Corona-Meldung

Rumänien 09.12.2020

Unabhängigen Journalismus schützen

Ein Mann steckt einen Umschlag in eine Wahlurne; hinter ihm sind Wahlkabinen in den Farben der rumänischen Nationalflagge zu sehen
Ein Mann bei der Präsidentschaftswahl © picture alliance / Xinhua News Agency / Gabriel Petrescu

Nach den Parlamentswahlen in Rumänien am vergangenen Sonntag (6.12.) appelliert Reporter ohne Grenzen an die nächste Regierung, die Presse- und Informationsfreiheit zu stärken. In den vergangenen Jahren wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk zunehmend unter staatliche Kontrolle gebracht, Inhalte wurden reguliert und Medienhäuser aus fraglichen Quellen finanziert. Im Zuge der Covid-19-Pandemie hat sich die Situation weiter zugespitzt. Informationen über die Pandemie wurden von der Regierung zurückgehalten, Nachrichtenportale willkürlich blockiert und Artikel gelöscht.

„Die neue Regierung muss die Presse- und Informationsfreiheit in Rumänien stärken“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wer auch immer nun die Regierungsgeschäfte übernimmt – Journalistinnen und Journalisten müssen frei berichten können. Gerade in Zeiten einer weltweiten Pandemie ist eine unabhängige Berichterstattung essenziell für das Wohl der Bevölkerung.“

Die Entwicklungen in Rumänien sind nur ein Beispiel für die zunehmenden Verletzungen der Pressefreiheit in Teilen Osteuropas. In den vergangenen Jahren wurde die Medienfreiheit insbesondere in Polen und Ungarn, aber auch in Slowenien, Tschechien und Bulgarien gravierend eingeschränkt. Mit einem Themenschwerpunkt Osteuropa macht Reporter ohne Grenzen auf diese Entwicklungen aufmerksam.

Zugang zu Informationen eingeschränkt

Nachdem die Covid-19-Pandemie im Februar 2020 auch Rumänien erreichte, verschlechterte sich die Lage der Informations- und Pressefreiheit. Als die Infektionszahlen am 16. März die 100er-Marke überschritten, rief der rumänische Präsident Klaus Iohannes den Ausnahmezustand aus. Am gleichen Tag wurde ein Präsidialdekret erlassen, das Grundrechte der rumänischen Bürgerinnen und Bürger für den Zeitraum des Ausnahmezustands bis Mitte Mai einschränkte.

Schon zuvor war es für Medienschaffende schwierig gewesen, an Behördeninformationen zu gelangen, da Beamtinnen und Beamte die Herausgabe oft verzögerten. Obwohl die gesetzlich vorgeschriebene Antwortfrist bei einfachen Anfragen bei zehn Tagen, bei komplexeren Anfragen bei 30 Tagen und bei Presseanfragen bei 24 Stunden lagen, wurde dies nur in Ausnahmefällen eingehalten. Diese Tendenz bestätigte im September auch ein Bericht der Europäischen Kommission über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in der EU. Als häufigsten Grund für den erschwerten Zugriff auf Informationen nannte der Bericht die Fehlinterpretation der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) der EU.

Das Präsidialdekret vom 16. März gab Behörden doppelt so viel Zeit, auf Anfragen von Journalistinnen und Bürgern zu antworten. Komplexere Anfragen mussten somit erst nach 60 Tagen beantwortet werden. Im Hinblick auf die neue Gesetzeslage weigerten sich zwei Bezirksämter generell, auf Anfragen von Medienschaffenden zu reagieren.

Kurz darauf trat außerdem eine Anordnung des rumänischen Innenministeriums in Kraft, die es offiziell verbot, Informationen über die Zahl der bestätigten Covid-19-Fälle, die Anzahl der durchgeführten Tests, den Gesundheitszustand infizierter Personen sowie über potentielle Orte für Quarantänezentren zu veröffentlichen. Als Journalistinnen und Journalisten sowie Medienorganisationen dagegen protestierten, betraute die Regierung neben dem Gesundheits- und Innenministerium auch eine Gruppe von Expertinnen und Experten mit der Veröffentlichung dieser Informationen. Welche Personen konkret als Expertinnen und Experten eingesetzt wurden, teilte die Regierung indes nicht mit.

Webseiten blockiert und Artikel gelöscht

Das Präsidialdekret erteilte den Behörden zudem die Befugnis, Nachrichten-Webseiten zu sperren und Artikel zu löschen, wenn diese angebliche Falschinformationen über das Corona-Virus enthielten. Eine genauere Definition, was per Dekret als Falschinformation galt, wurde jedoch nicht veröffentlicht. Dementsprechend willkürlich wurden fünfzehn Nachrichtenportale gesperrt und zwei bereits veröffentliche Artikel wieder gelöscht, darunter ein Beitrag des Hauptstadt-Radiosenders Bucuresti FM. Zuständig für das Blockieren von Webseiten und das Löschen von Inhalten war die Regierungsbehörde ANCOM, die auf Empfehlung einer eigens für die Krise eingerichteten und im Innenministerium angesiedelten Strategischen Kommunikationsgruppe agierte. Die Mitglieder der Gruppe wurden trotz Nachfrage der rumänischen Nichtregierungsorganisationen Center for Independent Journalism (CJI) und Active Watch, einer Partnerorganisation von RSF, sowie der Tageszeitung Libertatea nicht öffentlich gemacht.

Die Entscheidungen von ANCOM konnten im Nachgang nicht über rechtliche Wege angefochten werden. Nachdem der Ausnahmezustand Mitte Mai wieder beendet wurde, stellte ANCOM laut offiziellen Angaben alle gelöschten Inhalte wieder her. Außerdem konnte einer Großteil der gesperrten Webseiten wieder online gehen.

Investigativer Journalismus unter Druck

Besonders der investigative Journalismus war in den letzten Jahren zunehmender Schikane durch Politik und Behörden ausgesetzt und stand unter permanentem Druck, seine Informationsquellen zu veröffentlichen. Im Zuge der Covid-19-Pandemie haben zahlreiche Onlineportale trotz des erhöhten Drucks Informationen über die missliche Lage des staatlichen Gesundheitssystems aufgedeckt.

Investigative Recherchen ergaben unter anderem, dass die Regierung in der Hochphase der Pandemie zwielichtige Firmen mit der Beschaffung von lebensnotwendiger Schutzausrüstung beauftragte – ohne ohne offizielle Ausschreibungen und zu überhöhten Preisen. Offizielle Stellungsnahmen dazu einzuholen, war aufgrund der verlängerten Auskunftspflicht der Behörden beinahe unmöglich.

Selbstzensur unabhängiger Medien

Der rumänische Journalismus ist in großen Teilen von staatlichen und privaten Werbeanzeigen abhängig. Nach der Wirtschafts- und Finanzkrise in den Jahren 2008 und 2009 brach ein großer Teil des Werbemarktes ein, so dass rumänische Medien seither um die wenigen Anzeigen ringen. Zwangsläufig passen sich deshalb immer mehr Redaktionen den politischen Vorgaben der Regierung an. Medien, die sich einer solchen Selbstzensur verweigern, müssen damit rechnen, geschlossen zu werden.

Auch wenn das Interesse der rumänischen Bevölkerung an verlässlichen Informationen während der Covid-19-Pandemie grundsätzlich anstieg, profitierten davon laut des Medienforschungsinstituts BRAT vor allem Fernsehsender und Onlineportale. Indes waren Printmedien, die weniger Exemplare druckten und verkauften, auf staatliche Unterstützung angewiesen. Diese wurde ihnen allerdings nur zugesprochen, wenn sie eine staatliche Informationskampagne über die Pandemie mit Werbeanzeigen unterstützten.

Staatliche Kontrolle über öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Bereits vor dem Beginn der Covid-19-Pandemie hatten die Einschränkungen der Informations- und Pressefreiheit in Rumänien kontinuierlich zugenommen. Für die Vergabe von Frequenzen und Lizenzen sowie für die Überwachung von Inhalten ist der Nationale Audiovisuelle Rat (CNA) verantwortlich. Die Vorstandswahlen des CNA sind oftmals politisiert, weshalb die Regulierungsbehörde häufig parteiisch entscheidet. Im Januar 2019 zum Beispiel blendete der CNA einen Bericht des privaten Fernsehsenders Realitatea TV über Massenproteste gegen die Regierung in Bukarest während der Übertragung aus. Offiziell hieß es, Realitatea TV habe nicht objektiv berichtet.

Außerdem gründeten zahlreiche Unternehmen in den vergangenen Jahren eigene Medien, um ihre Interessen gezielt durchzusetzen oder Meinungen flächendeckend zu verbreiten. Diesen Trend beschrieb die NGO ActiveWatch bereits 2012 in ihrem Bericht „Media Freedom in Romania“. Seither hat sich das Zusammenspiel aus Medienhäusern, Unternehmen und der Regierung fest in der Gesellschaft etabliert.

Diese Entwicklung ist besorgniserregend, da auch Rumäniens öffentlich-rechtlicher Rundfunk nicht mehr unabhängig agiert, sondern von regierungsnahen Mitgliedern kontrolliert wird. Kurz nach der Parlamentswahl im Jahr 2012 wurde etwa der Aufsichtsrat des öffentlichen Fernsehsenders TVR ausgetauscht und mit Mitgliedern besetzt, die dem Regierungsapparat nahestanden. Die Journalistengewerkschaft FAIR-Mediasind deckte diese Unregelmäßigkeiten später gemeinsam mit der Zeitung Libertatea auf. Im Juli 2020 veröffentlichte FAIR Mediasind eine öffentliche Stellungsnahme, die der Direktion von TVR, Doina Gradea, versuchte Einschüchterung von Mitgliedern der Gewerkschaft vorwarf. Daraufhin drohte das Management von TVR der Gewerkschaft mit einer Klage wegen angeblicher Verleumdung.

Anfang 2019 kehrte der US-Auslandssender Radio Free Europe (RFE / RL), in Rumänien als Europa Liberă bekannt, in digitaler Form in die rumänische Hauptstadt zurück. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs hatte sich der staatliche Sender der US Agency for Global Media (USAGM) aus weiten Teilen Osteuropas zurückgezogen. Mit dem Erstarken von autoritären Strukturen nahm er seine Dienste nicht nur in Rumänien, sondern auch in Ungarn und Bulgarien wieder auf.

Im Oktober 2019 stimmte die Europäische Kommission der Fusion des Mischkonzerns PPF, die dem tschechischen Multimilliardär Petr Kellner gehört, mit der Senderkette Central European Media Enterprises (CME) zu. Seither besitzt Kellner 30 Fernsehsender und erreicht rund 45 Millionen Menschen in Rumänien, Bulgarien, Tschechien, Slowenien und der Slowakei. In einem offenen Brief erinnerten RSF und vier weitere Organisationen Kellner angesichts der Einschränkungen der Medienfreiheit und des wachsenden Drucks auf unabhängigen Journalismus in der Region an seine Verantwortung. Kellner pflegte zuletzt gute Beziehungen zu einigen osteuropäischen Staatsoberhäuptern und zur Volksrepublik China.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit befindet sich Rumänien auf Platz 48 von 180 Staaten.



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