Russland 28.11.2019

Neuer ROG-Bericht zur Internetzensur

Die russische Staatsführung hat die Presse- und Meinungsfreiheit im Internet in den vergangenen Jahren systematisch eingeschränkt und nimmt dabei verstärkt internationale Plattformen wie Google, Facebook und Twitter in den Blick. Das geht aus einem Länderbericht über Internetzensur und Überwachung in Russland hervor, den Reporter ohne Grenzen heute veröffentlicht. Der Bericht beschreibt das russische System der Massenüberwachung, dokumentiert die Fälle derer, die wegen ihrer Online-Aktivitäten im Gefängnis sitzen und erörtert, inwieweit das Anfang November in Kraft getretene Gesetz über ein abgekoppeltes Internet mit den derzeitigen technischen Möglichkeiten überhaupt umsetzbar ist.

Der Bericht „Alles unter Kontrolle? Internetzensur und Überwachung in Russland“ kann hier heruntergeladen werden.

In englischer Sprache finden Sie den Bericht hier.

In russischer Sprache finden Sie den Bericht hier.

 „Durch die anlasslose Massenüberwachung der Bevölkerung verletzt die russische Regierung in eklatanter Weise Menschenrechte wie das Recht auf Privatsphäre oder auf Pressefreiheit“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Internationale Plattformen wie Google, Facebook und Twitter müssen in dieser Situation klar Stellung beziehen. Sie dürfen nicht mit russischen Behörden zusammenarbeiten und persönliche Daten von Nutzerinnen und Nutzern in Russland speichern oder bestimmte Inhalte blockieren, sonst werden sie zu Handlangern der Zensoren. Den Versuchen Russlands, die Zersplitterung des Internets in staatlich kontrollierte Teilnetze voranzutreiben, sollte die deutsche Regierung als Gastgeberin des diesjährigen Internet Governance Forums entschieden entgegentreten.“

Das Internet Governance Forum findet bis zum morgigen Freitag in Berlin statt. Einem Multi-Stakeholder-Ansatz folgend, diskutieren dort Vertreter und Vertreterinnen von Staaten und Unternehmen, internationalen Organisationen und zivilgesellschaftlichen Gruppen darüber, wie die Verwaltung des Internets in Zukunft gestaltet werden soll. Die russische Regierung kritisiert in diesen Debatten seit Langem die Sonderstellung der USA, wo mit der ICANN eine der wichtigsten Institutionen sitzt und die zentrale Datenbank im Adress-System des Internets (die DNS Root Zone) verwaltet. Die Kreml-Führung versucht, als Gegenpol dazu die Rolle der Internationalen Telecommunication Union (ITU) zu stärken, einer Sonderorganisation der Vereinten Nationen, und nationalstaatlichen Regierungen so wieder ein größeres Gewicht in der Internet Governance zu verschaffen. Das russische Gesetz über ein eigenständiges Internet, das in Teilen Anfang November in Kraft trat, verfolgt diesen Ansatz, indem es die Kontrolle des russischen Staates über die Infrastruktur des Netzes ausweitet.

In dem heute erschienenen Bericht „Alles unter Kontrolle?“ zeichnet Reporter ohne Grenzen die Entwicklung der Internetzensur in Russland seit den Massenprotesten gegen Wladimir Putin 2011/12 nach. Er dokumentiert die Vielzahl der seither verabschiedeten Gesetze, die Inhalte verbieten, die Überwachung des Datenverkehrs verstärken und anonyme Online-Kommunikation unmöglich machen sollen. Er zeigt, mit welchen Mitteln kritische Redaktionen unter Druck gesetzt werden und wie die Behörden versuchen, einzelne Journalistinnen und Journalisten sowie Bloggerinnen und Blogger zum Schweigen zu bringen. Er beschreibt das russische System der Massenüberwachung mithilfe von SORM und informiert über neue Online-Medien, die allen Widrigkeiten zum Trotz über Missstände berichten.

Reporter ohne Grenzen analysiert außerdem die Bedeutung internationaler Plattformen wie Google, Twitter und Facebook für die Meinungsfreiheit in Russland und fordert sie zu einer klaren Position gegenüber einer Regierung auf, die Presse- und Meinungsfreiheit systematisch missachtet. Die Unternehmen müssen ihrer menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen und Forderungen von Staaten nach Zensur oder menschenrechtswidriger Inhaltskontrolle zurückweisen, heißt es in dem Bericht. Das gilt insbesondere für Forderungen der russischen Behörden, bestimmte Inhalte nicht mehr anzuzeigen oder zu verbreiten, solange dafür nicht der Beschluss eines unabhängigen Gerichts vorliegt oder wenn dies Menschenrechte verletzt.

Der Bericht fußt auf rund 30 Interviews mit Journalistinnen und Aktivisten, Anwälten und Menschenrechtsverteidigerinnen, die ROG-Pressereferentin Ulrike Gruska und ROG-Vorstandsmitglied Gemma Pörzgen in Moskau und Berlin geführt haben. Er wird am heutigen Donnerstag mit einer Podiumsdiskussion bei ROG vorgestellt und in der kommenden Woche auf Veranstaltungen in Berlin und Köln diskutiert.

Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Russland auf Rang 149 von 180 Staaten.



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