Afghanistan 27.09.2019

Wahlen: Pressefreiheit entschieden schützen

Wahlkampf in Afghanistan
Wahlkampf in Afghanistan © picture alliance/AP Photo

Vor den Präsidentschaftswahlen in Afghanistan am Samstag (28.09.) fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die Kandidaten auf, sich für die Pressefreiheit und den Schutz von Journalistinnen und Journalisten einzusetzen. Afghanistan gehört zu den drei Ländern, in denen seit Jahresbeginn weltweit die meisten Medienschaffenden wegen ihrer Arbeit getötet wurden.

„Als Informationsquellen und Wahlbeobachter spielen die Medien eine entscheidende Rolle in den anstehenden Präsidentenwahlen. Ohne unabhängige Berichterstattung kann es keine freien, transparenten und demokratischen Wahlen geben. Journalistinnen und Journalisten müssen endlich ausreichend geschützt werden“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Für den Wahltag haben die Taliban Gewalt angekündigt. In einer am Donnerstag veröffentlichen Mitteilung drohen sie, Sicherheitskräfte und Wahlzentren anzugreifen. Die Bevölkerung solle am Wahltag zu Hause bleiben, damit niemand verletzt werde. Die in Afghanistan Terror verbreitenden Taliban, aber auch der „Islamische Staat“ gehören zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit. Seit Anfang 2016 wurden in Afghanistan bei Anschlägen beider Gruppen mehrere Dutzend Journalistinnen und Journalisten sowie Medienmitarbeiter getötet.

Vor dem Hintergrund der Sicherheitslage vor Ort war ROG zwischen dem 10. und 20. September in Afghanistan, um vier Trainingsseminare für insgesamt 65 Medienschaffende aus 19 Provinzen zu organisieren. Mithilfe des unter anderem von ROG publizierten Handbuchs für Wahlberichterstattung hat die Organisation auch speziell Journalistinnen geschult, die in Afghanistan besonders gefährdet sind. 

Getötete Medienschaffende: Im Visier von Extremistengruppen

Mitte dieser Woche starb der Journalist Abdul Hamid Hotaki durch Verletzungen, die er bei einem Bombenanschlag auf das Wahlkampfbüro von Präsident Ashraf Ghani in der Stadt Kandahar erlitten hatte. Hotaki arbeitete für einen lokalen Radiosender und war laut einem AFP-Bericht auf dem Weg nach Hause, als er von der Explosion verletzt wurde.

Der jüngste Anschlag zeigt erneut, wie gefährlich die Situation in vor Ort ist. Afghanistan gehörte in den vergangenen drei Jahren stets zu den Ländern, in denen weltweit die meisten Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet wurden. Im vergangenen Jahr starben dort mindestens 15, neun von ihnen allein an einem einzigen Tag bei einem Doppelanschlag in Kabul. Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat reklamierte den Anschlag, der sich gezielt gegen Journalistinnen und Journalisten richtete, für sich.

Auch in diesem Jahr gehört Afghanistan bisher neben Mexiko und Syrien zu den drei gefährlichsten Ländern für Medienschaffende. ROG zählt dort bislang mindestens fünf Fälle, in denen Journalistinnen und Journalisten eindeutig wegen ihrer Arbeit getötet wurden. Anfang Januar erschossen Taliban-Kämpfer an einer Straßensperre den Bürgerjournalisten Javid Noori in der Provinz Farah im Westen des Landes. Anfang Februar erschossen Unbekannte bei einem Angriff auf den Sender Radio Hamseda die beiden Journalisten Shafiq Arya und Rahimullah Rahmani. Mitte März wurde der Fernsehjournalist Sultan Mahmoud Khirkhowa, der für den lokalen Sender Zhman TV arbeitete, im Osten des Landes erschossen. Wenig später berichtete RadioFreeEurope/RadioLiberty, dass eine mit dem „Islamischen Staat“ verbundene Gruppe die Verantwortung übernahm. Anfang Juli starb der Medienmitarbeiter Imeailzi Abdolraouf, der unter anderem für den Sender Shemshad TV arbeitete. 

Drohungen gegen Medienschaffende

Neben der hohen Zahl an Getöteten registriert ROG weitere Fälle von Gewalt und Drohungen gegen Journalistinnen und Journalisten. Ende Juni etwa kritisierten die Taliban die in ihren Augen kritische Berichterstattung der Medien und drohte ihnen offen. In einer Erklärung der Extremistengruppe hieß es, die Medien hätten eine Woche Zeit, „ihre Haltung gegenüber den Taliban zu ändern“, ansonsten würden sie nicht länger als Medien, sondern als militärische Ziele betrachtet. „Journalisten und Medien werden nicht länger sicher sein.“ 

Anfang September entführten Taliban-Kämpfer in der Provinz Paktia sechs Journalisten, die für private und regierungseigene Medien arbeiten und auf dem Weg zu einem Medienworkshop waren. Ein Sprecher der Extremistengruppe sagte, die Journalisten seien „irrtümlicherweise“ entführt worden. Laut dem Afghanistan Journalists Center wurden sie wenig später freigelassen.

Journalistinnen in Afghanistan unter sozialem Druck

Neben dem hohen Sicherheitsrisiko für Medienschaffende generell stehen Frauen im Journalismus zusätzlich vor gesellschaftlichen Hürden. Viele werden von ihren eigenen Familien unter Druck gesetzt, weil diese um die Sicherheit der Frauen fürchten. Seit 2002 wurden mindestens vier Journalistinnen von Verwandten getötet, darunter die Tolo-TV-Moderatorin Schaima Resaji im Jahr 2005 und zwei Jahre später die Moderatorin des Senders Schamschad TV, Schakiba Sanga Amadsch. Einige Journalistinnen mussten ihre Arbeit aufgeben. So arbeiten in einigen Regionen des Landes gar keine Frauen im Journalismus mehr.

Vor rund zweieinhalb Jahren hat ROG daher in Kabul das Zentrum für den Schutz von Journalistinnen in Afghanistan (CPAWJ) eröffnet, das von der bekannten afghanischen Journalistin Farida Nekzad geleitet wird. Das Zentrum organisiert unter anderem Seminare über physische und digitale Sicherheit und setzt sich für die Rechte von Journalistinnen gegenüber Behörden und Medienunternehmen ein.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Afghanistan auf Platz 121 von 180 Staaten.

Im Interview mit Reporter ohne Grenzen berichtet Farida Nekzad von der derzeitigen Lage des Journalismus in Afghanistan. Nekzad ist eine bekannte afghanische Journalistin, die sich in den vergangenen Jahren viel für medienschaffende Frauen in ihrem Heimatland eingesetzt hat und das Zentrum für den Schutz von Journalistinnen in Afghanistan (CPAWJ) leitet. Im Interview berichtet sie von ihrer Aufgabe, der Gefahr, der sie und ihre Kolleg*innen täglich ausgesetzt sind, und warum sie trotzdem nie ins Exil gehen wollte.



nach oben