Kolumbien 13.05.2016

Schutzprogramm für Journalisten versagt

Journalistin Jineth Bedoya und weitere Opfervertreter bei den Kolumbien-Friedensgesprächen in Havanna. © dpa

Reporter ohne Grenzen ist besorgt über das Versagen des staatlichen kolumbianischen Programms zum Schutz gefährdeter Journalisten im Fall Javier Osuna. Osuna ist seit Jahren Lauschangriffen auf sein Telefon und wiederholten Einschüchterungskampagnen ausgesetzt. Seit August 2014 steht er unter der Bewachung von Personenschützern der Nationalen Schutzeinheit (Unidad Nacional de Protección, UNP). Trotzdem erlebt der Journalist seit Monaten eine neue Welle von Einschüchterungsversuchen.

„Der Fall von Javier Osuna zeigt auf erschreckende Weise, wie wirkungslos Kolumbiens staatliches Schutzprogramm für Journalisten ist“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Kolumbiens Regierung muss die Sicherheit solcher mutigen Journalisten garantieren. Das Nationale Schutzprogramm muss dringend reformiert werden. Auch das geplante Friedensabkommen wird nur dann gesellschaftliche Akzeptanz finden, wenn Journalisten ohne Furcht vor Drohungen oder Vergeltung ihren Beitrag zur Aufarbeitung der Bürgerkriegsverbrechen leisten können.“

Osuna hat eingehend über die Opfer der Gewalt von paramilitärischen Gruppen recherchiert, die im Verwaltungsbezirk Norte de Santander im Nordosten Kolumbiens ungeachtet des Friedensprozesses zwischen Regierung und Rebellen ihr Unwesen treiben. Nach einem Einbruch in seine Wohnung, bei dem Osunas Computer mit den Ergebnissen monatelanger Recherchen in Brand gesteckt wurden, wurde sein Personenschutz 2015 noch einmal verstärkt. Vergangenen Herbst veröffentlichte er ein Buch über seine Recherchen. Seit Anfang dieses Jahres häufigen sich die Einschüchterungsversuche gegen ihn: Datendiebstahl, Einbruchsversuche und das Auftauchen Unbekannter auf Motorrädern.

Beim UNP bat Osuna deshalb um einen neuen Personenschützer, da er den Verdacht hatte, der bisherige könnte Verbindungen zu einer paramilitärischen Gruppe haben und in die andauernden Schikanen gegen ihn verwickelt sein. Der Personenschützer erfuhr illegalerweise von dieser Bitte und von der Entscheidung des UNP, den von dem Journalisten vorgeschlagenen Alternativkandidaten einzusetzen. Zwar wurde schließlich ein neuer Bodyguard eingesetzt, doch Anfang dieses Monats erhielt ein weiterer Personenschützer Osunas anonyme Drohanrufe und mit Computerviren verseuchte E-Mails.

Entführungs- und Vergewaltigungsopfer gibt aus Protest Entschädigung zurück

Der mangelhafte Umgang des kolumbianischen Staates mit Drohungen und Gewalt gegen Journalisten zeigt sich auch am Fall von Jineth Bedoya Lima. Bei einer Recherche im Mai 2000 hatten Paramilitärs sie am Eingang eines Gefängnisses entführt und anschließend 16 Stunden lang vergewaltigt und gefoltert. Seitdem kämpft die Journalistin für eine Bestrafung der Täter. Aus Protest gegen den widersprüchlichen Umgang des Staates mit ihrem Fall gab sie nun ihr Schmerzensgeld zurück, das sie aus einem nationalen Fonds für die Opfer des Bürgerkriegs erhalten hatte.  

Im Februar und März waren zwar zwei ehemalige Paramilitärs wegen ihrer Rolle bei den Verbrechen an Bedoya Lima zu knapp elfeinhalb Jahren beziehungsweise zu 28 Jahren Haft verurteilt worden. Die Journalistin beharrt jedoch darauf, dass all jene zur Rechenschaft gezogen werden müssten, die in die Tat verwickelt waren, und dass der Staat seine Verantwortung für die Verletzung ihrer Menschenrechte anerkennen müsse. „Meine Wiedergutmachung ist die Wahrheit“, wurde sie in kolumbianischen Medien zitiert. Der Staat habe sie durch Lügen, Halbwahrheiten und Untätigkeit ein weiteres Mal zum Opfer gemacht.

Reformvorschläge für das staatliche Schutzprogramm

Drohungen und Gewalt gegen Journalisten sind in Kolumbien häufig. Mit ihnen muss etwa rechnen, wer unliebsame Informationen über mächtige Lokalpolitiker veröffentlicht. Auch paramilitärische Gruppen wie Los Urabeños oder Aguilas Negras haben Journalisten wiederholt zu „militärischen Zielen“ erklärt. Seit dem Jahr 2000 wurden in Kolumbien rund 60 Journalisten ermordet.

Die Aufarbeitung der vielen Gewaltverbrechen an Journalisten während des jahrzehntelangen Bürgerkriegs ist auch eine wichtige Frage bei den Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und den FARC-Rebellen, die sich derzeit in der Endphase befinden. Über das anvisierte Friedensabkommen soll bis spätestens September ein Referendum abgehalten werden.

Vergangenen August hatten Reporter ohne Grenzen, der Kolumbianische Journalistenverband (Federación Colombiana de periodistas, FECOLPER) und die in Bogotá ansässige Stiftung für Pressefreiheit (Fundación para la Libertad de Prensa, FLIP) eine Reihe von Reformvorschlägen für das seit 15 Jahren bestehende Regierungsprogramm zum Schutz gefährdeter Journalisten vorgelegt. In zwei ausführlichen Untersuchungen kamen die Organisationen zu dem Ergebnis, dass das Programm als ineffektiv und mangelhaft ist und an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbeigeht. So wurden bei 388 Drohungen gegen Journalisten, die das Justizministerium zwischen dem Jahr 2000 und Mitte August 2014 registrierte, nur in einem einzigen Fall die Verantwortlichen verhaftet.

Zu den vielen Problemen des Schutzprogramms gehören unzureichende finanzielle Mittel, Korruption, Fehlentscheidungen, Probleme bei der Einschätzung von Gefährdungen und bei der Wahl geeigneter Gegenmaßnahmen sowie sachlich nicht gerechtfertigte Verzögerungen. Auch konzentriert sich das Programm zu einseitig auf Schutz und sicheres Geleit für die Betroffenen, ohne sich auch für Gewaltvorbeugung sowie für eine effektivere juristische Verfolgung der Drohungen und Angriffe gegen Journalisten einzusetzen. 

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Kolumbien auf Platz 134 von 180 Staaten.


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