Die digitalen Angriffe gegen die in Berlin ansässige vietnamesisch-deutsche Nachrichtenseite thoibao.de reißen nicht ab. Nach Angaben des Chefredakteurs Trung Khoa Le hat Facebook seit August zwei Beiträge der Redaktion entfernt und mit der Löschung des Kontos gedroht, weil Thoibao gegen die Gemeinschaftsstandards des sozialen Netzwerks verstoßen haben soll. Zudem kann die Redaktion auf der Plattform kaum noch Geld verdienen – Facebook hat die sogenannte Monetarisierung eingeschränkt. Thoibao vermutet einen politisch motivierten Hintergrund: Die Seite berichtet kritisch über das Regime in Hanoi und muss sich immer wieder gegen Cyber-Angriffe wehren. Le, der seit 2024 die deutsche Staatsbürgerschaft hat, steht nach Morddrohungen unter Polizeischutz.
„Wir sind schockiert über die wiederholten Angriffe gegen thoibao.de und die unangemessene Reaktion Facebooks“, sagte Anja Osterhaus, Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen (RSF). „Facebook hört nicht zum ersten Mal von dem Fall. Die Plattform müsste längst wissen, dass Thoibao im Visier des vietnamesischen Regimes steht. Warum werden Beiträge entfernt und Einnahmen eingeschränkt? Nutzt Hanoi eine mögliche Sicherheitslücke aus? Facebook muss den Fall gründlich prüfen. Das soziale Netzwerk hat eine große Verantwortung in Ländern wie Vietnam, wo die Pressefreiheit stark eingeschränkt wird.“
Die Nachrichtenseite thoibao.de berichtet auf Vietnamesisch über politische Entwicklungen in Vietnam und weltweit. Einige Artikel werden ins Englische, Deutsche, Russische und Chinesische übersetzt. Die Seite ist in Vietnam gesperrt, daher teilt die Redaktion ihre Beiträge in sozialen Medien wie Facebook und Youtube – mit wachsender Leserschaft. Im August 2025 haben die Zugriffe auf alle Kanäle zusammen nach Angaben der Redaktion erstmals 500 Millionen überschritten. Die meisten Zugriffe kommen aus Vietnam.
Facebook ist für Thoibao der wichtigste Kanal, um Inhalte zu verbreiten und die vietnamesische Leserschaft zu erreichen. Die Redaktion hat mehrere Konten. Von den jüngsten Einschränkungen betroffen ist das Hauptkonto thoibao.de. Facebook hat dort im August ein Video entfernt, weil es gegen die Gemeinschaftsstandards zu Suizid, Selbstverletzungen und Essstörungen verstoßen haben soll. In dem Video wird aber nicht über diese Themen berichtet. Le hat gegen die Löschung Widerspruch eingelegt, Facebook hat dem nicht stattgegeben. Laut der Plattform läuft die Seite nun Gefahr, offline genommen zu werden. Weil Facebook für das Konto die Monetarisierung eingeschränkt hat, fließen laut Le seitdem 99 Prozent der Einnahmen nicht mehr an Thoibao. Mit dem Geld werden Mitarbeitende bezahlt. Mitte September wurde zudem ein weiterer Beitrag wegen angeblicher Verletzung der Gemeinschaftsstandards entfernt.
Auch auf der persönlichen Seite von Le hat Facebook die Möglichkeit eingeschränkt, mit den Inhalten Geld zu verdienen. Der Grund: Es wurden Fremdinhalte geteilt und das verstoße gegen die Monetarisierungsregeln. Le teilt nach eigenen Angaben gelegentlich Links zu Artikeln anderer Medien. Doch überwiegend verbreitet er selbst produzierte Videos und Texte. Auch hier hat Facebook seinen Widerspruch abgelehnt.
RSF hat sich mit Nachfragen an den Facebook-Konzern Meta gewandt, aber keine Antwort erhalten. Vietnam ist für Meta ein wichtiger Markt: Laut Medienberichten nutzen mehr als 70 Prozent der Menschen im Land Facebook, die Seite ist eine Hauptnachrichtenquelle im Land.
Thoibao wehrt sich seit Jahren gegen Cyberangriffe
Die jüngsten Einschränkungen reihen sich in eine Serie von digitalen Angriffen gegen thoibao.de. Schon 2018 berichtete RSF über Schikanen gegen die Redaktion. Damals machten Unbekannte Le ohne sein Wissen zum Administrator einer Facebookseite, die gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen hatte. Facebook räumte ein, Opfer eines „böswilligen Angriffs“ geworden zu sein. Im Oktober 2020 sperrte Facebook in Vietnam vier Beiträge Les wegen „lokaler rechtlicher Beschränkungen.“ Sie enthielten Links zu regierungskritischen Artikeln deutscher Medien, darunter die Seite von RSF.
Ein Jahr später erschien eine gefälschte Todesanzeige auf der Facebookseite von Le. Weil er angeblich tot war, konnte er keine Beiträge mehr teilen. Im November 2022 beanspruchte ein RSF unbekanntes Unternehmen auf Facebook das Urheberrecht an Videos, die Thoibao produziert hatte. Dadurch flossen die mit den Videos generierten Werbeeinnahmen an das Unternehmen statt an Thoibao. Die Facebookseiten thoibao.eu und thoibao.news wurden bereits 2024 gelöscht, weil sie gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen haben sollen. Die Webseite thoibao.de muss sich zudem immer wieder gegen sogenannte DDoS-Angriffe wehren. Dabei überlasten Hunderttausende gleichzeitige Aufrufe den Server der Seite und legen sie bewusst lahm.
Chefredakteur Le bekam in Berlin bereits Morddrohungen. Seit 2018 steht er unter Polizeischutz. Im RSF-Podcast erzählt er über seine Arbeitsbedingungen: Der Journalist fährt zu unterschiedlichen Zeiten in sein Büro und nimmt unterschiedliche Wege. In seinem Büro hat er Kameras und Alarmanlagen installiert.
In Vietnam hat das Regime eine rund 10.000 Personen starke Cyberarmee unter dem Kommando des Ministeriums für öffentliche Sicherheit aufgebaut. Sie soll die Parteilinie in sozialen Netzwerken verteidigen und Online-Dissidenten angreifen. RSF zählt diese sogenannte Force 47 zu den größten Feinden des Internets.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Vietnam auf Platz 173 von 180 Staaten. Mindestens 27 Medienschaffende sitzen wegen ihrer Arbeit im Gefängnis.
