen Hinrichtungen, Agnes Callamard, fordert ein rechtsstaatliches Verfahren zum Khashoggi-Mord. Sie hat das Verbrechen eingehend untersucht und kam zu dem Schluss, dass es hinreichende Anhaltspunkte für weitergehende Ermittlungen zur Verwicklung der saudi-arabischen Führung in die Tat gebe.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Saudi-Arabien auf Platz 170, die Türkei auf Platz 154 von 180 Staaten.



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