Überwachungstechnologie 15.09.2016

Klarheit über Exportbürgschaften schaffen

©dpa

Vor dem „kleinen Parteitag“ der SPD fordert Reporter ohne Grenzen Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel auf, endlich Klarheit über die Vergabe staatlicher Exportbürgschaften an deutsche Anbieter von Überwachungstechnologie zu schaffen. Das Bundeswirtschaftsministerium sträubt sich mit oft hanebüchenen Argumenten dagegen, über frühere Exportbürgschaften für Überwachungstechnologie Auskunft zu geben. Zugleich will sich Gabriel bei dem Parteikonvent am kommenden Montag als SPD-Vorsitzender für das umstrittene europäisch-kanadische Freihandelsabkommen CETA starkmachen – unter anderem mit dem Argument, das Abkommen schaffe transparentere Verfahren in den Handelsbeziehungen.

„Wenn Sigmar Gabriel sich mit hohem politischem Einsatz für Transparenz im Welthandel starkmacht, sollte er diesen Maßstab auch an die Arbeit seines eigenen Ministeriums anlegen“, sagte ROG-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Seit Jahren mauert das Bundeswirtschaftsministerium gegen jeden Versuch, Klarheit über staatliche Hilfen für Überwachungsexporte an repressive Regime zu schaffen. Diese Verweigerungshaltung ist beschämend für einen Wirtschaftsminister, der für sich in Anspruch nimmt, eine restriktive Rüstungsexportpolitik durchgesetzt zu haben.“

Vollmundige Ankündigungen, begrenzte Wirkung

Gabriel hatte sich das Thema Überwachungsexporte 2014 zu eigen gemacht, als er ankündigte, den Export von Überwachungstechnologie zunächst per Einzelermächtigung an den Zoll und das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle zu stoppen. Auch wenn die Wirkung in der Praxis begrenzt blieb, war dies ein wichtiges politisches Signal. Bestimmte Überwachungstechnologien sind inzwischen – nicht zuletzt auf Betreiben von ROG und anderen Menschenrechtsorganisationen – in das Wassenaar-Abkommen für Exportkontrollen von konventionellen Waffen und Dual-Use-Gütern aufgenommen worden. Mit der revidierten Dual-Use-Verordnung der EU von 2015 sind diese Regeln in der Europäischen Union verbindlich geworden. Ausfuhren der fraglichen Technologien sind damit genehmigungspflichtig.

Dennoch verweigert die Bundesregierung bis heute umfassende Auskunft über in der Vergangenheit erteilte Hermes-Bürgschaften für Exporte von Überwachungstechnologie. Sie hat lediglich die Existenz zweier solcher Bürgschaften für den Verkauf von Überwachungstechnologien nach Russland und Malaysia eingeräumt. Die Namen der betreffenden Firmen sind nach wie vor unter Verschluss. ROG hat überdies Hinweise darauf, dass die Bundesregierung Hermes-Bürgschaften für den Export deutscher Überwachungstechnologien vor Ausbruch des Krieges auch nach Syrien vergeben haben könnte. Öffentlich bekannt ist, dass die einschlägig bekannte Münchener Firma Trovicor dort Anlagen installierte und wartete.

Dreiste Falschbehauptungen des Wirtschaftsministeriums vor Gericht

Der Investigativjournalist Boris Kartheuser versucht seit dem Jahr 2012, Auskunft über staatliche deutsche Unterstützung für Überwachungsexporte zu erhalten. Dazu stellte er an mehrere Bundesministerien Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz, die teils nur mit Verzögerungen von einem halben Jahr und mehr beantwortet wurden und mit Verweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der betroffenen Firmen oder auf angebliche Gefahren für die innere und äußere Sicherheit kaum relevante Informationen enthielten. Reporter ohne Grenzen hat deshalb Klagen Kartheusers gegen das Innen- und das Wirtschaftsministerium unterstützt.

In der Verhandlung vor dem Berliner Verwaltungsgericht im Juni 2014 räumte der Anwalt des Bundeswirtschaftsministeriums (BMWi) beiläufig ein, dass es einen weiteren Fall gebe, in dem der Export von Überwachungstechnologie unterstützt worden sei. Mehrfach stellte der BMWi-Anwalt vor Gericht dreiste Falschbehauptungen auf: man könne von der Kaufsumme auf das konkrete Überwachungsprodukt schließen, die Einfuhrländer seien gegen eine Veröffentlichung oder die Offenlegung der beteiligten Firmen gefährde die Sicherheit ihrer Mitarbeiter. Widerlegte der klagende Journalist eine Behauptung, folgte einfach die nächste Finte.

Im Rechtsstreit mit dem Innenministerium bekam der Journalist in erster Instanz in allen Punkten Recht, doch das Ministerium ging in Berufung; ein Termin für die Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht steht vier Jahre nach den ersten Anfragen Kartheusers noch nicht fest. Auch das BMWi wurde in den meisten Punkten zur Beantwortung der Fragen verurteilt. Eine Nichtzulassungsbeschwerde, mit der es eine Berufung erzwingen wollte, lehnte das Oberverwaltungsgericht ab.

Wirtschaftsministerium förderte Überwachungstechnik als „Zukunftsmarkt“

In der Vergangenheit hatte das Bundeswirtschaftsministerium Überwachungstechnik als „Zukunftsmarkt“ bezeichnet und diesen Sektor noch 2012 mit dem Programm „Zukunftsmarkt Zivile Sicherheit“ ausdrücklich gefördert. In Kooperation mit dem Nah- und Mittelostverein der deutschen Wirtschaft (NUMOV) und den Ländern des Golfkooperationsrates förderte das Ministerium etwa mit bis zu 40.000 Euro eine Konferenz in Düsseldorf im Jahr 2012, bei der führende deutsche Hersteller von Überwachungs- und Grenzsicherungstechnik ihre Produkte vorstellen konnten.

Noch im Juni 2015 übernahm das BMWi die Schirmherrschaft für das 18. Deutsch-Arabische Wirtschaftsforum in Berlin, bei dem laut Programm eines der Themen die „vielversprechenden Kooperationsmöglichkeiten im Bereich Sicherheit und IKT“ (Informations- und Kommunikationstechnologie) war. Durch den Missbrauch von Überwachungstechnik einschlägig belastete Länder wie Ägypten, Bahrain und Saudi-Arabien, die Regierungsvertreter zu dem Forum entsandten hatten, sind aus Sicht von Reporter ohne Grenzen jedoch keine akzeptablen Partner in diesem Bereich: Jede staatliche Unterstützung von Firmen, die Überwachungstechnik in Diktaturen und autoritäre Regime liefern, ist menschenrechtlich verantwortungslos.

Auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland derzeit auf Platz 16 von 180 Staaten. Ein wichtiger Kritikpunkt von Reporter ohne Grenzen sind seit Jahren die hinter den Reglungen vieler europäischer und anderer Staaten herhinkenden Informationsfreiheitsgesetze in Bund und Ländern. Zu ihren Schwachpunkten gehören teils weitreichende Ausnahmen von der Auskunftspflicht und zu hohe Gebühren



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