Nothilfearbeit und Stipendien 03.12.2019

Rückblick: Journalisten unter Druck

Eine kaputte Kamera.
©picture alliance/ AP Photo

Journalistinnen und Journalisten sind in vielen Ländern der Welt gefährdet: In ihrer Heimat drohen ihnen Zensur, Verfolgung bis hin zu körperlichen Übergriffen und Verhaftung. Insbesondere die digitale Bedrohung hat stark zugenommen. Aber auch im Exil haben Medienschaffende keinen leichten Stand: Beschäftigungsmöglichkeiten sind rar, und auch in der Ferne droht der lange Arm repressiver Regime. Reporter ohne Grenzen (ROG) nimmt das nahende Jahresende zum Anlass zurückzublicken: zum einen auf ein Jahr Berliner Stipendienprogramm zur Stärkung von Journalist*innen im Digitalen Raum, zum anderen auf zehn Jahre Nothilfereferat der deutschen Sektion – beides Maßnahmen, um Journalistinnen und Journalisten zu unterstützen. Am morgigen Mittwoch (4.12.) findet dazu eine Konferenz in der Werkstatt der Kulturen in Berlin statt. Eine Abendveranstaltung an demselben Ort zu 10 Jahren Nothilfe schließt daran an.

„Wir sind sehr froh, dass wir die Unterstützung für bedrohte Journalistinnen und Journalisten über die Jahre immer weiter ausbauen konnten. Dies verdanken wir unseren Mitgliedern, Spendern und Spenderinnen, Förderern und Partnern wie dem Berliner Senat“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Das aus Mitteln der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe geförderte Berliner Programm zur Stärkung von Journalist*innen im Digitalen Raum unterstützt Medienschaffende, die in ihren Heimatländern digital bedroht werden. Insgesamt 13 Journalistinnen und Journalisten konnten es in diesem Jahr durchlaufen. In Berlin lernen sie „digitale Selbstverteidigung“. Mehr als 800 Medienschaffende aus aller Welt hatten sich beworben. „Die Nachfrage nach den Stipendien war überwältigend. Darum wollen wir das Berliner Stipendienprogramm auch 2020 fördern. Berlin als Stadt der Freiheit ist ein Anziehungspunkt, wir nehmen unsere Verantwortung zur Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit wahr“, sagte Wirtschaftssenatorin Ramona Pop. 

Die Absolventinnen und Absolventen des Berliner Stipendienprogramms kehren im Anschluss in ihr Herkunftsland zurück, um ihr erworbenes Wissen an andere Medienschaffende weiterzugeben.

An der Konferenz am morgigen Mittwoch nehmen mehrere Stipendiatinnen und Stipendiaten aus dem Jahr 2019 teil: Jonathan Dagher aus dem Libanon erklärt, wie sich ein kleines aber engagiertes Team von Journalistinnen und Journalisten bei dem Online-Medium Megaphone gegen Angriffe und Mobs wehrt. Joëlle-Marie Declerq aus Brasilien erzählt, wie sie durch ihre Berichterstattung über ein frauenfeindliches Online-Netzwerk selbst zur Zielscheibe wurde. Adnan Aamir berichtet, inwieweit sich Medienschaffende in seinem Heimatland Pakistan gegen Überwachung schützen können. Und in Simbabwe stehen unabhängige Medien permanent unter Beschuss, trotzdem gibt es Möglichkeiten, sich zu schützen, zeigt Sofia Mapuranga auf. Die Konferenz beginnt um 11 Uhr, die verschiedenen Panels können auch einzeln besucht werden.

Reporter ohne Grenzen leistet jedoch noch weitere Hilfe für Journalistinnen und Journalisten in Not: So werden Anwalts- und Arztkosten übernommen, zerstörte Ausrüstung ersetzt und Familien finanziell unterstützt. Falls ein Verbleib im Herkunftsland aus Gründen der Sicherheit nicht möglich ist, unterstützt ROG bei Visa- und Asylverfahren. Die Arbeit der Berliner Geschäftsstelle ist dabei eng mit der des internationalen Sekretariats von Reporter ohne Grenzen verzahnt. Ermöglicht wurde der Aufbau des deutschen Nothilfereferat 2009 mit dem Erhalt des Roland Berger Preises für Menschenwürde, der mit 900.000 Euro dotiert war. Seitdem wurde die Arbeit kontinuierlich ausgeweitet. Insgesamt hat ROG mehr als 700 Fälle seit der Einrichtung des Nothilfereferats vor zehn Jahr betreut, darunter so prominente wie den des türkischen Journalisten Can Dündar oder der chinesischen Journalistin Su Yutong.

Ein Stipendienprogramm in Zusammenarbeit mit Partnern wie der taz Panterstiftung ermöglicht es Reporter ohne Grenzen, einzelne Medienschaffende aus ihrem bedrückenden Alltag herauszuholen, damit sie sich in einer dreimonatigen Auszeit von den Strapazen ihrer Arbeit erholen können. Zehn Journalistinnen und Journalisten hatten bisher die Chance, sich in Berlin zu regenerieren und – bei Bedarf – medizinische und psychosoziale Betreuung in Anspruch zu nehmen. Die Teilnehmenden kamen unter anderem aus Burundi, Äthiopien, dem Sudan oder der Ukraine. Aktuell ist Bobomurod Abdullaev aus Usbekistan zu Gast, im nächsten Frühjahr folgen weitere Auszeit-Stipendiatinnen und -Stipendiaten aus Montenegro, Kuba und Aserbaidschan.

Wenn Medienschaffende gar nicht mehr nach Hause zurückkehren können oder in ihrem Heimatland akut bedroht sind, bemüht sich Reporter ohne Grenzen, diesen einen Aufenthalt in Deutschland oder einem anderen sicheren Aufnahmeland zu ermöglichen. Eine der größten Rettungsaktionen gelang ROG mit mehreren Partnern 2018/19: Im Laufe einjähriger Bemühungen konnten zwölf besonders gefährdete Journalistinnen und Journalisten aus Syrien mit ihren Familien nach Deutschland geholt werden – die letzten im September. Auf der Flucht vor den vorrückenden Regierungstruppen saßen sie lange in der Region Daraa im Süden Syriens fest. Wären Sie in die Hände des Assad-Regimes gefallen, hätten ihnen Verhaftung, Folter und Tod gedroht, weil sie für oppositionelle oder ausländische Medien gearbeitet hatten. Weitere 18 Journalistinnen und Journalisten konnten im Rahmen derselben Initiative mit ihren Familien nach Frankreich und Spanien gebracht werden.

Für viele der Journalistinnen und Journalisten bietet Deutschland zwar physische Sicherheit, dennoch befinden sie sich oftmals in einer prekären Lage, denn eine Arbeit in ihrem gelernten Beruf ist nicht selbstverständlich. Die morgige Diskussionsrunde zum Thema Journalistinnen und Journalisten unter Druck – Wie kann Reporter ohne Grenzen helfen? setzt sich gezielt mit den Chancen, aber auch den Restriktionen für Exil-Journalistinnen und -Journalisten auseinander. ROG appelliert damit auch an deutsche Medien, nicht nur über Migration und Integration zu berichten, sondern diese auch im Arbeitsalltag zu leben, indem beispielsweise ausländische Medienschaffende als Autoren beschäftigt werden. Wünschenswert wäre zudem ein Ausbau von Auslandsprogrammen, die in die jeweiligen Herkunftsländer von Exiljournalistinnen und -journalisten hineinstrahlen.

Allerdings hängt dies auch von der finanziellen Unterstützung der Bundesregierung ab, deren flexible und unbürokratische Hilfe bei der Vergabe von Visa in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt hat und dies auch in Zukunft tun wird. Die Abendveranstaltung in der Werkstatt der Kulturen beginnt um 19 Uhr und kann auch ohne vorherige Anmeldung besucht werden. 

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