Reporter ohne Grenzen (RSF) zeigt sich zutiefst erschüttert über die Verurteilung des Journalisten Fatih Altaylı am 26.November 2025. Ein Gericht in Istanbul verhängte gegen ihn eine Haftstrafe von vier Jahren und zwei Monaten – wegen angeblicher „Bedrohung des Präsidenten“. Altaylı hatte in einem YouTube-Video lediglich eine historische Parallele gezogen. Die Anklage stützte sich ausschließlich auf diesen Clip.
Die Urteilsverkündung fand im Hochsicherheitskomplex der Haftanstalt Silivri statt. Von Beginn an war deutlich, dass der Prozess politisch motiviert ist: Selbst die Staatsanwaltschaft hatte keinerlei Belege für eine tatsächliche Bedrohung des Präsidenten vorgelegt. Altaylı selbst erklärte vor Gericht: „Ich bin nicht gewalttätig, ich bin kein Mitglied irgendeiner Organisation. Warum sollte der Präsident Angst vor mir haben?“
Das niederschmetternde Urteil kam ausgerechnet am Tag vor dem ersten Besuch von Papst Leo XIV in der Türkei. Das neu gewählte Oberhaupt der Katholiken hatte in den vergangenen Wochen mehrfach eindrücklich die Bedeutung unabhängiger Information hervorgehoben.
“Appelle an europäische Politiker*innen, sich für die Pressefreiheit einzusetzen, blieben in den vergangenen Jahren folgenlos. Wir hoffen, dass Papst Leo XIV. nun Präsident Erdoğan ins Gewissen reden wird”, sagte RSF-Geschäftsführerin Anja Osterhaus. “Denn die Situation für Journalist*innen ist so gefährlich wie seit den Gezi-Protesten 2013 nicht mehr, welche den Wendepunkt für die Pressefreiheit in der Türkei markierten. Das zeigt die Verurteilung von Fatih Altaylı: Er wurde für seine journalistische Arbeit bestraft – eine Arbeit, die in einer Demokratie geschützt werden muss.”
Viele schlechte Nachrichten und eine gute
Die Verurteilung Altaylıs steht exemplarisch für die massiven Angriffe auf die Pressefreiheit in der Türkei. Seit Januar wurden rund 20 Journalist*innen inhaftiert, drei weitere sind aktuell unter Hausarrest gestellt. Noch immer sitzen neben Fatih Altaylı mindestens zwei im Gefängnis: Furkan Karabay und Merdan Yanardağ – letzterer wegen angeblicher Verbindungen zum ebenfalls unrechtmäßig inhaftierten Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu. Dieser soll einen Spionagering geführt haben, in welchem der Chefredakteur von Tele 1 Mitglied gewesen sei. Aufgrund dieser Vorwürfe wurde Tele 1, einer der letzten oppositionellen Fernsehsender, am 24. Oktober geschlossen. Auch andere oppositionelle Medien wie Halk TV und Sözcü TVstehen kurz vor dem Lizenzentzug durch die regierungsnahe Rundfunkaufsicht RTÜK.
Es gab aber auch eine gute Nachricht aus Istanbul: Am 27. November 2025 hat ein Gericht die vier Medienschaffenden Yasin Akgül, Bülent Kılıç, Ali Onur Tosun und Zeynep Kuray vollständig freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihnen vorgeworfen, an einer verbotenen Demonstration teilgenommen zu haben, obwohl sie im März lediglich über die massiven regierungskritischen Proteste berichtet hatten. Das Gericht sah jedoch keinerlei belastbare Grundlage für diese Vorwürfe und stellte klar, dass den Angeklagten keine Straftat nachgewiesen werden könne. Alle vier waren damals kurz nach ihrer Berichterstattung in ihren Wohnungen festgenommen und mehrere Tage inhaftiert worden. Gleichzeitig stehen in der Türkei weiterhin Journalist*innen wegen der Berichterstattung über regierungskritische Demonstrationen vor Gericht.
Während die Lage für Berichterstattende in der Türkei anhaltend schlecht bleibt, kritisiert RSF zudem, dass die Zensur im Internet ebenfalls neue Dimensionen erreicht hat: Selbst Exiljournalisten wie Can Dündar, Erk Acarer und Metin Cihan sind von Sperrungen ihrer X-Accounts betroffen, welche von der Regierung veranlasst worden waren.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Rang 159 von 180.
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