Themenbericht 30.11.2018

Journalisten im Visier organisierter Kriminalität

© picture alliance / dpa

Kritische Berichterstattung über organisierte Kriminalität bringt Journalisten weltweit in Lebensgefahr. Seit Anfang 2017 wurden mehr als 30 Medienschaffende von Verbrecherorganisationen getötet. Besonders gefährlich ist die Situation für Journalisten, die in Lateinamerika zu Drogenkartellen recherchieren. In Südostasien geraten Umweltjournalisten ins Visier der Sand-Mafia. In Europa stehen Zeitungsreporter zum Teil rund um die Uhr unter Polizeischutz. In einem ausführlichen Bericht hat Reporter ohne Grenzen (ROG) die Bedrohungslage für Medienschaffende untersucht, die dem organisierten Verbrechen auf der Spur sind.

„Journalisten, die über organisierte Kriminalität berichten, setzen dafür ihr Leben aufs Spiel. Regierungen müssen alles dafür tun, sie angemessen zu unterstützen und zu schützen. Dazu gehört auch, Schutzersuchen von Journalisten ernst zu nehmen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Ob in Mexiko, Italien, Japan oder Namibia – Organisierte Kriminalität kennt keine Landesgrenzen. Reporter ohne Grenzen hat für den Bericht in den vergangenen Monaten weltweit mit betroffenen Journalisten, ihren Kollegen und Familien gesprochen. Neben den mehr als 30 ermordeten Journalisten registrierte ROG seit Anfang 2017 weltweit mindestens fünf Mordversuche, bei denen entweder Täter oder Auftraggeber Mitglieder von Verbrecherorganisationen waren. Zudem gab es zahlreiche Drohungen und tätliche Übergriffe gegen Medienschaffende.

Tabuthema Drogenhandel 

Die Situation ist besonders gefährlich in Lateinamerika. Alleine in diesem Jahr haben organisierte kriminelle Gruppen mindestens zehn Journalisten in Brasilien, Kolumbien und Mexiko getötet, wo die Drogenkartelle das Sagen haben. Die tatsächliche Zahl könnte deutlich höher liegen, da sich Kriminelle und Politiker oft gegen Journalisten verbünden. Zu den Verbindungen zwischen Drogenbaronen und Vertretern des Staates zu recherchieren – ob Polizisten, Zollbeamte, das Militär, Gefängnispersonal oder Gouverneure – kommt einem Todesurteil gleich, egal welche Sichervorkehrungen getroffen wurden. 

Der Großteil der seit 2017 weltweit von Verbrecherorganisationen ermordeten Journalisten starb in Mexiko. Im August 2017 wurde der Journalist Cándido Ríos Vázquez aus der Kleinstadt Hueyapan zusammen mit zwei weiteren Personen vor einem Supermarkt erschossen. Vázquez hatte in der Vergangenheit zum lokalen Drogenschmuggel recherchiert. Fünf Monate vor seiner Ermordung war er in ein staatliches Schutzprogramm für Journalisten aufgenommen worden.

Der mexikanische Bundestaat Veracruz verfügt über den wichtigsten Hafen des Landes und ist dadurch ein bedeutender Umschlageplatz für das organisierte Verbrechen, insbesondere den Drogenhandel. Das Drogenkartell Los Zetas, das ROG zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit zählt, kämpft mit dem Kartell Jalisco Nueva Generación aggressiv um den Zugang zu Schmuggelrouten. Dabei geraten Journalisten und Menschenrechtsaktivisten immer wieder ins Kreuzfeuer

Im März 2018 wurden die ecuadorianischen Journalisten Javier Ortega und Paul Rivas sowie ihr Fahrer Efraín Segarra während Recherchen in der Provinz Esmeraldas nahe der kolumbianischen Grenze von der bewaffneten Gruppe Frente Oliver Sinisterra entführt und später ermordet. Die Gruppierung ist seit ihrer Abspaltung von der FARC im Drogenschmuggel tätig. 

Umweltjournalisten im Visier der Sand-Mafia

Von Lateinamerika über Afrika bis nach Asien brechen kriminelle Gruppen Umweltvorschriften, um Bodenschätze zu plündern. Sie verdienen Geld mit dem Abbau von Mineralien, Holz, Erdöl und Sand. Der indische Journalist Sandeep Sharma wurde im März 2018 im Bundesstaat Madhya Pradesh absichtlich von einem Muldenkipper überfahren. Er hatte dort über die sogenannte Sand-Mafia recherchiert, kriminelle Gruppen, die etwa nachts illegal ein Flussbett ausbaggern und damit ein Vermögen verdienen. Obwohl er die Polizei über Todesdrohungen gegen ihn informiert hatte, blieb diese untätig. Sharma hatte zuvor herausgefunden, dass ein örtlicher Polizeichef Verbindungen zur Sand-Mafia hat. Ende Juli griff eine Gruppe von 100 bis 200 Menschen zwei Fernsehjournalisten an, die im Bundesstaat Punjab zu illegalem Sand-Abbau recherchierten. Beide wurden verletzt, ihre Kameraausrüstung zerstört. 

Im Kambodscha wurden im August 2015 drei Journalisten verhaftet, nachdem sie illegale Baggerarbeiten an Küsten und Flussmündungen gefilmt hatten. Der ausgebaggerte Sand sollte nach Singapur exportiert werden. Die Journalisten saßen zehn Monate im Gefängnis.

Rund um die Uhr unter Polizeischutz

Das italienische Innenministerium gab im Dezember 2017 bekannt, dass im gleichen Jahr 196 italienische Journalisten Polizeischutz erhalten hatten. ROG geht davon aus, dass in Italien derzeit zehn Journalisten rund um die Uhr von Polizisten geschützt werden. Einer von ihnen ist Paolo Borrometi, ein Experte für die sizilianische Mafia. Seit seiner mutigen Berichterstattung für die Zeitung Giornale di Sicilia wird er immer wieder bedroht und rund um die Uhr von fünf Polizisten begleitet. Zwei maskierte Männer griffen ihn 2014 auf der Straße an und verletzten seine Schulter. Vor seinem Apartment in der Stadt Modica wurde ein Feuer gelegt. 2015 ging er ins „Exil“ nach Rom und schreibt von dort weiter über das organisierte Verbrechen. Auch Federica Angeli aus Ostia bei Rom steht seit 2013 unter Polizeischutz. Immer wieder erhält die Journalistin der Tageszeitung La Repubblica Todesdrohungen, auch ihre Kinder wurden bedroht. Trotzdem bleibt sie in Ostia und berichtet vor Ort über die kriminellen Machenschaften der Mafia.

Diese globalisiert sich und bringt nicht mehrnur Journalisten in Italien in Gefahr. Der 27-jährige slowakische Journalist Ján Kuciak wurde im Februar 2018 zusammen mit seiner Verlobten in ihrem Haus in Veľká Mača ermordet. Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er in Kooperation mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) investigativ über die Präsenz der kalabrischen ‘Ndrangheta in der Slowakei recherchiert. 

Wie Kuciak hatte auch die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia zur italienischen Mafia recherchiert, etwa zu den Finanzgeschäften der aus Neapel stammenden Camorra auf Malta. Sie deckte auf, dass die 'Ndrangheta als einer der europäischen Marktführer auf dem lukrativen Kokain-Markt mehr als eine Milliarde Euro in Online-Casinos auf Malta investiert hatten. Caruana Galizia wurde am 16. Oktober 2017 durch eine Autobombe getötet. In ihrem 2008 begonnenen einflussreichen Blog Running Commentary hatte sie Regierungskorruption, Bestechung, illegalen Handel und Offshore-Finanzgeschäfte in Malta angeprangert .

Der 44-jährige Journalist Paul Vugts arbeitet seit 21 Jahren für die Tageszeitung Het Parool in Amsterdam und recherchiert insbesondere zum Thema organisierte Kriminalität in den Niederlanden. Nachdem er über eine Mordserie einer Verbrecherorganisation berichtet hatte, drohte er, das nächste Opfer zu werden. Vugts musste aus seiner Wohnung ausziehen und ein gepanzertes Auto benutzen. Er stand mehr als sechs Monate unter Polizeischutz. 

Selbstzensur, Exil und Widerstand

In manchem Fällen ist die Angst vor Vergeltung so groß, dass gar nicht erst über organisiertes Verbrechen berichtet wird. In Japan etwa üben sich beim Thema Yakuza viele Medien in Selbstzensur. Der Begriff „Yakuza“ bezeichnet die vier Familien, die den Kern der organisierten Kriminalität in Japan ausmachen. Die Journalistin Makiko Segawa recherchierte 2012 zur Rolle des organisierten Verbrechens bei den Aufräumarbeiten am havarierten Atomkraftwerk in Fukushima. Keines der führenden japanischen Medien wollte ihren Artikel veröffentlichen. Schließlich erschien der Bericht auf Englisch auf einer Webseite eines für die japanische Öffentlichkeit wenig relevanten Magazins. 

Diejenigen, die sich trauen, über organisierte Kriminalität zu berichten, sind den Vergeltungsmaßnahmen oft schutzlos ausgeliefert. Denn in vielen Ländern versäumen es die Behörden, Journalisten ausreichend zu schützen. In Mexiko etwa funktionieren staatliche Schutzprogramme für Journalisten kaum, oft arbeiten Behörden und organisierte Kriminalität zusammen.

Angesichts der drohenden Gewalt haben einige Journalisten aufgegeben. Der Verleger Oscar Arturo Cantú Murguía etwa hat die mexikanische Zeitung Norte de Ciudad Juárez eingestellt, nachdem die Reporterin Miroslava Breach ermordet wurde. Einige Journalisten fliehen ins Exil, um sich und ihre Familien zu schützen.

Andere betrachten ihre Berichterstattung über die illegalen Machenschaften der Banden als beste Möglichkeit, sich selbst zu schützen. Dafür schließen sie sich auch mit anderen Journalisten zusammen und arbeiten gemeinsam an großen Recherchen in internationalen Netzwerken. Ein Beispiel dafür ist das 2006 gegründete Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP). Dank grenzüberschreitender Kooperationen können Journalisten auch in sicheren Ländern die Recherchen inhaftierter oder ermordeter Kollegen weiterführen können. Damit senden sie eine klare Botschaft an Verbrecherorganisationen weltweit, die kritische Berichterstattung um jeden Preis verhindern wollen.

Bei den Vereinten Nationen wirbt Reporter ohne Grenzen seit 2015 systematisch dafür, einen UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten zu berufen. Ziel ist, dass die UN-Vollversammlung einen solchen Sonderbeauftragten einsetzt und mit einem starken Mandat ausstattet. Hintergrund ist die seit vielen Jahren unverändert katastrophale Gefährdungslage für Journalisten in Kriegsländern wie Syrien, aber auch in Staaten wie Mexiko, wo Jahr für Jahr Journalisten ermordet werden, aber nur in den seltensten Fällen die Täter oder gar ihre Auftraggeber vor Gericht kommen.



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