RSS Newsfeed der Reporter ohne Grenzen für Informationsfreiheit https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rss.xml de-de https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/templates/assets/img/logo-rog.png RSS Newsfeed der Reporter ohne Grenzen für Informationsfreiheit https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rss.xml Regierung kippt geplantes Agenten-Gesetz Zehntausende Protestierende, Steine und Molotowcocktails, Polizisten, die Wasserwerfer und Tränengas einsetzen: Nach mehrtägigen Massenprotesten hat die georgische Regierung das geplante „Gesetz gegen ausländische Agenten“ gekippt. Georgiens Parlament stimmte am 10. März 2023  in zweiter Lesung gegen das umstrittene Gesetzesvorhaben.

„Wir begrüßen die Entscheidung des georgischen Parlaments“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Sie zeigt, dass zivilgesellschaftliche Proteste wirken. Das geplante Gesetz war ein klarer Versuch, Medienschaffende zu stigmatisieren und einzuschüchtern. Es hätte die Arbeit unabhängiger Medien in Georgien stark eingeschränkt.“

Die Initiative zu einem Agenten-Gesetz kam von der neunköpfigen parlamentarischen Gruppe „Macht des Volkes“. Diese hatte sich im vergangenen Herbst als antiwestliche Fraktion von der Regierungspartei „Georgischer Traum“ abgespaltet, unterstützt diese jedoch weiterhin im Parlament. Am 14. Februar 2023 brachte die Splittergruppe den Gesetzesentwurf „Zur Transparenz ausländischer Einflussnahme“ ins Parlament ein. Diesem zufolge sollten sich Medien – und Nichtregierungsorganisationen –, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, als „Agenten unter ausländischem Einfluss“ registrieren lassen. Eine Weigerung wäre zunächst mit einer Geldstrafe bis zu einer Höhe von 8.000 Euro geahndet worden. Danach wäre die Eintragung in das Register trotzdem erfolgt. Betroffene Medien oder Organisationen sollten jährlich einen zusätzlichen Finanzbericht vorlegen. Eine entsprechende Kennzeichnung ihrer Publikationen, wie in Russland üblich, war zunächst nicht vorgesehen. Dennoch zielt die Kennzeichnung als Agent auf eine Stigmatisierung. Schon zu Sowjetzeiten stand dieser Begriff für den Feind.

Am 22. Februar 2023 brachte „Macht des Volkes“ zusätzlich eine zweite Variante des Agenten-Gesetzes ins Parlament ein. Das „Gesetz zur Registrierung ausländischer Agenten“ ging über den ersten Entwurf deutlich hinaus: Zusätzlich zu Medien und Organisationen sollten nun auch Personen, zum Beispiel Medienschaffende, als Agenten eingestuft werden können.  Auch Haftstrafen waren nun möglich: Für eine Verweigerung der Registrierung, oder andere Verstöße, sah der Entwurf Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren vor. Außerdem sollte die Kennzeichnung von Publikationen verpflichtend werden.

Wie in den USA?

Die Regierung verteidigte beide Entwürfe mit Verweis auf den amerikanischen Foreign Agents Registration Act (FARA). Die zweite Vorlage sei gar eine Kopie dieses US-Gesetzes, behauptete Irakli Kobachidse, der Vorsitzende des „Georgischen Traums“. Auch Russlands Präsident Wladimir Putin rechtfertigt das russische Agenten-Gesetz von 2012 mit Hinweis auf FARA.

Doch der Vergleich führt in die Irre. Die georgische Initiative weicht deutlich von dem amerikanischen Gesetz ab. Der wichtigste Unterschied: Das georgische Gesetz hätte die Einstufung als Agent allein aufgrund einer ausländischen Finanzierung ermöglicht. Unter FARA ist dies jedoch kein hinreichender Grund: Es setzt zusätzlich voraus, dass die einzustufende Organisation oder Person aus dem Ausland geführt und kontrolliert wird.

Der Trick mit der Venedig-Kommission

Doch welchen der vorgelegten Entwürfe sollte das Parlament beschließen? Die Entscheidung dieser Frage wollte Tbilissi der Venedig-Kommission des Europarates zuschieben, die Staaten in verfassungsrechtlichen Fragen berät. Der Plan: Beide Varianten sollten zunächst in erster Lesung angenommen werden und der Kommission anschließend zur Prüfung zugehen. Der besser bewertete Entwurf wäre dann zur Grundlage des Agenten-Gesetzes geworden, erklärte Irakli Kobachidse.

Nach russischem Vorbild?

Georgische Medienschaffende kritisierten die Gesetzesinitiative als Angriff auf die Pressefreiheit. In Wirklichkeit gehe es darum, kritische Berichterstattung zu verhindern. Die Gesetze seien an das russische Agenten-Gesetz von 2012 angelehnt, mit dem der Kreml Journalistinnen und Journalisten und Medien schikaniert. Mehr als 260 Nichtregierungsorganisationen und Medien unterzeichneten eine Petition gegen das Vorhaben. 63 Verlagshäuser, Medien und journalistische Verbände kündigten in einer gemeinsamen Erklärung an, sich nicht an ein georgisches Agenten-Gesetz zu halten.

Auch international gab es Widerspruch: Mehrere Botschaften, Nichtregierungsorganisationen, der Europarat und die Vereinten Nationen kritisierten das Vorhaben als demokratischen Rückschritt. Das Agenten-Gesetz widerspreche Georgiens Ambitionen, EU-Beitrittskandidat zu werden, warnte die Europäische Union.  

Widerstand gegen das Gesetz

Am 2. März 2023 protestierten Medienschaffende mit Plakaten vor dem Parlament gegen den Beginn der Beratungen der Gesetze. Innerhalb des Parlaments kam es zu tumultartigen Szenen und Rangeleien, als oppositionelle Abgeordnete die Sitzungen mit Pfiffen störten. Bei einer Protestkundgebung am Abend wurden zwei Journalisten festgenommen:  Der Redakteur Beka Jikuraschwili vom Internetmagazin Tabula und Sura Wardiaschwili, Generaldirektor der Onlinezeitschrift Publika. Als Folge von Wardiaschwilis Festnahme wurden die Parlaments-Akkreditierungen der Publika-Journalistinnen Natia Amiranaschwili, Keti Goguadze und Natia Leweraschwili für einen Monat ausgesetzt. Bei einem Handgemenge zwischen Demonstrierenden und der Polizei wurde zudem der Kameramann Niko Kokaia vom oppositionellen Sender TV Pirveli am Bein verletzt.

Ursprünglich sollte über den ersten Gesetzesentwurf am 9. März 2023 in erster Lesung abgestimmt werden. Doch nach der Ankündigung einer Großdemonstration zogen „Georgischer Traum“ und „Macht des Volkes“ die Abstimmung überraschend um zwei Tage vor – und billigten die Vorlage mehrheitlich.

Noch während der Stimmabgabe kam es zu spontanen Protesten vor dem Parlament. Am nächsten Abend demonstrierten Zehntausende unter dem Slogan „Nein zum russischen Gesetz“ in Tbilissi und den georgischen Großstädten Kutaissi und Batumi. Die Polizei ging mit Wasserwerfern und Tränengas gegen die Demonstrierenden vor. Einige Protestierende warfen Steine und Molotowcocktails auf die Beamten. Während der beiden Demonstrationen wurden 133 Personen verhaftet.

Regierung macht taktische Zugeständnisse

Unter dem Eindruck der Massenproteste veröffentlichte die Regierungspartei am 9. März eine gemeinsame Erklärung mit „Macht des Volkes“: Das Agenten-Gesetz werde zurückgezogen. Dabei handelte es sich offensichtlich um ein taktisches Manöver, um Zeit zu gewinnen: Denn zurückgezogen werden konnte nur der zweite Entwurf, der noch keine Abstimmung passiert hatte. Auf den bereits in erster Lesung angenommenen ersten Gesetzesentwurf traf dies nach der Geschäftsordnung des georgischen Parlaments nicht zu. Er musste in zweiter Lesung abgelehnt werden. Sämtliche Sitzungen wurden wegen angeblicher Beschädigungen des Parlaments aber zunächst abgesagt.

Für Misstrauen sorgte darüber hinaus die Begründung der angekündigten Rücknahme. „Die Lügenmaschine war in der Lage, die Gesetzesvorlage in ein negatives Licht zu rücken und einen gewissen Teil der Öffentlichkeit in die Irre zu führen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von „Georgischer Traum“ und „Macht des Volkes“. Radikale Kräfte hätten Jugendliche in illegale Aktivitäten verwickelt. Nach dem Abkühlen der Emotionen wolle man nun besser erklären, warum die „Transparenz ausländischen Einflusses“ in Georgien gewährleistet werden müsse. Es werde „Treffen mit der Bevölkerung“ geben und die „breite Öffentlichkeit über jedes Detail des Problems“ unterrichtet.

Die Demonstrierenden lasen diese Erklärung wie den Beginn einer großen Kampagne für das Gesetz – und kehrten am Abend zu einer weiteren Protestkundgebung zurück. Daraufhin setzte das Parlament für den 10. März 2023 eine Sondersitzung an. Mit den Stimmen von 35 Abgeordneten wurde das Gesetz in zweiter Lesung endgültig gekippt. Viele Abgeordnete der Regierungspartei waren der Abstimmung ferngeblieben. 

Medienfreiheit weiter in Gefahr

Die Rücknahme des Agenten-Gesetzes ist ein großer Erfolg für Georgiens unabhängige Medien und die Zivilgesellschaft. Dass die Regierung in Tbilissi die kritische Presse jedoch weiter als Feind sieht, zeigte eine Pressekonferenz vier Tage nach dem Stopp des Agenten-Gesetzes: Die Proteste seien eine gemeinsame Kampagne von Medien, Opposition und Jugendgruppen „in den besten Traditionen des liberalen Faschismus“, wetterte Irakli Kobachidse. Am selben Tag forderten mehrere hundert Anhänger der rechten Gruppe Alt-Info während einer Kundgebung vor dem Parlament ein Referendum über das Agenten-Gesetz. Dabei wurden mehrere EU-Fahnen verbrannt.

Situation der Pressefreiheit verschlechtert sich

Die Situation der Pressefreiheit verschlechtert sich in der dritten Amtszeit der Regierungspartei „Georgischer Traum“ stetig. Kritische Medien stehen unter massivem Druck, Medienschaffende werden im Internet mit Verleumdungskampagnen überzogen. Eine im Dezember 2022 verabschiedete Änderung des Rundfunkgesetzes weitete die Zuständigkeiten des nationalen Medienregulators (National Communications Commission) aus – Medienschaffende warnten vor möglicher Zensur. Im Mai 2022 wurde Nika Gwaramia, Ex-Innenminister, Moderator und Eigentümer des oppositionellen Senders Mtawari TV, zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Nach Ansicht des Gerichts soll er sich unlauter bereichert haben. Das Urteil gilt als politisch motiviert. Im Juli 2021 griffen rechte Demonstrierende mehr als 50 Medienschaffende an, die über einen Pride-Marsch in Tbilissi berichteten. Dabei wurde Alexander Laschkarawa, Kameramann des Senders TV Pirveli, so schwer zusammengeschlagen, dass er an seinen Verletzungen verstarb.

Georgien steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 89 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Wed, 22 Mar 2023 17:48:00 +0100
Rassistischer Angriff auf syrischen Moderator In einer schockierenden Szene ging vergangene Woche in Istanbul ein türkischer Studiogast auf einen Moderator des syrischen Fernsehsenders Orient News los und beleidigte ihn rassistisch. Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt den Angriff auf den Journalisten. Noch entsetzlicher ist die Tatsache, dass die türkische Polizei im Anschluss das Opfer, nämlich den Moderator Ahmad Rihawi, und den Direktor des Senders, Alaa Farhat, festgenommen hat.

Bei dem aggressiven Studiogast handelte es sich um den Politikwissenschaftler Oktay Yilmaz. Als der Moderator ihm eine Frage zur Gewalt der türkischen Polizei gegen syrische Geflüchtete an der Grenze der Türkei zu Syrien stellte, reagierte der Gast mit einem Schwall rassistischer Beleidigungen gegen den Moderator. Die Szene, die Yilmaz lostrat, endete damit, dass er aufsprang, Rihawis Notizzettel zerriss und dessen Wasserglas umstieß. „Mit welchem Recht greifen Sie die Türkei und ihr Volk an?“, schimpfte er dabei.

Obwohl der Angriff live zu sehen war und der Moderator durchweg ruhig blieb und sich professionell verhielt, folgte die türkische Polizei dem Wunsch des Angreifers: Sie nahm die Medienschaffenden fest. Es dauerte ganze 48 Stunden, bis sie wieder entlassen wurden. Eine Klage gegen sie war abgewiesen worden.

„Der rassistische Angriff auf den Moderator Ahmad Rihawi ist verwerflich genug, aber dass danach ausgerechnet das Opfer und dessen Vorgesetzter festgenommen wurden, toppt wirklich alles“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Diese Festnahme ist pressefeindlich und rassistisch zugleich“, so Mihr weiter. „Natürlich sind wir froh, dass die beiden Medienschaffenden inzwischen wieder frei sind, doch sie hätten gar nicht erst eingesperrt werden dürfen“, kritisiert der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen.

Grund für die Festnahme war eine Beschwerde des Angreifers, die er einreichte, nachdem er das Orient News-Studio verlassen hatte. Laut Quellen von RSF warf Yilmaz dem Journalisten darin vor, den Staat beleidigt zu haben. Nach ihrer Festnahme wurden Rihawi und Farhat zunächst zur Einwanderungsbehörde und von dort zum Polizeipräsidium Istanbul gebracht.

Noch am Tag ihrer Entlassung dankten Rihawi und Farhat in einer Live-Sendung allen, die sie unterstützt haben: „Diese juristischen Kämpfe, dieser Rassismus und diese Knebelversuche sind nicht neu", sagte Rihawi, der sich in eine syrische Flagge gehüllt hatte. „Aber wir werden nicht aufhören, darüber zu berichten, was die Menschen sagen.“

Der Sender Orient News forderte, dass Yilmaz für seinen „verbalen und physischen Angriff auf Ahmad Rihawi“ zur Rechenschaft gezogen wird. Orient News ist eine Mediengruppe im Besitz des syrischen Geschäftsmanns, Journalisten und Oppositionellen Ghassan Abud mit Sitz in Dubai, die Nachrichtendienste für den Nahen Osten mit Schwerpunkt Syrien anbietet.

Der Angriff fällt in eine Zeit wachsenden Rassismus‘ gegen syrische Menschen in der Türkei. Der Hass und die Gewalt wird von Teilen der Politik aktiv geschürt und geht oft Hand in Hand mit der Ablehnung von Demokratie und Pressefreiheit. Während aufgrund der Verknüpfung von Rassismus und Pressefeindlichkeit traditionell besonders kurdische Journalist*innen verfolgt werden, trifft es neuerdings auch syrische Journalist*innen: Erst im Januar war zwei syrischen Kollegen mit Ausweisung gedroht worden. Einer von ihnen wurde nach seiner Verhaftung durch die türkischen Behörden schließlich ausgewiesen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 149 von 180 Ländern.

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Pressemitteilungen Wed, 22 Mar 2023 9:15:00 +0100
Zwölf Jahre Straflager für Journalistinnen Sie tragen Handschellen und sitzen in einem Käfig aus Glas:  Zwei leitende Journalistinnen des belarussischen Internet-Nachrichtenportals tut.by wurden in Minsk zu je zwölf Jahren Straflager verurteilt. Die Schuldsprüche ergingen am 17. März 2023 gegen Chefredakteurin Maryna Zolatava und Geschäftsführerin Ljudmila Tschekina. Tut.by war bis zu den Massenprotesten gegen Diktator Alexander Lukaschenko im August 2020 das größte unabhängige Medienunternehmen in Belarus und die wichtigste Nachrichtenseite des Landes.

„Die Urteile sind schockierend und die Strafdauer grausam“, erklärt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Maryna Zolatava und Ljudmila Tschekina sind unschuldig. Sie stehen exemplarisch für das harte Vorgehen des Regimes gegen Journalistinnen. Die internationale Gemeinschaft muss den Druck auf Minsk erhöhen, sie und alle anderen inhaftierten Medienschaffenden in Belarus freizulassen.“

Das Gericht befand Maryna Zolatava schuldig, „zu Hass aufgewiegelt“ und Inhalte verbreitet zu haben, welche „die nationale Sicherheit gefährden“. Die 45-Jährige habe im Internet zum gewaltsamen Umsturz und zur Machtergreifung aufgerufen. Die 49-jährige Ljudmila Tschekina wurde neben diesen Vorwürfen zusätzlich wegen angeblicher Steuerhinterziehung verurteilt. Dieser Vorwurf wird in Belarus oft genutzt, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Ebenfalls am 17. März wurde Valeryja Kascjugova, Herausgeberin des Belarussischen Jahrbuchs, hinter verschlossenen Türen zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt.

Absurde Beschuldigungen im Staatsfernsehen

Der Verkündung der Urteile ging eine Propaganda-Offensive voraus: Am Vorabend des letzten Verhandlungstages strahlte der staatliche Fernsehsender Belarus 1 den anderthalbstündigen Film „Bye bye, tut.by“ aus. Diese behauptete unter anderem, Zolatava und Tschekina hätten Gelder veruntreut, das Nachrichten-Portal zu einer „Müllhalde“ herabgewirtschaftet und die Empörung über den staatlichen Umgang mit der Corona-Pandemie befeuert. Sogar in die Maidan-Revolution in der Ukraine sei tut.by angeblich verwickelt gewesen. Mitarbeitende des Mediums wiesen die Anschuldigungen in einer öffentlichen Erklärung zurück und betonten Integrität und Standhaftigkeit von Zolatava und Tschekina.

Tut.by wurde im Oktober 2020 die Zulassung als Massenmedium entzogen. Am 18.Mai 2021 sperrten die Behörde die Internetseite des Mediums und führten eine groß angelegte Razzia in den Redaktionsräumen und Lokalredaktionen von tut.by durch. Auch Wohnungen von Mitarbeitenden wurden dabei durchsucht. Insgesamt wurden 14 Journalistinnen und Journalisten verhaftet – darunter Ljudmila Tschekina und Maryna Zolatava. Ein Großteil der Redaktion ging daraufhin ins Exil und gründete im Juli 2021 das neue Portal Serkalo (dt.: Spiegel), das von der Regierung im August 2021 als „extremistisch“ eingestuft und blockiert wurde. Im Rahmen des Projektes „Collateral Freedom“ hat RSF die Seite in Belarus jedoch wieder zugänglich gemacht.

Prozess hinter verschlossenen Türen

Neun der festgenommenen Medienschaffenden von tut.by wurden nach Schuldbekenntnissen und Geldstrafen wieder aus der Haft entlassen. Die drei Journalistinnen Volha Lojka, Alena Talkatschova und Katcjaryna Tkatschenka kamen unter Auflagen aus der Untersuchungshaft frei und flohen vor ihrem Prozessauftakt ins Ausland. Sie wurden zur Fahndung ausgeschrieben.

Maryna Zolatava und Ljudmila Tschekina verweigerten ein öffentliches Schuldbekenntnis jedoch. Sie verbrachten fast zwei Jahre in Untersuchungshaft und wurden im Oktober 2022 auf eine Terroristenliste des belarussischen Geheimdiensts KGB gesetzt. Am 9. Januar 2023 begann hinter verschlossenen Türen der Prozess gegen die beiden Journalistinnen. Ihre Anwälte mussten Verschwiegenheitserklärungen unterschreiben. Der Verteidigerin von Maryna Zolatava wurde am 25. Januar 2023 die Zulassung als Anwältin entzogen – angeblich wegen „unzureichender Qualifikation“. Sie war zu diesem Zeitpunkt 20 Jahre in ihrem Beruf tätig.

Hunderte Medienschaffende flohen ins Exil

Das Regime von Alexander Lukaschenko hat die Repressionen gegen Medienschaffende seit August 2020 drastisch verschärft. Nach Angaben des unabhängigen belarussischen Journalistenverbandes (BAJ) flohen fast 400 Journalistinnen und Journalisten ins Ausland. Unter dem Deckmantel der Bekämpfung des Extremismus wurde die Zensur ausgeweitet. Immer wieder kommt es zu Razzien und Verhaftungen. Schon das Abonnement eines als extremistisch eingestuften Mediums reicht aus, um festgenommen und verurteilt zu werden.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit befindet sich Belarus auf Platz 153 von 180 Staaten. Bei der Zahl der inhaftierten Journalisten und Journalisten liegt es im internationalen Vergleich auf dem fünften Platz: Insgesamt 32 Medienschaffende sitzen derzeit in Haft – davon neun Frauen.

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Pressemitteilungen Tue, 21 Mar 2023 17:48:00 +0100
Florida plant Anti-Medien-Gesetz Das Repräsentantenhaus von Florida berät aktuell über einen Gesetzentwurf, der es Personen des öffentlichen Lebens deutlich einfacher machen würde, Medienschaffende wegen kritischer Berichterstattung zu verklagen. Bislang liegt die Messlatte für Verleumdungsklagen in dem US-Bundestaat hoch. Die geplante Gesetzesänderung würde das bislang geltende „Journalistenprivileg“ aufheben, das die Rolle der Medien als vierte Gewalt entsprechend schützt. Auch widerspräche sie einem wegweisenden Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten.

„Wenn dieses Gesetz in Kraft tritt, dürften es sich Medienschaffende in Florida künftig zweimal überlegen, ob sie kritisch berichten wollen. Amtsträgerinnen und Amtsträger müssten kaum noch fürchten, dass ihr Fehlverhalten angeprangert wird. Wir fordern deshalb die Abgeordneten in Florida auf, den Gesetzentwurf abzulehnen“, sagte Michael Rediske, Vorstandssprecher von Reporter ohne Grenzen (RSF).

Der Gesetzentwurf HB 991 liegt aktuell dem Rechtsausschuss des Repräsentantenhauses von Florida vor. Eingebracht vom republikanischen Abgeordneten Alex Andrade würde das Gesetz es deutlich einfacher machen, Journalistinnen und Journalisten wegen Verleumdung zu verklagen. Der Entwurf widerspricht einem wegweisenden Urteil des Obersten Gerichtshofs (Supreme Court) der Vereinigten Staaten von 1964, der Medienschaffende vor Verleumdungsklagen schützt, wenn sie die Tätigkeiten von Amtsträgerinnen und Amtsträgern kontrollieren.

Wird das Gesetz verabschiedet, könnte dies dazu führen, dass es dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wird, der aktuell eine mehrheitlich konservative Ausrichtung hat. Kritische Stimmen befürchten, dass in der Folge das Urteil von 1964 im Fall „New York Times gegen Sullivan“ aufgehoben werden könnte. Seit diesem Grundsatzurteil muss jede Person des öffentlichen Lebens, die eine Journalistin oder einen Journalisten wegen Verleumdung verklagen will, eindeutig nachweisen, dass die Äußerungen wider besseres Wissen oder böswillig getätigt wurden. Dies ermöglicht es Medienschaffenden, zu Personen des öffentlichen Lebens ohne Angst vor finanziellen Repressionen zu recherchieren und sie zu kritisieren.

Attacke auf „liberale Mainstream-Medien”

Das geplante Gesetz liegt auf einer Linie mit dem Kurs, den der republikanische Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2019 gegen die Medien fährt. DeSantis hat ausdrücklich gefordert, das „New York Times gegen Sullivan“-Urteil aufzuheben. Nach Ansicht von DeSantis erlaubt das Urteil es den „liberalen Mainstream-Medien“, Konservative über Gebühr zu kritisieren, ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen. Andere Republikaner-nahe Stimmen äußern sich ähnlich. DeSantis hat sich wiederholt zu diesem Thema zu Wort gemeldet und im Februar sogar eine eigene Podiumsdiskussion dazu auf seiner Facebook-Seite gestreamt.

Gouverneur DeSantis gilt als möglicher Präsidentschaftskandidat der Republikaner 2024 und damit als Konkurrent des ehemaligen Präsidenten Donald Trump. Wie Trump versucht auch DeSantis immer wieder, kritische Stimmen in den Medien zum Schweigen zu bringen. Während seiner Präsidentschaft fragte Trump etwa, was getan werden könnte, um Medienvertreter dafür zu bestrafen, dass sie ihm kritische Fragen stellen. Laut der New York Times diskutierte Trump 2017 mit dem damaligen FBI-Direktor James Comey die Möglichkeit, Medienschaffende zu inhaftieren, die Verschlusssachen veröffentlicht haben.

Die Lage der Pressefreiheit in den USA hat sich während der Amtszeit Trumps rapide verschlechtert. Im Jahr 2020, dem vierten Amtsjahr von Präsident Trump, wurde nach Zählung des US Press Freedom Tracker eine rekordverdächtige Zahl von 145 Medienschaffenden festgenommen, zusätzlich zu 856 anderen Arten von Aggressionen – die meisten davon waren vorsätzliche und nicht provozierte körperliche Angriffe auf Reporterinnen und Reporter. 2022 lag die Gesamtzahl der Aggressionen nur noch bei 127.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die Vereinigten Staaten auf Platz 42 von 180 Ländern. Seit Amtsantritt von Trumps Nachfolger Joe Biden hat sich das Land um zwei Plätze verbessert.

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Pressemitteilungen Mon, 20 Mar 2023 10:48:00 +0100
EU-Richtlinie zum Schutz vor SLAPPs in Gefahr Ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Medien-, Menschenrechts- und weiteren Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften zeigt sich besorgt angesichts der drohenden Verwässerung der geplanten EU-Richtlinie zum Schutz vor Einschüchterungsklagen. Solche sogenannten SLAPPs („Strategic Lawsuits against Public Participation“) beschreiben eine Form des Rechtsmissbrauchs, bei dem Kritikerinnen und Kritiker eingeschüchtert und ihre Kritik aus der Öffentlichkeit verbannt werden soll. Betroffen von SLAPPs sind Einzelpersonen, Medien und Organisationen, die im öffentlichen Interesse auf Missstände hinweisen. Sie werden immer wieder mit langen und zähen Prozessen psychologisch zermürbt, finanziell ruiniert und so an ihrer Arbeit gehindert.

Die Europäische Kommission hat die europaweit zunehmenden Probleme mit SLAPPs erkannt und im April 2022 einen Richtlinienentwurf eingebracht, der SLAPPs eindämmen soll (Anti-SLAPP-Richtlinie). Doch nun droht die massive Verwässerung der geplanten Anti-SLAPP-Richtlinie. Denn im jüngsten Kompromissvorschlag des Europäischen Rates wurden entscheidende Schutzmaßnahmen für Betroffene von SLAPPs gestrichen und der Anwendungsbereich der Richtlinie massiv verkürzt.

Die im zivilgesellschaftlichen Bündnis vertretenen Organisationen kritisieren insbesondere folgende Änderungen des ursprünglichen Richtlinienentwurfs:

  • Artikel 4 sowie der zugehörige Erwägungsgrund 22 des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission wurden aus dem Text gestrichen. Nach der dortigen Definition würden „Angelegenheiten mit grenzüberschreitenden Bezügen“ auch Fälle der Öffentlichkeitsbeteiligung umfassen, die für mehr als einen Mitgliedstaat relevant sind. Mit dem Vorschlag des EU-Rates würde die Richtlinie keine sachdienlichen Anhaltspunkte für eine harmonisierte Umsetzung in dieser Hinsicht mehr enthalten.
  • „Offensichtlich unbegründet“ wird im neuen Erwägungsgrund 13a so eng definiert, dass der vorgeschlagene Mechanismus der vorzeitigen Klageabweisung nutzlos würde. Die meisten missbräuchlichen Klagen werden diese viel zu hohe Schwelle nicht erreichen.
  • Außerdem wurde die Regelung zum Schadensersatz in Artikel 15 gestrichen.

Kompromissvorschlag verbessert die aktuelle Rechtslage kaum

Die im Kompromissvorschlag vorgeschlagenen Mechanismen bewirken keine wesentliche Verbesserung zur aktuellen Rechtslage für Opfer von SLAPPS mehr. Dies macht die jahrelange Arbeit zahlreicher zivilgesellschaftlicher Organisationen im Kampf gegen europaweit zunehmende SLAPPs weitgehend zunichte. Deshalb fordert ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Medien-, Menschenrechts-, Umweltschutz- und anderen Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften die Bundesregierung auf, gegen den Kompromissvorschlag vorzugehen und dafür Sorge zu tragen, dass die von der Europäischen Kommission angedachten Schutzmechanismen nicht nivelliert werden.

Nur so lässt sich das auch im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung festgehaltene Ziel, „europaweit Maßnahmen gegen Einschränkungen der Freiheitsrechte wie z. B. durch missbräuchliche Klagen (Strategic Lawsuits against Public Participation, SLAPP) zu unterstützen” (Zeilen 4178-4180), ernsthaft umsetzen.

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Pressemitteilungen Thu, 16 Mar 2023 14:48:00 +0100
Jedes Wort ist ein Kampf Seit dem Beginn der landesweiten Proteste vor sechs Monaten versucht die iranische Regierung mit drastischen Mitteln, Medienschaffende zum Schweigen zu bringen. Mehr als 70 Journalistinnen und Reporter sind seit dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini verhaftet worden, 16 von ihnen sitzen derzeit noch im Gefängnis. Insgesamt sind im Iran aktuell 27 Medienschaffende in Haft. Auch im Ausland zeigen die Drohungen Wirkung – so war zuletzt der bekannte TV-Sender Iran International gezwungen, seine Büros in London zu schließen.

„Unsere Appelle in Richtung Teheran mögen verhallen, aber zumindest die Behörden der Exilländer müssen alles dafür tun, iranische Medienschaffende zu schützen“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Es ist ungeheuerlich, dass mitten in einem westlichen Land Journalistinnen und Journalisten so bedroht werden können, dass ihr kompletter Sender schließen muss.“

Außerhalb des Iran sind Redaktionen und einzelne Medienschaffende vor allem dann gefährdet, wenn sie über eine hohe Zahl von Followerinnen und Followern in den Sozialen Medien verfügen und auf Persisch berichten. Im Falle des persischsprachigen Senders Iran International stufte die Londoner Polizei die Situation offensichtlich als so brisant ein, dass sie den Verantwortlichen riet, den Hauptsitz in London zu schließen. Der Sender ist nach Washington umgezogen.

Ein in Frankreich lebender Reporter bekam jüngst einen Hinweis des französischen Auslandsgeheimdienstes DGSE, er stehe auf einer Liste der Behörden in Teheran. „Ich beobachte jedes Auto, das auf der Straße an mir vorbeifährt, und frage mich, ob ich nicht doch verfolgt werde. Das ist lästig und ermüdend“, sagte der Journalist. Er hatte zuvor online Morddrohungen erhalten. Die französischen Behörden haben ihm geraten, auf keinen Fall in die Nachbarländer des Iran zu reisen.

In Deutschland: keine konkrete Gefährdung, aber digitale Attacken

Auch die in Deutschland lebenden iranischen Medienschaffenden vermeiden das nach eigener Aussage tunlichst. In Deutschland ist RSF derzeit keine konkrete Bedrohung bekannt, allerdings gibt es regelmäßig digitale Attacken, etwa gezielte Phishing-Versuche. Solche Attacken habe es immer gegeben, sagte eine in Berlin lebende Exil-Journalistin, ihre Zahl habe seit September aber enorm zugenommen.

Im Iran selbst bleibt unabhängige Berichterstattung extrem gefährlich. In Gesprächen mit RSF äußerten mehrere Journalistinnen und Journalisten große Sorge, sich verdächtig zu machen und vom Regime verhört oder verhaftet zu werden. Die meisten erklärten, sich angesichts der umfassenden Überwachung in Teilen selbst zensieren zu müssen.

„Jede Art von Kommunikation mit Bekannten im Ausland kann unsere Lage verschlimmern“, sagte ein Journalist, der am 18. Januar von den Sicherheitskräften verhaftet wurde. Wie alle Medienschaffenden in diesem Text bleibt er aus Sicherheitsgründen anonym. „Es ist ein endloser Alptraum“, sagte ein anderer, in Teheran lebender Journalist. „Ich habe Angst, etwas zu schreiben, selbst nur in mein Notizbuch. Ich habe das Gefühl, ständig beobachtet zu werden.“

Im Februar berichtete die reformorientierte Tageszeitung Sazandegi über die gestiegenen Fleischpreise und wurde direkt für einige Tage suspendiert. Auch der Journalist Ali Pourtabatabei wusste, dass er für seine Berichterstattung über die mysteriöse Welle von Vergiftungen iranischer Schülerinnen Probleme bekommen würde. Nach einem Artikel für die Website Qom News wurde er am 5. März verhaftet, er sitzt noch immer im Gefängnis.

Das gleiche gilt für Elahe Mohammadi, Reporterin der Tageszeitung Ham Mihan, und Nilufar Hamedi, Journalistin der Tageszeitung Shargh. Sie waren die ersten Medienschaffenden, die im September über den Tod und die Beerdigung von Jina Mahsa Amini berichteten. Amini war mutmaßlich in den Händen der als brutal bekannten iranischen Sittenpolizei gestorben. Mohammadi und Hamedi sind seit Ende September inhaftiert. Auf die gegen sie erhobenen Vorwürfe, „Propaganda gegen das System und Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“, kann die Todesstrafe stehen.

Mehrere iranische Medienschaffende zitierten in den Gesprächen mit RSF ein bekanntes persisches Sprichwort, in dem ein Busch sagt: „Egal, wie oft du mich zurückschneidest, ich werde nicht leiden, ich werde wieder blühen.“ Wer im Iran weiter unabhängig berichtet will, muss allerdings um jedes Wort ringen und kritische Inhalte zwischen den Zeilen vermitteln. „Wir denken ständig darüber nach, wie wir mit Worten spielen können“, sagte ein Journalist gegenüber RSF. „Wir müssen unsere Informationen verbreiten, aber gleichzeitig in der Lage zu sein, uns vor den Behörden zu verteidigen, wenn es hart auf hart kommt.“

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht der Iran auf Rang 178 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Wed, 15 Mar 2023 15:48:00 +0100
Israelische Sicherheitskräfte attackieren Reporter Von Reporter ohne Grenzen (RSF) zusammengetragenes und geprüftes Video- und Audiomaterial deutet darauf hin, dass die israelischen Sicherheitskräfte auch nach der Tötung der Al-Dschasira-Journalistin Schirin Abu Akle am 11. Mai 2022 weiter Journalistinnen und Reporter attackiert haben. Mindestens elf Medienschaffende wurden seit diesem Tag angegriffen oder ins Visier genommen, während sie über Proteste oder Militäroperationen im Westjordanland und Jerusalem berichteten.

Heute (15. März) trifft der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu für hochrangige politische Gespräche in Berlin ein. Reporter ohne Grenzen fordert Bundeskanzler Olaf Scholz auf, sich gegenüber Netanjahu für einen besseren Schutz aller Journalistinnen und Reporter in Jerusalem und den palästinensischen Gebieten einzusetzen. Das betrifft auch die Tötung von Schirin Abu Akle, für die bis heute niemand verurteilt worden ist. Hier braucht es dringend eine unabhängige Untersuchung.

Nach RSF-Erkenntnissen sind auch gegen die Verantwortlichen der elf hier zusammengetragenen Fälle keine Verfahren eingeleitet worden. Die An- und Übergriffe israelischer Sicherheitskräfte auf Medienschaffende sind ein deutlicher Beleg für die anhaltende Straflosigkeit, gegen die RSF wiederholt beim Internationalen Strafgerichtshof Beschwerde eingelegt hat.

„Die Video-, Bild- und Tonaufnahmen der Angriffe israelischer Sicherheitskräfte auf Reporterinnen und Reporter sind erschreckend“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Es steht zu befürchten, dass sie straffrei bleiben. Es ist dringend notwendig, den Schutz für Medienschaffende in Israel und den Palästinensischen Gebieten zu verbessern, bevor noch mehr von ihnen verletzt werden oder sogar sterben.“

24. Februar 2023, Ramallah – Gummigeschoss in Richtung einer Journalistin

In einem Video ist zu sehen, wie ein israelischer Soldat auf die Felestin-Post-Journalistin Sadscha al-Alami zielt. Es wurde von Rabia al-Munir aufgenommen, einer Fotojournalistin und Redakteurin des katarischen Fernsehsenders Al-Araby.

Im Video ist zu sehen, wie der Soldat stehenbleibt, offensichtlich mit Absicht auf al-Alami zielt und ein Gummigeschoss in ihre Richtung abfeuert, obwohl die Journalistin eine Weste mit der Aufschrift „Press“ trägt. Al-Alami berichtete über einen Protest gegen israelische Siedlungen in der Nähe von Rammun, einem Dorf im Zentrum des Westjordanlandes, zwölf Kilometer von Ramallah entfernt.

26. Januar 2023, Dschenin – Beschuss während einer IDF-Razzia im Geflüchtetenlager

Am 26. Januar 2023 war Laith Dschaar, ein Reporter der palästinensischen Nachrichten-Webseite JMedia, für den palästinensischen Fernsehsender Watan im Einsatz. Er berichtete live per Telefon von einem Angriff der israelischen Armee (IDF) auf das Geflüchtetenlager in der Stadt Dschenin.

Auf einem Mitschnitt dieser Tonaufnahme hört man Schussgeräusche und Dschaars Rufe, er und seine Kollegen würden von den „Besatzungstruppen“ unter Beschuss genommen. Danach bricht die Verbindung ab. Neben Dschaar waren sein Kollege Hafez Abu Sabra und der freiberufliche Fotojournalist Mahmud Fauzi von dem Angriff betroffen.

16. Dezember 2022, Beit Dadschan – Tränengasgranate in Richtung von Medienschaffenden

Mohammed Samrin, Journalist für Al-Dschasira Mubasher, und die Palestine TV-Journalisten Mohammed al-Chatib und Fadi al-Dschayyusi berichteten am 16. Dezember 2022 über eine Demonstration gegen die Besetzung palästinensischer Gebiete durch Israel in Beit Dadschan, im Norden des Westjordanlandes. Israelische Soldaten feuerten eine Tränengasgranate auf sie ab. Die drei waren eindeutig als Medienschaffende zu erkennen.

20. Oktober 2022, al-Bireh – Tätlicher Angriff auf Fotojournalisten

Fotos zeigen, wie ein israelischer Soldat den Al-Quds-Mitarbeiter Mutasim Saqf al-Hait körperlich angreift. Der Fotojournalist wollte am 20. Oktober 2022 über eine Demonstration in der Stadt al-Bireh im zentralen Westjordanland berichten. Der Soldat trat ihn zunächst und stieß ihn dann mit seinem Gewehr, obwohl der Journalist durch Presseweste und professionelle Kamera eindeutig als Medienschaffender zu erkennen war.

5. Oktober 2022, Deir al-Hattab – Zwei Medienschaffende durch Schüsse verletzt

Der freiberufliche Fotograf Mahmud Fauzi und der Palestine TV-Fotograf Loay Samhan wurden am 5. Oktober 2022 durch Schüsse verwundet. Nach einer IDF-Razzia im Haus eines aus dem Gefängnis geflohenen Palästinensers im Dorf Deir al-Hattab, nahe der Stadt Nablus, war es zu Zusammenstößen gekommen. Fauzi und Samhan berichteten über die Auseinandersetzungen.

Die Aufzeichnungen zweier verschiedener Kameras bieten ein erschreckendes Bild von den Bedingungen, unter denen Medienschaffende in den Palästinensischen Gebieten arbeiten müssen. Auf der ersten Aufnahme hört man die Schüsse auf die Medienschaffenden, dann ihre Schmerzensschreie und Hilferufe. Das zweite Video zeigt die beiden eindeutig als Medienschaffende zu erkennenden Journalisten, sichtlich unter Schock. Einer der beiden versucht unter Schmerzen aufzustehen, der andere wird von Kollegen gestützt und zu einem Krankenwagen gebracht.

26. September 2022 – Angriff durch die israelische Polizei in Jerusalem

Am 26. September 2022 waren viele Journalistinnen und Reporter auf dem Weg zum Al-Aqsa-Komplex auf dem Tempelberg in Jerusalem, wo sich Pilger und israelische Ultranationalisten zum jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana versammeln wollten. Die israelischen Behörden versuchen regelmäßig zu verhindern, dass Reporterinnen und Reporter über diese Versammlung berichten, und es kommt häufig zu Auseinandersetzungen.

Bei den Zusammenstößen 2022 wurde der Leiter des Jerusalemer Büros der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu, Anas Janli, von einem israelischen Polizisten auf einer Treppe gewaltsam zu Boden gestoßen; er trug allerdings keine Presse-Weste. Kollegen filmten den Übergriff.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Israel auf Platz 86 von 180 Staaten, die Palästinensischen Gebiete auf Rang 170.

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Pressemitteilungen Wed, 15 Mar 2023 13:48:00 +0100
Neue Inhalte in der Uncensored Library Zum Welttag gegen Internetzensur am 12. März eröffnet Reporter ohne Grenzen (RSF) einen neuen Raum in der „Uncensored Library“ und aktualisiert zusätzlich einen bestehenden. Die Räume sind zensierten Artikeln aus Iran und Russland gewidmet und machen diese der Öffentlichkeit wieder zugänglich. In einer digitalen Bibliothek innerhalb des Computerspiels Minecraft sind vormals blockierte oder zensierte Texte auf Englisch zu lesen. Das Projekt gegen Zensur startete vor genau drei Jahren; zu Beginn umfasste die Bibliothek Artikel aus Ägypten, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien und Vietnam, später kamen Belarus, Brasilien und zuletzt Eritrea hinzu.

„Mit den neuen Inhalten in der Uncensored Library setzen wir den massiven Einschränkungen der Pressefreiheit im Iran und in Russland Informationen und Hintergründe entgegen“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Das Regime in Teheran versucht mit aller Macht, kritische Berichterstattung über die landesweiten Proteste zu unterdrücken, und in Putins Russlands ist die Pressefreiheit seit dem Großangriff auf die gesamte Ukraine im Februar 2022 quasi abgeschafft. Mit der Uncensored Library stehen nun blockierte Artikel in den beiden Ländern für alle frei zugänglich zur Verfügung.“

Iran: eines der repressivsten Länder für Medienschaffende weltweit

Der Iran gehört seit der Islamischen Revolution von 1979 zu den repressivsten Ländern weltweit für Journalistinnen und Journalisten. Hunderte wurden dort seitdem strafverfolgt, inhaftiert oder sogar hingerichtet, zuletzt der Bürgerjournalist Ruhollah Sam im Dezember 2020. Der Staat kontrolliert die Medien systematisch und verfügt auch digital über ein technisch enorm ausgefeiltes Instrumentarium zur Zensur und Überwachung. Das Internet wird während regierungskritischer Demonstrationen immer wieder für längere Zeit abgeschaltet.

Als es nach dem gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini in den Händen der Sittenpolizei im September 2022 zu landesweiten Protesten kam, gingen die Behörden sehr schnell und mit großer Härte gegen Medienschaffende vor. Sie ließen eine hohe zweistellige Zahl festnehmen, setzten eine umfassende digitale Überwachung in Gang, blockierten in weiten Teilen des Landes Mobil- und Internetverbindungen und schreckten auch vor Repression im Ausland nicht zurück.

Das traf vor allem den in London ansässigen TV-Sender Iran International. Nach mehrfachen ernstzunehmenden Drohungen musste der unabhängige und regierungskritische Sender seine Büros schließen und nach Washington umziehen. Zuletzt wurde am 13. Februar 2023 in der Nähe der Londoner Redaktion ein Mann festgenommen, der mutmaßlich einen Terroranschlag plante. Später beanspruchte die Iranische Revolutionsgarde den erzwungenen Umzug als Erfolg für sich.

Iran International spielt während der Proteste eine wichtige Rolle für die Verbreitung von Informationen für die Exil-Iranerinnen und -Iraner, vor allem aber auch im Iran selbst. Der Sender ist landesweit bekannt, regierungskritisch und sendet auf Persisch – genug Gründe für die Behörden, ihn zu kriminalisieren. Schon im November, wenige Wochen nach Protestbeginn, warnte die Londoner Polizei die Mitarbeitenden vor konkreten Angriffen durch iranische Geheimdienste. Das gilt fürs Ausland, noch mehr aber für den Iran selbst: Wer dort für den Sender tätig ist, riskiert, strafrechtlich verfolgt zu werden. Für die Uncensored Library hat Reporter ohne Grenzen deshalb Texte von Iran International ausgewählt.

Russland: drakonische Gesetze, verbotene Medien, massive Zensur

Seit dem Großangriff auf die Ukraine im Februar 2022 gibt es in Russland praktisch keine Medienfreiheit mehr. Fast alle unabhängigen Medien sind verboten, blockiert oder zu „ausländischen Agenten“ erklärt worden, ein diskriminierender Status, der auch Journalistinnen und Journalisten staatlicher Willkür ausliefert.

Nach der Invasion wurden zwei drakonische Gesetze verabschiedet, nach denen „falsche Informationen“ über die russische Armee und die „Diskreditierung“ der Streitkräfte und ihrer Operationen mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden können. Fast alle unabhängigen Medienschaffenden mussten ins Ausland fliehen. Zudem hat der Kreml die Zensur im Internet massiv verschärft. Webseiten werden oft ohne Gerichtsbeschluss gesperrt, zahlreiche internationale soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram sind blockiert.

Ljudi Baikala (übersetzt „Menschen vom Baikalsee“) ist ein kleines unabhängiges Medienunternehmen aus Irkutsk, im Februar 2020 von den Journalistinnen Olga Mutowina und Jelena Trifonowa gegründet. Einen besonderen Schwerpunkt legt das Medium auf die ländliche und oft verarmte russische Provinz.

Landesweit bekannt wurde das Medium, weil es Informationen über die im russischen Krieg gegen die Ukraine gefallenen Soldaten sammelte und über ihre Beerdigungen berichtete. Medien waren dort nicht willkommen. Nach den Recherchen von Ljudi Baikala stammen die meisten Toten aus Burjatien, der Region östlich des Baikalsees, und der Republik Dagestan im Kaukasus. Damit konnten die Journalistinnen und Reporter belegen, dass viele Vertragssoldaten aus den ärmsten Regionen Russlands rekrutiert werden.

Am 15. April 2022 wurde die Website von Ljudi Baikala von der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor gesperrt. Seitdem ist das Medium in Russland nur noch über VPN zugänglich. Es führt weiterhin investigative Recherchen durch und veröffentlicht journalistische Texte.

Operation Collateral Freedom hat seit 2015 mehr als 80 Websites entsperrt

Im Rahmen der Operation Collateral Freedom hat RSF seit 2015 den Zugang zu mehr als 80 Nachrichten-Websites in 24 Ländern wieder ermöglicht – knapp die Hälfte davon allein im vergangenen Jahr. Unter den "entsperrten" Websites sind Medien aus und in Russland, Belarus, China, Myanmar, Ägypten, Saudi-Arabien und mehreren afrikanischen Ländern, etwa Togo und Mali.

RSF umgeht die staatliche Zensur, indem die Organisation eine exakte Kopie bzw. einen Spiegel der Website („Mirror site“) erstellt. Dieser wird auf internationalen Servern bzw. Content Delivery Networks (CDNs) platziert. CDNs hosten auch viele andere Dienste und können daher nicht so leicht blockiert werden. Wenn autoritäre Regierungen CDNs, die die Spiegelseiten hosten, direkt angreifen, entstehen ihnen selbst Nachteile: Sie blockieren dadurch auch ihren eigenen Zugang zu allen anderen von CDNs bereitgestellten Diensten. Der drohende Kollateralschaden hält die Regime von diesem nächsten drastischen Schritt ab.

"Nach dem [24. Februar 2022] hat Russland eine militärische Zensur eingeführt. Die russischen Behörden haben alle unabhängigen Medien blockiert", sagte Iwan Kolpakow, Redakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Meduza. "Aber im Fall von Meduza hat der Kreml versagt. Wir können immer noch für Millionen unserer Leserinnen und Leser in Russland senden, und die von RSF bereitgestellte Infrastruktur für unsere mobile App ist ein wichtiger Teil dieses Erfolgs."

Zudem arbeitet RSF seit einigen Wochen daran, eine ganze Reihe von in China zensierten Medien an der chinesischen "Great Firewall" vorbei wieder zugänglich zu machen. Bislang wurden neun Websites, die vor allem über Menschenrechtsverletzungen berichten, entsperrt, darunter Civil Rights & Livelihood Watch, Weiquanwang und das tibetische Exil-Medium Tibet Post International, sind wieder online. Weitere werden folgen.

Russland steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 155, der Iran auf Rang 178 von 180 Ländern und Territorien.

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Pressemitteilungen Fri, 10 Mar 2023 9:10:00 +0100
Feldzug gegen elPeriódico Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert die Behörden in Guatemala auf, ihre Schikanen gegen die unabhängige Zeitung elPeriódico einzustellen und die willkürliche Inhaftierung des Zeitungsgründers José Rubén Zamora umgehend zu beenden. Zuletzt hatte die guatemaltekische Justiz Ermittlungen gegen neun aktuelle und ehemalige Mitarbeitende der Zeitung wegen der angeblichen Verbreitung von Falschinformationen über Zamoras Prozess eingeleitet.

„Nach Staatsanwälten und Richterinnen hat die Regierung Giammattei jetzt die unabhängige Presse im Visier, die Korruptionsfälle aufdeckt. Damit beweist sie, wie weit sie inzwischen in den Autoritarismus abgedriftet ist“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „Die Unerbittlichkeit, mit der die Justiz gegen elPeriódico vorgeht, versetzt der Pressefreiheit in Guatemala einen schweren Schlag. Die Behörden müssen umgehend gegensteuern, die Anklagen gegen die Journalisten und gegen José Rubén Zamora fallenlassen und ihn ohne Verzögerung aus der Haft entlassen.“

Am 28. Februar fand eine Anhörung im Verfahren gegen Zeitungsgründer Zamora statt, der seit acht Monaten in Untersuchungshaft sitzt. Bei diesem Anlass wurde der ursprünglichen Anklage wegen Erpressung, Vorteilsgewährung und Geldwäsche ein zusätzlicher Anklagepunkt wegen angeblicher Behinderung der Justiz hinzugefügt. Die gleiche Straftat wird auch mehreren Journalistinnen und Journalisten des Mediums zur Last gelegt. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft haben sie Falschinformationen über das laufende Verfahren verbreitet.

„Sie werden uns nicht zum Schweigen bringen“, titelte elPeriódico am nächsten Tag. Die in Guatemala meinungsbildende Zeitung veröffentlicht auf ihrer Webseite seit zwei Jahrzehnten regelmäßig Recherchen über Korruption in der guatemaltekischen Politik. Aus diesem Grund ist sie immer wieder Drohungen, finanziellem Druck und juristischen Schikanen ausgesetzt. Nach den Enthüllungen der Zeitung im Jahr 2021 über die Zahlung von Bestechungsgeld an Präsident Alejandro Giammattei hat der Druck auf die Zeitung deutlich zugenommen. Nach der Verhaftung von José Rubén Zamora am 29. Juli 2022 wurden die Konten der Zeitung gesperrt, was elPeriódico zwang, seine Druckausgabe einzustellen und 80 Prozent seiner Mitarbeitenden zu entlassen.

Zamoras Prozess soll am 2. Mai fortgesetzt werden. „Mehr noch als auf der persönlichen Ebene ist es besorgniserregend für alle Journalistinnen und Journalisten, die die Mächtigen überwachen und Missstände anprangern“, sagte Alexander Valdez, einer der neun Journalisten, gegen die nun ermittelt wird, zu RSF. „Es ist diese Art von Arbeit, die sie versuchen zu zensieren“, fügt er hinzu.

Die Sicherheitslage für Journalistinnen und Journalisten hat sich in Guatemala in den vergangenen Jahren deutlich verschlechtert. 2022 haben fünf von ihnen das Land aufgrund von Einschüchterung oder Gerichtsverfahren verlassen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Guatemala auf Platz 124 von 180. 

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Pressemitteilungen Wed, 08 Mar 2023 11:00:00 +0100
Alle 73 Journalistinnen müssen freikommen Zum Internationalen Frauentag am 8. März fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) die sofortige und bedingungslose Freilassung aller inhaftierten Journalistinnen. Angesichts von sexuellen Übergriffen, Misshandlungen und verweigerter medizinischer Behandlung zählt jeder Tag. Die Organisation sorgt sich besonders um das Schicksal der afghanischen Journalistinnen, die inzwischen fast aus der dortigen Medienlandschaft verschwunden sind.

„In vielen Ländern sind weibliche Medienschaffende ganz besonders gefährdet – als Frau und als Journalistin“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger. „In vielen Teilen der Welt ist journalistische Arbeit für Reporterinnen oft weitaus schwieriger und gefährlicher als für ihre männlichen Kollegen. In manchen Ländern riskieren sie sogar ihr Leben. Wir müssen sie noch viel stärker schützen – und das fängt damit an, dass wir ihre enorm wichtige Rolle für Medienpluralität und Pressefreiheit würdigen.“

Unter den 550 Medienschaffenden, die derzeit weltweit inhaftiert sind, sind laut RSF-Barometer 73 Frauen. Das sind mehr als 13 Prozent, doppelt so viele wie noch vor fünf Jahren. Mehr Frauen berichten vor Ort, sind in den Redaktionen sichtbarer – und damit auch häufiger unerbittlicher Verfolgung ausgesetzt. Derzeit sind in 14 Ländern der Welt Journalistinnen inhaftiert. Angeführt wird die Liste von China (21 inhaftierte Journalistinnen), Iran (12), Belarus (10), Vietnam (4) und der Türkei (4).

Journalistinnen und Reporterinnen in vorderster Reihe

Journalistinnen stehen in vielen der jüngsten Krisen und Konflikte in vorderster Reihe. Von den zwölf Journalistinnen, die derzeit im Iran inhaftiert sind, wurden elf im Zuge der Proteste nach dem Tod der kurdischen Studentin Jina Mahsa Amini verhaftet. Amini war am 16. September in Teheran in Polizeigewahrsam gestorben. Die Journalistin Nilufar Hamedi berichtete als erste aus dem Krankenhaus, in dem Amini im Koma lag. Elahe Mohammadi schrieb über ihre Beerdigung. Die beiden Journalistinnen trugen damit wohl am meisten dazu bei, die Öffentlichkeit auf diesen Fall aufmerksam zu machen. Das Regime in Teheran beschuldigt sie der „Propaganda gegen das System“ und der „Verschwörung gegen die nationale Sicherheit“, worauf die Todesstrafe stehen kann.

In Myanmar verurteilte die Junta Htet Htet Khine zweimal zu drei Jahren Haft mit Zwangsarbeit. Die freiberufliche Journalistin ist seit August 2021 im berüchtigten Insein-Gefängnis in Yangon inhaftiert, weil sie über die Gewalt der Streitkräfte nach dem Putsch der Junta im Februar 2021 berichtete.

Belarus war in der RSF-Jahresbilanz aus dem Jahr 2021 das einzige Land, in dem mehr weibliche (17) als männliche (15) Medienschaffende inhaftiert waren. Derzeit werden noch immer neun Journalistinnen festgehalten, weil sie über nicht genehmigte Proteste berichtet hatten. Die Haftstrafen sind oft extrem lang, in den Gefängnissen fehlt es selbst an elementaren Grundrechten, etwa medizinischer Behandlung. Katerina Andrejewa wurde zu insgesamt zehn Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt, weil sie im November 2020 eine Anti-Lukaschenko-Demonstration auf dem „Platz der Veränderung“ in Minsk gefilmt hatte. Sie droht zu erblinden, erhält aber nicht die notwendige ärztliche Versorgung. Ihre Kollegin Ksenia Lutskina verbüßt eine achtjährige Haftstrafe und leidet an Asthma und einem Gehirntumor. Beides wird nicht behandelt.

In Haft herrschen oft entsetzliche Bedingungen

Die Behörden in Vietnam verlegten die Journalistin Pham Doan Trang, Preisträgerin des RSF Press Freedom Award von 2019 für besonders wirkungsvollen Journalismus, in ein Gefängnis 1.000 Kilometer südlich von Hanoi. Damit wollen sie jegliche Berichterstattung über den kritischen Gesundheitszustand der Journalistin unterdrücken. Weibliche Medienschaffende in China sind ähnlich entsetzlichen Bedingungen ausgesetzt; auch dort wird ihnen regelmäßig die medizinische Behandlung verweigert, Misshandlungen sind häufig. Huang Xueqin (Sophia Huang), eine Journalistin, die durch ihr Engagement für die #MeToo-Bewegung in China bekannt wurde, leidet unter Schmerzen, nachdem sie misshandelt und sogar gefoltert wurde.

Einigen Journalistinnen gelingt es, aus ihren Zellen zu berichten, was sie und ihre Mitgefangenen erdulden müssen. „In den vergangenen Tagen haben einige Häftlinge [...] darüber gesprochen, auf welch schockierende Weise sie misshandelt wurden“, schrieb die Iranerin Narges Mohammadi in einem offenen Brief, der am 24. Dezember 2022 veröffentlicht wurde. RSF hat Mohammadi kurz zuvor mit dem Press Freedom Award in der Kategorie Mut ausgezeichnet. Im November 2022 beschrieb sie in einem Buch mit dem Titel „Weiße Folter“ eine verbreitete Form der Misshandlung, bei der die Inhaftierten über lange Zeit hinweg in ihren Zellen isoliert sind, ohne Zugang zu natürlichem Licht.

Afghanistan: Sorgen vor einer Medienlandschaft ganz ohne Journalistinnen

Reporter ohne Grenzen kämpft weiterhin auf verschiedenen Wegen für Medienschaffende in Afghanistan. Rund anderthalb Jahre nach der Machtübernahme der Taliban ist die Medienlandschaft in dem Land nicht wiederzuerkennen. Von den 526 Medien, die bis August 2021 noch berichtet hatten, musste die Hälfte schließen. Besonders betroffen sind Frauen im Journalismus: Von den insgesamt 2300 Journalistinnen arbeiten heute noch weniger als 200. Fast alle Journalistinnen (90 Prozent) mussten ihren Beruf aufgeben, einige haben das Land verlassen. Wie viele es genau geschafft haben, zu fliehen, ist RSF nicht bekannt.

Die Frauen, die noch im Journalismus arbeiten, müssen immer drakonischere bis unmögliche Bedingungen hinnehmen. Die Taliban haben es Journalistinnen untersagt, Männer zu interviewen und an Pressekonferenzen in manchen Provinzen teilzunehmen. Journalistinnen dürfen auch keine Radio- und Fernsehsendungen mehr gemeinsam mit männlichen Kollegen moderieren oder männliche Gäste empfangen.

Das sogenannte Tugendministerium – offiziell „Taliban-Ministerium für die Förderung der Tugend und die Verhinderung des Lasters“ – hat zudem eine strenge Kleiderordnung eingeführt. Wenn Journalistinnen vor der Kamera stehen, müssen sie demnach von Kopf bis Fuß bedeckt sein und nur ihre Augen dürfen sichtbar sein.

Frauen berichten in RSF-Videos über ihre Erfahrungen mit Sexismus und Bedrohungen

Zum Internationalen Frauentag veröffentlicht Reporter ohne Grenzen Videostatements von Journalistinnen unter anderem aus Indien, Mexiko, Aserbaidschan, Bosnien und Herzegowina, Deutschland, Österreich, den Philippinen, Brasilien, Syrien, Russland und Dänemark. Darin berichten die Reporterinnen über ihre persönlichen Erfahrungen mit Sexismus im Journalismus und darüber, wie dieser die Pressefreiheit bedroht. Die Videos aller Journalistinnen finden Sie ab Mittwoch auf unserem YouTube-Kanal.

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Pressemitteilungen Tue, 07 Mar 2023 15:48:00 +0100
Regime schränkt Korrespondenten weiter ein Überwachung, schleppende Visavergabe, Behinderungen durch die Polizei, Einschüchterung der Interviewpartner: Korrespondentinnen und Korrespondenten in China recherchieren unter schwierigsten Bedingungen. Das Regime hat 2022 insbesondere strikte Covid-Maßnahmen als Vorwand genutzt, um ihre Arbeit weiter einzuschränken. Das zeigt der Anfang März erschienene Bericht des Clubs der Auslandskorrespondenten in China (FCCC). Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt die zahlreichen Versuche Pekings, kritische Berichterstattung zu verhindern.

„Damit die Welt China verstehen kann, ist es unerlässlich, dass auch Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten vor Ort sind. Die internationale Gemeinschaft darf nicht zulassen, dass die Regierung die einzige Informationsquelle im Land wird. Demokratien sollten weiterhin Druck auf das Regime in Peking ausüben, damit die rücksichtslosen Schikanen gegen Korrespondentinnen und Korrespondenten und ihre Quellen aufhören“, sagte RSF-Vorstandssprecherin Katja Gloger.

Der jährlich erscheinende Bericht basiert auf einer Umfrage unter Mitgliedern des FCCC, an der 102 Journalistinnen und Journalisten von Medien aus 30 Ländern teilgenommen haben. Verschärfte Covid-Kontrollen haben ihre Recherchen immer wieder eingeschränkt oder verhindert. „2022 war bei weitem das schwierigste Jahr, das wir in Bezug auf die Berichterstattung aus China erlebt haben“, sagt Jonathan Cheng, Leiter des China-Büros des Wall Street Journal. Obwohl ein weiterer Korrespondent eingestellt wurde, habe das Team im gesamten Jahr nur eine Recherche-Reise außerhalb Pekings machen können.

Behörden setzen Visa weiter als Druckmittel ein

Schikanen bei der Visavergabe bleiben das wichtigste Instrument des chinesischen Regimes, um ausländische Journalistinnen und Journalisten einzuschränken: Mehr als die Hälfte der befragten Medien (56 Prozent) hat 2022 keine Visa für ihre Mitarbeitenden erhalten. Auch die Überwachung bleibt gängige Praxis. Rund 57 Prozent der befragten ausländischen Journalistinnen und Journalisten gaben an, während ihrer Berichterstattung sichtbar verfolgt worden zu sein. Stephen McDonell, Reporter der BBC, berichtet etwa von „Wagenladungen von Beamten“, die Medienschaffende verfolgen, sobald diese außerhalb Pekings berichten wollen. „Sie belästigen nicht nur Journalisten, sondern schüchtern auch diejenigen ein, die wir interviewen wollen, und üben Druck auf sie aus.“  

Auch die digitale Überwachung schränkt Korrespondentinnen und Korrespondenten ein. Mit fast 85 Prozent befürchtet eine große Mehrheit der Befragten, dass ihre Kommunikation auf WeChat überwacht wird. Ein Drittel (36 Prozent) befürchtet, dass versucht wurde, ihre Internetkonten zu hacken, etwa weil der jeweiligen Anbieter sie über versuchte Anmeldungen informiert hat oder sie SMS mit Anmeldebestätigungscodes bekommen haben, die sie nicht selber angefordert haben. Auch der Zugang zu chinesischen Quellen wird immer schwieriger: Mehr als zwei Drittel (78 Prozent) berichten von potenziellen Gesprächspartnern, die nicht mit ausländischen Medien sprechen durften oder sich vorher eine Genehmigung einholen mussten.

Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten haben es in China schon immer schwer gehabt, vor allem wenn sie über Politik oder Menschenrechtsfragen berichten. In den 1990er und 2000er Jahren genossen sie und ihre chinesischen Kolleginnen und Kollegen jedoch eine gewisse Recherchefreiheit und hatten Zugang zu wichtigen Informationsquellen. Für die Behörden war dies ein notwendiges Übel: Auch wenn sie manchmal unliebsame Informationen enthielten, erfüllten die Artikel die wichtige Aufgabe, die Welt über die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Chinas zu informieren und damit Investoren und Geschäftspartner anzulocken. Zwei Jahrzehnte später hat sich die Situation deutlich verändert. In den Augen des Regimes sind Korrespondentinnen und Korrespondenten inzwischen unerwünschte Zeugen.

Seit Präsident Xi Jinping an die Macht kam, hat die Kommunistische Partei Chinas ihre Kontrolle über Journalistinnen und Journalisten drastisch verschärft. In dem ausführlichen Bericht „Journalismus in China: Der große Sprung zurück“ beschreibt RSF das Ausmaß der Unterdrückung von Journalismus und Informationsfreiheit im Land und untersucht die verschiedenen Instrumente, mit denen das Regime arbeitet.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 175 von 180 Staaten. Mehr als 100 Journalistinnen und Journalisten sitzen dort wegen ihrer Arbeit im Gefängnis.

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Pressemitteilungen Tue, 07 Mar 2023 9:48:00 +0100
Abschreckendes Urteil gegen Journalistin Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert die Entscheidung eines britischen Berufungsgerichts, das diese Woche einem Geschäftsmann in einer missbräuchlichen Klage gegen eine Journalistin teilweise Recht gegeben hat. Die Investigativjournalistin Carole Cadwalladr soll laut Urteil dem Geschäftsmann Arron Banks mit einer Äußerung in einem Vortrag auf einer TED-Konferenz potenziell geschadet haben und kann deshalb zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet werden. RSF fordert die britische Regierung auf, ihr Vorhaben zu beschleunigen, Medienschaffende besser vor solchen sogenannten SLAPP-Klagen zu schützen, die Berichte über Missstände von öffentlichem Interesse unterbinden sollen.

„Dass Carole Cadwalladr eventuell Schadenersatz wegen eines journalistischen Beitrags zahlen muss, und das obwohl das das Gericht anerkennt, dass er von großem öffentlichen Interesse war, ist enttäuschend“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske. „Arron Banks führt einen Feldzug gegen eine einzelne Journalistin. Damit soll nicht nur sie persönlich eingeschüchtert werden, er will auch anderen Medienschaffenden vor Augen führen, was passieren kann, wenn sie es mit den Reichen und Mächtigen aufnehmen.“

Banks‘ Verleumdungsklage bezog sich auf einen einzelnen Satz Cadwalladrs in einem TED-Vortrag aus dem Jahr 2019 sowie einen darauf bezogenen Tweet Cadwalladrs. In dem Vortrag berichtete die Journalistin über ihre Recherchen zur gezielten Beeinflussung der britischen Bevölkerung über Facebook vor dem Brexit-Referendum. Sie warf Banks, der Financier der Pro-Brexit-Kampagne war, darin vor, über seine heimlichen Verbindungen zur russischen Regierung gelogen zu haben. In seinem Urteil vom Dienstag (28.02.) wies das Gericht zwei Punkte von Banks zurück, gab ihm aber in einem dritten Recht, laut dem der TED-Vortrag ihm ernsthaften Schaden zugefügt haben könnte.

RSF hat sowohl die Berufungsverhandlung am 7. Februar als auch den fünftägigen Prozess vor dem britischen High Court im Januar 2022 beobachtet. In seiner Entscheidung vom 13. Juni 2022 hatte der High Court festgestellt, dass der TED-Vortrag „eine politische Äußerung von hoher Bedeutung und großem öffentlichen Interesse“ gewesen sei und dies nicht nur für das Vereinigte Königreich, sondern weltweit gelte. Bei dieser Einschätzung blieb das Berufungsgericht.

Banks‘ Anwälte hatten allerdings argumentiert, dass nach dem 29. April 2020 das öffentliche Interesse nicht mehr gegeben gewesen sei. An diesem Tag entschied die britische Wahlkommission, dass es keine Beweise dafür gebe, dass Banks in Zusammenhang mit seinen Geldspenden für die Brexit-Kampagne eine Straftat begangen habe. Cadwalladr solle daher von diesem Zeitpunkt an Schadensersatz zahlen. Dem schloss sich das Gericht nun an, auch wenn die andauernde Veröffentlichung des Videos durch den Veranstalter TED sich Cadwalladrs Kontrolle entziehe. Diese Einschätzung macht den Weg frei für Schadenersatzforderungen und weitere Klagen gegen Cadwalladr.

Als Reaktion auf das Urteil beschrieb Cadwalladr den Fall in einem Twitter-Thread als „Abfolge von Absurditäten“ und „kafkaesk“, betonte aber, dass sie in zwei von drei Punkten gewonnen habe. Am wichtigsten sei, dass die Einschätzung aus der ersten Instanz, dass das öffentliche Interesse Vorgang habe, Bestand habe.

Während High Court den Fall nicht als missbräuchliche Klage – eine sogenannte strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung (Strategic Lawsuit Against Public Participation, SLAPP) – wertete, sehen RSF und weitere Organisationen den Fall als anschauliches Beispiel für diese Art von Klage, die eine Journalistin einschüchtern und isolieren soll. Banks habe gezielt sie als Einzelperson verklagt und nicht die Medien, die ihre Recherchen veröffentlichten. Auf diese Weise werden bei SLAPP-Klagen Medienschaffende isoliert und hohen Gerichtskosten ausgesetzt, die die finanziellen Möglichkeiten vieler Journalistinnen und Journalisten übersteigen.

Banks hat wiederholt bestritten, dass es sich bei der Klage um Schikane handele, als Reaktion auf das Berufungsurteil aber getwittert: „Hoffentlich werden aus dieser Episode einige journalistische Lehren gezogen.“

Die Zahl der SLAPPs hat in London in den vergangenen Jahren stark zugenommen, was sich negativ auf die Lage der Pressefreiheit im Vereinigten Königreich auswirkt. Die Regierung hat sich bereits verpflichtet, Gesetze gegen SLAPPs einzuführen, dafür aber noch keinen Zeitplan vorgelegt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Vereinigte Königreich auf Platz 24 von 180 Ländern.

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Pressemitteilungen Fri, 03 Mar 2023 16:48:00 +0100
Empfehlungen für Pluralismus im Internet Anlässlich der Unesco-Konferenz „Internet for Trust“ hat das Forum für Information and Demokratie (I&D) am 21. Februar den Bericht „Pluralism of news and information in curation and indexing algorithms“ veröffentlicht. Der Bericht enthält eine Reihe von Empfehlungen für Staaten und digitale Plattformen, wie Algorithmen so eingerichtet werden können, dass eine größere Vielfalt von Inhalten anzeigt wird – ein Kernanliegen des Forums für Information und Demokratie.

Dem Bericht zufolge sollten Instrumente, die für das Ansammeln, Sortieren und Priorisieren von Informationen im Internet verwendet werden, alternative Lösungen bieten, die einen Pluralismus in der Indexierung ermöglichen und Nutzerinnen und Nutzern eine Wahlfreiheit bieten.

Zur Umsetzung dieses Konzepts spricht das Forum mehrere Empfehlungen an Staaten und digitale Plattformen aus, darunter:

  • Hosting und Kuratierung von Inhalten sollten voneinander getrennt werden. So kann das Anbieten von Algorithmen für den Wettbewerb geöffnet werden.
  • Plattformen sollten ihren Nutzerinnen und Nutzern mehrere Optionen für die Kuratierung und Indizierung von Inhalten anbieten, darunter auch Optionen, die nicht auf Algorithmen basieren.
  • Die Entwicklung technischer Standards, die die Vielfalt von Inhalten auf Online-Plattformen fördern, sollte mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden.
  • Plattformen sollten dazu verpflichtet werden, ihre Kriterien für die Auswahl von Inhalten offenzulegen, damit die Nutzerinnen und Nutzer eine Chance haben, ihre bevorzugten Algorithmen auszuwählen.

Der Bericht schlägt außerdem mehrere Möglichkeiten vor, um Nutzerinnen und Nutzern mehr Kontrolle über Algorithmen zu geben – insbesondere durch eine bessere Kontrolle über die eigenen persönlichen Daten, die die Plattformen nutzen, um Profile zu erstellen und gezeigte Inhalte individuell zuzuschneiden. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren des Berichts gibt es mehrere Lösungen, damit Nutzende leichter aus ihren Filterblasen herauskommen:

  • Nutzerinnen und Nutzern mehr Kontrolle über die Inhalte zu geben, die sie sehen, indem die Transparenzanforderungen verschärft werden und ihnen das Recht gegeben wird, ihre Feeds individuell zu gestalten;
  • sicherstellen, dass alternative Optionen allgemein zugänglich und verständlich sind;
  • Plattformen dazu verpflichten, mit dem Angebot von Wettbewerbern kompatibel zu sein, um Nutzerinnen und Nutzern den Wechsel zu anderen Diensten zu erleichtern.

All diese Empfehlungen wurden den 50 Mitgliedstaaten der Internationalen Partnerschaft für Information und Demokratie zugestellt, die im Februar auf ihrem jährlichen Gipfeltreffen am Rande der UN-Generalversammlung zusammenkamen.

Die Risiken algorithmischer Blasen für Demokratie und Freiheit

Die Angriffe auf demokratische Institutionen wie auf das Kapitol in den USA oder auf den Präsidentenpalast in Brasilien sind dem Bericht zufolge das Ergebnis einer für Demokratien bedrohlichen Entwicklung: einer Polarisierung der öffentlichen Debatten, wenn nicht sogar einer Fragmentierung von Gesellschaften. Beides ist untrennbar mit der Rolle digitaler Plattformen und sozialer Netzwerke verbunden.

Zudem hebt der Bericht das auf der Aufmerksamkeitsökonomie basierende Geschäftsmodell der Plattformen hervor, das Fehlinformationen, Verschwörungstheorien und die Verschärfung von Spannungen (sowohl zwischen Einzelpersonen als auch zwischen sozialen Gruppen und politischen Lagern) begünstigt. Diese Radikalisierung von Standpunkten und Meinungen neigt dazu, demokratische Gesellschaften zu polarisieren, und schadet somit dem Meinungspluralismus.

Das Forum für Information und Demokratie

Das Forum für Information und Demokratie hat zur Aufgabe, die Ziele der Internationalen Partnerschaft für Information und Demokratie umzusetzen, die von 50 Staaten in aller Welt unterzeichnet wurde. Die Organisation unterbreitet den Staaten Empfehlungen zur Gesetzgebung und den Akteuren im weltweiten Informations- und Kommunikationsraum (wie soziale Netzwerke und Suchmaschinen) Empfehlungen zur Selbstregulierung.

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Pressemitteilungen Fri, 03 Mar 2023 14:48:00 +0100
Zeitung geschlossen, Journalisten angegriffen Rund ein Jahr vor den Parlamentswahlen blickt Reporter ohne Grenzen (RSF) mit großer Sorge auf die jüngsten Einschränkungen der Pressefreiheit in Bangladesch. Ende Februar ließ die Regierung die wichtigste Oppositionszeitung Dainik Dinkal schließen. In den vergangenen zwei Monaten zählte RSF zudem sieben Angriffe gegen Journalistinnen und Journalisten. Mitglieder und Unterstützer der regierenden Partei Awami League schlugen, beleidigten und bedrohten Medienschaffende, die zuvor über heikle Themen wie illegale Landenteignung oder Druck auf Wählerinnen und Wähler berichtet hatten.

„Die Regierung von Premierministerin Sheikh Hasina Wajed missbraucht das Gesetz, um eine oppositionelle Tageszeitung zu schließen. Die Behörden müssen ihre Entscheidung sofort rückgängig machen. Gleichzeitig nimmt die Gewalt gegen Medienschaffende zu, die es gewagt haben, Politikerinnen und Politiker der Awami League zu kritisieren. Wir verurteilen diese Angriffe auf den Medienpluralismus elf Monate vor den Wahlen“, sagte RSF-Vorstandssprecher Michael Rediske.

Seit dem 20. Februar veröffentlicht die auf Bengalisch erscheinende Dainik Dinkal keine Ausgaben mehr. Ende Dezember hatte die Regierung angeordnet, dass die Zeitung schließen müsse, weil ihr Herausgeber Tarik Rahman nach Großbritannien geflohen sei, um einer strafrechtlichen Verurteilung in Bangladesch zu entgehen. Sein Aufenthalt im Ausland verstoße demnach gegen das Gesetz.

Diesem Vorwurf widerspricht der aktuelle Herausgeber Schamsur Rahman Schimul Biswas. 2016 sei Tariq Rahman zurückgetreten und ein neuer Herausgeber ernannt worden. Danach arbeitete die Redaktion zunächst weiter. Am 19. Februar wies der Presserat – ein Ableger des Informationsministeriums – den Einspruch der Zeitung jedoch zurück.

Seit drei Jahrzehnten ist Dainik Dinkal das Sprachrohr der Bangladesh Nationalist Party (BNP), der wichtigsten Opposition zur Awami League, die seit 2009 regiert und fast alle Distrikte des Landes kontrolliert. RSF zählt ihre Vorsitzende, Premierministerin Sheikh Hasina, zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit. Awami League und BNP waren seit der Unabhängigkeit Bangladeschs 1971 abwechselnd an der Macht. Beide Parteien haben sich in der Opposition für die Pressefreiheit stark gemacht, als Regierungsparteien änderte sich das: Nachrichtenmedien sollten lediglich ihren eigenen Zwecken dienen. Die nächsten Parlamentswahlen finden im Januar 2024 statt.

Angriffe gegen Journalisten

In den vergangenen zwei Monaten haben Vertreter und Unterstützer der Awami League Journalistinnen und Journalisten schikaniert und körperlich angegriffen. Am 1. Februar wollten die beiden Zeitungsreporter J.M. Rauf und Zahurul Islam über eine Pressekonferenz eines bei Regionalwahlen erfolglosen Kandidaten der Awami League berichten. Vor einem Parteibüro im Distrikt Bogura im Norden Bangladeschs beleidigte und schlug ein Vertreter des örtlichen Ablegers der Awami League den Journalisten Rauf und versuchte dann seinen Kollegen Islam zu würgen.

Am 23. Januar nahmen Polizisten in Zivil Raghunath Kha, Reporter der überregionalen Tageszeitung Dainik Projonmo Ekattor und des Senders Deepto TV, in Debhata im Südwesten des Landes fest. Er hatte zuvor über den Versuch einiger Dorfbewohner berichtet, illegal beschlagnahmtes Land zurückzuerlangen – ein Tabu-Thema für Politikerinnern und Politiker der Awami League. Polizeibeamte schlugen und misshandelten Kha und leugneten zunächst, ihn festgenommen zu haben. Sie ließen den Journalisten erst frei, nachdem sie gedroht hatten, ihn zu töten, falls er weiter über die Proteste der Landbevölkerung berichten würde.

Ende Dezember recherchierte Business-Standard-Korrespondent Abu Azad in der südöstlichen Stadt Chattogram zu illegalen Ziegelöfen, als er von sieben Männern angegriffen und entführt wurde, unter ihnen ein Mitglied der Lokalregierung. Sie brachten den Journalisten in das Büro des Politikers, schlugen ihn und löschten seine Fotos und Videos. Die Gruppe ließ Azad erst frei, nachdem die Männer gedroht hatten, ihn zu töten, sollte er jemals wieder über die Ziegelöfen recherchieren. Azad musste wegen verschiedener Verletzungen, unter anderem wegen eines Genickbruchs, im Krankenhaus behandelt werden.

Wenige Tage zuvor griff eine Gruppe um den Generalsekretär des lokalen Ablegers der Awami League in Hatibandha im Norden des Landes den Zeitungsjournalisten Hazrat Ali an. Der Reporter hatte gerade einen Artikel über die Methoden veröffentlicht, mit denen Druck auf Wählerinnen und Wähler aus der Minderheit der Hindus ausgeübt wird. Die Täter schlugen Ali, nahmen seinen Presseausweis und löschten alle Inhalte auf seinem Handy. Die Polizei weigerte sich, die Anzeige des Journalisten aufzunehmen. Am gleichen Tag wollten Polizisten trotz fehlendem Durchsuchungsbeschluss das Haus der Familie von Zillur Rahman durchsuchen. Rahman, Moderator einer Talkshow und Geschäftsführer eines Think Tanks, schrieb an dem Abend auf Facebook, er vermutet die Polizei wolle ihn, seine Familie und Nachbarn einschüchtern.

Muhammad Faruk Hasan, Reporter der Nachrichtenseite Barishal Metro, berichtete über die Feierlichkeiten zum Tag des Sieges in Bangladesch am 16. Dezember in der Stadt Gournadi, als ihn etwa zehn Mitglieder des studentischen Ablegers der Awami League entführten. Sie schlugen und misshandelten ihn so sehr, dass sie ihm ein Bein brachen. Die Täter begründeten den Angriff damit, dass Hasan den Namen eines Lokalpolitikers in seinem Bericht nicht erwähnt hatte. Der Journalist erstattete Anzeige bei der Polizei und nannte die Namen seiner Angreifer, aber die Polizei nahm niemanden fest.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Bangladesch auf Platz 162 von 180 Staaten. Als Premierministerin Sheikh Hasina 2009 zurück an die Macht kam, belegte das Land noch Platz 121. Unter einem im Oktober 2018 verabschiedeten Gesetz für digitale Sicherheit kann „negative Propaganda“ mit bis zu 14 Jahren Haft bestraft werden. Es dient häufig als Vorwand, um Journalistinnen und Journalisten einzusperren und führt dazu, dass sich Medienschaffende selbst zensieren.

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Pressemitteilungen Thu, 02 Mar 2023 12:48:00 +0100
Organisationen fordern starke Plattformaufsicht Gemeinsam mit zwölf weiteren Organisationen fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) die Bundesregierung auf, im Zuge der Umsetzung des europäischen Digital Services Act (DSA) eine starke Agentur für Plattformaufsicht zu schaffen. Mit dem DSA sollen illegale Inhalte auf Online-Plattformen schneller entfernt werden können und die Grundrechte von Nutzerinnen und Nutzern im Internet umfassender geschützt werden. In einem heute (28.02.) veröffentlichten offenen Brief skizzieren die Unterzeichnenden, wie der sogenannte Digital Services Coordinator (DSC) die Einhaltung des DSA wirksam überwachen und durchsetzen kann:

  • Der DSC soll unabhängig von staatlichem Einfluss sowie vom Einfluss der Wirtschaft, insbesondere der sehr großen Plattformen wie Twitter, Facebook oder Instagram agieren. Er sollte als eigenständige, unabhängige Behörde aufgebaut werden.
  • Der DSC muss zentrale Anlaufstelle sein für Beschwerden von Nutzerinnen und Nutzern sowie Auskunftsersuchen von Zivilgesellschaft und Wissenschaft und diese zügig, direkt und kompetent beantworten.
  • Zivilgesellschaft und Wissenschaft müssen gesetzlich verankert in den Entscheidungsprozessen des DSC konsultiert werden.
  • Die Arbeit des DSC muss regelmäßig unabhängig überprüft, die Ergebnisse dieser Überprüfung müssen veröffentlicht werden. Auch über seine Arbeit selbst soll der DSC die Öffentlichkeit umfassend und proaktiv informieren.

Insgesamt sollte der Aufbau des DSC als Chance begriffen werden, Zuständigkeiten klar gesetzlich zu verteilen und vorhandene Kompetenzen zu bündeln. Wenn der DSC als praxisnahe, personell und finanziell gut ausgestattete sowie gut vernetzte Agentur auftritt, kann er dafür sorgen, dass der DSA mehr Transparenz im Onlineumfeld bewirkt und die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer stärkt.

Der offene Brief wurde unterzeichnet von Algorithm Watch, Amadeu Antonio Stiftung, Digitale Gesellschaft, Democracy Reporting International, D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt, Hate Aid, Institute for Strategic Dialogue, Lobby Control, Mozilla, Open Knowledge Foundation, Reporter ohne Grenzen, Stiftung Neue Verantwortung und Wikimedia.

Die Digital Service Coordinators (DSC) sollen künftig in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission in den EU-Mitgliedstaaten den DSA umsetzen. Das Gesetz über digitale Dienste (Digital Services Act, DSA) wurde am 23. April 2022 vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen, trat zum 16. November 2022 in Kraft und gilt ab dem 17. Februar 2024 in allen EU-Staaten.

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Pressemitteilungen Tue, 28 Feb 2023 10:00:00 +0100
Vergiftete Begnadigungen Das Regime in Teheran hat zwölf Medienschaffende begnadigt und aus dem Gefängnis entlassen. Die Freiheit hat allerdings einen Preis: Die meisten von ihnen mussten Erklärungen unterzeichnen, die ihnen in vielen Fällen eine unabhängige journalistische Tätigkeit unmöglich machen. Reporter ohne Grenzen (RSF) kritisiert diese Strategie als eine neue Form der Repression.

„Diese Amnestie darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die iranischen Behörden unabhängigen Journalismus weiterhin systematisch unterdrücken“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die zwölf Begnadigten können jederzeit wieder ins Gefängnis gesteckt werden. 30 ihrer Kolleginnen und Kollegen sitzen noch immer in den Foltergefängnissen, Hunderte weitere arbeiten in Angst. Diese Maßnahme der iranischen Führung ist nicht mehr als ein Feigenblatt.“

Entlassungen von Häftlingen anlässlich der Jahrestage der Islamischen Revolution vom Februar 1979 sind nichts Ungewöhnliches. Allerdings werden nur selten politische Gefangene begnadigt. Zum diesjährigen 44. Jahrestag, fünf Monate nach dem Beginn der landesweiten Proteste, schon: Neun inhaftierte Journalistinnen und Journalisten wurden direkt aus der Haft entlassen, drei waren auf Kaution frei und warteten auf ihre Urteile.

Allerdings sind die Begnadigungen an Bedingungen geknüpft, wie der stellvertretende Leiter der iranischen Justiz, Hodschat al-Islam Rahimi, klarmachte. Die Betroffenen müssen ihre Handlungen „glaubhaft bereuen“ und sich verpflichten, sie in Zukunft nicht zu wiederholen. Für Medienschaffende bedeutet dies letztlich, nicht mehr journalistisch arbeiten zu können, – denn nur deshalb waren sie ins Gefängnis gekommen. Andernfalls riskieren sie eine deutliche Verschärfung ihres Strafmaßes.

Verpflichtungs- und Reueerklärungen

Davon berichtete unter anderem der Journalist Milad Alavi, der für die Tageszeitung Shargh arbeitet. Er war am 1. Januar 2023 festgenommen und 15 Tage später gegen Kaution freigelassen worden. Alavi schrieb, er habe unter Androhung einer härteren Strafe unterschreiben müssen, sich nicht an Unruhen und „illegalen Versammlungen“ zu beteiligen.

Der rechtliche Status der begnadigten Medienschaffenden unterscheidet sich von Fall zu Fall. Der unabhängige Journalist Kianosch Sanjari und seine Kollegin Saba Schardost warteten nach ihrer Freilassung gegen Kaution auf die Urteile in ihren Verfahren – und fanden ihre Namen auf einer Liste von Begnadigten. Der ehemalige Chefredakteur des Sportmagazins Bank Varzesh, Ehsan Pirbornasch, kam am 8. Februar frei. Am 10. Januar war er eigentlich zu 18 Jahren Haft verurteilt worden.

Masoud Kurdpour, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Mukrian News, wurde am 14. Februar ebenfalls entlassen; er hatte drei seiner auf 17 Monate festgelegten Haftstrafe im Gefängnis in Bukan abgesessen. Ebenfalls begnadigt und freigelassen wurden die freien Journalisten Mehdi Sofali und Hossein Yazdi sowie Aria Jafari, Fotografin der Iran Student News Agency. In diesen Fällen ist nicht bekannt, ob sie Verpflichtungs- oder Reueerklärungen unterschreiben mussten.

Einer Umfrage der Tageszeitung Sharg Daily zufolge verlaufen die Amnestieverfahren höchst willkürlich. Ob und in welcher Form Erklärungen unterzeichnet werden müssen, variiere demnach je nach Region, Gefängnis und betroffener Person. In einigen Fällen hätten die Erklärungen implizite Eingeständnisse der gegen die Inhaftierten erhobenen Anklagepunkte enthalten. In Reaktion auf die Sharg-Daily-Veröffentlichung bestritten die Behörden, dass überhaupt Verpflichtungserklärungen unterzeichnet worden seien, und widersprachen damit ihren eigenen früheren Erklärungen.

„Solidarität der Hauptgrund für die Freilassung“

Fest steht allerdings, dass die drei Medienschaffenden, die schon vor Beginn der Proteste inhaftiert waren und nun ebenfalls begnadigt wurden, keine derartigen Verpflichtungserklärungen unterzeichnen mussten. Die Etemad-Fotografin Nouschin Jafari etwa saß seit 16. Februar 2021 in Haft, Alieh Motalebzadeh, Fotografin für Zanan, seit 11. Oktober 2020. Beide wurden am 10. Februar 2023 begnadigt. In einem von weiteren amnestierten Gefangenen mitunterzeichneten Schreiben vertraten sie die Ansicht, dass „die von der Bevölkerung und den freiheitsliebenden Jugendlichen im Iran gezeigte Solidarität der Hauptgrund für die Freilassung zahlreicher politischer Gefangener der vergangenen Tage“ sei.

Am 12. Februar schließlich wurde Amirabbas Azaramvand, Wirtschaftsjournalist bei der Tageszeitung Samt, begnadigt. Er saß seit dem 8. März 2022 in Haft, seine Strafe war ursprünglich auf vier Jahre und drei Monate angesetzt.

Seit 16. September 2022, also dem Tag, an dem die junge iranische Kurdin Jina Mahsa Amini mutmaßlich von iranischen „Sittenwächtern“ getötet wurde, wurden mindestens 60 Medienschaffende festgenommen und inhaftiert. Von den 28 noch inhaftierten Journalistinnen und Journalisten waren acht bereits vor Beginn der Proteste inhaftiert. Unter ihnen ist noch immer Narges Mohammadi, die Gewinnerin des Press Freedom Award 2022 von Reporter ohne Grenzen in der Kategorie Mut.

Repression auch im Ausland

Immer wieder werden auch in der iranischen Exilcommunity Journalistinnen, Reporter oder ganze Redaktionen bedroht, vor allem digital. Im Fall von Iran International wurden die Drohungen so konkret, dass der bekannte, regimekritische Sender sein Büro in London schließen musste und nach eigenen Angaben nach Washington umzieht.

In Deutschland im Exil tätige Medienschaffende berichteten RSF, dass von solchen konkreten Drohungen bisher wenig zu spüren sei. Ganz im Gegenteil zur digitalen Sphäre: Phishing- oder Hackingangriffe seien fast an der Tagesordnung.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht der Iran auf Platz 178 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Thu, 23 Feb 2023 14:09:00 +0100
Andauernde Repressionen gegen Medien Reporter ohne Grenzen (RSF) ist besorgt über die jüngste Welle der Repressionen gegen Medienschaffende und Medien in Afghanistan, darunter Festnahmen und Blockieren von Webseiten. Zudem wurde vergangene Woche eine Razzia bei dem Hauptsitz des Fernsehsenders Tamadon TV in Kabul durchgeführt. RSF fordert die Taliban auf, die inhaftierten Medienschaffenden freizulassen und die Pressefreiheit zu respektieren.

Am 14. Februar stürmten zehn bewaffnete Taliban den Hauptsitz des unabhängigen Fernsehsenders Tamadon TV in Kabul. Sie nahmen die Mitarbeitenden für mehr als 30 Minuten in Geiselhaft, schlugen einige von ihnen, beleidigten sie und warfen ihnen vor, dass sie „Informationen verbreiten, die den Interessen des Islamischen Emirats widersprechen“.

Nachdem sie mit dem Leiter von Tamadon TV gesprochen hatten, verließen die Taliban das Gebäude wieder, jedoch nicht ohne zwei Fahrzeuge des Fernsehsenders mitzunehmen. Sie drohten an, zurückzukommen. Der genaue Grund für die Razzia ist noch immer unklar, aber einer der Mitarbeitenden sagte gegenüber RSF, dass „die Leben der Tamadon-Journalistinnen und Journalisten in großer Gefahr sind“ und er selbst nicht mehr in seinem eigenen Haus lebe.

„Anders als nach ihrer Machtübernahme versprochen, halten sich die Taliban nicht an die Mediengesetze, die eine freie Berichterstattung garantieren. Wie zuletzt die Razzia gegen Tamadon TV und die neuesten Verhaftungen gezeigt haben, wird das Land für Medienschaffende immer gefährlicher. Die Taliban versuchen immer wieder, durch Einschüchterung kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Wir fordern, dass die Taliban die Mediengesetze respektieren und alle inhaftierten Medienschaffende freilassen.“

Es ist nicht das erste Mal, dass Druck auf Tamadon TV ausgeübt wird. Die Taliban hatten den Sender bereits gewarnt, dass seine Inhalte die von ihnen definierten islamischen Werte respektieren sollten und dass der Sender es vermeiden sollte, die Taliban-Regierung zu kritisieren. Während des letzten Ramadans vom 2. April bis zum 2. Mai 2022 hat der Geheimdienst den Sender angewiesen, keine Filme und Serien mehr auszustrahlen.

Festnahmen und Zensur

Die Razzia bei Tamadon TV ist Teil einer weiterreichenden Eskalation der Schikanen gegen Medienmitarbeitende. Auf die Festnahme von Zarghoon TV-Journalist Qotratullah Tarar in Chost am 11. November 2022 folgten innerhalb weniger Wochen weitere drei Festnahmen: Am 7. Januar der französisch-afghanische Journalist Mortaza Behboudi, am 9. Januar Khairullah Parhar, Journalist des Radio- und Fernsehsenders Enikass in der Provinz Nangarhar und am 14. Februar Mohammad Yaar Majroh, Journalist von ToloNews, einem der führenden TV-Sender Afghanistans. Mohammad Yaar Majroh wurde am 19. Februar nach 6 Tagen Haft freigelassen. Die anderen Journalisten sind weiterhin inhaftiert.

Radio Azadi, der lokale Ableger von Radio Free Europe/Radio Liberty, und der Sender Voice of America haben zudem vor zwei Wochen bekanntgegeben, dass die afghanische Regulierungsbehörde für Telekommunikation den Zugang zu ihren Webseiten blockiert hat. Die Taliban hatten bereits im vergangenen Dezember ein Sendeverbot gegen die beiden Sender ausgesprochen.

Geschrumpfte Medienlandschaft

Die Machtübernahme der Taliban im August 2021 hatte verheerende Auswirkungen auf die Medienlandschaft des Landes. Mehr als die Hälfte der 526 Medienunternehmen, die während der letzten zwei Jahrzehnten tätig waren, mussten schließen. Die Print-Medien werden mittlerweile uneingeschränkt von den Taliban kontrolliert und fast die Hälfte aller Radiosender hat ihren Betrieb eingestellt. Von den 30 Nachrichtenseiten, die in Afghanistan vor August 2021 existierten, wurden fast 60 Prozent geschlossen, die meisten mussten ins Ausland umziehen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Afghanistan auf Platz 156 von 180.

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Pressemitteilungen Wed, 22 Feb 2023 13:09:00 +0100
Zensurversuch: Kampagne gegen Radio Azattyk Von 1953 an war er in Kirgistan zu empfangen, seit der Unabhängigkeit des Landes vor mehr als 30 Jahren sendet er aus einer Redaktion in der Hauptstadt Bischkek: Radio Azattyk (Kirgisisch für Freiheit) ist der kirgisische Dienst des US-finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL). Auf Russisch und Kirgisisch informiert der Sender kritisch über Politik und Gesellschaft und deckte in preisgekrönten Untersuchungen Korruptionsfälle in höchsten Regierungskreisen auf. Damit soll nun Schluss sein: Das kirgisische Kulturministerium beantragte Ende Januar 2023 die Schließung des traditionsreichen Senders in Kirgistan. Erste Anhörungen in dem Verfahren begannen am 20. Februar. Der nächste Termin ist für die erste Märzhälfte 2023 angesetzt.

„Die kirgisische Regierung will mit der Schließung von Radio Azattyk einen der bekanntesten und renommiertesten Nachrichtensender des Landes zerstören“, sagt Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). Dies wäre ein weiterer dramatischer Rückschlag für die Pressefreiheit in Kirgistan, das noch bis vor wenigen Jahren als demokratische Ausnahme in Zentralasien galt. „Kirgistan muss die Kampagne gegen Radio Azattyk umgehend einstellen und aufhören, unabhängige Medien zu schikanieren.“

Das Verfahren markiert den Höhenpunkt einer monatelangen Kampagne gegen Radio Azattyk. Diese begann am 24. Oktober 2022 mit einer Forderung des kirgisischen Kulturministeriums: Der Sender solle einen auf YouTube veröffentlichten Videobericht innerhalb von 24 Stunden löschen. Im Falle einer Weigerung würde die Webseite des Senders blockiert. Thema des Beitrags vom 16. September 2022 war der bewaffnete Grenzkonflikt mit dem Nachbarland Tadschikistan im Sommer 2022. Das Stück enthalte Hassrede sowie Fake News und beleuchte den Konflikt einseitig aus tadschikischer Perspektive, begründete das Ministerium seine Forderung. Der Präsident von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL) Jamie Fly wies die Vorwürfe zurück: Der Bericht sei ausgewogen und entspreche den journalistischen Standards des Senders – er werde nicht gelöscht. Zwei Tage darauf sperrte Kirgistan die Webseite von Radio Azattyk zunächst für zwei Monate. Ende Oktober 2022 froren die Behörden ohne Vorwarnung die Konten des Senders ein. Ende Dezember 2022 verlängerte das Kulturministerium die Sperrung der Webseite auf unbestimmte Zeit. Am 23. Januar 2023 beantragte das Ministerium die Schließung von Radio Azattyk.

Präsident Dschaparow drängt die Pressefreiheit zurück

Das Vorgehen gegen den Sender ist Teil eines Trends: Seit dem Amtsantritt des autoritär regierenden Präsidenten Sadyr Dschaparow im Januar 2021 zeichnet sich in dem zentralasiatischen Land, das in der Region lange als demokratische Ausnahme mit vergleichsweise vielfältiger Medienlandschaft galt, eine autoritäre Wende ab. Dschaparow setzt kritische Journalistinnen und Journalisten unter Druck, gängelt unabhängige Medien und schränkt den Raum für Dissens und Kritik immer mehr ein. Auch gesetzgeberisch lässt er die Pressefreiheit zurückdrängen: Im April 2022 unterschrieb der Präsident ein „Gesetz zum Schutz vor Falschnachrichten“ – die juristische Grundlage für die spätere Sperrung von Radio Azattyk. Das Gesetz verleiht dem kirgisischen Kulturministerium weitgehende Befugnisse zur Sperrung von Webseiten. Abschaltungen muss das Ministerium nicht offiziell begründen. Betroffene Medien können Sperrungen vor ihrem Inkrafttreten juristisch nicht anfechten. Außerdem erschwert das Gesetz die Registrierung neuer Medien.

Im Visier der Regierung stehen auch einzelne Medienschaffende: Ende November 2022 schoben die Behörden den Reporter Bolot Temirow nach Russland ab. Temirow zählt zu den bekanntesten Investigativjournalisten des Landes und besitzt neben der kirgisischen auch die russische Staatsbürgerschaft. Seit dem Jahr 2020 berichtet er auf seinem YouTube-Kanal Temirov Live über Korruption und Vetternwirtschaft unter Regierungsbeamten. Diese Themen führten letztlich auch zu seiner Abschiebung: Temirow hatte 2020 einen zweiteiligen Bericht über illegale Geschäfte der Familie des Chefs des kirgisischen Inlandsgeheimdiensts (GKNB) Kamtschybek Taschijew mit den staatlichen Erdölkonzernen Kyrgysneftegas und Kyrgys Petroleum Company veröffentlicht. Taschijew gilt als enger Vertrauter des Präsidenten. Die Behörden ließen Temirow zunächst wegen angeblichen Drogenbesitzes vorübergehend verhaften. Im November 2022 ordnete ein Gericht schließlich seine Ausweisung an – wegen angeblich gefälschter Dokumente zur Erlangung eines kirgisischen Passes. RSF kritisiert das Urteil als Rache der Behörden.

Gerichte kämpfen gegen kritische Berichte

Zwei Monate zuvor gingen die Behörden gegen Talaaj Dujschenbijew vor. Am 21. September 2022 wurde der Direktor des privaten Radio- und Fernsehsenders Next TV wegen angeblicher Aufstachelung zu ethnischem Hass zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Strafe wurde allerdings zu einer dreijährigen Bewährung ausgesetzt. Während dieser Zeit muss sich der Journalist zweimal im Monat bei den Behörden melden und darf die Hauptstadt Bischkek nicht verlassen. Grund für die Anklage gegen Dujschenbijew waren Posts in den sozialen Medien des Senders. In diesen wurde im März 2022 ein früherer Leiter des kasachischen Inlandsgeheimdienstes (KNB) mit der Behauptung zitiert, Kirgisistan haben sich in geheimen Gesprächen bereit erklärt, Russland bei der Invasion in der Ukraine militärische Hilfe zu leisten. Die Posts wurden vom Obersten Gericht Kirgistans als extremistisch eingestuft und Dujschenbijew festgenommen. Der Journalist bestreitet seine Schuld und bezeichnete das Verfahren gegen ihn als politisch motiviert.

Bereits zu Beginn des Jahres hatte die Bischkeker Staatsanwaltschaft am 31. Januar 2022 ein Strafverfahren gegen Kaktus Media eingeleitet – wegen angeblicher Kriegspropaganda. Das einflussreiche unabhängige Nachrichtenportal hatte wenige Tage zuvor einen Artikel der unabhängigen tadschikischen Nachrichtenagentur Asia-Plus über den Grenzkonflikt zwischen Tadschikistan und Kirgistan veröffentlicht. In diesem hieß es, Kirgistan habe den Grenzkonflikt mit ersten Schüssen provoziert. Dutzende Demonstrierende forderten vor der Redaktion daraufhin eine Bestrafung der Medienschaffenden sowie die Einführung eines Gesetzes für ausländische Agenten nach russischem Vorbild. Das Verfahren wurde am 31. März 2022 eingestellt.

Fast zur selben Zeit erregte auch die renommierte Nachrichtenagentur Kloop den Zorn der Behörden. Am 1. Februar 2022 forderte das kirgisische Kulturministerium die sofortige Löschung eines Artikels über die staatliche Entwicklungsagentur Aris. Die Behörde soll für den Wiederaufbau von Gebäuden, die im Grenzkonflikt mit Tadschikistan zerstört wurden, mehr Geld ausgegeben haben als vorgesehen. Im Falle einer Weigerung werde die Internetseite des Mediums für zwei Monate gesperrt. Noch am selben Tag wies Kloop die Forderung in einer öffentlichen Stellungnahme zurück. Der Artikel enthalte keine falschen Informationen und werde nicht gelöscht. Nur einen Tag später zog Aris die Forderung überraschenderweise zurück.

Neues Gesetz soll Schließung von Medien vereinfachen

Für tiefe Beunruhigung unter Kirgistans Medienschaffenden sorgt zudem der Entwurf eines neuen Mediengesetzes, welches die Administration des Präsidenten am 28. September 2022 vorlegte. Der Gesetzesentwurf erleichtere die Schließung von Medien und die Abschaltung von Internetseiten und kopiere in weiten Teilen russische Mediengesetze, so die Kritik kirgisischer Journalistinnen und Journalisten. Zudem enthalte der vorgelegte Entwurf zahlreiche Fehler und unklare Formulierungen. Die Regierung reagierte auf die Kritik und richtete im November 2022 eine Arbeitsgruppe mit unabhängigen Medienvertreterinnen und -vertretern ein, welche am 8. Januar 2023 eine überarbeitete Version vorlegte – die aber nicht veröffentlicht wurde. Der Entwurf soll zur Prüfung der Venedig-Kommission des Europarats zugehen, die Staaten in verfassungsrechtlichen Fragen berät.

Aber auch die neue Version des Gesetzesentwurfs sorgt für Kritik: Sie stärke die Kontrollmöglichkeiten der Regierung, kritisieren Medienfachleute. Zudem enthalte der überarbeitete Entwurf einen neuen Artikel, der auf die Zensur von Bloggern ziele. Diese sollen juristisch als Medien eingestuft werden. Das bedeutet: Blogger müssen in den sozialen Medien zahlreiche persönliche Daten, darunter etwa Telefonnummer und E-Mail-Adresse, angeben – und können so schneller juristisch belangt werden. Für Blogger sollen dem Gesetzesentwurf zufolge Arbeitsvorschriften wie für professionelle Redaktionen gelten: So könnten sie beispielsweise für die gezielte Veröffentlichung von Fake News – oder als solchen eingestuften Informationen – vor Gericht kommen.

RSF fordert Gespräch mit kirgisischem Präsidenten

Gegen den zunehmenden Druck der kirgisischen Regierung regt sich auch Widerstand: In einer gemeinsamen Erklärung forderten kritische Medienschaffende und Medien, journalistische Berufsverbände und Medienorganisationen am 24. Oktober 2022 ein Ende der Kampagne gegen Radio Azattyk. Vier Tage darauf veranstalteten unabhängige Medien einen sogenannten Blackout Day: Als Zeichen der Solidarität mit Radio Azattyk stellten sie für drei Stunden die Berichterstattung ein. Die Webseiten der beteiligten Medien wurden schwarz geschaltet. Nur der Schriftzug „Keine Nachrichten heute. Die Medien in Kirgistan sind unter Druck“ war zu lesen. Am 31. Januar 2023 kritisierten RSF und sechs weitere Nichtregierungsorganisationen in einem Brief an Präsident Dschaparow die immer stärkere Einschränkung der Pressefreiheit und baten um ein Gespräch mit dem kirgisischen Präsidenten. Eine Reaktion Dschaparows steht bisher aus. Er empfing jedoch am 10. Februar 2023 Jamie Fly, den Präsidenten von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL), in Bischkek zu einem Gespräch, in dem Fly für eine weitere Zukunft von Radio Azattyk in Kirgistan warb.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit belegt Kirgistan Platz 72 von 180 Staaten.

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Pressemitteilungen Wed, 22 Feb 2023 13:09:00 +0100
Ein Jahr Krieg gegen die Pressefreiheit in Zahlen Etwa 12.000 ukrainische und ausländische Journalistinnen und Journalisten haben seit dem 24. Februar 2022 eine Akkreditierung erhalten, um über den Krieg in der Ukraine zu berichten. Viele von ihnen riskierten ihr Leben, um die Geschehnisse zu dokumentieren. Sie berichteten aus stark umkämpften Gebieten, manche wurden gezielt von russischen Streitkräften angegriffen. Ukrainische Medien wurden massiv in ihrer Arbeit eingeschränkt. Besonders alarmierend ist die Situation für Medienschaffende in den von Russland besetzten Gebieten. Ein Jahr nach Beginn des groß angelegten Angriffs auf die Ukraine haben Reporter ohne Grenzen (RSF) und die ukrainische Partnerorganisation Institute of Mass Information (IMI) die Gewalt gegen Medienschaffende und die Anstrengungen zu ihrer Unterstützung in Zahlen gefasst.

8 Medienschaffende getötet

Acht Medienschaffende wurden seit Beginn des groß angelegten Angriffskrieges in der Ukraine bei der Ausübung ihrer Arbeit getötet – und zwar vor allem in den ersten drei Monaten des Krieges. Die meisten von ihnen starben bei Schusswechseln oder erlagen den dabei erlittenen Verletzungen. Zu ihnen gehört der französische Journalist Frédéric Leclerc-Imhoff, der in einem Lastwagen unterwegs war, als dieser von russischen Streitkräften beschossen wurde. Andere, wie der ukrainische Fotojournalist Maxim Lewin oder die russische Journalistin Oksana Baulina, wurden gezielt ermordet. Einige Fälle, darunter der des litauischen Dokumentarfilmers Mantas Kvedaravicius, der Anfang April in Mariupol tot aufgefunden wurde, sind nach wie vor nicht aufgeklärt.

26 Medienschaffende gezielt beschossen

Seit dem 24. Februar 2022 registrierte RSF insgesamt 50 Fälle, in denen Medienschaffende unter Gewehr- oder Artilleriebeschuss gerieten. Mehr als die Hälfte, mindestens 26 von ihnen, wurde gezielt beschossen.

19 Medienschaffende verletzt

19 ukrainische und ausländische Journalistinnen und Journalisten wurden seit dem 24. Februar 2022 verwundet, mindestens vier von ihnen schwer. Die meisten wurden Opfer von russischem Artilleriebeschuss oder von Raketeneinschlägen, andere wurden gezielt beschossen. Zu ihnen gehören die dänischen Journalisten Stefan Weichert und Emil Filtenborg Mikkelsen, die am 26. Februar 2022 im Nordosten der Ukraine von einem bisher nicht identifizierten Scharfschützen ins Visier genommen wurden.

16 Fernsehtürme aus der Luft angegriffen

Bevorzugte Ziele der russischen Streitkräfte sind Infrastruktur und Gebäude, die der Übertragung von Nachrichten und Informationen dienen. RSF und IMI zählten im vergangenen Jahr insgesamt 16 Angriffe auf Fernsehtürme, fast die Hälfte davon in den ersten Kriegstagen Anfang März 2022.

Auch Repeater-Antennen und andere Infrastruktur, die für die Übertragung von Nachrichten genutzt wird, nahmen die russischen Streitkräfte ins Visier. Als russische Soldaten in die Stadt Melitopol im Süden der Region Saporischschja eindrangen, übernahmen sie die Kontrolle über die zentrale Fernsehantenne und unterbrachen die Ausstrahlung ukrainischer Fernsehprogramme. Dreimal wurde das Satellitensignal von UA Perschiy, einem Kanal der öffentlich-rechtlichen Rundfunkgruppe Suspilne, unterbrochen. Zudem brachten die russischen Streitkräfte die Internet- und Mobilfunkanbieter in den besetzten Gebieten unter ihre Kontrolle und schnitten die Bevölkerung so von unabhängigen Nachrichten und Informationen ab.

7 Klagen wegen Kriegsverbrechen

RSF hat beim Internationalen Strafgerichtshof und beim ukrainischen Generalstaatsanwalt sieben Klagen wegen Kriegsverbrechen eingereicht, und zwar wegen insgesamt 44 Gewalttaten und Übergriffen gegen mehr als 100 Medienschaffende sowie elf Radio- und Fernsehtürme in der Ukraine. Diese Verbrechen zeigen, dass die russischen Streitkräfte ihren Krieg auch gegen die freie Verbreitung von Nachrichten und Informationen führen.

42 Cyber-Straftaten gegen Medien

Der Informationskrieg wurde auch online geführt, mit Cyberangriffen, Hacks, Drohungen in den sozialen Medien und Angriffen auf Medienseiten. Im vergangenen Jahr registrierte das Institute of Mass Information (IMI) mindestens 42 Cyber-Straftaten. Beim jüngsten Cyberangriff auf die Website der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform Mitte Januar wurden Hacker verdächtigt, die mit dem russischen Militärgeheimdienst GRU in Verbindung stehen.

217 Medien geschlossen

Insgesamt 217 ukrainische Medien mussten seit dem 24. Februar 2022 ihre Arbeit einstellen, unter anderem wegen Versorgungsproblemen, dem Verlust von Abonnentinnen und Werbekunden, weil Redaktionen zerstört wurden oder weil Personal fehlte, nachdem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ins Ausland geflohen oder zur Armee eingezogen worden waren. Laut einer Umfrage von IMI, der Partnerorganisation von RSF in der Ukraine, wurden 15 Prozent aller Medienschaffenden entlassen oder arbeiten derzeit ohne Bezahlung.

Umfassende Unterstützung unabhängiger Medien

750 Medienschaffende mit Schutzausrüstung ausgestattet

Bereits wenige Tage nach Beginn der russischen Invasion eröffneten RSF, das IMI, die Nationale Journalistenunion der Ukraine (NUJU) und weitere lokale Organisationen am 11. März 2022 ein Zentrum für Pressefreiheit im westukrainischen Lwiw. Wenig später folgte ein weiteres Zentrum zur Unterstützung in- und ausländischer Medienschaffender in Kyjiw. An beiden Orten wurden seither fast 750 Journalistinnen und Journalisten aus 36 Ländern (hauptsächlich aus der Ukraine) mit individueller Schutzausrüstung ausgestattet, darunter kugelsichere Westen, Helme und Erste-Hilfe-Kästen.

91 Medien mit Stromquellen versorgt

Um den durch russische Angriffe auf die Energieinfrastruktur verursachten Strommangel auszugleichen, versorgte RSF 91 Medien in 14 Regionen der Ukraine mit Generatoren und anderen Stromversorgungsgeräten, damit sie ihren Betrieb aufrechterhalten können.

Finanzhilfe für 28 Medien

Damit sie ihre Arbeit fortsetzen können, wurden 28 unabhängige ukrainische Medien, deren Arbeit durch den Krieg sehr stark eingeschränkt wurde, mit finanziellen Zuschüssen unterstützt.

288 Medienschaffende geschult

Insgesamt wurden bisher 288 Journalistinnen und Journalisten in physischer und psychischer Sicherheit sowie in Erster Hilfe geschult. Ein Sicherheitsleitfaden für Medienschaffende wurde ins Ukrainische übersetzt. Tausende gedruckter Exemplare wurden verteilt, die ukrainische Version ist weiterhin online abrufbar. Laut einer IMI-Umfrage vom Dezember 2022 leiden nicht weniger als 90 Prozent der ukrainischen Journalistinnen und Journalisten unter Stresssymptomen.

129 Medienschaffende finanziell unterstützt

In Zusammenarbeit mit lokalen Partnern hat RSF 129 ukrainische Medienschaffende, darunter 86 Frauen, individuell finanziell unterstützt. Reporter ohne Grenzen wird diese Unterstützung auch im kommenden Jahr fortsetzen.

Die Arbeit der Pressefreiheitszentren in Lwiw und Kyjiw wird unterstützt von der Europäischen Kommission, der Tides Foundation, der Vertretung von Taipeh in Frankreich, der Open Society Foundations, der Fondation de France, dem Institute of Mass Information (IMI), dem Rathaus von Lwiw, dem Medienzentrum der Ukraine und von Bioport Humanitarian Logistics.

Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit steht die Ukraine auf Platz 106 von 180 Ländern.

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Pressemitteilungen Tue, 21 Feb 2023 13:09:00 +0100
Besserer Schutz für Journalisten in der Slowakei Vor fünf Jahren, am 21. Februar 2018, wurden der slowakische Investigativjournalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová erschossen. Im April 2023 wird das Urteil gegen den mutmaßlichen Drahtzieher erwartet. Reporter ohne Grenzen (RSF) fordert volle Gerechtigkeit für die Ermordung des Journalisten und kündigt zudem finanzielle und fachliche Unterstützung für ein bislang einzigartiges Projekt zum Schutz von Medienschaffenden in der Slowakei an.

Der neue Schutzmechanismus soll Opfer von Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten unterstützen und dabei helfen, zukünftige Attacken zu verhindern. Das Projekt mit dem Namen Safe.Journalism.sk (Bezpecna.Zurnalistika.sk) wurde vom Ján-Kuciak-Investigativzentrum (ICJK) initiiert. RSF unterstützt es als einer der beiden Hauptpartner finanziell und mit Expertise. Der zweite Hauptpartner ist die Botschaft der Niederlande in Bratislava. Der niederländische Schutzmechanismus PersVeilig (dt.: „sichere Presse“) dient dem slowakischen Projekt, dem ersten seiner Art im Land, als Vorbild.

„Solange der Mord an Ján Kuciak nicht vollständig aufgeklärt ist, kann kein Journalist und keine Reporterin in der Slowakei sicher sein“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Deshalb sind systematische Schutzmaßnahmen wie Safe.Journalism.sk so wichtig. Wir sind stolz, das Projekt unterstützen und begleiten zu können, denn es ist ein hervorragendes Beispiel für die Zusammenarbeit zwischen Medienschaffenden selbst und dem Staat sowie mit internationalen Partnern.“

Digitale Angriffe sind weit verbreitet

Safe.Journalism.sk ermittelte zunächst mit einer Umfrage unter Medienschaffenden die spezifische Bedrohungslage im Land. Im nächsten Schritt werden in Gesprächen mit den slowakischen Behörden konkrete Schutzmaßnahmen entwickelt.

Zwischen Dezember 2022 und Januar 2023 befragte die Meinungsforschungsagentur AKO für Safe.Journalism.sk eine Stichprobe von 400 slowakischen Medienschaffenden. Sie arbeiten für nationale, regionale, lokale oder internationale Medien.

Zwei Drittel (66 Prozent) der Befragten haben in den letzten zwölf Monaten einen Angriff oder eine Bedrohung erlebt. Am häufigsten waren verbale Online-Angriffe (40 Prozent) und direkte verbale Angriffe (36 Prozent). Physische Angriffe und rechtliche Drohungen wie Knebelklagen (SLAPPs) wurden von 4 bzw. 2 Prozent der Medienschaffenden erlebt. Von Hass und Hetze berichteten fast drei Viertel (73 Prozent) der Journalistinnen und Journalisten. Als Folge der Vorfälle griffen 16 Prozent der Befragten zu Selbstzensur.

„Unsere neue Umfrage zeigt das wahre Ausmaß der fehlenden Sicherheit von Medienschaffenden in der Slowakei fünf Jahre nach dem Mord an Ján Kuciak“, sagte Lukas Diko, Präsident und Chefredakteur des ICJK. „Aus diesem Grund haben wir Safe.Journalism.sk ins Leben gerufen.“

Aus der Erhebung geht hervor, dass 16 Medienschaffende Opfer körperlicher Angriffe wurden. Im Vergleich zu anderen kleinen EU-Staaten ist das eine sehr hohe Zahl. Umso besorgniserregender ist es, dass mit Blick auf die Auftraggeber des Mordes an Ján Kuciak am 21. Februar 2018 noch immer kein Urteil gesprochen wurde.

Kuciak-Urteil soll im April verkündet werden

Nun endlich, fünf Jahre später, scheint eine erste Verurteilung in greifbare Nähe zu rücken. Am 24. April soll laut Staatsanwalt Matúš Harkabus das Urteil im laufenden Wiederaufnahmeverfahren gegen den mutmaßlichen Drahtzieher Marian Kočner und seine Komplizin Alena Zsuzsova verkündet werden. Das Motiv des Geschäftsmannes für den Auftragsmord lieferten laut Staatsanwaltschaft Ján Kuciaks investigative Artikel in Aktuality.sk.

Kočner habe darin eine Bedrohung für seine geschäftlichen und politischen Interessen sowie für seine bisherige Straffreiheit gegenüber den slowakischen Strafverfolgungsbehörden gesehen. Kuciak hatte über Korruption, Steuerhinterziehung und Verbindungen hochrangiger slowakischer Politikerinnen und Politiker zur italienischen Mafia recherchiert. Auch über Kočners Geschäftsverbindungen hatte Kuciak wiederholt geschrieben.

Das jetzige Wiederaufnahmeverfahren vor dem Sonderstrafgericht begann, nachdem der Oberste Gerichtshof im Juni 2021 den Freispruch von Kočner und Zsuzsova im ersten Verfahren aufgehoben hatte. Kočner war 2018 festgenommen und im Jahr darauf wegen Betrugs zu einer 19-jährigen Haftstrafe verurteilt worden. Vom Vorwurf, den Mord an Kuciak in Auftrag gegeben zu haben, wurde er im September 2020 freigesprochen. Die beiden Auftragskiller sowie ein Mittelsmann wurden bereits zu langen Haftstrafen verurteilt.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht die Slowakei derzeit auf Platz 27 von 180 Ländern.

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Pressemitteilungen Mon, 20 Feb 2023 13:36:00 +0100