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Iran

Rangliste der Pressefreiheit — Platz 177 von 180
Iran 07.09.2023

Nilufar Hamedi: in Haft, weil sie ein Foto schoss

Auf dem Bild sind zwei lächelnde Frauen abgebildet. Links ist Nilufar Hamedi, Rechts ist Elahe Mohammadi. Nilufar ist ein kleines Stück größer und hat etwas hellere braune Haare als Elahe. Sie trägt eine Schwarz-Weiß gemusterte Bluse und hat eine Sonnenbrille auf dem Kopf. Elahe trägt ein weißes Hemd mit schmalen schwarzen Streifen. Beide Frauen tragen eine Schaila, Nilufars ist Creme-Weiß, Elahes ist Purpur-rot.
Die iranischen Journalistinnen Elahe Mohammadi und Nilufar Hamedi © picture alliance / abaca | SalamPix/ABACA

Es war Nilufar Hamedis Foto, durch das die Welt vom Schicksal Jina Mahsa Aminis erfuhr. Die junge Kurdin war am 16. September 2022 in Teheran in Polizeigewahrsam gestorben – es folgte eine bis heute andauernde Protestwelle gegen das iranische Regime. Wegen ihres Fotos ließen die Behörden die Journalistin Hamedi am 22. September festnehmen. Bis heute, fast ein Jahr später, sitzt die mittlerweile 30-Jährige im berüchtigten Evin-Gefängnis.

Hamedis Foto zeigt ein trauerndes Paar, das sich in einem verlassenen Krankenhausflur umarmt. Als Hamedi, Reporterin der Tageszeitung Shargh Daily, dieses Foto der Eltern von Jina Mahsa Amini am 16. September 2022 auf der Plattform Twitter (heute „X“) postete, kursierte der Name der jungen Kurdin bereits seit einigen Stunden im Internet. In geflüsterten Gesprächen und diskreten Online-Nachrichten ging das Gerücht um, die Sittenpolizei habe Amini am 13. September verprügelt, weil sie ihren Hidschab nicht richtig trug. Hamedis Foto war einer der ersten konkreten Hinweise auf Aminis Tod.

„Es macht Hoffnung, dass es bis heute so mutige Journalistinnen wie Nilufar Hamedi gibt – trotz der jahrzehntelangen Unterdrückung unabhängiger Medien im Iran“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Das Regime in Teheran will, dass diese Hoffnung stirbt. Deswegen sitzen Hamedi und 24 weitere Medienschaffende im Gefängnis.“

Am Morgen des 16. September hatte Nilufar Hamedi einen Anruf eines ihrer Kollegen von Shargh Daily erhalten. Quellen im Teheraner Kasra-Krankenhaus hatten eine junge Frau in der Notaufnahme gesehen. Sie vermuteten, dass es sich um Jina Mahsa Amini handelte und dass sie infolge massiver Schläge durch die Polizei im Koma lag. Hamedi machte sich auf den Weg ins Krankenhaus und traf dort auf Aminis Eltern, die erst wenige Minuten zuvor die Nachricht vom Tod ihrer Tochter erhalten hatten. Die Journalistin postete ihr Foto der trauernden Familie ohne zu zögern – ihr war klar, dass die Behörden jegliche Nachricht von Aminis Tod verheimlichen wollen. Im Vorfeld hatte es ausdrückliche Anweisungen an die Medien gegeben, nichts über den Fall zu veröffentlichen; zudem war rund um das Krankenhaus mehr Sicherheitspersonal als üblich im Einsatz.

Sechs Tage später, am 22. September, wurde sie von der Polizei in ihrer Wohnung verhaftet, ihr Twitter-Account wurde gesperrt. Sie wurde der „Verschwörung und Rebellion gegen die nationale Sicherheit“ und der „staatsfeindlichen Propaganda“ beschuldigt. Fast ein Jahr später sitzt sie noch immer im Evin-Gefängnis und wartet auf das Urteil des Gerichts. Ihr Prozess begann nach sechsmonatiger Untersuchungshaft am 30. März.

Hamedi hatte bereits über ähnliche Fälle berichtet

Nilufar Hamedi gilt als journalistische Expertin für Frauenrechte, bekannt dafür, sich auch an äußerst sensible Themen heranzutrauen. Im Juni 2022 berichtete sie für Shargh Daily über einen Vorfall, der dem um Jina Mahsa Amini ähnelt. Mitglieder der Sittenpolizei hatten in einem Teheraner Park eine Frau verhaftet, weil sie ihren Hidschab nicht korrekt trug, und im Zuge dessen ihren Mann angeschossen und verletzt. Hamedi nahm wiederholt Kontakt zu den Opfern auf und überzeugte sie schließlich, zu reden. Ähnlich wie später im Fall Amini versuchten auch hier die Behörden, die Nachrichten über die Gewalttat zu unterdrücken.

Im Juli 2022 berichtete Hamedi über die Ermordung eines 16-jährigen Mädchens durch dessen Ehemann, und im September 2022 über die Selbstverbrennung mehrerer Frauen, die sich vor häuslicher Gewalt retten wollten. Recherchen zu Frauen, die auf verschiedene Arten zum Schweigen gebracht werden sollten, ziehen sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeit.

Journalismus, Frauenrechte und eine Leidenschaft für den Sport

Nilufar Hamedi wurde am 22. Oktober 1992 in Babol geboren, am Kaspischen Meer, gut 200 Kilometer nördlich von Teheran. Ab 2012 studierte sie an der Universität Teheran und konnte dort ihre beiden Leidenschaften verbinden – Sport und Schreiben. Als Sportjournalistin erfüllte sie sich den Traum, trotz des Stadionverbots für Frauen ein Fußballspiel zu besuchen. Seitdem kämpft sie dafür, dass alle Frauen das Recht haben, Sportveranstaltungen beizuwohnen. Nach einer Zeit bei der reformorientierten Tageszeitung Etemad ging sie 2020 zu Shargh Daily.

Nilufar Hamedi ist für ihre Arbeit international ausgezeichnet worden. Gemeinsam mit den ebenfalls inhaftierten Journalistinnen Elahe Mohammadi und Narges Mohammadi wurde sie im Mai 2023 mit dem UNESCO/Guillermo Cano World Press Freedom Prize ausgezeichnet. Das Time Magazine zählt sie und Elahe Mohammadi in diesem Jahr zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt im Jahr 2023. Im Juni schließlich erhielten die beiden den „Leuchtturm für besondere publizistische Leistungen“ der Organisation Netzwerk Recherche. Der Journalist Omid Rezaee hielt eine berührende Laudatio.

„Ich möchte für immer Journalistin sein“

Im September 2022, wenige Tage vor ihrer Verhaftung, reisten Hamedi und ihr Mann nach Qazvin, einer geschichtlich bedeutsamen Stadt westlich von Teheran. Auf dieser Reise erzählte sie ihrem Mann von der Genugtuung, die sie bei der Aufklärung des Falls von Jina Mahsa Amini empfunden habe: „Ich glaube, ich möchte für immer Journalistin sein.“

Nilufar Hamedi ist eine von 30 Journalistinnen, die iranische Sicherheitskräfte seit dem 16. September 2022 verhört, festgenommen oder inhaftiert haben. Insgesamt wurden seither mehr als 80 Medienschaffende inhaftiert, manche bereits zum wiederholten Mal.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht der Iran auf Rang 177 von 180 Staaten.



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