BND-Massenüberwachung 21.07.2017

Verfassungsbeschwerde abgewiesen

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Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde von Reporter ohne Grenzen gegen die Massenüberwachung des Bundesnachrichtendienstes nicht zur Entscheidung angenommen. ROG warf dem Geheimdienst vor, er habe im Zuge seiner strategischen Fernmeldeüberwachung den E-Mail-Verkehr der Organisation mit ausländischen Partnern, Journalisten und anderen Personen ausgespäht. Ein anderer Teil der ursprünglichen Klage ist weiterhin beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Er richtet sich gegen das Metadaten-Analysesystem „VerAS“, mit dem der BND seit dem Jahr 2002 ohne gesetzliche Grundlage Verbindungsdaten über Telefongespräche mit Auslandsbezug sammelt.

„Nun werden wir uns umso mehr auf die weiter anhängige Klage gegen die unverhältnismäßige und widerrechtliche BND-Metadatensammlung konzentrieren“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Schon jetzt hat dieses Verfahren gezeigt, dass das Bundesverwaltungsgericht erhebliche Zweifel an der bisherigen BND-Praxis hat – und dass bisher nur die Spitze des Eisbergs sichtbar ist.“

Das als erste und letzte Instanz zuständige Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte die ROG-Klage gegen die BND-Massenüberwachung im Dezember abgewiesen. Die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschied nun, ROG habe nicht glaubhaft genug dargelegt, dass die Organisation selbst von der BND-Überwachung betroffen war. Das Bundesverwaltungsgericht hatte in der Vergangenheit bereits vergleichbare Klagen gegen den BND mit der Begründung abgewiesen, die Kläger könnten ihre Betroffenheit nicht nachweisen. Dieser Nachweis ist allerdings schwer zu führen, weil die Kläger aufgrund der Geheimhaltung des BND im Normalfall nicht wissen, ob sie überwacht werden oder wurden.

Den Klageteil zum BND-„Verkehrsanalysesystem“ (VerAS) hat das Bundesverwaltungsgericht abgetrennt und vom BND weitere Aufklärung dazu verlangt. In der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember erklärten die BND-Vertreter, dass VerAS nur eine von etwa 25 Datenbanken des BND sei. ROG reichte die Klage gegen den BND am 30. Juni 2015 beim Bundesverwaltungsgericht ein. In dem Verfahren wird ROG von dem Rechtsanwalt Niko Härting vertreten.

BND-Datenbank erlaubt beliebig tiefe Analysen von Kontaktnetzwerken

Die Metadatensammlung in VerAS betrifft die sogenannte Ausland-Ausland-Kommunikation, Gespräche zwischen In- und Ausland sowie Verbindungsdaten, die dem BND von befreundeten Geheimdiensten zugeliefert werden. All diese Daten werden so umfassend gespeichert, dass auch Journalisten erfasst werden können, die nur indirekt und über mehrere weitere Kommunikationspartner zum Beispiel mit einem Terrorverdächtigen in Verbindung gebracht werden können.

Die Wahrscheinlichkeit ist deshalb hoch, dass der BND auch die Verbindungsdaten von Journalisten speichert, die beispielsweise regelmäßig über Terrorgruppen berichten und in deren Umfeld recherchieren. Das gleiche gilt für Verbindungsdaten von ROG als internationaler Organisation, an die sich solche Journalisten wenden, wenn sie etwa unter Druck ihrer jeweiligen Regierung geraten oder bedroht werden.

VerAS umfasst ausschließlich die Daten zu Telefonverbindungen, wie die BND-Vertreter in der mündlichen Verhandlung erklärten. Metadaten aus der Internetkommunikation werden demnach offenbar in anderen BND-Datenbanken gespeichert, über die noch weniger bekannt ist.

Bei der Verhandlung im Dezember fragten die Richter detailliert nach den Kriterien und Abläufen, mit denen der BND Daten filtert, bevor sie in VerAS eingespeist werden. Kritische Nachfragen stellten die Richter vor allem dazu, inwieweit sichergestellt sei, dass in anonymisierter Form gespeicherte grundrechtsgeschützte Metadaten deutscher Telekommunikationsteilnehmer nicht nachträglich doch den betreffenden Personen zugeordnet werden könnten.

Die BND-Vertreter räumten außerdem ein, dass sich anonymisiert gespeicherte Daten dann nachträglich zuordnen lassen, wenn im Zuge einer Telefonüberwachung nach dem G-10-Gesetz auch die Inhalte eines Gesprächs gespeichert werden. Ebenso erläuterten sie, dass mit VerAS Kontaktnetzwerke bis in beliebig weite Verzweigungen analysiert werden könnten – im Prinzip auch „bis in die 14. Ebene“.

BND-Massenüberwachung stellt Vertraulichkeit sensibler Kommunikation in Frage

Im anderen, nun in Karlsruhe abgewiesenen Teil der Klage warf ROG dem Geheimdienst vor, im Zuge seiner strategischen Fernmeldeüberwachung den E-Mail-Verkehr der Organisation mit ausländischen Partnern, Journalisten und anderen Personen ausgespäht zu haben. Nach allem, was über den Umfang der strategischen Fernmeldeüberwachung zwischen In- und Ausland sowie über die vom BND verwendeten Suchkriterien bekannt ist, muss ROG davon ausgehen, dass auch zahlreiche E-Mails der Organisation erfasst wurden – und dass diese Überwachungspraxis unverhältnismäßig und vom G-10-Gesetz nicht gedeckt ist.

Für zahlreiche Journalisten aus Deutschland und aus autoritären Staaten wie Usbekistan, Aserbaidschan oder China ist ROG ein regelmäßiger und wichtiger Ansprechpartner, an den sie sich mit schutzwürdigen Anliegen oder vertraulichen Informationen wenden. Wenn der BND solche Kommunikation im Zuge seiner Massenüberwachung womöglich ausforscht, können sich diese Journalisten nicht mehr darauf verlassen, dass ihre Anfragen vertraulich bleiben.

BND-Praktiken untergraben Kritik an Überwachung in repressiven Staaten

Kurz vor der Verhandlung im Dezember waren neue Hinweise darauf bekannt geworden, dass VerAS noch tiefer und umfassender als bislang angenommen in die Grundrechte sogar deutscher Staatsbürger eingreift. Unter anderem zeigt dies ein internes Gutachten des BND, das Teil der von Wikileaks publik gemachten Dokumente des NSA-Untersuchungsausschusses des Bundestags ist. Die Erkenntnisse aus dem Gutachten stützen das Argument, dass ROG-Kommunikation von der Erfassung und Auswertung durch VerAS betroffen sein dürfte. Außerdem legt der Geheimdienst darin ausführlich dar, dass und warum in den meisten Fällen selbst im Nachhinein nicht geboten sei, die ausgeforschten Personen zu benachrichtigen.

Durch solche Praktiken stellt der BND nicht nur den Informantenschutz als zentrales Element der Pressefreiheit in einer Demokratie in Frage. Er untergräbt auch die Glaubwürdigkeit deutscher Forderungen nach mehr Achtung der Medienfreiheit in autoritären Regimen und beraubt dortige Journalisten somit eines Fürsprechers in ihrem Kampf gegen Überwachung und andere Formen der Repression durch die jeweiligen Regierungen.

Keine Auswirkungen auf die Streitpunkte der Klage hat die im Herbst 2016 beschlossene Reform des BND-Gesetzes, das die Ausland-zu-Ausland-Überwachung des BND regelt. Gegen das reformierte Gesetz bereitet ROG derzeit als Teil eines Bündnisses unter Federführung der Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Verfassungsbeschwerde vor.



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