Regulierung sozialer Medien 26.06.2017

NetzDG bleibt trotz Nachbesserung problematisch

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Reporter ohne Grenzen begrüßt die Änderungen der Koalitionsfraktionen am geplanten Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet.

„Die Regierungsfraktionen haben einige wichtige Kritikpunkte an dem geplanten Gesetz aufgenommen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Erfreulich ist zum Beispiel, dass die Koalition auf Inhaltsfilter verzichtet und dass einige Straftatbestände wie Beleidigung des Bundespräsidenten nicht mehr von dem Gesetz erfasst werden sollen. Aber das Grundproblem bleibt ungelöst: Durch die kurzen Löschfristen besteht weiterhin die Gefahr, dass Betreiber sozialer Netzwerke künftig im Zweifel lieber zu oft als zu selten Inhalte entfernen werden.“

Mihr ergänzte: „Unklar bleibt auch, welche Fälle an die neue Stelle zur Selbstregulierung weitergeleitet werden und nach welchen Kriterien dort entschieden wird, ob Inhalte gelöscht werden wollen. Das Verfahren bleibt letztlich genauso intransparent wie die bisherige Löschpraxis von Facebook und andere Betreibern sozialer Netzwerke.“

Über die zentrale Frage, unter welchen Umständen  Inhalte gelöscht werden müssen, sollten Regierung und Parlament deshalb nach Ansicht von Reporter ohne Grenzen noch einmal in Ruhe mit Vertretern der Zivilgesellschaft beraten und erst in der kommenden Legislaturperiode eine Entscheidung fällen. Beschlussreif sind zum jetzigen Zeitpunkt nur die Vorschriften zu den Transparenzpflichten der Betreiber sozialer Netzwerke und zur Benennung von Zustellungsbevollmächtigten.

Bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags hatten ROG und die anderen Sachverständigen am vergangenen Montag (19.6.) fast einhellig deutliche Kritik am sogenannten Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) geäußert. Die Fachpolitiker der Koalitionsfraktionen einigten sich daraufhin vor dem vergangenen Wochenende auf Änderungen an dem ursprünglich von Bundesjustizminister  Heiko Maas eingebrachten Entwurf. Die Koalition will das Gesetz Ende dieser Woche im Bundestag verabschieden.

Weniger Strafdelikte erfasst, Inhaltsfilter gekippt

In mehreren zentralen Fragen nehmen die nun vereinbarten Änderungen die Kritik auf.  So wollen die Koalitionspolitiker jetzt auf sogenannte Inhaltsfilter verzichten – digitale Systeme, die online gestellte Inhalte in Sekundenbruchteilen analysieren und gegebenenfalls an allen verfügbaren Stellen löschen. Dies hätte zur Folge gehabt, dass Menschen bestimmte Inhalte faktisch nicht mehr  hätten veröffentlichen können, obwohl sich keine juristische Instanz damit auseinandergesetzt hat, ob deren Inhalt strafbar ist oder nicht. Stattdessen soll nun – wie von ROG gefordert – nur noch über die Löschung von Inhalten entschieden werden, die von Nutzern als bedenklich gemeldet wurden.

Den Katalog der vom NetzDG erfassten Straftaten hat die Koalition stark reduziert und insbesondere Tatbestände mit Bezug zum Staat herausgenommen, so etwa die Beleidigung des Bundespräsidenten. Allerdings bleibt unklar, nach welchen Kriterien Straftatbestände in den Geltungsbereich des Gesetzes fallen oder nicht und warum sie überhaupt der Regelung in einem neuen Gesetz bedürfen. Eine empirische Datengrundlage fehlt nach wie vor.

Positiv ist auch, dass Nutzer nur nach entsprechender Entscheidung eines Richters und bei Straftaten, die ausdrücklich im NetzDG genannt werden, Auskunft über die Inhaber anonymer Nutzerkonten in sozialen Netzwerken verlangen dürfen. Das verringert die Gefahrt, dass durch überzogene Auskunftsrechte die Anonymität im Netz ausgehebelt wird.

Kernproblem ungelöst: kurze Löschfrist begünstigt „Overblocking“

Ungelöst bleibt allerdings das Kernproblem des Gesetzentwurfs: Die kurze Löschfrist von 24 Stunden für „offensichtlich rechtswidrige“ Inhalte wird das sogenannte Overblocking begünstigen – also die Tendenz, im Zweifel lieber zu oft als zu selten zu löschen, um als Betreiber eines sozialen Netzwerks keine Strafe zu riskieren. Für sonstige rechtswidrige Fälle hat die Koalition die zunächst vorgesehene Löschfrist von sieben Tagen aufgegeben; diese Fälle sollen an eine Stelle der „regulierten Selbstregulierung“ übergeben werden können. Nach welchen Kriterien die Unternehmen die Fälle kategorisieren sollen, bleibt jedoch unklar. Nach wie vor werden also Mitarbeiter privater Unternehmen unter hohem Zeitdruck hochkomplexe äußerungsrechtliche Abwägungen vornehmen müssen, deren Klärung in Gerichtsverfahren sonst oft Monate in Anspruch nimmt.

Unverständlich ist, warum der überarbeitete Gesetzentwurf nur noch halb- statt vierteljährliche Transparenzberichte der Netzwerkbetreiber vorsieht. Hier sollten die Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden, um endlich verlässliche Daten über die tatsächliche Dimension sogenannter Hassäußerungen und über die Löschpraktiken der sozialen Netzwerke zu erhalten.

Zu begrüßen ist dagegen die Neuerung, dass die von den Unternehmen zu benennenden Zustellungsbevollmächtigten binnen 48 Stunden auf Behördenanfragen antworten müssen. Diese Kontaktstellen für Strafermittler werden dazu beitragen, dass Strafverfahren wirksam durchgeführt werden können: Der ordentliche Gerichtsweg wird auf diese Weise erleichtert, und Straftäter können wirksamer verfolgt werden.  

Deutschland steht auf der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 16 von 180 Staaten. 



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