Reporter ohne Grenzen (ROG) ist empört über die Entscheidung eines türkischen Gerichts, keine weiteren Cumhuriyet-Mitarbeiter freizulassen. Nach der Fortsetzung des Prozesses gegen 18 Journalisten und Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung am Montag (11.09.) bleiben Chefredakteur Murat Sabuncu, der Kolumnist Kadri Gürsel, Herausgeber Akin Atalay, Investigativjournalist Ahmet Sik und Buchhalter Emre Iper vorerst in Haft. Ipers Prozess war zuvor mit dem gegen 17 andere Cumhuriyet-Mitarbeiter zusammengelegt worden. Die nächste Anhörung ist am 25. September.
„Der Prozess gegen die Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet ist eine Farce. Wenn Journalisten wie Terroristen behandelt und unschuldig eingesperrt werden, wer soll dann noch über die Willkürjustiz und die Repressalien gegen unabhängige Medien in der Türkei berichten“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die Cumhuriyet-Mitarbeiter sind mutige Kämpfer für die Pressefreiheit. Die türkische Justiz muss sie zusammen mit allen anderen inhaftierten Journalisten freilassen und die absurden Anschuldigungen fallenlassen.“
Die Richter begründeten ihre Entscheidung unter anderem damit, die Gefahr sei zu groß, dass Beweise vernichtet würden. Zudem wollen sie drei weitere Zeugen, die nicht erschienen waren, anhören. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor die Fortsetzung der Untersuchungshaft beantragt. Wegen der Berichterstattung der Zeitung werden den Mitarbeitern Verbindungen zu verschiedenen „terroristischen“ Gruppen vorgeworfen. Ihnen drohen zwischen siebeneinhalb und 43 Jahre Haft.
Die Anhörung fand in einem Gerichtssaal im rund 80 Kilometer außerhalb von Istanbul liegenden Hochsicherheitsgefängnis Silivri statt, in dem auch der deutsch-türkische Welt-Korrespondent Deniz Yücel sitzt. Reporter ohne Grenzen war als Prozessbeobachter vor Ort. Während der mehr als 13 Stunden dauernden Anhörung wiesen die Angeklagten die Vorwürfe in ihren Plädoyers zurück.
Nach Prozessbeginn hatte Reporter ohne Grenzen das politisch motivierte Verfahren verurteilt. In den Anhörungen Ende Juli ging es unter anderem um die redaktionelle Ausrichtung der Cumhuriyet. Die Richter hatten etwa die Wahl der Überschriften thematisiert und Fragen zum Ablauf von Redaktionskonferenzen gestellt. Angeblich sollen die Angeklagten von Personen kontaktiert worden sein, die verdächtigt werden, der Bewegung des Exil-Predigers Fethullah Gülen anzugehören. Die türkische Regierung macht die Bewegung für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich.
Die Anklageschrift wurde Anfang April 2017 vorgelegt. Darin wird den 17 Mitarbeitern die angebliche Unterstützung von terroristischen Organisationen vorgeworfen, darunter die Gülen-Bewegung und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Laut Anklageschrift soll sich die redaktionelle Linie von Cumhuriyet „radikal verändert“ haben, nachdem Can Dündar im Februar 2015 die Position des Chefredakteurs übernahm. Demnach habe die Zeitung danach angeblich die Ziele dieser Organisationen unterstützt.
Cumhuriyet ist eine der ältesten Zeitungen in der Türkei und eines der wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien im Land. Im November 2015 hat ROG die Zeitung als Medium des Jahres ausgezeichnet.
Laut der unabhängigen türkischen Medienplattform P24 sitzen derzeit mehr als 170 Journalisten in türkischen Gefängnissen. Damit ist Türkei das Land mit den meisten inhaftierten Medienschaffenden weltweit. Rund 130 Medien bleiben geschlossen.
Auch der langjährige Türkei-Korrespondent von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu, sitzt auf der Anklagebank. Ihm wird wegen der Teilnahme an einer Solidaritätsaktion für die mittlerweile geschlossene pro-kurdische Zeitung Özgür Gündem „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vorgeworfen. Der Prozess geht am 26. Dezember weiter.
