RSS Newsfeed der Reporter ohne Grenzen für Informationsfreiheit https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rss.xml de-de https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/templates/assets/img/logo-rog.png RSS Newsfeed der Reporter ohne Grenzen für Informationsfreiheit https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rss.xml Auslieferung von Assange rückt gefährlich nahe Reporter ohne Grenzen (RSF) ist zutiefst besorgt über die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs, die Berufung von WikiLeaks-Gründer Julian Assange gegen seine Auslieferung an die USA abzulehnen. Die Gefahr, dass er tatsächlich ausgeliefert wird, ist nun so real wie nie zuvor. In den USA droht er wegen der Veröffentlichung geheimer Informationen über Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen des US-Militärs im Jahr 2010 den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen zu müssen. Konkret drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft.

In einer dreiseitigen schriftlichen Entscheidung vom 6. Juni 2023 wies ein Richter Assanges Berufung gegen den von der damaligen britischen Innenministerin Priti Patel im Juni 2022 unterzeichneten Auslieferungsbefehl in allen acht Punkten zurück. Damit bleibt Assange nur noch eine letzte Möglichkeit innerhalb des britischen Justizsystems: Die Verteidigung hat fünf Arbeitstage Zeit, um eine weitere Berufung im Umfang von höchstens 20 Seiten bei einem aus zwei Richtern bestehenden Gremium einzureichen. Darauf folgt eine öffentliche Anhörung. Bei einer weiteren Ablehnung bliebe als letzte Option, den Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen. Doch ob eine Entscheidung dort seine Auslieferung verhindern kann, ist fraglich.

„Es ist unfassbar, dass ein einzelner Richter mit einer dreiseitigen Entscheidung Julian Assange der Gefahr aussetzen kann, den Rest seines Lebens im Gefängnis verbringen zu müssen – und zugleich das weltweite Klima für den Journalismus nachhaltig beeinflussen kann“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die historische Dimension dessen, was als Nächstes geschieht, könnte größer nicht sein. Es ist an der Zeit, diesem unerbittlichen Feldzug gegen Assange ein Ende zu setzen. Unser Appell an US-Präsident Joe Biden ist jetzt dringlicher denn je: Lassen Sie die Anklage fallen, stellen Sie das Verfahren ein und ermöglichen Sie, dass Julian Assange umgehend freikommt.“

Julian Assanges Ehefrau Stella erklärte auf Twitter, dass er am kommenden Dienstag erneut Antrag beim Obersten Gerichtshof Berufung einlegen werde. Die Sache werde dann in einer öffentlichen Anhörung vor zwei anderen Richtern am Obersten Gerichtshof verhandelt.  „Wir sind weiterhin optimistisch, dass wir gewinnen werden und Julian nicht an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird.“

Mit der jüngsten Entscheidung beginnt die letzte Phase einer mehr als dreijährigen Odyssee vor britischen Gerichten. Das Verfahren geht zurück auf einen Auslieferungsantrag der USA, die Assange in Zusammenhang mit der Veröffentlichung hunderttausender geleakter geheimer Dokumente durch WikiLeaks in 18 Punkten angeklagt haben, unter anderem nach dem US-Spionagegesetz, das keine Ausnahmen für Veröffentlichungen von besonderem öffentlichem Interesse vorsieht.

Nachdem im Januar 2021 ein Gericht in erster Instanz eine Auslieferung mit Verweis auf Assanges psychische Gesundheit abgelehnt hatte, hob ein Berufungsgericht Dezember desselben Jahres die Entscheidung aufgrund von Zusicherungen der US-Regierung, sie werde Assanges Sicherheit gewährleisten, auf. Assange wäre der erste Verleger, dem in den USA nach dem Spionagegesetz der Prozess gemacht wird. 

RSF ist die einzige Nichtregierungsorganisation, die trotz zahlreicher Hindernisse das gesamte Auslieferungsverfahren beobachtet hat. Im April 2023 wurde RSF-Generalsekretär Christophe Deloire und Kampagnendirektorin Rebecca Vincent in letzter Minute willkürlich ein bereits genehmigter Besuch im Belmarsh-Gefängnis verweigert. In der Hochsicherheitsanstalt sitzt Assange seit mehr als vier Jahren in Untersuchungshaft. RSF bemüht sich weiterhin um einen Besuchstermin und setzt sich weltweit für die Freilassung von Julian Assange ein.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Vereinigte Königreich auf Platz 26, die USA stehen auf Platz 45 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Thu, 08 Jun 2023 18:05:00 +0200
Schutzgarantien für Medienschaffende sind nötig Betroffene von Hass und Hetze im Internet sollen sich zukünftig besser juristisch wehren können. Dafür will die Ampel-Koalition ein Gesetz gegen digitale Gewalt auf den Weg bringen. Reporter ohne Grenzen (RSF) und die Neuen deutschen Medienmacher*innen (NdM) begrüßen in einer gemeinsamen Stellungnahme den Vorschlag des Bundesministeriums der Justiz zu einem solchen Gesetz, empfehlen jedoch Nachbesserungen. Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen Medienschaffende sollte das Gesetz diese explizit als zu schützende Berufsgruppe nennen.

„Als Journalist oder Journalistin zu arbeiten, kann heute brandgefährlich sein, auch in Deutschland“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Zahl der physischen Angriffe steigt, und im digitalen Raum dreht sich die Gewaltspirale häufig noch weiter. Ein Gesetz gegen digitale Gewalt ist deshalb dringend nötig, und wir hoffen, dass unsere Vorschläge in den Gesetzestext Eingang finden.“

„Für Medienschaffende – insbesondere Journalistinnen of Color – steigt der Druck durch Anfeindungen und Bedrohungen. Wir brauchen Schutzgarantien, damit wichtige Stimmen nicht verstummen“, ergänzte Elena Kountidou, Geschäftsführerin der NdM.

Reporter ohne Grenzen hat im vergangenen Jahr 103 physische Angriffe auf Journalistinnen und Reporter verifiziert. Das vollständige Ausmaß digitaler Gewalt ist aufgrund einer fehlenden systematischen, kontinuierlichen Erhebung nicht erfasst. Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen.

Medienschaffende sollten als zu schützende Berufsgruppe benannt werden

RSF und NdM empfehlen deshalb, Medienschaffende explizit als zu schützende Berufsgruppe in dem Gesetz gegen digitale Gewalt zu nennen, um ihnen die Möglichkeit zu bieten, sich gegen digitale Gewalt zu wehren. Die Organisationen sehen auch Nachbesserungsbedarf beim zugrundeliegenden Verständnis von digitaler Gewalt, bei der Sicherung von Anonymität im Internet sowie der richterlich angeordneten Accountsperre.

Begriff der digitalen Gewalt verlangt klare Definition

Der Gesetzestext sollte verschiedene Formen digitaler Gewalt klar definieren und als ein intersektionales, mehrsprachiges Phänomen begreifen. Nur so können Medienschaffende mit und ohne Migrationsgeschichte sowie Exiljournalistinnen und -journalisten effektiv geschützt werden.

Denn bei diesen Personengruppen konzentriert sich der Hass nicht nur auf veröffentlichte Inhalte, sondern auch auf ihre (vermeintliche) Herkunft, ihre Geschlechtszugehörigkeit oder Hautfarbe. Exiljournalistinnen und -journalisten sind häufig sowohl in Deutschland als auch aus ihrem Heimatland bedroht.

Private Auskunftsverfahren könnten Recht auf Anonymität im Netz gefährden

Das Justizministerium will Betroffene von digitaler Gewalt besser als bisher in die Lage versetzen, von sozialen Netzwerken Auskunft über die Identität von Verfasserinnen und Verfasser rechtsverletzender Kommentare zu verlangen. RSF und NdM begrüßen dieses Anliegen, befürchten allerdings, dass der aktuelle Ansatz des Ministeriums das Recht auf Anonymität im Netz gefährdet.

Dieses Recht darf nicht leichtfertig aufgegeben werden. Denn in vielen Bereichen der journalistischen Arbeit ist es essentiell, anonym arbeiten zu können; etwa wenn sich Quellen an Journalistinnen und Journalisten wenden wollen oder Medien über Ländergrenzen hinaus verdeckt arbeiten müssen. Eine Reform der Auskunftsverfahren sollte schonend und maßvoll mit besonderem Blick auf Missbrauchspotenziale evaluiert werden.

Accountsperre: Gesetz muss mehr auf die Betroffenen eingehen

Die Praxis zeigt: Medienschaffende werden häufig und regelmäßig von mehreren Accounts gleichzeitig angegriffen („Shitstorm“). Das Eckpunktepapier gibt keine Antwort darauf, ob mehrere Accountsperren innerhalb eines Gerichtsverfahrens möglich sind. Diese klaren Regelungen braucht es jedoch, damit Journalistinnen und Reporter Gerichtsverfahren auf sich nehmen und sich damit gegen Hass im Netz zu Wehr setzen können.

Soziale Netzwerke zu einer zuständigen Stelle für Klagen zu verpflichten, begrüßen RSF und NdM. Denn das erleichtert es allen Betroffenen, sich gegen Gewalt im Netz juristisch zur Wehr zu setzen.

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Pressemitteilungen Tue, 30 May 2023 12:00:00 +0200
Anklage gegen FinFisher-Verantwortliche Wie die Staatsanwaltschaft München I heute mitgeteilt hat, hat sie am 3. Mai gegen vier Verantwortliche der FinFisher-Unternehmensgruppe Anklage erhoben. Sie wirft ihnen vor, als damalige Geschäftsführer von GmbHs der FinFisher-Gruppe durch den Verkauf von Überwachungssoftware an Nicht-EU-Länder vorsätzlich gegen Genehmigungspflichten für Dual-Use-Güter verstoßen und sich damit strafbar gemacht zu haben.

Am 5. Juli 2019 hatten die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), Reporter ohne Grenzen (RSF), das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und netzpolitik.org Strafanzeige gegen mehrere Geschäftsführer der Unternehmen FinFisher GmbH, FinFisher Labs GmbH und Elaman GmbH erstattet. Grund dafür war, dass das Münchner Firmenkonglomerat die Spionagesoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die Türkei verkauft haben soll. Die vier zivilgesellschaftlichen Organisationen begrüßen die Anklageerhebung außerordentlich.

„Das ist der zweite direkte Erfolg unserer Strafanzeige“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. Im Frühjahr 2022 musste die Unternehmensgruppe FinFisher den Geschäftsbetrieb einstellen. „Verletzungen der Pressefreiheit gehen heute in vielen Fällen mit dem Einsatz von Überwachungssoftware einher. Für die Betroffenen bedeutet jeder einzelne Fall einen massiven Eingriff in ihre Persönlichkeitsrechte. Vor allem in autoritären Staaten kann das für Journalisten und ihre Quellen, für Aktivistinnen und Oppositionelle dramatische Folgen haben.“

“FinFisher hat offenbar jahrelang Überwachungssoftware illegal an autoritäre Regierungen verkauft, und damit weltweit zur Überwachung und Unterdrückung von Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Oppositionellen beigetragen”, erklärte Sarah Lincoln, Juristin und Verfahrenskoordinatorin der GFF. “Dass die Verantwortlichen nun endlich belangt werden, ist ein längst überfälliges Signal, dass solche Verstöße nicht ungestraft bleiben dürfen.”

“Bislang konnten Firmen wie FinFisher trotz europäischer Exportregulierung fast ungehindert weltweit exportieren”, sagte Miriam Saage-Maaß, Legal Director des ECCHR. “Die heutige Anklageerhebung ist längst überfällig und führt hoffentlich zeitnah zur Verurteilung der verantwortlichen Geschäftsführer. Aber auch darüber hinaus müssen die EU und ihre Mitgliedstaaten viel entschiedener gegen den massiven Missbrauch von Überwachungstechnologie vorgehen.”

FinSpy war im Sommer 2017 auf einer türkischen Webseite aufgetaucht, die als Mobilisierungswebseite der türkischen Oppositionsbewegung des aktuellen Präsidentschaftskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu getarnt war, und ermöglichte so wahrscheinlich die Überwachung einer großen Zahl politischer Aktivistinnen und Aktivisten und Medienschaffender. Mit dem Programm kann der türkische Inlandsgeheimdienst MIT Menschen lokalisieren, ihre Telefongespräche und Chats mitschneiden und alle Handy- und Computerdaten auslesen. 

Der Export solcher Überwachungssoftware in Länder außerhalb der EU ist seit 2015 europaweit genehmigungspflichtig, Verstöße sind strafbar. Die Bundesregierung hat seit 2015 keine Exportgenehmigungen für Überwachungssoftware erteilt. Dennoch tauchen aktuelle Versionen des FinSpy-Trojaners immer wieder in Ländern mit repressiven Regimen auf, etwa in Ägypten, in Myanmar oder eben in der Türkei. Die Behörden unter Präsident Recep Tayyip Erdoğan, der in einer Stichwahl am 28. Mai um eine weitere Amtszeit kämpft, setzen eine ganze Reihe von Methoden ein, um türkische Medienschaffende im In- und Ausland zu verfolgen.

Reporter ohne Grenzen arbeitet bereits seit 2013 zu FinFisher. Damals hatte die Organisation gemeinsam mit dem ECCHR, Privacy International, Bahrain Center for Human Rights (BCHR) und Bahrain Watch (BW) OECD-Beschwerden gegen die Münchener Trovicor GmbH und die britisch-deutsche Gamma Group, zu der FinFisher gehörte, eingereicht. Seit 2013 listet RSF FinFisher als einen „Feind des Internets“.

Ein breites Bündnis von Menschenrechts- und Pressefreiheitsorganisationen wirbt seit Jahren für ein Moratorium für den Verkauf, die Weitergabe und die Nutzung von Überwachungstechnologie. Es soll gelten, bis ein angemessener weltweit gültiger Rechtsrahmen geschaffen ist.

Als Reaktion auf die stetig ausgefeilter werdenden Werkzeuge zur Totalüberwachung – etwa durch den Staatstrojaner Pegasus der israelischen NSO-Group – startete RSF im Sommer 2022 das Digital Security Lab (DSL). An die Fachleute im Berliner RSF-Büro können sich Journalistinnen und Reporter wenden, die befürchten, dass ihre berufliche Kommunikation online ausspioniert wird. Das DSL analysiert digitale Angriffe auf Medienschaffende und berät Redaktionen und Einzelpersonen zu IT-Sicherheit rund um investigativen Journalismus.

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Pressemitteilungen Mon, 22 May 2023 17:03:00 +0200
Das Regime erzeugt ein Klima der Angst Nach einer kurzen Atempause lässt die iranische Regierung wieder verstärkt Medienschaffende verhaften. Reporter ohne Grenzen (RSF) ist beunruhigt über diese Entwicklung. Sie zeigt, dass die Behörden nicht nur die Berichterstattung über die Straßenproteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini, sondern auch jegliche Debatte über mögliche Reformen unterdrücken wollen.

„Teheran will, dass unabhängige Medienschaffende in einem Klima der Angst leben“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Das Regime setzt auf Razzien, körperliche Gewalt und Isolationshaft. Das ist nicht hinnehmbar. Die Herrscher müssen endlich verstehen, dass sich abweichende, unabhängige Stimmen nicht für immer unterdrücken lassen.“

Mehrmalige Haftstrafen, medizinische Vernachlässigung, Todesdrohungen

Zuletzt traf es die freiberufliche Fotojournalistin und Frauenrechtsaktivistin Alieh Motalebzadeh. Am 10. Mai stürmten sieben Polizisten Motalebzadehs Wohnung, durchsuchten sie und forderten die Journalistin anschließend auf, sich am 16. Mai zum Verhör bei der Staatsanwaltschaft im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis zu melden. Motalebzadeh geriet ins Visier der Behörden, weil sie am 21. April an einer Online-Konferenz mit dem Titel „Dialog zur Rettung des Iran“ teilgenommen hatte. Bei der Konferenz diskutierten Journalistinnen und Akademiker über die weit verbreitete Korruption in der Regierung und das harte Vorgehen gegen jegliche Andersdenkende.

Nach Motalebzadehs Festnahme twitterte ihre Tochter ein Foto von der aufgebrochenen Haustür. Obwohl ihre Mutter zu diesem Zeitpunkt allein gewesen sei, sei einer der Polizisten gewalttätig geworden. Laut der Tochter durchwühlten die Beamten das Haus mehr als vier Stunden lang und nahmen Motalebzadehs Handy und alle weiteren elektronischen Geräte mit.

Die Journalistin und Aktivistin ist zudem Vizepräsidentin der Iranischen Vereinigung zur Verteidigung der Pressefreiheit. Bereits im November 2016 wurde sie gewaltsam festgenommen. Einen Monat später kam sie gegen Kaution frei, musste aber ab 11. Oktober 2020 im Evin-Gefängnis eine dreijährige Haftstrafe wegen „Aktivitäten gegen die nationale Sicherheit“ antreten. Nach einem kurzen Hafturlaub aufgrund medizinischer Vernachlässigung und Drohungen im Gefängnis wurde sie am 12. April 2022 erneut inhaftiert. Am 10. Februar 2023 wurde sie gemeinsam mit anderen Medienschaffenden begnadigt.

Wochenlange Isolationshaft, Folter in den Gefängnissen

Einen Tag vor der erwähnten Konferenz zum „Dialog zur Rettung des Iran“, am 20. April, ließen die Behörden Keyvan Samimi verhaften, einen bekannten Journalisten und früheren Herausgeber der Monatszeitschrift Iran Farda. Der 73-jährige hatte zuvor seine Teilnahme an der Konferenz angekündigt. Unter dem Vorwurf, Kontakt zu einer ausländischen Sekte aufgenommen zu haben, wurde er fast drei Wochen lang in Isolationshaft gehalten. Seit dem 10. Mai sitzt er im Evin-Gefängnis. Vor allem diese Haftanstalt ist seit vielen Jahren für Misshandlungen berüchtigt. Die iranische Journalistin und Menschenrechtlerin Narges Mohammadi – 2022 mit dem RSF Press Freedom Award in der Kategorie Mut ausgezeichnet – hatte in ihrem Buch „Weiße Folter“ von den grausamen Zuständen in Evin und anderen Gefängnissen berichtet.

Keyvan Samimi war erst im Januar nach mehr als zwei Jahren Haft entlassen worden. Nach einer Vorladung ins Evin-Gefängnis war er am 24. August 2020 noch vor Ort verhaftet und später zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt worden. Wegen seinen Tätigkeiten als Journalist und Aktivist hatte Samimi bereits vor und nach der Revolution von 1979 mehrere Jahre im Gefängnis verbracht.

Am 3. Mai 2023 wurde zudem Sajjad Shahrabi verhaftet, Journalist beim staatlichen iranischen Rundfunk IRIB. Die Behörden ließen das Haus seines Vaters, in dem Shahrabi lebt, durchsuchen, beschlagnahmten Telefon und Laptop und brachten ihn ins Evin-Gefängnis. Was genau ihm vorgeworfen wird, ist noch nicht bekannt.

Seit dem Beginn der landesweiten Proteste nach dem Tod von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 in Polizeigewahrsam haben die iranischen Behörden 75 Journalistinnen und Reporter verhaftet. 17 von ihnen sind noch immer in Haft. Trotz einer Reihe von Begnadigungen werden viele von ihnen weiterhin schikaniert, bespitzelt oder bedroht. Nach RSF-Informationen haben die Behörden mindestens eine Begnadigung für einen Exiljournalisten kürzlich widerrufen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht der Iran auf Platz 177 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Fri, 19 May 2023 11:46:00 +0200
Rechtsakt zur Medienfreiheit stärker unterstützen Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die Mitgliedstaaten der EU und die Mitglieder des Europäischen Parlaments zu einer stärkeren Unterstützung des Europäischen Rechtsakt zur Medienfreiheit (European Media Freedom Act, EMFA) auf. Der EMFA hat großes Potenzial, europäische Standards für Pressefreiheit und redaktionelle Unabhängigkeit zu schaffen. Es gibt aber auch noch Luft nach oben. Der vorliegende Text sollte in Teilen verbessert werden, um das Recht auf verlässliche Nachrichten und Informationen wirksam zu schützen und einen nachhaltigen Journalismus zu fördern.

"Der EMFA muss kommen – Deutschland darf bei diesem wichtigen Vorhaben auf keinen Fall an der Seite von Ungarn und Polen stehen, die am Schutz der Medienfreiheit wenig Interesse haben", sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. "Zugleich sehen wir die große Chance, einige der geplanten Bestimmungen noch entscheidend zu verbessern und durchsetzungsstärker zu gestalten."

Noch im Juni könnten die EU-Staaten ihre Position zu dem Vorschlag festlegen, das EU-Parlament voraussichtlich im Oktober. Danach müssen sich die EU-Institutionen darauf verständigen, den Rechtsakt in Kraft zu setzen. RSF hat jetzt in einem Positionspapier die wichtigsten Punkte zusammengefasst, die aus Sicht der Organisation bei den kommenden Debatten berücksichtigt werden müssen:

  • Online-Plattformen müssen verpflichtet werden, Nachrichten und Informationen aus vertrauenswürdigen Quellen eine größere Sichtbarkeit zu verschaffen. Inhalte, die von Medien unter Einhaltung professioneller journalistischer Standards produziert werden, müssen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Online-Inhalten erhalten. Hierfür wäre die Journalism Trust Initiative (JTI) ein geeignetes Werkzeug. JTI ist ein maschinenlesbarer ISO-Standard, mit dem Mediendiensteanbieter nachweisen können, dass sie professionell arbeiten, um vertrauenswürdige Inhalte zu produzieren.
  • Journalismus, der professionelle und ethische Normen einhält, sollte in besonderer Weise vor Moderationsentscheidungen der Plattformen geschützt werden. Dies würde sicherstellen, dass Plattformen die Inhalte solcher Medien nicht missbräuchlich moderieren, während sie zugleich weiterhin in der Lage wären, Desinformation wirksam zu bekämpfen. Allerdings sind die Kriterien dafür, welche Medien in dieser Weise privilegiert werden sollten, bislang nicht klar genug formuliert. Auch hier könnte die Journalism Trust Initiative eine Lösung darstellen.
  • Die redaktionelle Unabhängigkeit von Journalistinnen und Journalisten muss besser gewährleistet werden. Sie sollten verpflichtet werden, Redaktionsstatute anzunehmen, die gemeinsam von Herausgeberschaft und Redaktionsteam ausgearbeitet werden, den Grundsätzen journalistischer Ethik entsprechen sowie klare Verfahrensregeln für inhaltliche Konflikte zwischen Eigentümer, Herausgeberinnen und Redakteure festlegen.
  • Wenn Eigentümerinnen und Eigentümer von Medien ihre Position missbrauchen, um die journalistische Arbeit der Redaktion zu beeinflussen, sollte dies strafbar sein – ähnlich wie bereits die Einflussnahme auf Amtsträgerinnen und Amtsträger strafrechtlich geahndet werden kann.
  • Es braucht einen klaren rechtlichen Rahmen zum Schutz demokratischer Informationsräume vor Propaganda und Desinformation. Es ist nicht hinnehmbar, dass Länder, die sich „abriegeln“ und keinerlei frei und unabhängige Medien zulassen, zugleich Propaganda und manipulative Inhalte im Ausland verbreiten, etwa über europäische Satelliten. Der EMFA sollte genutzt werden, um einen reziproken Schutzmechanismus einzuführen und Anreize für eine größere Öffnung der Medienmärkte in autoritären Staaten zu schaffen.

Reporter ohne Grenzen hatte bereits 2022 konkrete Empfehlungen für den EMFA abgegeben und diese, nachdem die Europäische Kommission im September ihren Entwurf vorgestellt hat, in einem fortlaufenden Dialog mit der Kommission, den Europaabgeordneten und den Mitgliedstaaten im Rat ergänzt.

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Pressemitteilungen Wed, 17 May 2023 12:26:00 +0200
Medien weltweit fordern Freiheit für Jimmy Lai Mehr als 100 prominente Chefredakteure, Verlegerinnen und leitende Redakteure aus der ganzen Welt fordern gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (RSF) die sofortige Freilassung des Hongkonger Verlegers Jimmy Lai. In einer beispiellosen Erklärung zeigen sie sich solidarisch mit dem seit 2020 inhaftierten Gründer der eingestellten Tageszeitung Apple Daily. Zu den 116 Unterzeichnenden aus 42 Ländern zählen auch die mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Dmitri Muratow und Maria Ressa.

Initiiert und koordiniert wurde der Aufruf von RSF. Der Appell soll auch auf die Lage der Pressefreiheit allgemein in der chinesischen Sonderveraltungszone aufmerksam machen, die sich in den vergangenen Jahren dramatisch verschlechtert hat. Besonders das 2020 von der Regierung in Peking verabschiedete nationale Sicherheitsgesetz dient häufig als Vorwand, um Journalistinnen und Journalisten zu verfolgen.

Der 75 Jahre alte Jimmy Lai ist zu einem Symbol im Kampf für Pressefreiheit in Hongkong und weltweit geworden. Lai, der auch Träger des RSF Press Freedom Award ist, hat sich 25 Jahre lang mit seinem unabhängigen Medienunternehmen Apple Daily für die Wahrung der Meinungs- und Pressefreiheit in Hongkong eingesetzt. Seit Dezember 2020 ist er in einem Hochsicherheitsgefängnis inhaftiert, eine Freilassung gegen Kaution wurde ihm wiederholt verweigert. Er wurde bereits wegen der Teilnahme an „unerlaubten“ prodemokratischen Protesten und wegen Betrugsvorwürfen zu Haftstrafen verurteilt. Am besorgniserregendsten aber ist, dass ihm nun eine lebenslange Haftstrafe auf Grundlage des drakonischen Sicherheitsgesetzes droht. Der Prozess soll am 25. September beginnen.

„Zusammen mit Reporter ohne Grenzen stehen wir an der Seite von Jimmy Lai. Wir glauben, dass er ins Visier der Behörden geraten ist, weil er unabhängige Recherchen veröffentlicht hat. Wir fordern die sofortige Freilassung von Jimmy Lai. Wir fordern, dass die gegen ihn im Zusammenhang mit dem ‚Sicherheitsgesetz‘ erhobenen Vorwürfe fallengelassen und die Urteile in anderen Anklagepunkten aufgehoben werden“, erklären die Unterzeichnenden. Sie fordern zugleich die Freilassung aller 13 derzeit in Hongkong inhaftierten Medienschaffenden sowie die Einstellung aller aktuell erhobenen Anklagen gegen 28 Journalistinnen und Journalisten, gegen die in den vergangenen drei Jahren das nationale Sicherheitsgesetz sowie andere Gesetze angewandt wurden.

Zu den Unterzeichnenden gehören der Friedensnobelpreisträger von 2021 Dmitri Muratow (Nowaja Gaseta), die Friedensnobelpreisträgerin von 2021 Maria Ressa (Rappler, Philippinen); Chefredakteur Wolfgang Krach und Chefredakteurin Judith Wittwer (Süddeutsche Zeitung), Chefredakteurin Ulrike Winkelmann (taz) und Chefredakteurin Jennifer Wilton (Die Welt) aus Deutschland; der Herausgeber der New York Times A. G. Sulzberger, Herausgeber der Washington Post Fred Ryan und Politico-Geschäftsführerin Goli Sheikholeslami sowie Chefredakteur Matthew Kaminski (USA); Chefredakteurinnen und -redakteure einer Vielzahl großer britischer Zeitungen, darunter Chris Evans (The Telegraph), Tony Gallagher (The Times), Victoria Newton (The Sun), Alison Philipps (The Daily Mirror) Ted Verity (Mail-Zeitungen) und Katharine Viner (The Guardian); die Chefredakteure von Libération Dov Alfon, von L’Express Éric Chol und von Le Monde Jérôme Fenoglio; der Chefredakteur von Expressen Klas Granström (Schweden) und viele mehr.

„Wir haben diese starken Stimmen zusammengebracht, um zu zeigen, dass die internationale Mediengemeinschaft es nicht hinnimmt, wenn einer ihrer Kollegen zu Unrecht verfolgt wird. Jimmy Lai und alle anderen in Hongkong inhaftierten Medienschaffenden müssen umgehend freigelassen werden. Die Verantwortlichen müssen dringend gegensteuern, um die schweren Schäden zu beheben, die der Pressefreiheit in Hongkong in den vergangenen drei Jahren zugefügt wurden“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr.

„Hongkong ist eine Stadt, die von der Angst umklammert wird. Wer die Behörden kritisiert, wird bedroht, strafrechtlich verfolgt und eingesperrt“, sagte Sebastien Lai, der Sohn von Jimmy Lai. „Mein Vater sitzt seit 2020 im Gefängnis, weil er sich gegen die Macht der Kommunistischen Partei Chinas ausgesprochen hat. Weil er für das eingetreten ist, woran er glaubt. Es ist zutiefst bewegend zu sehen, dass sich jetzt so viele starke Stimmen – Nobelpreistragende und viele der führenden Zeitungen und Medienorganisationen auf der ganzen Welt – für ihn aussprechen.“

In den vergangenen drei Jahren hat China das nationale Sicherheitsgesetz und andere Gesetze als Vorwand genutzt, um mindestens 28 Journalisten und Verteidigerinnen der Pressefreiheit in Hongkong strafrechtlich zu verfolgen. 13 von ihnen befinden sich nach wie vor in Haft, neben Lai sechs Mitarbeitende von Apple Daily. Die Zeitung wurde 2021 gezwungen, den Betrieb einzustellen – ein Schritt, der als Nagel im Sarg der Pressefreiheit in Hongkong angesehen wurde.

Den vollständigen Text der Erklärung und die Liste der Unterzeichnenden finden Sie hier.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Hongkong auf Platz 140 von 180 Ländern. China belegt Platz 179.

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Pressemitteilungen Tue, 16 May 2023 13:10:00 +0200
Zivilgesellschaft bemängelt Aufnahmeprogramm Grundlegende strukturelle Mängel gefährden den Erfolg des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan und enttäuschen damit die letzten Hoffnungen zehntausender schutzsuchender Menschen vor Ort, unter ihnen auch zahlreiche Journalistinnen und Journalisten. Das kritisieren Reporter ohne Grenzen (RSF) und zwölf weitere NGOs in einem gemeinsamen offenen Brief an Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock. Die Organisationen bemängeln unter anderem die kürzlich beschlossene Aussetzung des Visaverfahrens, den Ausschluss von in Drittstaaten geflohenen Personen und die Intransparenz im Auswahlverfahren. Die Zivilgesellschaft begrüßt in dem Brief zwar grundsätzlich das Programm, betont aber auch, dass sie die Auslagerung von Aufgaben, die eigentlich die Regierung selbst übernehmen sollte, ablehnt.

„Unsere Bilanz zur bisherigen Umsetzung des Bundesaufnahmeprogramms fällt kritisch aus“, heißt es in dem Brief, der am 11. Mai veröffentlicht wurde. „Wir bedauern, dass bis heute, ein halbes Jahr nach Bekanntgabe des Programms und mehr als eineinhalb Jahre nach der Machtübernahme der Taliban, noch keine einzige Aufnahmezusage über das Bundesaufnahmeprogramm erteilt werden konnte.“

Das am 17. Oktober angelaufene Bundesaufnahmeprogramm war ein Hoffnungsschimmer für viele unter den Taliban gefährdete Personen. Jeden Monat wollte die Bundesregierung 1.000 Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland holen. Reporter ohne Grenzen begleitet engmaschig und seit langer Zeit hochgefährdete Medienschaffende und kritisierte die zahlreichen Schwachstellen des Bundesaufnahmeprogramms schon kurz nach dessen Start. Auch sechs Monate später zog RSF eine ernüchternde Bilanz. Viele der anfänglichen Kritikpunkte bestehen weiter, einige Befürchtungen haben sich bewahrheitet.

Wie wichtig es ist, afghanische Journalistinnen und Reporter zu unterstützen, zeigt ein Blick auf die Lage der Pressefreiheit im Land. Die Taliban gehören zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit. Sie drohen und verfolgen Medienschaffende, nehmen Reporter fest, verdrängen Journalistinnen aus der Medienlandschaft, zensieren Berichte und durchsuchen Redaktionen. Medienmitarbeitende leiden zudem unter den Kämpfen zwischen den Ablegern des „Islamischen Staats“. Die Dschihadistenmiliz bekannte sich zu einem Bombenanschlag am 11. März in Mazar-i-Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh im Norden Afghanistans. Zwei Reporter starben, 15 wurden verletzt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Afghanistan auf Platz 152 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Fri, 12 May 2023 13:10:00 +0200
Erdogan verfolgt Journalisten auch im Exil Sie werden bedroht, physisch angegriffen und in Abwesenheit zu Haftstrafen verurteilt, sie können ihre Pässe nicht mehr verlängern oder geraten auf die Fahndungsliste von Interpol: Türkische regierungskritische Journalistinnen und Journalisten fürchten auch im Exil weiter um ihre Sicherheit. Die Behörden unter Präsident Recep Tayyip Erdogan, der bei den Wahlen an diesem Wochenende eine weitere Amtszeit anstrebt, setzen eine ganze Reihe von Methoden ein, um türkische Medienschaffende im In- und Ausland zu verfolgen. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert ein Ende dieser systematischen Einschüchterung

„Die Türkei braucht ein neues politisches Klima, das die Rechte von Medienschaffenden und die Pressefreiheit sowohl im Land selber als auch im Ausland respektiert“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wir fordern die künftige Führung der Türkei auf, die seit Jahren anhaltenden, unerträglichen Schikanen gegen türkische Journalistinnen und Journalisten im Exil zu beenden.“

Mehrere hundert regierungskritische Medienschaffende aus der Türkei leben in europäischen Ländern im Exil, in Deutschland insbesondere in Berlin und Köln. An Beispielen für die aggressive Methoden, mit denen die türkischen Behörden sie auch dort weiter verfolgen, mangelt es nicht. Unter den Betroffenen ist etwa der Journalist Akin Olgun, dem nach einem Prozess im Jahr 1995 politisches Asyl im Vereinigten Königreich gewährt wurde und der heute sowohl die britische als auch die türkische Staatsangehörigkeit besitzt.

Olgun wurde nach seiner Festnahme auf der griechischen Insel Kos am 13. Oktober 2022 mehr als einen Monat lang in Präventivhaft gehalten, weil die türkischen Behörden einen Interpol-Fahndungsaufruf („Red Notice“) beantragt und seine Auslieferung gefordert hatten. Sein angebliches Verbrechen: Olgun hatte in sozialen Medien die Information geteilt, dass der Schwiegersohn von Präsident Erdogan, Berat Albayrak, nach seinem Rücktritt als Finanzminister nach London gezogen war. RSF hatte auch in Zusammenhang mit anderen Ländern bereits über den Missbrauch der Fahndungsaufrufe von Interpol durch repressive Regierungen berichtet. 

In Abwesenheit zu jahrelanger Haft verurteilt

Auch die seit mehreren Jahren andauernde Verfolgung von Can Dündar veranschaulicht, mit welch vielfältigen Methoden die türkischen Behörden versuchen, kritische Journalistinnen und Journalisten mundtot zu machen. Der ehemalige Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet war im November 2015 inhaftiert worden. Die Zeitung hatte Fotos und ein Video veröffentlicht, die eine Beteiligung des türkischen Geheimdienstes an Waffenlieferungen an Islamisten in Syrien nahelegen. Während des Prozesses hatte ein Attentäter in einer Pause mehrere Schüsse auf Dündar abgegeben, den Journalisten aber verfehlt. Dündar lebt seit Sommer 2016 im Exil in Deutschland. Er gründete dort die türkischsprachige Nachrichtenseite Özgürüz („Wir sind frei“).

Ende Dezember 2020 verurteilte ihn ein Gericht in Abwesenheit zu mehr als 27 Jahren Haft. Die Justiz wirft ihm vor, „Informationen über den Staat zum Zweck der politischen oder militärischen Spionage beschafft“ sowie „die illegale Organisation von Fethullah Gülen unterstützt“ zu haben. Die türkischen Behörden betrachten Gülen als Drahtzieher des gescheiterten Putsches gegen Erdogan im Juli 2016.

Aber das ist noch nicht alles. Dündar droht eine weitere Gefängnisstrafe, weil er am 1. März 2017 ein Video auf Özgürüz veröffentlicht hat, in dem es um dieselben Waffenlieferungen an Gruppen in Syrien geht. Ihm droht zudem eine lebenslange Haftstrafe im Zusammenhang mit der angeblichen „Unterstützung der Massendemonstrationen im Gezi-Park“ in Istanbul im Frühjahr 2013. Seit September 2022 laufen gegen ihn außerdem Ermittlungen wegen „Beleidigung des Präsidenten“ in einem Kommentar auf YouTube.

Gewalt gegen Exiljournalist

Im Juli 2021 griffen drei mit Messern bewaffnete Männer den regierungskritischen türkischen Journalisten Erk Acarer auf dem Hof seines Mehrfamilienhauses in Berlin an. Seine Verletzungen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Acarer berichtete damals auf Twitter, dass er die Täter kenne und diese ihm gesagt haben, er solle nicht wieder schreiben. Die Täter wurden nicht identifiziert, es wird jedoch vermutet, dass es sich um Anhänger der türkischen Regierungspartei AKP handelte.

Acarer ist ehemaliger Kolumnist der linken Tageszeitung BirGün und arbeitete in der Türkei für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, darunter Cumhuriyet, Sabah, Habertürk und Milliyet. Aufgrund seiner kritischen Berichterstattung war er in der Türkei immer wieder bedroht worden. Der Journalist ist 2017 mit einem RSF-Nothilfe-Stipendium nach Deutschland gekommen und lebt seitdem im Exil in Berlin.

In den vergangenen Jahren gab es auch in Schweden physische Angriffe auf dort lebende türkische Journalistinnen und Journalisten, denen die türkischen Behörden vorwerfen, der Bewegung von Fethullah Gülen anzugehören.

Diplomatischer Druck und Erpressung

Auch Ragip Zarakolu, Schriftsteller und Kolumnist der linken Tageszeitung Evrensel, sorgt sich um seine Sicherheit. Der Name des seit 2012 in Schweden lebenden Journalisten steht auf einer Liste von „Terroristen“, deren Auslieferung die türkische Regierung im Gegenzug für die Aufhebung ihres Vetos gegen den schwedischen NATO-Beitritt fordert. Bevor er aus der Türkei floh, wurde Zarakolu wegen Mitgliedschaft in der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei (PKK) angeklagt. Im Dezember 2019 ordnete ein türkisches Gericht die „teilweise Beschlagnahme“ seines Eigentums an, um ihn zur Rückkehr zu zwingen.

Ende 2011 saß Zarakolu in der Türkei bereits für fünf Monate im Gefängnis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied im September 2020, dass die Inhaftierung „willkürlich“ war. Die türkischen Behörden werfen dem Journalisten zudem vor, auf der Nachrichtenseite Arti Gerçek den Putschversuch von 2016 gelobt und Präsident Erdogan bedroht zu haben. Das Medium wurde von in Deutschland ansässigen türkischen Journalistinnen und Journalisten ins Leben gerufen.

Ins Asylverfahren gezwungen

Viele in Europa lebende türkische Medienschaffende haben RSF berichtet, dass die türkischen Behörden ihnen konsularische Dienstleistungen wie Reisepassverlängerungen verweigern, wenn gegen sie in der Türkei ein Gerichtsverfahren läuft oder ein Haftbefehl vorliegt. Infolgedessen waren einige Journalistinnen und Journalisten gezwungen, politisches Asyl zu beantragen. Unter ihnen ist Fehim Tastekin, ein bekannter Nahost-Experte und Kolumnist der Nachrichtenseite GazeteDuvar, der seit Januar 2017 im Exil in Frankreich lebt.

Dutzende andere Medienschaffende wie Kutlu Esendemir, Baransel Agca, Metin Cihan und Ertugrul Mavioglu müssen seit Jahren im Ausland leben, da sie in der Türkei auf vielfältige Weise bedroht und eingeschränkt werden.

Wie das aussehen kann, zeigt beispielhaft der Fall von Bülent Mumay. Vor einer Woche verurteilte ein Gericht in Istanbul den Journalisten zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung, nachdem er sich auf Twitter der von einem regierungsnahen Bauunternehmen erwirkten Zensur widersetzt hat. Mumay arbeitet in der Türkei unter anderem für die Deutsche Welle und die FAZ.

Auf der neuen Rangliste der Pressefreiheit hat sich die Türkei um 16 Plätze verschlechtert und belegt nun Rang 165. Mindestens 32 Medienschaffende sitzen dort wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Kurz vor den Wahlen, die das Ende der 20-jährigen Herrschaft von Erdogan besiegeln könnten, hat der Präsident die Daumenschrauben für die Presse noch einmal angezogen. Neue Anklagen, Massenverhaftungen und das „Desinformationsgesetz“ sind nur einige Beispiele. 

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Pressemitteilungen Wed, 10 May 2023 14:10:00 +0200
Unterdrückung von Berichterstattung nimmt zu Krisen, Kriege und die anhaltende Ausbreitung des Autoritarismus haben dazu geführt, dass die Lage der Pressefreiheit im vergangenen Jahr so instabil war wie seit langem nicht. Dies lässt sich aus der neuen Rangliste der Pressefreiheit ablesen, die Reporter ohne Grenzen (RSF) am 3. Mai 2023, dem Internationalen Tag der Pressefreiheit, veröffentlicht. Entwicklungen wie die fast völlige Unterdrückung unabhängiger Berichterstattung in Russland infolge des Ukrainekriegs, massenhafte Festnahmen von Medienschaffenden in der Türkei und die weiter gestiegenen Aggressionen gegenüber Reporterinnen und Reportern am Rande von Demonstrationen in Deutschland sorgten dafür, dass viele Länder auf der Rangliste abrutschten. Die teils deutlichen Abstiege und gleichzeitigen Aufstiege vieler anderer Länder zeigen, wie volatil die weltweite Lage in einer Zeit von Krisen, medienfeindlicher Hetze und Desinformation ist.

“Die Aggressivität gegenüber Medienschaffenden steigt weiter. Viele Regierungen und gesellschaftliche Gruppen versuchen, kritische Berichterstattung zu unterbinden. Erschreckend ist, dass die Zahl der Übergriffe in Deutschland auf ein Rekordhoch gestiegen ist”, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. “Demokratische Regierungen müssen Medien in ihren eigenen Ländern unterstützen, den Druck auf autoritäre Regime erhöhen und auch Exilmedien stärken. Desinformation darf nicht die Oberhand behalten.“

Die Lage der Pressefreiheit ist der RSF-Skala zufolge in 31 Ländern „sehr ernst“, in 42 „schwierig“, in 55 gibt es „erkennbare Probleme“, und in 52 ist die Lage „gut“ oder „zufriedenstellend“. Die Arbeitsbedingungen für Medienschaffende sind also in rund 70 Prozent der Länder weltweit problematisch, ähnlich wie im Vorjahr. Drei Länder sind dieses Jahr in die schlechteste Kategorie „sehr ernst“ abgerutscht: Tadschikistan, Indien und die Türkei.

Das größte Problem ist nach wie vor die Sicherheitslage für Journalistinnen und Journalisten. Sie werden auf Demonstrationen angegriffen, kommen in bewaffneten Konflikten ums Leben, werden gezielt ermordet, willkürlich festgenommen oder zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Sicherheitslage ist in 36 von 180 Ländern „sehr ernst“ – in Kriegsländern wie der Ukraine und dem Jemen ebenso wie in den größten Gefängnissen der Welt für Medienschaffende, China, Myanmar und Iran. In 33 weiteren ist die Sicherheitslage „ernst“ – von Peru bis Israel, von Hongkong bis zu den USA.

Auch organisierte Desinformation ist in vielen Ländern ein wachsendes Problem: In 118, also zwei Drittel aller Länder, gab eine Mehrheit der Befragten an, dass politische Akteurinnen und Akteure in ihrem Land in massive Desinformations- oder Propagandakampagnen involviert sind.

Qualitative und quantitative Analyse von fünf Pressefreiheits-Indikatoren

Die Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen vergleicht die Situation für Journalistinnen, Journalisten und Medien in 180 Staaten und Territorien. Die Rangliste stützt sich auf fünf Indikatoren: Neben Sicherheit sind dies politischer Kontext, rechtlicher Rahmen, wirtschaftlicher Kontext und soziokultureller Kontext. Diese Indikatoren werden in jedem der 180 untersuchten Staaten und Territorien ermittelt – zum einen auf Grundlage einer qualitativen Untersuchung, für die ausgewählte Journalistinnen, Wissenschaftler und Menschenrechtsverteidigerinnen in den jeweiligen Ländern einen Fragebogen mit 123 Fragen beantworteten, zum anderen auf Grundlage von quantitativen Erhebungen zu Übergriffen auf Journalistinnen, Journalisten und Medien, deren Zahl in den Indikator Sicherheit einfließt. Mittels einer Formel wird daraus ein Punktwert zwischen 0 und 100 ermittelt, wobei 0 das schlechtestmögliche und 100 das bestmögliche Ergebnis ist. Aus der Abfolge der Punktwerte der einzelnen Länder ergibt sich die weltweite Rangliste.

Zur 20. Ausgabe wurde die Rangliste 2022 erstmals mit einer neuen Methode ermittelt, um die Komplexität der Verhältnisse, die die Pressefreiheit weltweit beeinflussen, besser widerzuspiegeln. RSF hat die neue Methodik mit einem Expertenkomitee aus Medien und Forschung erarbeitet. Aufgrund der geänderten Methodik ist beim Vergleich der Rangliste insgesamt und von einzelnen Ergebnissen vor und nach 2021 Vorsicht geboten. In die Rangliste der Pressefreiheit 2023 fließen Daten vom 1. Januar bis 31. Dezember 2022 ein. Mehr zur Methodik hier

Deutschland: So viele physische Angriffe wie noch nie

Deutschland belegt Rang 21. Der Abstieg um fünf Plätze ist vor allem mit dem Vorbeiziehen anderer Länder zu erklären, die sich zum Teil stark verbessert haben; Deutschlands Punktezahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr nur um 0,13 auf 81,91 von 100 verschlechtert. Grund dafür ist die weiter wachsende Gewalt gegen Journalistinnen, Journalisten und Medien: Mit 103 physischen Angriffen dokumentiert RSF den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2015. Im Kalenderjahr 2021 hatte es 80 Angriffe gegeben, 2020 waren es 65.

Wie die aktuelle Nahaufnahme Deutschland von RSF zeigt, fand mit 87 von 103 Fällen die Mehrheit der Attacken in verschwörungsideologischen, antisemitischen und extrem rechten Kontexten statt. Obwohl die Corona-Pandemie 2022 abflaute, wurde, teils zu anderen Themen, weiterhin demonstriert, sodass Versammlungen auch 2022 die gefährlichsten Orte für die Presse blieben. Zwei Drittel der Angriffe passierten in Ostdeutschland (Sachsen: 24, Berlin: 17, Thüringen: 13). Ein bundesweites Problem ist die Straflosigkeit. Viele der betroffenen Journalistinnen und Reporter äußerten Unzufriedenheit über die Arbeit von Polizei und Justiz. RSF fordert deshalb dringend effektiven Schutz.

Punkte verloren hat Deutschland auch in der Kategorie „sozialer Kontext“. Medienschaffende erleben zunehmende Queerfeindlichkeit, Sexismus und Rassismus, vor allem, wenn sie über diese Themen berichten.

Die Gesetzeslage ergibt ein zwiespältiges Bild: Positiv bewertet RSF den Digital Services Act der EU, der die großen Internetkonzerne in die Pflicht nimmt. In die richtige Richtung geht auch der Entwurf des European Media Freedom Act, der Europa vor Desinformation schützen soll. Problematisch ist die von der EU geplante Chatkontrolle. Zum Kinderschutz gedacht, würde sie auch in Deutschland eine fast vollständige Überwachung journalistischer Chats ermöglichen. Kritik gibt es auch am novellierten BND-Gesetz, gegen das RSF Verfassungsbeschwerde eingelegt hat, weil es ausländischen Journalistinnen und Journalisten weiterhin weniger Schutz bietet als inländischen. Auch gegen das Artikel-10-Gesetz, das das Ausspähen Medienschaffender durch Software wie den sogenannten Staatstrojaner erlaubt, klagt RSF in Karlsruhe.

Die Medienvielfalt in Deutschland war 2022 weniger von Zusammenlegungen oder Schließungen von Tageszeitungen bedroht. Auswirkungen hatten aber die Entscheidungen großer Verlagshäuser, Zeitschriften einzustellen, sowie Skandale im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Spitzenreiter und Schlusslichter

Auf den ersten und letzten drei Plätzen der Rangliste gibt es zum ersten Mal seit mehreren Jahren signifikante Veränderungen. Norwegen belegt zum siebten Mal in Folge den ersten Platz. Es ist das einzige Land, das bei allen Indikatoren mehr als 90 von 100 Punkten erzielt hat. Erstmals seit langem folgt auf dem zweiten Platz mit Irland ein Land außerhalb Skandinaviens. In Irland hat der Pluralismus auf dem Medienmarkt zuletzt zugenommen, ein neues Verleumdungsgesetz schützt Medienschaffende vor missbräuchlichen Klagen, und die Regierung hat sich bereit erklärt, den Großteil der Vorschläge einer Kommission für die Zukunft der Medien umzusetzen. Damit verdrängt Irland Dänemark vom zweiten auf den dritten Platz. Schweden fällt aus den Top 3 auf den vierten Platz. Mit einer Verfassungsänderung wurde dort Auslandsspionage unter Strafe gestellt und ins Strafgesetzbuch aufgenommen, was gegen Medienschaffende, Whistleblowerinnen und Whistleblower verwendet werden könnte. Zudem gab es einige Fälle von Polizeigewalt.

Die letzten Plätze belegen in diesem Jahr ausschließlich Regime in Asien. In Vietnam (178, -4) hat die Regierung ihre Jagd auf unabhängige Reporterinnen und Kommentatoren fast abgeschlossen. Zuletzt traf es den Blogger Nguyen Lan Thang. Mitte April verurteilte ihn ein Gericht in Hanoi wegen „Propaganda gegen den Staat“ zu sechs Jahren Haft. Inhaftierte Medienschaffende sind teils entsetzlichen Haftbedingungen ausgesetzt: Sie werden misshandelt, isoliert und bekommen keine ärztliche Versorgung. Im August starb deshalb der Blogger Do Cuong Dong in Gewahrsam. In Vietnam geraten kritische Bloggerinnen und Blogger oft ins Visier der Behörden, weil sie die einzigen Quellen für unabhängig recherchierte Informationen sind. Die traditionellen Medien folgen den Anweisungen der seit 1975 regierenden Kommunistischen Partei.

Weiter verschlechtert hat sich auch die Situation in China (179, -4), einem der größten Exporteure von Propaganda. In keinem Land sitzen mehr Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, aktuell sind es mindestens 100. Mehr als zehn von ihnen könnten im Gefängnis sterben, wenn sie nicht sofort freigelassen werden. Mit einer seit Mao Zedong nie dagewesenen Machtkonzentration hat sich Staats- und Parteichef Xi Jinping eine historische dritte Amtszeit gesichert und setzt seinen vor zehn Jahren begonnenen Feldzug gegen den Journalismus fort. Wenig überraschend bleibt Nordkorea (180) auf dem letzten Platz, wo die Regierung keinerlei unabhängige Berichterstattung zulässt.

Europa: Sicherste Weltregion mit vielen Aufsteigern

Europa ist nach wie vor die Weltregion, in der Journalistinnen und Journalisten am freiesten berichten können – es ist die einzige Region, in der Staaten mit „guter Lage“ der Pressefreiheit vertreten sind. Zudem hat der Großteil der EU-Mitgliedstaaten seine Platzierung verbessert, besonders im Osten der EU. Allerdings gibt es gravierende Unterschiede.

Die Niederlande (6) sind um 22 Plätze aufgestiegen und nun wieder in den weltweiten Top Ten vertreten, nachdem sich im Vorjahr der Mord an Polizeireporter Peter R. de Vries massiv negativ auf die Platzierung ausgewirkt hatte. Auch die raschen Ermittlungen in dem Fall sowie ein allgemeiner Rückgang der Gewalttaten gegen Medienschaffende nach dem von Corona geprägten Jahr 2021 hatten einen positiven Einfluss. Auch in Italien (41, +17) hat sich die Sicherheitslage im dritten Corona-Jahr deutlich beruhigt. Der Amtsantritt der rechtsextremen Premierministerin Giorgia Meloni sorgt indes für neue Unsicherheit. Sie selbst sowie einige ihrer Kabinettsmitglieder haben jüngst Medienschaffende verklagt. Weiterhin geht eine große Bedrohung von der Mafia aus. Im Vereinigten Königreich (26, -2) wartet Wikileaks-Gründer Julian Assange noch immer im Gefängnis auf eine Entscheidung in seinem Auslieferungsverfahren. Für Unsicherheit sorgt ein geplantes neues nationales Sicherheitsgesetz, das keine Ausnahmeregelungen zugunsten von Journalistinnen und Journalisten vorsieht.

Der Aufstieg Ungarns (72) um 13 Plätze liegt zum einen an Verschiebungen anderer Ranglistenplätze, lässt sich zum anderen jedoch begründen: So war die unter dem Einfluss der Regierung stehende Regulierungsbehörde gezwungen, die Lizenz eines unabhängigen Radiosenders zu erneuern. Wohl auch angesichts der wirtschaftlichen Lage und des Drucks der EU-Institutionen hat die Regierung Viktor Orbáns 2022 die Unabhängigkeit der Medien vorerst nicht weiter bekämpft. Polens Rang 57 (+9) darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade auf rechtlicher und regulatorischer Ebene Verbesserungen notwendig sind.

Die Situation in Bulgarien (71, +20) hat sich ebenfalls verbessert. Dort wurden im vergangenen Jahr zwar keine der von RSF angeregten Maßnahmen zur Förderung der Pressefreiheit umgesetzt, es gab aber auch keine größeren Verstöße. Positive Entwicklungen gibt es zudem in Montenegro (39, +24), allem voran der Freispruch für den investigativen Reporter Jovo Martinovic nach einem sieben Jahre langen juristischen Alptraum. Weniger Gewalt, ein neuer Schutzmechanismus und Fortschritte beim rechtlichen Rahmen haben auch die Pressefreiheit in der Slowakei (17, +10) gestärkt.

Griechenland (107, +1) schneidet wie im Vorjahr im EU-weiten Vergleich am schlechtesten ab. Vergangenes Jahr wurde enthüllt, dass in dem Land mindestens 13 Medienschaffende mit der Spyware Predator sowie auf konventionelle Weise vom Geheimdienst überwacht wurden. Zudem gab es Fälle missbräuchlicher Klagen, von Polizeigewalt sowie extremistischer Gewalt. Der Mord an Polizeireporter Giorgos Karaivaz im April 2021 ist noch immer nicht aufgeklärt.

Die Türkei (165) hat sich um 16 Plätze verschlechtert. Kurz vor den Wahlen am 14. Mai, die das Ende der 20-jährigen Herrschaft von Recep Tayyip Erdogan besiegeln könnten, hat der Präsident die Daumenschrauben für die Presse noch einmal angezogen. Neue Anklagen, Massenverhaftungen und das „Desinformationsgesetz“ sind nur einige Beispiele. Auch nach dem schweren Erdbeben Anfang Februar hat das Regime versucht, die Berichterstattung über die Katastrophe und die Reaktion der Behörden zu kontrollieren.   

Osteuropa und Zentralasien: Russland und Ukraine im Schatten des Krieges

Wenig überraschend verschlechterte sich Russlands (164, -9) Position in der Rangliste. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurden fast sämtliche unabhängigen Medien verboten, blockiert und als sogenannte ausländische Agenten eingestuft. Für die Verbreitung angeblicher Falschnachrichten über die russischen Streitkräfte drohen Medienschaffenden bis zu 15 Jahre Haft. Etwa tausend Medienschaffende haben das Land verlassen. Die Inhaftierung des US-amerikanischen Journalisten Evan Gershkovich zeigt, dass auch ausländische Korrespondenten und Korrespondentinnen nicht mehr vor strafrechtlicher Verfolgung sicher sind. Verbessert hat sich dagegen die Lage der Pressefreiheit in der Ukraine (79, +27). Dies liegt vor allem an der Rückdrängung des Einflusses von Oligarchen auf den Journalismus. In der Kategorie Sicherheit belegt die Ukraine allerdings weltweit den vorletzten Platz. Ursächlich dafür sind russische Kriegsverbrechen gegen Medienschaffende in der Ukraine.

Fast alle Länder Zentralasiens rutschen in der Rangliste ab. Usbekistan (137, -4) verschlechterte sich aufgrund ausbleibender Reformen im Medienbereich und der Unterdrückung der Berichterstattung über Proteste in der autonomen Republik Karakalpakstan. Kasachstan (134, -12) stürzte wegen der blutigen Januarproteste 2022 und einer nicht abreißenden Welle der Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten ab. Die Lage der Pressefreiheit im streng autoritär geführten Tadschikistan (153, -1) wird mittlerweile nicht mehr als „schwierig“, sondern als „sehr ernst“ eingestuft. Bemerkenswert ist der dramatische Absturz von Kirgistan (122, -50). Das Land galt in der Region lange als demokratische Ausnahme mit vergleichsweise vielfältiger Presselandschaft. Doch der autoritär regierende Präsident Sadyr Dschaparow brachte 2022 mehrere pressefeindliche Gesetze auf den Weg, ließ illegal den Videojournalisten Bolot Temirow abschieben und ging juristisch gegen die wichtigsten unabhängigen Medien des Landes vor. Traditionell unter den Schlusslichtern der Rangliste befindet sich Turkmenistan (176, +1). In dem streng abgeschotteten Land übernahm Präsidentensohn Serdar Buchamedow im März 2022 das Amt seines Vaters und verschärfte die ohnehin rigide Zensur und Überwachung der Medien weiter.

Asien: Regime versuchen letzte Reste von Pressefreiheit zu verdrängen

In der Region Asien-Pazifik herrschen nach wie vor einige der schlimmsten Regime für Medienschaffende weltweit. In Myanmar (173, +3) hält der Terror gegen Journalistinnen und Journalisten auch mehr als zwei Jahre nach dem Militärputsch im Februar 2021 an. Wie schon im Vorjahr wurden 2022 zwei Journalisten durch die Junta getötet. Unter ihnen ist der Fotograf Aye Kyaw, der bei einer gewaltsamen Befragung schwer verletzt wurde und daran starb. Rund 75 Medienschaffende sitzen dort wegen ihrer Arbeit im Gefängnis, nur in China (179, -4) sind es noch mehr. Auch in Afghanistan (152, +4) bleiben die Arbeitsbedingungen gefährlich: Die Taliban drohen und verfolgen Medienschaffende, nehmen Reporter fest, verdrängen Journalistinnen aus der Medienlandschaft, zensieren Berichte und durchsuchen Redaktionen.

In Hongkong (140, +8) spüren Medienschaffende weiter die Folgen des sogenannten Sicherheitsgesetzes. Nach dessen Verabschiedung durch Peking 2020 hatte die chinesische Sonderverwaltungszone im Vorjahr so viele Plätze verloren wie kein anderes Land. Besonders der rechtliche Rahmen hat sich weiter verschlechtert. Kaum ein Fall verdeutlicht das so sehr wie der von Jimmy Lai: Der Verleger sitzt seit Dezember 2020 im Gefängnis und kämpft gegen juristische Schikanen. Dem 75-Jährigen droht lebenslange Haft. Ebenfalls vor Gericht stehen die ehemaligen Chefredakteure der inzwischen geschlossenen Nachrichtenseite Stand News.

Indien rutscht weiter ab und belegt nun Rang 161 (-11). Die Übernahmen von Medien durch reiche Geschäftsleute, die Premierminister Narendra Modi nahestehen, gefährden den Pluralismus. Gleichzeitig verfügt Modi über eine Armee an Unterstützern, die regierungskritische Berichte im Netz aufspüren und Hetzkampagnen organisieren. Dies treibt viele Journalistinnen und Journalisten in die Selbstzensur. Bangladesch (163, -1) und Kambodscha (147, -5) zeigen beispielhaft, wie Regierungen im Vorfeld von Wahlen gegen kritische Stimmen vorgehen. Im Februar ließ die bangladeschische Regierung die wichtigste Oppositionszeitung Dainik Dinkal schließen. Kambodschas Premier Hun Sen ordnete die Schließung von Voice of Democracy an, einem der letzten unabhängigen Medien im Land.

Ein demokratischer Regierungswechsel kann sich positiv auf die Pressefreiheit auswirken, was erklärt, warum etwa Australien (27, +12) und Malaysia (73, +40) auf der Rangliste nach oben klettern. Auf den oberen Plätzen haben funktionierende Demokratien wie Taiwan (35, +3), Samoa (19, +26) und Neuseeland (13, -2) ihren Status als regionale Vorbilder in Sachen Pressefreiheit behauptet oder sogar ausgebaut.

Nahost und Nordafrika: Autoritäre Regime, bewaffnete Konflikte, rote Linien

Nach wie vor ist die Region Naher Osten und Nordafrika diejenige mit den meisten Ländern, in denen RSF die Lage der Pressefreiheit als „sehr ernst“ einstuft. Angesichts autoritärer Regime, bewaffneter Auseinandersetzungen sowie roter Linien ist die Freiheit der Berichterstattung in über der Hälfte der Länder der Region stark eingeschränkt.

Das Schlusslicht ist der Iran (177, +1). Seit dem gewaltsamen Tod der kurdischen Studentin Jina Mahsa Amini in Polizeigewalt hat das Regime die Verfolgung von Journalistinnen und Journalisten noch einmal verschärft und landesweit über 70 Medienschaffende inhaftiert. Viele sind wieder frei, allerdings unter harten Auflagen, die einem Berufsverbot gleichkommen. Wie der Iran steht auch Saudi-Arabien (170, -4) seit vielen Jahren in der Schlussgruppe der Rangliste der Pressefreiheit. Der mächtige Kronprinz Mohammed bin Salman, genannt MBS, lässt Medienschaffende für viele Jahre hinter Gittern verschwinden, verbietet ihnen auszureisen oder lässt sie sogar im Ausland streng überwachen. Der Mord am Journalisten Jamal Khashoggi jährt sich 2023 zum fünften Mal – es ist offensichtlich, dass MBS sich vor keinerlei Strafverfolgung fürchten muss.

Auch die Golfmonarchien überwachen und zensieren die Medien, teils mit sehr ausgereiften technischen Mitteln, etwa die Vereinigten Arabischen Emirate (145, -7). Eines der wenigen Länder der Region, deren Ranglistenplatz sich verbessert hat, ist Katar (105, +14). Weil sie das gewünschte Image des Landes als moderner, kompetenter Ausrichter der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer nicht beschädigen wollten, lockerten die Behörden einige Einschränkungen. Doch bestehen Tabus in der Berichterstattung fort.

Eine drakonische Zensur herrscht in Ägypten (166, +2). Die Militärdiktatur ignoriert ihre eigenen Reformversprechen beständig und steckt stattdessen weiter Journalistinnen und Journalisten ins Gefängnis. Syrien (175, -4) bleibt für Medienschaffende eines der gefährlichsten Länder der Welt. Die verschiedenen Kriegs- und Konfliktparteien halten dort die weltweit meisten Medienschaffenden als Geiseln, gefolgt vom Jemen (168, +1) und dem Irak (167, +5).

Israel steht auf Platz 97 (-11). Der Fall der mutmaßlich durch eine Kugel eines israelischen Soldaten getöteten Journalistin Schirin Abu Akle bleibt bislang wie auch andere Übergriffe israelischer Sicherheitskräfte auf palästinensische Medienschaffende straffrei. Die Palästinensischen Gebiete (156, +14) haben sich auch deshalb vor allem in der Kategorie Sicherheit verschlechtert, steigen aber vor allem aufgrund positiver Entwicklungen bei den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf der Rangliste nach oben.

Amerika: So viele getötete Medienschaffende wie nirgendwo sonst auf der Welt

Der amerikanische Doppelkontinent bleibt eine gefährliche Region für Medienschaffende. 2022 kam fast die Hälfte aller weltweit getöteten Journalistinnen und Journalisten dort ums Leben. Brasilien (92) ist mit dem Abtritt von Präsident Jair Bolsonaro deutlich um 18 Plätze aufgestiegen, die Sicherheitslage ist allerdings weiter äußerst prekär. Die Gewalt gipfelte 2022 in drei Morden an Medienschaffenden, darunter Dom Phillips und Bruno Pereira, die auf einer Recherchereise in der Amazonasregion waren. Desinformations- und Hetzkampagnen gegen Medienschaffende nahmen ein nie dagewesenes Ausmaß an. Unter Bolsonaros Nachfolger Lula da Silva wurde schon wenige Wochen nach Amtsantritt eine nationale Beobachtungsstelle für Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten geschaffen, der auch RSF angehört. In den USA (45, -3) wird der erklärte gute Wille der Biden-Regierung, Pressefreiheit nach der Trump-Ära wieder zur Priorität zu machen, durch eine weiterhin hohe Gewaltbereitschaft gegenüber Medienschaffenden konterkariert. Rund 30 physische Übergriffe und ein Dutzend Festnahmen wirkten sich negativ auf die Platzierung aus. In Las Vegas wurde im September 2022 der Polizeireporter Jeff German ermordet, im Februar 2023 wurde der lokale Fernsehreporter Dylan Lyons bei der Berichterstattung von einem Tatort erschossen.

In Mexiko (128, -1) wurden 2022 mindestens elf Medienschaffende wegen ihrer Arbeit getötet, so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Zudem gelten dort 28 Journalistinnen und Journalisten als verschwunden, viele von ihnen seit Jahren – ebenfalls ein trauriger Weltrekord. In Haiti (99, -29) hat sich die ohnehin schon prekäre Lage für Journalistinnen und Journalisten dramatisch verschlechtert. Sechs Journalisten wurden 2022 dort ermordet, die Gefahr durch kriminelle Banden ist in Teilen des Landes allgegenwärtig. Peru (110) stürzt um 33 Plätze ab, stärker als jedes andere Land in der Region. Bei den landesweiten Protesten nach dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Pedro Castillo im Dezember 2022 wurden mehr als 60 Menschen getötet und hunderte verletzt, darunter viele Medienschaffende. Kuba (172, +1) belegt wie schon seit Jahren den letzten Platz auf dem amerikanischen Doppelkontinent. Unabhängige Medien sind dort laut Verfassung nicht zulässig, mutige Bürgerjournalistinnen und -journalisten werden willkürlich von den Behörden schikaniert.

Auf dem Kontinent fällt nun kein Land mehr in die Kategorie „gute Lage“, nachdem Costa Rica (23, -15) in die zweitbeste Kategorie abgerutscht ist. Der neue Präsident des mittelamerikanischen Landes, Rodrigo Chaves, hat sich in den ersten Monaten seiner Amtszeit durch Drohungen und Einschüchterungsversuche gegenüber Medien hervorgetan.

Afrika südlich der Sahara: Gefahr von nachrichtenfreien Zonen

Auch wenn es in einigen Ländern Afrikas deutliche Verbesserungen gab – so ist beispielsweise Botsuana (65) um 30 Plätze aufgestiegen –, sind die Arbeitsbedingungen generell in Subsahara-Afrika deutlich schwieriger geworden. In fast 40 Prozent aller Länder ist die Lage der Pressefreiheit als schlecht zu bezeichnen, gegenüber 33 Prozent im vergangenen Jahr. Der Senegal (104) verliert 31 Plätze, die Sicherheitslage für Medienschaffende hat sich deutlich verschlechtert, und zwei Journalisten wurden inhaftiert.

Desinformation nimmt in Subsahara-Afrika weiter zu – in mehreren Ländern missbrauchen die Regierungen die Medien als Propagandainstrumente. Die Militärregierungen in Mali (113, -2) und Burkina Faso (58, -17), die ihre Verbindungen zur privaten russischen Söldnergruppe Wagner nicht verhehlen, haben die Übertragung zweier französischer Nachrichtensender auf unbestimmte Zeit ausgesetzt und ausländische Reporter ausgewiesen. In der Zentralafrikanischen Republik (98, +3) werden viele Inhalte der russischen Staatsmedien RT und Sputnik weitergesendet. So verbreiten sich prorussische Narrative auf Teilen des Kontinents.

Die gesamte Sahel-Region droht zu einer nachrichtenfreien Zone werden. Zwischen September 2022 und Januar 2023 wurden in Subsahara-Afrika fünf Journalisten ermordet, unter ihnen Martinez Zogo in Kamerun (138, -20). Sein Tod wurde ebenso wenig aufgeklärt wie der von John Williams Ntwali in Ruanda (131, +5). Im Sudan (148, +3) war im vergangenen Jahr vor allem die rechtliche und wirtschaftliche Lage sehr schlecht. Der jüngste Konflikt im Sudan dürfte die Platzierung im nächsten Jahr nachhaltig beeinflussen. Schlusslicht in Subsahara-Afrika bleibt Eritrea (174, +5), das von Langzeitpräsident Isaias Afwerki weiter mit harter Hand regiert wird.

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Pressemitteilungen Rangliste der Pressefreiheit Wed, 03 May 2023 5:45:00 +0200
Fotos für die Pressefreiheit 2023 Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, die brutale Niederschlagung friedlicher Demonstrationen im Iran, wütende Massenproteste in Sri Lanka, zunehmende Gewalt von Drogenkartellen in Mexiko oder Terrormilizen in Nigeria und Mali: 2022 war kein gutes Jahr die für die Pressefreiheit.

Doch „Wegsehen ist Verrat am Journalismus“, schreibt Niddal Salah-Eldin, Kuratoriumsmitglied von Reporter ohne Grenzen. Die Fotografen und Autorinnen des neuen Bandes „Fotos für die Pressefreiheit 2023“ von Reporter ohne Grenzen, der am 3. Mai erscheint, haben ganz genau hingesehen. In bewegenden Bildern und tiefgreifenden Fotoreportagen erzählen sie, wie Menschen mit Krisen leben oder Ausnahmesituationen meistern müssen, aber dennoch nicht die Hoffnung verlieren.

Der einleitende Faktenteil des Buches beschreibt die Situation in Ländern, in denen die Meinungs- und Pressefreiheit 2022 besonders gefährdet war. Etwa im Iran, in Afghanistan und Brasilien, aber auch in China, in Griechenland und der Türkei. Einen positiven Lichtblick stellt die Entwicklung in Gambia dar, wo dank zahlreicher Reformen wieder mehr Freiräume für Medien sowie Journalistinnen und Journalisten geschaffen wurden.

Die längeren Fotostrecken werden von acht Essays begleitet, in denen Autorinnen und Autoren aus der Ich-Perspektive darüber schreiben, was Fotografinnen und Fotografen bei ihrer Arbeit motiviert, und wie sie auch in schwierigen Situationen ihre Professionalität bewahren.

Der ukrainische Fotojournalist Evgeniy Maloletka dokumentierte 2022 wochenlang die dramatische Lage in der belagerten Hafenstadt Mariupol. Für seine erschütternden Bilder erhielt er den Press Freedom Award 2022 von Reporter ohne Grenzen; sein Bild einer verletzten Schwangeren wurde jüngst zum World Press Photo of the Year gekürt. Die ebenfalls preisgekrönte deutsche Fotografin Nanna Heitmann ist eine von ganz wenigen ausländischen Fotografinnen, die noch in Russland arbeiten. Für ihre Reportage reiste sie nach Dagestan, wo fast jede Familie um einen Angehörigen an der Front bangt.

Der indische Dokumentarfotograf Atul Loke verfolgte intensiv die Wirtschaftskrise im Inselstaat Sri Lanka. Als sich die Wut der Bevölkerung gegen ihre Regierung in gewaltsamen Massenprotesten entlud, war er mittendrin. Im Norden Nigerias wagte sich der Fotojournalist Sodiq Adelakun in Regionen seiner Heimat, in denen massenhafte Entführungen von Schülerinnen und Schülern durch Kriminelle oder Terrorgruppen traurige Realität sind. In seinen Bildern zeigt er das Leid der Eltern, die sich vom Staat allein gelassen fühlen.

In Mexiko terrorisieren konkurrierende Drogenkartelle die Bevölkerung. Der Fotograf Luis Antonio Rojas nähert sich der alltäglichen Gewalt in seinem Land in metaphorischen Bildern an. Sein Kollege Mitar Simikic begleitete über Jahre eine verarmte Familie in seiner Heimat Bosnien und Herzegowina, die vom Müllsammeln lebt. Vor allem erzählt er die Geschichte von Tochter Mila, die für ein besseres Leben kämpft.

Mit der Identität von Kasachstan setzt sich der französische Dokumentarfotograf Frederic Noy auseinander. Über drei Jahre reiste er durch das riesige Land und zeigt eine Gesellschaft zwischen Moderne und Vergangenheit. In ebenfalls sehr kontrastreichen Bildern von futuristischer Architektur und traditionellem Leben stellt der italienische Fotograf Matteo de Mayda die Widersprüche des Lebens in Katar dar, das als Gastgeberland der Fußballweltmeisterschaft sehr umstritten war.

Insgesamt 21 Fotografinnen und Fotografen haben Reporter ohne Grenzen ihre Werke für diese 29. Ausgabe des Bildbandes zur Verfügung gestellt. Reporter ohne Grenzen finanziert sich neben Spenden und Mitgliedsbeiträgen auch durch den Verkauf des Fotobuchs. Der Erlös fließt vollständig in die Pressearbeit und Nothilfe, so wie Anwaltskosten und medizinische Hilfe für verfolgte Journalistinnen und Journalisten.

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Pressemitteilungen Thu, 27 Apr 2023 13:10:00 +0200
Vier Journalisten entkommen der Todesstrafe Im Rahmen eines Gefangenenaustauschs sind im Jemen vier zum Tode verurteilte Journalisten freigekommen. Sie befanden sich seit 2015 in der Gewalt der Huthi-Rebellen und waren 2020 wegen angeblicher Spionage zum Tode verurteilt worden. Reporter ohne Grenzen (RSF) hofft, dass die vier – Taufik al-Mansuri, Hareth Humaid, Abdul Chalek Amran und Akram al-Walidi – nun vollständig in Sicherheit sind und ihre Arbeit als Journalisten wieder aufnehmen können. Auch die weiteren inhaftierten Medienschaffenden müssen freikommen.

„Wir haben seit Jahren auf diesen Tag gewartet. Wir freuen uns sehr, aber wir sind auch wütend, weil die Huthis mit dem Schicksal dieser vier mutigen Journalisten gespielt haben, um ihre Verhandlungsposition zu verbessern“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Medienschaffende aus solchen Gründen zum Tode zu verurteilen, zu foltern und zu misshandeln, ist an Zynismus und Brutalität kaum zu überbieten.“

Ein Flugzeug des Roten Kreuzes hatte die vier am 16. April auf dem Flughafen der Stadt Marib östlich von Sanaa abgesetzt. Ihre Freilassung ist Teil eines Austauschs von fast 900 Gefangenen zwischen den vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Rebellen und der international anerkannten Regierung, die von einer Koalition unter der Führung Saudi-Arabiens unterstützt wird. Das Abkommen zwischen den beiden Kriegsparteien war am 20. März in Genf unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen geschlossen worden. Genau zehn Tage vorher hatten der Iran und Saudi-Arabien erstmals seit 2016 wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen.

RSF hatte zuletzt berichtet, dass mindestens drei der vier Journalisten in der Huthi-Gefangenschaft Folter ausgesetzt waren. Taufik al-Mansuri bestätigte nach seiner Freilassung, dass er von den Wächtern systematisch schwer misshandelt wurde, zuletzt am 20. August 2022. „Wir kommen gerade aus der Hölle“, sagte er der in Marib anwesenden Presse. Die vier Journalisten waren seit ihrer Inhaftierung vor acht Jahren von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Keiner von ihnen durfte mit seiner Familie sprechen.

Al-Mansuri, Humaid, Amran und al-Walidi waren am 9. Juni 2015 gemeinsam in Sanaa entführt worden. Die Huthi-Rebellen beschuldigten sie, „mehrere Seiten im Internet und in sozialen Netzwerken eingerichtet und unterhalten“ zu haben, um „falsche und böswillige Informationen und Gerüchte zu verbreiten“. Am 11. April 2020 waren sie deshalb von einem international nicht anerkannten Huthi-Gericht wegen Spionage für Saudi-Arabien zum Tode verurteilt worden. Amran war Chefredakteur der Website Al-Islah Online und leitete die Yemen Revolution Press, eine 2011 gegründete Agentur, die mehrere Medien bündelte. Sowohl Humaid als auch al-Mansuri, ehemaliger Journalist der Tageszeitung Al-Masdar, arbeiteten für die Yemen Revolution Press. Al-Walidi war für die Nachrichtenwebsite Alrabie-ye.net und die staatliche Nachrichtenagentur SABA tätig.

Bereits 2021 hatten die Huthi-Rebellen zugestimmt, die vier Journalisten gegen andere Gefangene auszutauschen, ihre Zustimmung aber in letzter Minute zurückgezogen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht der Jemen auf Platz 169 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Thu, 20 Apr 2023 16:53:00 +0200
15 Punkte für die Pressefreiheit Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die Kandidierenden zur Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei am 14. Mai auf, sich für den Schutz der Pressefreiheit einzusetzen. Zu diesem Zweck veröffentlicht RSF 15 Empfehlungen, unter anderem zu folgenden Themen: Was muss sich im Justizwesen ändern? Was ist zu tun, wenn Medienschaffende gewaltsam angegriffen werden? Welche Gesetze müssen reformiert werden? Die 15 Empfehlungen sollten während des Wahlkampfes öffentlich debattiert und anschließend vom Staatsoberhaupt, der Regierung und den Abgeordneten umgesetzt werden.

 „Alle Kandidierenden bei den Wahlen in der Türkei sollten die Pressefreiheit aktiv verteidigen: Sie sollten sich für eine unabhängige Justiz einsetzen, Gesetze reformieren, Medienpluralismus fördern und Medienschaffende schützen“, forderte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Der Missbrauch des Strafgesetzbuchs und der Anti-Terror-Gesetze gegen die Presse muss endlich aufhören. Alle Gewählten sollten sich für eine unabhängige Medienaufsichtsbehörde starkmachen“, so Mihr weiter.

Ausgangslage: Geschwächte Medien

Offiziell versucht die Türkei seit 15 Jahren, Mitglied der Europäischen Union zu werden, und einige demokratische Reformen wurden dafür auch verabschiedet. Doch nach 20 Jahren unter Präsident Recep Tayyip Erdogan (AKP) ist davon nicht viel übrig geblieben, der Autoritarismus hat in den vergangenen zehn Jahren stark an Boden gewonnen. 90 Prozent der Medien stehen inzwischen unter staatlicher Kontrolle. Kritische Medienschaffende werden häufig attackiert.

Im hyperpräsidialen System, das Erdogan 2018 eingeführt hat, steht die Justiz nahezu vollständig unter seiner Kontrolle. Die Anti-Terror-Gesetzgebung und das Strafgesetzbuch der Türkei wurden in den letzten Jahren dazu missbraucht, um circa 200 Medienschaffende wegen ihrer Arbeit zu verfolgen. Von ihnen wurden mindestens 73 Medienschaffende seit der Wahl Erdogans zum Präsidenten im August 2014 wegen „Beleidigung des Präsidenten“ zu Haftstrafen oder Geldstrafen verurteilt.

Empfehlungen für Kandidierende der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen

RSF fordert die Kandidierenden der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen deshalb auf, das Recht auf Informations- und Meinungsfreiheit zu verteidigen. In der Türkei muss ein Klima geschaffen werden, in dem Pressefreiheit von allen politischen Lagern wieder aktiv geschützt wird, nachdem sie in den vergangenen 20 Jahren systematisch untergraben wurde. Zu diesem Zweck sollten alle Kandidierenden sich öffentlich verpflichten, die folgenden 15 Empfehlungen im Wahlkampf zu fördern und nach ihrer Wahl umzusetzen:

A – Kandidierende sollten sich für eine unabhängige Justiz einsetzen, damit diese ihre Funktion erfüllen und über Grundrechte wie die Pressefreiheit wachen kann.

1.  Die türkische Justiz muss wieder unabhängig werden, dazu gehört:

  • Die Unabhängigkeit des Obersten Rates der Justiz, damit die politische Einmischung in Verfahren, die Medienschaffende betreffen, endet. Auch bei der Ernennung von oder Disziplinarmaßnahmen gegen Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälten darf es keine Einmischung seitens der Politik mehr geben.
  • Die Unabhängigkeit der Friedensrichterinnen und Friedensrichter. Ihre Befugnisse müssen geändert werden, damit Missbrauch wie Festnahmen und Inhaftierungen von Medienschaffenden und Internetzensur künftig nicht mehr möglich sind.

2. Der Vorrang der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des türkischen Verfassungsgerichts; dies schreibt die türkische Verfassung von 1982 vor und ist für die Wahrung der Informations- und Pressefreiheit essentiell.

3. Für das Personal von Gerichten, Staatsanwaltschaften und Polizei sind Schulungen zum Thema Pressefreiheit abzuhalten, insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des türkischen Verfassungsgerichts, um Verfahren zu gewährleisten, die die Meinungs- und Pressefreiheit respektieren.

B – Kandidierende sollten sich für Gesetzesreformen einsetzen, um die Pressefreiheit zu stärken und den Missbrauch des Strafrechts gegen Medienschaffende zu unterbinden.

4. Gesetze zur Bekämpfung von Straftaten und von Terrorismus dürfen nicht gegen Journalistinnen, Journalisten und andere, die kritisch und unabhängig berichten oder ihre Meinung äußern, eingesetzt werden.

5. Das Strafgesetzbuch darf keine Waffe gegen die Pressefreiheit mehr sein: Gestrichen werden müssen die Artikel zur „Beleidigung des Präsidenten“ und zur „Verunglimpfung staatlicher Institutionen“; entkriminalisiert werden müssen die Tatbestände Beleidigung und Verleumdung (im Einklang mit den Empfehlungen der Venedig-Kommission); zu überarbeiten ist Artikel 217-A Strafgesetzbuch, der „Desinformation“ unter Strafe stellt.

6. Der Zugang zu staatlich verwahrten Informationen ist zu ermöglichen.

7. Journalistinnen und Journalisten müssen besser vor SLAPPs (Knebelklagen) geschützt werden.

C – Kandidierende sollten sich für die Unabhängigkeit von Medienkontrollgremien und Medien einsetzen.

8. Gremien, die für die Regulierung von Medien zuständig sind, müssen unabhängig und unparteiisch sein, darunter der Hohe Rundfunkrat (RTÜK), die Kommission für Presseausweise und die Agentur für die Verteilung von Werbeeinnahmen (BIK). Die Gremien müssen von jeglicher politischer Einflussnahme befreit werden.

9. Es muss ein transparenter Rechtsrahmen geschaffen werden, der verhindert, dass die Politik sich in die Eigentumsverhältnisse der Medien einmischen kann.

D - Kandidierende sollten die Pressefreiheit aktiv schützen.

10. Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten sollten öffentlich verurteilt werden. Sämtliche Angriffe müssen Gegenstand systematischer strafrechtlicher Ermittlungen werden, sodass die Verantwortlichen gefunden, verurteilt und bestraft werden.

11. Verbale Angriffe auf Medienschaffende sind aufs Schärfste zu verurteilen, ebenso sämtliche Versuche seitens Politikerinnen und Politikern, Medienschaffende zu diskreditieren.

12. Der unangemessene Einsatz internationaler Verfahren (einschließlich Interpol-Rot-Notizen und Ersuchen um internationale justizielle Zusammenarbeit), die sich gegen ausländische oder aus dem Land geflohene Medienschaffende richten, muss aufhören.

13. Sämtliche Fragen und Auskunftsersuchen der Medien sind offen und fair zu beantworten, sodass eine pluralistische, genaue und ausgewogene Berichterstattung möglich ist.

14. Die Praktiken und Mechanismen parlamentarischer Anhörungen müssen überprüft werden, um sicherzustellen, dass Fragen der Abgeordneten an die Regierung, besonders diejenigen, die die Pressefreiheit betreffen, beantwortet und nicht ignoriert werden.

15. Stärkung der Rolle parlamentarischer Untersuchungsausschüsse zur Lage der Medien und zur Ermordung von Journalistinnen und Journalisten.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 149 von 180 Ländern.

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Pressemitteilungen Fri, 14 Apr 2023 13:48:00 +0200
Afghanische Journalisten müssen weiter bangen Es passierte ausgerechnet während einer Preisverleihung für Journalistinnen und Journalisten. Am 11. März explodierte eine Bombe in Mazar-i-Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh im Norden Afghanistans. Zwei Reporter starben, 15 wurden verletzt. „Als die Bombe hochging, fielen wir alle zu Boden und suchten nach einem Ausgang. Aber wir waren in einem Keller, es war schwer, hinauszukommen, und Sicherheitsmaßnahmen gab es nicht. Wir stehen immer noch unter Schock,“ berichtete der freiberufliche Fotojournalist Atif Aryan Reporter ohne Grenzen (RSF) kurz nach dem Anschlag, zu dem sich der sogenannte Islamische Staat bekannte. Zwei Tage zuvor tötete bereits ein Selbstmordattentäter den Gouverneur der Provinz. Den Anschlag reklamierte ein regionaler Ableger und Rivale der Dschihadistenmiliz für sich.

Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan arbeiten unter lebensgefährlichen Bedingungen. Sie leiden nicht nur unter den Kämpfen zwischen den Ablegern des „Islamischen Staats“. Sie gehören auch zu den Hauptzielen der Taliban, die im August 2021 wieder die Macht übernommen haben. Diese drohen und verfolgen Medienschaffende, nehmen Reporter fest, verdrängen Journalistinnen aus der Medienlandschaft, zensieren Berichte und durchsuchen Redaktionen. Die Taliban haben den Medienpluralismus in Afghanistan zerstört: Mehr als die Hälfte der 526 Medienunternehmen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten tätig waren, mussten schließen. Die Printmedien werden mittlerweile vollständig von den Taliban kontrolliert, und fast die Hälfte aller Radiosender hat den Betrieb eingestellt. Von den rund 30 Nachrichtenseiten, die in Afghanistan vor August 2021 existierten, wurden fast 60 Prozent geschlossen, die meisten mussten ins Ausland umziehen.

Ein Hoffnungsschimmer für viele afghanische Journalistinnen und Journalisten war daher das am 17. Oktober angelaufene Bundesaufnahmeprogramm. Jeden Monat wollte die Bundesregierung 1.000 gefährdete Afghaninnen und Afghanen nach Deutschland holen. Doch sechs Monate nach dem Start zieht RSF eine ernüchternde Bilanz. Viele Kritikpunkte, die die Organisation schon kurz nach Beginn bemängelt hatte, bestehen weiter, und einige Befürchtungen sind wahr geworden. Derzeit pausiert das Programm wegen möglicher Sicherheitslücken.

„Sechs Monate nach dem Start des Bundesaufnahmeprogramms sind wir enttäuscht und wütend: Die eigentlich begrüßenswerte Initiative der Bundesregierung erfüllt nicht das, was sie versprochen hat, und lässt die Menschen hängen, die unsere Hilfe dringend brauchen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wie oft sollen wir unsere Kritik noch wiederholen? Wir appellieren an die Bundesregierung, endlich angemessen zu reagieren und die akut gefährdeten Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan und Drittstaaten in Sicherheit zu bringen.“

Wer in Afghanistan jetzt noch journalistisch arbeitet, beweist großen Mut. Diesen Journalistinnen und Reportern ist es zu verdanken, dass der Journalismus im Land überhaupt noch existiert. Zu verhindern, dass Afghanistan zu einem medialen schwarzen Loch wird, ist auch das Ziel von Reporter ohne Grenzen. Wenn aber nun auch die letzten unabhängigen Medienschaffenden in den Fokus der Behörden und Milizen geraten, brauchen sie schnelle Hilfe – eine Hilfe, die das Bundesaufnahmeprogramm in seiner derzeitigen Form nicht leistet.

Zivilgesellschaft als „Gatekeeper“

Ein zentrales Problem bleibt, dass die Bundesregierung die Verantwortung, eine Vorauswahl für das Aufnahmeprogramm zu treffen, auf die Zivilgesellschaft abwälzt. Es gibt keine zentrale Aufnahmestelle. Stattdessen fungieren verschiedene Organisationen als meldeberechtigte Stellen. Damit erfüllen NGOs die unangenehme und ethisch fragwürdige Rolle der „Gatekeeper“. Sie müssen mit begrenzten Ressourcen und ohne klare Richtlinien entscheiden, wer bedürftiger ist. Das bedeutet zum Beispiel auch zu entscheiden, wessen Folter schwerwiegender oder wessen Hausdurchsuchung durch die Taliban wahrscheinlicher ist. Die Organisationen werden mit Anfragen überrannt. Doch ohne eine zentrale Koordinierung durch die Bundesregierung kommt es immer wieder zu ressourcenbindenden Doppelungen, da sich Betroffene bei mehreren Organisationen gleichzeitig melden.

RSF musste kurz nach dem Start des Programms Mitte Oktober das eigene Online-Formular für Hilfsanfragen gefährdeter afghanischer Medienschaffender temporär wieder offline stellen. Allein in den ersten zehn Tagen waren mehr als 12.000 Registrierungen und 3.700 Anträge bei der Organisation eingegangen. Hinzu kamen hunderte E-Mails, Nachrichten via Social Media und Telefonanrufe. Bis heute erreichen RSF regelmäßig verzweifelte Anfragen von Betroffenen in Afghanistan oder ihren Kollegen, Freundinnen und Verwandten im Ausland. Nicht alle Anfragen fallen unter das Mandat der Organisation. In einem sehr aufwendigen Prozess prüft RSF rigoros und präzise jeden Antrag: Wie sieht der journalistische Hintergrund der Person aus? Wie akut ist die Gefährdung? Wurde die Person aufgrund ihrer journalistischen Arbeit bedroht oder liegen hier andere Ursachen zugrunde – dann wären wiederum andere Organisationen für die Bearbeitung zuständig.

Langsam und intransparent

Aus Sicht von RSF verfehlt das Bundesaufnahmeprogramm aufgrund des langsamen Vorgehens sein Mandat, besonders gefährdeten Afghaninnen und Afghanen eine Aufnahme zu ermöglichen. Zwar gab es inzwischen Aufnahmerunden, in denen Personen ausgewählt wurden. Bisher ist unter dieser Initiative aber noch niemand nach Deutschland gekommen. RSF ist nicht bekannt, dass Medienschaffende, die von der Organisation an das Programm herangeführt wurden, eine Aufnahmezusage bekommen hätten.

RSF kritisiert in diesem Zusammenhang die Intransparenz. Es bleibt unklar, nach welchen Kriterien und mit welcher Gewichtung Personen ausgewählt werden. Hinzu kommt, dass es bei der Bewertung einzelner Fälle immer um die jeweilige Gefährdung aus der Vergangenheit geht. Bei der Zielgruppe von RSF sollten jedoch auch Szenarien berücksichtigt werden, die noch eintreten könnten. Wenn Journalistinnen und Journalisten etwa erst nach ihrem Antrag eine kritische Recherche oder ein sensibles Interview veröffentlichen, kann dies nicht mehr im Nachhinein angegeben werden, obwohl sie damit erst recht ins Visier der Taliban geraten könnten. 

Keine Hilfe für geflüchtete Journalisten in Nachbarländern

Zu diesem Zeitpunkt müssen sie oftmals schnellstmöglich das Land verlassen – und kommen für einen Schutz in Deutschland dann nicht mehr in Frage: Das Bundesaufnahmeprogramm schließt neue Gefährdungsanzeigen afghanischer Journalistinnen und Journalisten aus, die bereits in Nachbarländer ausgereist sind. Dabei hatten wenige Tage nach dem Fall Kabuls im August 2021 Mitarbeitende der Bundesregierung afghanischen Medienschaffenden indirekt geraten, schnellstmöglich in die Nachbarländer auszureisen. Vor allem höchst gefährdete Journalistinnen und Journalisten, die damit rechnen mussten, als erste unter der Repression der Taliban zu leiden, flüchteten zumeist nach Pakistan. Doch Pakistan und andere Anrainerstaaten bieten keinen langfristigen Schutz. RSF fordert deshalb von der Bundesregierung, Alternativen der humanitären Aufnahme wie über §22 AufenthG weiter zu ermöglichen.

Derzeit gibt es laut RSF-Informationen offenbar keine Pläne der Regierung, das Programm für geflüchtete Medienschaffende in Drittstaaten zu öffnen. Der Organisation ist der Fall eines Journalisten bekannt, der überlegt, mit seiner Familie nach Afghanistan zurückzukehren. Aus Sicherheitsgründen rät RSF jedoch dringend davon ab, in der Hoffnung auf einen ungewissen Platz im Bundesaufnahmeprogramm nach Afghanistan zurückzukehren.

Komplizierte Ausreisebedingungen

Unklar bleibt auch, wie lange Journalistinnen und Journalisten, die ausgewählt wurden, auf die Ausreise warten müssen. Nach einer Zusage müssen die Betroffenen in die pakistanische Hauptstadt Islamabad oder die iranische Hauptstadt Teheran reisen, um dort ihr Visum zu erhalten. Für Pakistan brauchen Afghaninnen und Afghanen jedoch ein Visum, das derzeit nur für viel Geld über inoffizielle Wege angeboten wird. Ein weiteres Problem ist, dass viele von ihnen keine gültigen Pässe mehr besitzen – hier müssen alternative Wege der direkten Ausreise in Zusammenarbeit mit den deutschen Behörden gefunden werden.

RSF fordert die Bundesregierung zudem auf, die intensive Betreuung der Betroffenen zu übernehmen, die von der Auswahl bis zur Ausreise anfällt. Die Erfahrungen der vergangenen Monate zeigen, dass der Kontakt mit gefährdeten Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan nicht durchgehend möglich ist. Es kommt vor, dass die Betroffenen plötzlich untertauchen oder den Wohnort wechseln müssen oder keine Internetverbindung haben. Es darf nicht passieren, dass bei solchen zeitweiligen Unterbrechungen der Prozess der Visabeantragung oder Ausreisebetreuung abgebrochen wird, wie dem RSF-Nothilfeteam im Fall einer höchst gefährdeten Radiojournalistin bekannt wurde. Die Journalistin musste ein vorübergehendes Drittland im Frühjahr 2022 wieder verlassen, da ihr Visum nicht mehr verlängerbar war. Seitdem wartet sie in wechselnden Verstecken mit ihrem neugeborenen Kind auf die Hilfe aus Deutschland.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Afghanistan auf Platz 156 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Fri, 14 Apr 2023 9:01:00 +0200
RSF reicht Verfassungsbeschwerde ein Reporter ohne Grenzen (RSF) hat am heutigen Donnerstag (13.04.) beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde gegen die rechtliche Grundlage für den Einsatz sogenannter Staatstrojaner durch den Bundesnachrichtendienst (BND) eingelegt – das sogenannte Artikel-10-Gesetz oder G10. Die Beschwerde richtet sich zudem gegen ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig, das am 25. Januar eine Klage von RSF in derselben Sache als unzulässig abgewiesen und bemängelt hatte, dass die Organisation ihre Betroffenheit nicht hinreichend nachgewiesen habe.

„In seiner jetzigen Form ist das deutsche Verfassungsschutzrecht eine echte Gefahr für investigativ arbeitende Medienschaffende und ihre Quellen, und das weltweit. Jeder Journalist und jede Journalistin, die in extremistischen Kreisen recherchiert, könnte durch den BND per Staatstrojaner überwacht werden und hat aktuell praktisch keine Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg dagegen zu wehren. Das muss sich ändern“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Da das Bundesverwaltungsgericht nicht in der Sache über unser Anliegen entscheiden wollte, setzen wir jetzt auf ein Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts.“

Investigative Journalistinnen und Journalisten, die außerhalb Deutschlands in Kontakt mit Zielpersonen des BND stehen, sind ständig potenziell gefährdet, als unverdächtige Nebenbetroffene ins Visier des Auslandsgeheimdienstes zu geraten. Wird ihre Kommunikation überwacht, verletzt dies einerseits ihr Grundrecht auf journalistischen Quellenschutz und kann andererseits für die Quellen wie auch für die Journalistinnen und Journalisten eine echte Gefahr darstellen. Mittels der als „Staatstrojaner“ bekannten Spähsoftware kann der BND in Smartphones und Computer einer Zielperson eindringen und dort selbst verschlüsselte Nachrichten abrufen.

Auch RSF kommuniziert regelmäßig mit ausländischen Journalistinnen, Journalisten und Regierungsstellen. Die Organisation sieht deshalb ein reales Risiko, dass auch die Mobiltelefone und Computer ihrer Mitarbeitenden vom BND mittels „Staatstrojaner“ ausspioniert werden könnten. Damit könnte RSF auch seine Kommunikationspartnerinnen und -partner in die Gefahr bringen, überwacht zu werden. Viele Aktivitäten von RSF wären nicht möglich, wenn Kontaktpersonen im Ausland Grund zur Annahme hätten, dass der Kontakt zu RSF sie ins Visier eines Geheimdienstes rückt. Ein Beispiel ist die Strafanzeige gegen den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, die die Organisation nur mit Hilfe von Kontaktpersonen vorbereiten konnte. 

Gesetzliche Grundlage muss für verfassungswidrig erklärt werden

RSF will mit der Verfassungsbeschwerde erreichen, dass die gesetzliche Grundlage, die dem BND den Einsatz von „Staatstrojanern“ erlaubt (konkret das Artikel-10-Gesetz, G10), für verfassungswidrig und damit nichtig erklärt wird. Seit der Neuerung des G10 sowie des BND-Gesetzes Mitte 2021 ist es allen deutschen Geheimdiensten erlaubt, den „Staatstrojaner“ einzusetzen. Das G10 verstößt aus Sicht von RSF gegen das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 GG) und das sogenannte IT-Grundrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) sowie gegen die Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), die Betroffenen zusichert, sich gegen die Verletzung eigener Grundrechte vor Gericht zur Wehr setzen zu können. Das G10 lässt Klagen gegen eine Überwachung erst zu, wenn die überwachende Behörde die betroffene Person darüber informiert hat, dass sie ausspioniert wird. Zudem verlangt RSF, dass Karlsruhe das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aufhebt und die Sache nach Leipzig zurückverweist.

Die Organisation hätte gerne direkt gegen die gesetzliche Grundlage Verfassungsbeschwerde eingelegt, ohne den Umweg über das Bundesverwaltungsgericht gehen zu müssen. Der Subsidiaritätsgrundsatz verlangt nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts allerdings, dass in Deutschland erst der Rechtsweg über Fachgerichte ausgeschöpft sein muss, bevor das Bundesverfassungsgericht sich mit einer solchen Sache befasst. Dies kann aber nicht funktionieren, wenn es um vorbeugenden Rechtsschutz gegen heimliche Maßnahmen eines Geheimdienstes geht. Klagende dürfen nicht gezwungen sein, einen Nachweis dafür zu liefern, dass sie eine heimliche Überwachung zu befürchten haben, da dies schlichtweg unmöglich ist: Da Nebenbetroffenen selbst kein Verdacht anlastet und die durch den „Staatstrojaner“ erlangten Informationen nicht genutzt werden, um ein Verfahren gegen sie einzuleiten, würden sie von einer verdeckten Überwachung selbst im Nachhinein nichts erfahren. Ein effektiver Rechtsschutz ist damit ausgeschlossen. 

Man kann von Betroffenen nicht verlangen, dem BND zu vertrauen

RSF ist überzeugt, dass von Betroffenen nicht verlangt werden kann, eine Zusicherung des BND einzuholen, dass dieser sie nicht überwache, dieser zu vertrauen und daraufhin auf Rechtsschutz zu verzichten. Die Organisation beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Diese betont, dass ein in der Öffentlichkeit weit verbreiteter Verdacht, dass ein Geheimdienst unrechtmäßig Personen überwacht, nicht pauschal abgetan werden kann, wenn potenziell Betroffene keine rechtlichen Mittel haben, um sich dagegen zur Wehr zu setzen. Deshalb muss die strikte Anwendung des Subsidiaritätsprinzips in Bezug auf heimliche Überwachungsmaßnahmen aus Sicht von RSF grundsätzlich in Frage gestellt werden.

Das Bundesverwaltungsgericht hat mit der Abweisung der RSF-Klage strengere Maßstäbe angelegt als das Europarecht, das großzügigeren Rechtsschutz gewährt als das nationale Recht. Hier zeigte sich einmal mehr die Bedeutung eines weiteren Verfahrens von RSF, das bereits im Januar 2021 vom EGMR zur Entscheidung angenommen wurde. Das Bundesverwaltungsgericht hatte zuvor 2016 eine Klage von RSF gegen die anlasslose BND-Massenüberwachung zurückgewiesen, das Bundesverfassungsgericht ein Jahr später die darauffolgende Beschwerde von RSF. Die Gerichte begründeten dies schon damals damit, dass die Organisation nicht glaubhaft dargelegt habe, dass sie konkret von der Überwachung betroffen sei. Dagegen richtete sich die Beschwerde von RSF beim EGMR.

Im aktuellen Fall hatte RSF im Oktober 2021 mit Unterstützung des Berliner Rechtsanwalts Niko Härting vor dem Bundesverwaltungsgericht zunächst einen Eilantrag eingereicht, den das Gericht im November 2021 abgelehnt hatte. Im Januar 2023 hörte das Gericht vier Experten des BND an, die bestätigten, dass der Geheimdienst sowohl in der Inland-Ausland- als auch in der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung den „Staatstrojaner“ verwendet. Die Nachfrage von Rechtsanwalt Härting, ob der BND auch die umstrittene Spionagesoftware Pegasus benutzt, wie 2021 Recherchen von Süddeutscher ZeitungZeitNDR und WDR ergaben, ließ das Gericht nicht zu. Mithilfe von Pegasus kann sämtliche verschlüsselte wie unverschlüsselte Handykommunikation abgehört und mitgelesen werden.

Koordiniert von RSF und mit dem gleichen Ziel wie die Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht hatten im Oktober 2021 auch zwei Journalisten und eine Journalistin, die in Deutschland zu rechtsextremen Netzwerken recherchieren, sowie das Whistleblower Netzwerk Klagen bei unterschiedlichen Verwaltungsgerichten eingereicht. Die Medienschaffenden könnten durch Quellen, die potenziell vom Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz sowie vom Militärischen Abschirmdienst (MAD) überwacht werden, zum „Beifang“ von Überwachung mittels „Staatstrojanern“ geworden sein. Die Eilverfahren waren bislang nicht erfolgreich, in den entsprechenden Hauptverfahren stehen Entscheidungen der ersten Instanz noch aus.

In einer weiteren, am 26. Januar eingereichten Verfassungsbeschwerde wendet sich RSF gemeinsam mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sowie Journalistinnen und Menschenrechtsaktivisten auch gegen das reformierte BND-Gesetz. Nach der ersten Beschwerde der beiden Organisationen hatte das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 in einem wegweisenden Urteil weite Teile der Auslandsüberwachung des BND für grundrechtswidrig erklärt. Jedoch wird auch das reformierte BND-Gesetz den Anforderungen aus Karlsruhe nicht gerecht, zudem hat der Gesetzgeber neue verfassungswidrige Regelungen in das Gesetz aufgenommen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Deutschland auf Platz 16 von 180 Staaten. 

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Pressemitteilungen Thu, 13 Apr 2023 17:48:00 +0200
Freilassung von Journalisten fordern Vor der China-Reise von Annalena Baerbock am heutigen Mittwoch appelliert Reporter ohne Grenzen (RSF) an die Außenministerin, auf die Freilassung der mehr als 100 dort inhaftierten Journalistinnen und Journalisten zu drängen. Die Organisation erinnert insbesondere an die Medienschaffenden, die aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands und der Haftbedingungen im Gefängnis sterben könnten. Unter ihnen sind etwa Huang Qi, der wegen „Weitergabe von Staatsgemeinnissen ins Ausland“ eine zwölfjährige Haftstrafe verbüßt, und Zhang Zhan, die wegen ihrer Covid-Berichterstattung aus Wuhan zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

„Wenige Tage vor ihrem Amtsantritt hatte Annalena Baerbock in einem taz-Interview gesagt: ‚Journalistische Berichterstattung ist kein Verbrechen. Zhang Zhan gehört daher freigelassen.‘ Die China-Reise ist eine gute Gelegenheit, diese Worte in Peking zu wiederholen. Sie lassen sich auch auf viele andere Fälle übertragen“, sagte RSF-Geschäftsführer Christan Mihr. „Die Lage der Pressefreiheit in China ist so katastrophal, dass die Außenministerin ihr einen zentralen Platz in den Gesprächen vor Ort einräumen muss.“

RSF fordert Baerbock zudem auf, während ihrer Reise den Blick auch nach Hongkong zu richten. In der chinesischen Sonderverwaltungszone bedroht ein 2020 von Peking verabschiedetes „Sicherheitsgesetz“ Journalistinnen und Journalisten und die einst lebendige Medienszene. Ein prominenter Fall ist der Verleger Jimmy Lai. Ihm droht wegen „geheimer Zusammenarbeit mit ausländischen Kräften“ eine lebenslange Haftstrafe. In rund sechs Monaten beginnt sein Prozess.

„Jimmy Lai musste bereits seinen 74. und 75. Geburtstag im Gefängnis verbringen. Außenministerin Baerbock muss seine sofortige Freilassung fordern und Peking signalisieren, dass die internationale Gemeinschaft nicht schweigend zusieht, wenn das chinesische Regime ein Symbol der Pressefreiheit mundtot machen möchte.“

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 175 von 180 Staaten, Hongkong belegt Platz 148. In dem Bericht „Journalismus in China: Der große Sprung zurück“ beschreibt RSF das Ausmaß der Unterdrückung von Presse- und Informationsfreiheit in Hongkong und China und untersucht die verschiedenen Instrumente, mit denen das Regime in Peking arbeitet. 

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Pressemitteilungen Wed, 12 Apr 2023 12:48:00 +0200
Front-Verbot für Medienschaffende Ob das zurückeroberte Makijiwka, Bohdaniwka bei Kiew oder das schwer umkämpfte Bachmut: 52 Städte und Dörfer an der Front in der Ostukraine sind seit Ende März 2023 für Medienschaffende gesperrt. Die Siedlungen lägen nun in einer roten Zone, welche Journalistinnen und Journalisten nicht mehr betreten dürfen, informierte am 19. März 2023 das Operative Kommando Ost, eines von vier regionalen Streitkräftekommandos der ukrainischen Armee. Auch in der Südukraine wurde eine rote Zone eingerichtet: Dort ist Medienschaffenden der Zugang zu sämtlichen Häfen, militärischen Objekten, wiedereroberten Gebieten und Grenzzonen verboten. Dies verkündete das Militärkommando Süd am 20. März 2023.

„Wir halten die neuen Regeln für übertrieben", erklärte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Sie machen die Berichterstattung von der Front praktisch unmöglich.“ Die ukrainische Regierung müsse gewährleisten, dass Medienschaffende weiterhin aus erster Hand über den russischen Krieg gegen die Ukraine berichten könnten.

Ampel-Modell schränkt Berichterstattung ein

Grundlage für die Einrichtung der Sperrzonen ist eine Änderung der Vorschriften für Berichterstattende im Kriegsgebiet vom 27. Februar 2023. Dieser zufolge müssen die vier militärischen Regionalkommandos das Gebiet in ihrer Zuständigkeit jeweils in eine rote, gelbe und grüne Zone einteilen. Das Betreten der roten Zone ist Medienschaffenden verboten. In der gelben Zone ist Berichterstattung nur in Begleitung eines Presse-Offiziers – oder eines anderen vom Militär zugeteilten Begleitenden – erlaubt. In der grünen Zone darf ohne Einschränkungen journalistisch gearbeitet werden.

Die neuen Regeln zielten nicht auf eine Behinderung der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, versicherte Natalija Humenjuk, Sprecherin des Militärkommandos Süd. Stattdessen sollten sie die journalistische Tätigkeit „unter Berücksichtigung der Situation und der Bedürfnisse der Armee organisieren". Die Einteilung der Zonen werde mit Blick auf die Entwicklungen an der Front wöchentlich überprüft. In Ausnahmesituationen sei das Betreten der roten Zone weiterhin möglich: Medienschaffende könnten in „Fällen, die eine sofortige Berichterstattung erfordern“ Zugang beantragen. Die Anträge würden umgehend geprüft.

Zusätzlich führt das Militär neue Pressekarten für Medienschaffende im Kampfgebiet ein. Die bisher unbegrenzt geltenden Akkreditierungen, welche im vergangenen Jahr ausgestellt wurden,  sind nur noch bis zum 1. Mai 2023 gültig. Die neuen Akkreditierungen müssen beantragt und alles sechs Monate erneuert werden. Medienschaffenden, die gegen die neuen Regeln verstoßen, droht der Entzug der Akkreditierung oder deren vorübergehende Aussetzung.

„Inakzeptable Einschränkung journalistischer Arbeit“

Ukrainische Medienschaffende kritisieren die neuen Regeln scharf. Das Zonen-Modell mache die Berichterstattung von der Front faktisch unmöglich, protestierte Oksana Romanjuk, Vorsitzende des Institute of Mass Information (IMI). Die Einteilung der Zonen sei logisch nicht nachvollziehbar: Städte unter russischem Beschuss seien grünen Zonen zugeteilt worden, während weitgehend ruhige Ortschaften sich in einer roten Zone wiederfänden. So ist etwa die ostukrainische Stadt Snihuriwka künftig für Medienschaffende tabu, obwohl sie 40 Kilometer von der Front entfernt liegt. Große Gebietshauptstädte wie Mykolajiw und Cherson, in denen ukrainische Medien weitgehend ohne Einschränkungen arbeiteten, dürfen künftig nur noch in Begleitung von Presseoffizieren betreten werden.

Mediaruch, ein Zusammenschluss ukrainischer Medien, Nichtregierungsorganisationen und Journalistinnen und Journalisten, verurteilte das Zonen-Modell als „inakzeptable Einschränkung journalistischer Arbeit“. Medienschaffende müssten wieder Zugang zur Front bekommen. Zudem verfüge die Armee nicht über genug Presse-Offiziere, um alle Berichterstattende und Film-Teams in den gelben Zonen zu begleiten. Die Nationale Journalistengewerkschaft der Ukraine (NUJU)  forderte eine Überarbeitung des neuen Regelwerks.

14 ukrainische Frontberichterstattende kritisierten in einem Video auf Facebook die angebliche Existenz einer Liste privilegierter Medien, deren Journalistinnen und Journalisten weiterhin aus den roten Zonen berichten dürften. Dabei soll es sich um Medienschaffende reichweitenstarker Fernsehsender handeln, die Teil des staatlichen Fernsehmarathons sind, einem gemeinsamen Nachrichtenprogramm mehrerer ukrainischer Sender, das seit dem russischen Großangriff rund um die Uhr läuft.

Ukrainische Presseverbände drängten in den vergangenen Monaten verstärkt auf neue Regeln, um die Kommunikation zwischen Armee und Journalistinnen und Journalisten zu verbessern. Unter anderem hatten sie eine Task Force für Fragen der Kriegsberichterstattung im Präsidentenbüro vorgeschlagen. Auch das nun eingeführte Zonen-Modell geht auf eine Idee der Presseschaffenden zurück. Dieses sah in seiner ursprünglichen Fassung die Einrichtung roter Zonen allerdings nur in Ausnahmefällen vor. Von offizieller Seite gab es keine Rückmeldung zu den Vorschlägen. Stattdessen rief das ukrainische Verteidigungsministerium zu zurückhaltender Berichterstattung auf. Das Präsidialamt übte Druck aus, um die Kommunikation zwischen Armee und ausländischen Medienschaffenden stärker zu kontrollieren.

Befehl 73 regelt die Arbeit Medienschaffender im Kampfgebiet

Grundlegende Regeln zur Arbeit der Medienschaffenden unter dem Kriegsrecht hatte Armeechef Walerij Saluschnyj am 3. März 2022 im Befehl 73 festgelegt: Demnach benötigen ukrainische und ausländische Medienschaffende für die Berichterstattung im Kriegsgebiet zwingend eine Akkreditierung des Verteidigungsministeriums. Zu dieser gehört eine umfangreiche Liste von Daten, die nicht veröffentlicht werden dürfen. Dabei handelt es sich um strategische Informationen, die Moskau Rückschlüsse auf die ukrainische Taktik ermöglichen könnten. So sind beispielsweise Fotos und Videos von ukrainischem Kriegsgerät ebenso untersagt wie Aufnahmen, die den Standort ukrainischer Einheiten verraten könnten.

Die Akkreditierung verpflichtet Berichterstattende zu einer engen Abstimmung mit dem Militär: Umkämpfte Gebiete dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Kommandeure betreten werden. Diese legen auch Routen sowie einen verbindlichen Zeitplan für Reisen durch das Kampfgebiet fest. Das Betreten militärischer Anlagen und gesperrter Bereiche ist untersagt. Auf Nachfrage der Armee müssen Videoaufnahmen oder Fotos zur Kontrolle auf Staatsgeheimnisse und sensible Daten vorgelegt werden.

Bei Zuwiderhandlungen kann die Akkreditierung entzogen werden. So verloren im November 2022 sechs ukrainische und ausländische Medienschaffende ihre Akkreditierung, nachdem sie ohne Erlaubnis lokaler Kommandeure aus der zurückeroberten Stadt Cherson in der Südukraine berichteten. Nach ukrainischen und internationalen Protesten erhielten die Medienschaffenden ihre Akkreditierungen zurück.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz 106 von 180 Ländern.

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Pressemitteilungen Tue, 11 Apr 2023 17:48:00 +0200
1.657 Medienschaffende seit 2003 getötet Am heutigen Freitag (07. April) vor genau 20 Jahren wurde der deutsche Journalist Christian Liebig im Irak getötet. Aus diesem Anlass blickt Reporter ohne Grenzen (RSF) auf zwei besonders tödliche Jahrzehnte für Medienschaffende zurück: Seit 2003 kamen bis 7. April insgesamt 1.657 Journalistinnen und Reporter bei oder wegen ihrer Arbeit ums Leben, durch Morde oder Auftragsmorde, bei Überfällen, Angriffen in Kriegsgebieten oder nach schwersten Verletzungen. Im Schnitt sind das mehr als 80 im Jahr.

„Hinter jeder nackten Zahl steht ein unermesslicher Verlust für die Angehörigen, und ein Verlust im Kampf um die Pressefreiheit weltweit“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Für uns ist das ein Ansporn, jeden Tag weiter zu kämpfen, für besseren Schutz in Krisen- und Kriegsgebieten, für wirksamere Gesetze und gegen die Straflosigkeit. Wenn die Täterinnen und Täter straflos davonkommen, werden immer wieder Journalistinnen und Reporter sterben.“

Christian Liebig war für den Focus in den Irak gereist und begleitete dort als „embedded journalist“ eine Einheit der US-Armee. Die US-geführte Invasion im Irak hatte am 19. März begonnen. Am 7. April 2003 schlug eine Rakete im Hauptquartier der Einheit ein und tötete Liebig, seinen spanischen El-Mundo-Kollegen Julio Anguita Parrado und zwei Soldaten. Seit 2003 sind im Irak insgesamt 300 Medienschaffende ums Leben gekommen. Der Irak ist damit vor Syrien mit 280 Getöteten das gefährlichste Land für Journalistinnen und Reporter der vergangenen 20 Jahre. Auf dieser Liste folgen Afghanistan, der Jemen, die Palästinensischen Gebiete und Somalia.

Die meisten Medienschaffenden kamen 2012 ums Leben. Für die 143 getöteten Journalistinnen und Journalisten waren vor allem die verschiedenen Parteien des syrischen Bürgerkriegs verantwortlich. Ein Jahr später, 2013, starben weitere 136 Medienschaffende. In der Folge gingen die Zahlen zurück, ab 2019 verzeichnete RSF historisch niedrige Zahlen. 2021 starben weltweit 51 Journalistinnen und Reporter, im vergangenen Jahr 60.

In Europa ist Russland das Land mit den meisten getöteten Medienschaffenden

In Europa bleibt Russland das Land mit den meisten getöteten Medienschaffenden. Seit der Machtübernahme durch Wladimir Putin im Jahr 2001 hat es in Russland vermehrt systematische Angriffe auf die Pressefreiheit gegeben, darunter mindestens 37 tödliche wie den Mord an Anna Politkowskaja am 7. Oktober 2006. Der umfassende russische Angriffskrieg auf die Ukraine seit 24. Februar 2022 ist einer der Gründe für die hohen Todeszahlen in der Ukraine, die zweithöchsten in Europa. Dort wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten 20 Medienschaffende getötet, acht von ihnen seit der Invasion, nahezu alle anderen in den seit 2014 umkämpften Gebieten. Die Türkei steht mit neun getöteten Medienschaffenden auf Rang drei, gefolgt von Frankreich. Dort töteten Terroristen beim Terroranschlag auf das Büro der Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris im Jahr 2015 acht Medienschaffende.

Dass Journalistinnen und Journalisten dort besonders gefährdet sind, wo Kriege oder bewaffnete Auseinandersetzungen stattfinden, liegt nahe. Allerdings ist die Zahl der jährlich in Kriegsgebieten getöteten Medienschaffenden zuletzt gesunken; in den vergangenen drei Jahren waren es jeweils nicht über 20. Abgesehen davon, dass die Intensität einiger Kriege abgenommen hat, spiegeln diese Zahlen auch die Wirksamkeit der von den Nachrichtenorganisationen ergriffenen Präventiv- und Schutzmaßnahmen wider.

Dennoch sind auch Länder, in denen offiziell kein Krieg stattfindet, häufig keine sicheren Orte für Journalistinnen und Journalisten. Seit 2003 sind sogar mehr Medienschaffende in offiziell friedlichen Gebieten getötet worden als bei der Kriegsberichterstattung. Vor allem Recherchen zum organisierten Verbrechen und zu Korruption sind extrem gefährlich.

Das trifft in besonderem Maße auf Mexiko zu, aber auch auf Brasilien, Kolumbien und Honduras. 2022 war der amerikanische Doppelkontinent die gefährlichste Region der Welt, dort hat Reporter ohne Grenzen 47 Prozent aller getöteten Medienschaffenden gezählt. Auch in Asien sind die Zahlen zum Teil sehr hoch: Auf den Philippinen wurden in den vergangenen 20 Jahren 107 Medienschaffende getötet, in Pakistan 94 und in Indien 59.

Auch Journalistinnen vermehrt unter den Opfern

95 Prozent aller getöteten Medienschaffenden sind Männer. Dennoch steigt auch die Zahl getöteter Journalistinnen an, in manchen Jahren sprunghaft. Im Jahr 2017 etwa kamen zehn Journalistinnen ums Leben, gegenüber 65 männlichen Journalisten. In den vergangenen 20 Jahren wurden insgesamt 79 Journalistinnen getötet, oftmals nachdem sie zu Frauenrechten recherchiert hatten.

Reporter ohne Grenzen zählt als „getötet“ nur Medienschaffende, die unter das Mandat der Organisation fallen. Dieses umfasst alle Personen, die regelmäßig im Haupt- oder Nebenberuf Nachrichten, Informationen und Ideen sammeln, verarbeiten und verbreiten, um dem öffentlichen Interesse zu dienen, wobei sie die Grundsätze der Meinungsfreiheit und der journalistischen Ethik beachten. Die Frage, ob eine Person unter das RSF-Mandat fällt, ist eine Einzelfallentscheidung, die jeweils nach detaillierter Prüfung erfolgt.

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Pressemitteilungen Fri, 07 Apr 2023 10:00:00 +0200
Medien Zugang zu Berg-Karabach ermöglichen Im Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan droht die umstrittene Region Berg-Karabach zum schwarzen Loch in der Berichterstattung zu werden. Unabhängige Medienschaffende gelangen nicht mehr in das Gebiet, deren einziger Zugang seit fast vier Monaten von aserbaidschanischen Protestierenden blockiert wird. Auch das in Berlin ansässige Exilmedium Mikroskop Media, das kritisch über das aserbaidschanische Regime unter Präsident Ilcham Alijew und den Konflikt mit Armenien berichtet, erhält Drohungen.

„Seit Beginn der Blockade erhält die Weltöffentlichkeit kaum noch unabhängige Informationen aus erster Hand aus Berg-Karabach“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die aserbaidschanische Seite muss dafür sorgen, dass Reporterinnen und Reporter frei in der Region recherchieren und von dort berichten können.“

Der Latschin-Korridor, die einzige Zufahrtsstraße nach Berg-Karabach, wird seit dem 12. Dezember 2022 von aserbaidschanischen Protestierenden blockiert. Die mehrheitlich armenische Bevölkerung der separatistischen Region ist dadurch unter anderem von Lebensmittellieferungen und der Versorgung mit Medikamenten abgeschnitten. Die Protestierenden wollen angeblich Arbeiten an einer Mine verhindern, es wird jedoch davon ausgegangen, dass sie vom aserbaidschanischen Regime unterstützt werden. Im Februar forderte der Internationale Gerichtshof Aserbaidschan auf, die Blockade aufzuheben und so eine humanitäre Katastrophe zu verhindern.

Kein Zutritt für unabhängige Medien

Seit der Latschin-Korridor blockiert ist, dürfen ausschließlich Medienschaffende, die für staatliche oder regierungsnahe Medien in Aserbaidschan arbeiten, über die vermeintlich im Namen des Umweltschutzes Protestierenden berichten. Reporter und Reporterinnen der wenigen unabhängigen lokalen Medien werden nicht durch die Kontrollpunkte gelassen.

Auf armenischer Seite haben unabhängige Medien keinen Zugang zum Latschin-Korridor oder nach Berg-Karabach. Sie sind auf Fotos und Videos angewiesen, die von aserbaidschanischen Staatsmedien und dem lokalen Fernsehsender in Berg-Karabach zur Verfügung gestellt werden, sowie auf Aussagen von Einwohnerinnen und Einwohnern, die sich oft nicht überprüfen lassen. Nur wenige Medien haben Korrespondentinnen und Korrespondenten in der Region. Die armenische Nachrichtenseite Civilnet ist das einzige unabhängige Medienunternehmen mit einem Büro in Stepanakert, der Hauptstadt der Enklave, und beschäftigt vier Redaktionsmitglieder.

Dreiste Lüge im Staatsfernsehen

Auch ausländischen Medien gelingt es kaum, an ungefilterte Informationen aus erster Hand zu gelangen. Die wenigen Journalistinnen und Journalisten, die zu dem Posten eskortiert wurden, der den Latschin-Korridor blockiert, konnten nicht frei berichten. Ende Februar recherchierte David López Frías, ein Reporter der spanischen Zeitung El Periódico de España, in Aserbaidschan. Er verbrachte einen Abend auf der Straße nach Latschin, ständig begleitet von einer Eskorte der staatlichen aserbaidschanischen Global Media Group. Diese ermöglichte ihm bereitwillig Interviews mit den Protestierenden, nicht aber mit russischen Friedenstruppen. Ebenfalls nicht sprechen durfte er mit Menschen armenischer Herkunft auf der anderen Seite der Kontrollpunkte.

Nach López‘ Recherchereise veröffentlichte die staatliche aserbaidschanische Nachrichtenagentur Azertac ein Interview mit dem Journalisten in mehreren Sprachen, in dem sie ihn grob falsch zitierte und ihm folgende Worte in den Mund legte: „Fahrzeuge können hier ohne Probleme passieren. Man sieht nur Menschen, die für den Schutz der Natur demonstrieren.“ Im Gespräch mit RSF erklärte López, genau das Gegenteil gesagt zu haben. „Ich habe eindeutig eine blockierte Straße gesehen“, so der Journalist.

Drohungen gegen Exil-Medium in Berlin

Das in Berlin ansässige aserbaidschanische Exil-Medium Mikroskop Media veröffentlichte im Januar eine detaillierte Recherche, die aufdeckte, dass viele der im Latschin-Korridor protestierenden NGOs gar nichts mit dem Thema Umweltschutz zu tun haben und wurde daraufhin zur Zielscheibe einer Schmutzkampagne im staatlichen Fernsehen Aserbaidschans. Auch als Mikroskop Media Anfang März über den neuen Report der Organisation Freedom House berichtete, in dem Aserbaidschan als unfreies Land bezeichnet wird, tauchten in den Social-Media-Kanälen des Mediums massenhaft regimefreundliche Kommentare auf. Der Druck auf die Redaktion, die seit 2018 aus dem Ausland über die Situation in Aserbaidschan berichtet, nimmt laut Chefredakteurin Fatima Karimova zu.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Aserbaidschan auf Platz 154 und Armenien auf Platz 51 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Wed, 05 Apr 2023 17:48:00 +0200
Gefängnisleitung verwehrt RSF Assange-Besuch Einem Vertreter und einer Vertreterin von Reporter ohne Grenzen (RSF) ist am Dienstag (04.04.) der Besuch von Wikileaks-Gründer Julian Assange im Belmarsh-Gefängnis in London verwehrt worden. RSF-Generalsekretär Christophe Deloire und Kampagnendirektorin Rebecca Vincent hatten zuvor die Zusage erhalten, Assanges Ehefrau Stella bei einem Besuch in dem Hochsicherheitsgefängnis begleiten zu dürfen. Stella Assange wurde der Einlass gewährt.

Der Gefängnisverwaltung zufolge hatte diese „Informationen erhalten“, dass die RSF-Mitarbeitenden journalistisch tätig seien und daher gemäß einer Entscheidung von Gefängnisdirektorin Jenny Louis nicht eingelassen werden dürften. Louis reagierte nicht auf dringende Anfragen, Deloire und Vincent zu treffen oder anderweitig einzugreifen, um ihnen den Zugang zu ermöglichen.

„Wir sind zutiefst enttäuscht über die willkürliche Entscheidung der Gefängnisverwaltung, uns den Besuch bei Julian Assange zu verwehren, obwohl wir alle Regeln befolgt haben. Julian Assange hat das Recht, Besucherinnen und Besucher im Gefängnis zu empfangen, und als Pressefreiheitsorganisation sind wir berechtigt, ihn zu besuchen. Wir fordern, dass die Entscheidung aufgehoben wird und wir umgehend Zugang erhalten“, sagte Deloire.

„Dies ist nur das jüngste in einer langen Reihe von aberwitzigen Hindernissen, die uns in den vergangenen drei Jahren bei der Kampagne für die Freilassung von Julian Assange in den Weg gelegt wurden. Die britischen Behörden haben auf allen Ebenen gemauert, anstatt ein angemessenes Engagement einer NGO in diesem Fall zuzulassen – von der Weigerung, unsere Petitionen anzunehmen, bis hin zum fast unmöglichen Zugang zum Gerichtsverfahren. Und jetzt das. Wir lassen uns aber nicht beirren und setzen unsere #FreeAssange-Kampagne unvermindert fort“, sagte Vincent.

RSF wäre die erste NGO gewesen, die Zugang zu Assange im Belmarsh-Gefängnis erhalten hätte. Seit seiner Inhaftierung vor fast vier Jahren hatte er neben seiner engsten Familie nur eine Handvoll Besucherinnen und Besucher. Deloire und Vincent wollten sich ein Bild von Assanges Gesundheitszustand machen und mit ihm über seinen Fall sprechen – als NGO, die sich aktiv für seine Freilassung einsetzt, nicht als Medienschaffende. Deloire hätte Assange in seiner Eigenschaft als RSF-Generalsekretär besucht, Vincent als Direktorin für Kampagnen. Vincent hat nie als Journalistin gearbeitet oder einen Presseausweis besessen. Deloire war lange Journalist, bevor er Generalsekretär von RSF wurde, und hat dies nie verheimlicht. Während Assanges Zeit in der ecuadorianischen Botschaft hat Deloire ihn dreimal besucht.

Schon als RSF das Auslieferungsverfahren von Assange vor Londoner Gerichten beobachtete, war die NGO mit erheblichen Hindernissen konfrontiert – und zwar aus eben dem Grund, dass sie Mitarbeitende einer Menschenrechtsorganisation waren und sich nicht akkreditieren lassen konnten, wie es Journalistinnen oder Journalisten tun. RSF hatte daher nur über die Besuchertribüne Zugang zum Gericht und war die einzige NGO, die sich von 2020 bis 2022 in allen Verfahrensphasen diesen Zugang erkämpft hat.

RSF ist auch bei dem Versuch, #FreeAssange-Petitionen an die britische Regierung zu übergeben, immer wieder auf Hindernisse gestoßen. Im September 2020 weigerte sich das Büro des damaligen Premierministers Boris Johnson, eine Petition mit 108.000 Unterschriften anzunehmen, in der die britischen Behörden aufgefordert wurden, Assange nicht an die USA auszuliefern. Im Mai 2022 weigerte sich das Innenministerium, eine weitere Petition mit 64.000 Unterschriften anzunehmen. In dieser wurde die damalige Innenministerin Priti Patel aufgefordert, den Auslieferungsbefehl abzulehnen. Die britischen Botschaften in sechs anderen Ländern auf der ganzen Welt, darunter in Deutschland, nahmen die Petition hingegen an.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Vereinigte Königreich auf Platz 24 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Tue, 04 Apr 2023 14:49:00 +0200
Gesetzentwurf bedroht freie Berichterstattung Rund sechs Monate vor der Präsidentenwahl auf den Malediven fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) die Regierung auf, eine vorgeschlagene Änderung des Wahlgesetzes zurückzuziehen. Diese würde freiberufliche und ausländische Journalistinnen und Journalisten daran hindern, über die Stimmabgabe und die Stimmenauszählung zu berichten. Eine solche Änderung könnte die freie Berichterstattung einschränken und den Verdacht auf Wahlfälschung schüren.

„Die Änderung des Wahlgesetzes ist unklar formuliert, sie wurde ohne Konsultationen mit Medienschaffenden ausgearbeitet und dem Parlament nur sechs Monate vor einer wichtigen Wahl vorgelegt. Das ist ein alarmierendes Signal für die freie Berichterstattung und die Demokratie auf den Malediven“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wir fordern die Regierung von Präsident Ibrahim Mohamed Solih auf, den gefährlichen Entwurf zurückzuziehen und sicherzustellen, dass die Medien ihre Rolle als unabhängige Wahlbeobachter uneingeschränkt wahrnehmen können.

Die Präsidentenwahl soll am 9. September stattfinden. Nach den vorgeschlagenen Änderungen von Abschnitt 41(a) und 41(b) des Wahlgesetzes sollen nur „registrierte Journalisten“ – das heißt angestellte Journalistinnen und Journalisten von staatlich anerkannten Medien – Zutritt zu Wahllokalen erhalten und über die Auszählung berichten können. In der Praxis würde dies bedeuten, dass freiberufliche und ausländische Reporterinnen und Reporter ausgeschlossen würden.

Ein freiberuflicher Journalist, der nicht genannt werden möchte, sagte gegenüber RSF, dass die Rechte von Journalistinnen und Journalisten klar definiert werden sollten. „Wenn man sich die Formulierung dieser Änderungen ansieht, ist klar, dass sie Freiberufler und ausländische Medienschaffende daran hindern wollen, über die Wahlen zu berichten. Die Änderung könnte große Auswirkungen auf die Pressefreiheit haben.“

Solihs Wahl zum Präsidenten im September 2018 beendete einen Teufelskreis von Angriffen auf die Pressefreiheit. Im Jahr 2019 gehörten die Malediven auf der Rangliste von RSF zu den größten Aufsteigern weltweit. Während sein Vorgänger Abdulla Yameen das Land von 2013 bis 2018 mit eiserner Faust regierte, hatte Solih im Wahlkampf 2018 mehrere konkrete Zusagen in Sachen Pressefreiheit gemacht. Eines seiner Versprechen wurde umgesetzt: Das Parlament hat das drakonische Verleumdungsgesetz aus dem Jahr 2016 aufgehoben, das von der vorherigen Regierung in großem Umfang genutzt worden war, um unabhängige Medien unter Druck zu setzen. Dennoch überschatten einige repressive Gesetzesinitiativen Solihs Amtszeit.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die Malediven auf Platz 87 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Tue, 04 Apr 2023 12:48:00 +0200