Ägypten 01.06.2015

Alle inhaftierten Journalisten sofort freilassen

Zu lebenslanger Haft verurteilt: Abdullah al-Facharani

Reporter ohne Grenzen fordert Ägypten vor dem Deutschland-Besuch von Präsident Abdelfattah al-Sisi in dieser Woche zur sofortigen Freilassung aller inhaftierten Journalisten auf. Im April verurteilte ein Gericht in Kairo drei Journalisten zu lebenslangen Haftstrafen. Mindestens sieben weitere sitzen derzeit im Gefängnis – zum Teil seit mehr als eineinhalb Jahren ohne formale Anklage oder Prozess. Gegen viele weitere Medienschaffende sind Verfahren anhängig.

„Unter Präsident Sisis Führung hat die Kriminalisierung kritischer Journalisten in Ägypten ein bisher ungekanntes Ausmaß erreicht“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Kritische Stimmen werden mit Verweis auf Sicherheitsgründe und Anti-Terror-Gesetze systematisch verfolgt. Die Freilassung aller inhaftierten Journalisten wäre ein erster kleiner Schritt, um die umfassende Unterdrückung abweichender Meinungen zu beenden.“

Verurteilt wegen vorsätzlicher Verbreitung falscher Nachrichten

Die Journalisten Abdullah al-Facharani, Samhi Mustafa und Mohamed al-Adli wurden am 11. April 2015 wegen Verbreitung von Chaos und falscher Informationen zu lebenslanger Haft verurteilt. Zudem wurden sie beschuldigt, an der Bildung einer „Kommandozentrale“ beteiligt gewesen zu sein. Deren Ziel sei es gewesen, vorsätzlich falsche Nachrichten und manipulierte Bilder von Menschenrechtsverletzungen und massiver Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten im Ausland zu verbreiten, um die Regierung zu destabilisieren.

Facharani und Mustafa gehören zu den führenden Köpfen des Bürgerjournalimus-Projekts Rassd und wurden in der Vergangenheit unter anderem von der Deutsche Welle Akademie trainiert, Facharani besuchte im Sommer 2012 im Rahmen eine „Blogger-Tour“ des Auswärtigen Amts Deutschland. Mohamed al-Adli ist Journalist beim religiösen Fernsehsender Amgad TV. Die drei wurden im August 2013 einige Tage nach der gewaltsamen Auflösung eines Protestlagers festgenommen, bei der Hunderte Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi getötet wurden.

Die drei Journalisten haben über Misshandlungen, Drohungen und katastrophalen Bedingungen im Gefängnis geklagt. Ihre Fälle wurden im Rahmen eines Massenprozesses gegen insgesamt 51 Angeklagte verhandelt, der von zahlreichen Verfahrensfehlern gekennzeichnet war und sich weitgehend auf die Aussage eines einzigen Polizeioffiziers stützte.

Seit 21 Monaten ohne Anklage im Gefängnis

Mahmud Abu Seid – bekannter unter seinem Künstlernamen Shawkan – wird seit mittlerweile mehr als 21 Monaten ohne Prozess oder formelle Anklage festgehalten. Er hat als freier Fotograf für internationale Medien wie die Fotoagenturen Demotix und Corbis oder das deutsche Magazin Focus gearbeitet und wurde am 14. August 2013 festgenommen, als er über die gewaltsame Auflösung der Protestcamps von Mursi-Anhängern berichtete.

Die Staatsanwaltschaft hat dem Fotografen unter anderem Besitz von Waffen, Teilnahme an einer illegalen Versammlung, Störung des öffentlichen Friedens, Mord und Mordversuch vorgeworfen – dieselben Anschuldigungen wie gegen Hunderte zeitgleich festgenommene Demonstranten. Beschwerden gegen seine fortgesetzte willkürliche Inhaftierung wurden abgewiesen. Shawkan soll in Polizeigewahrsam und im Gefängnis wiederholt misshandelt worden.

Neuauflage des Al-Jazeera-Prozesses: Australier droht automatische Verurteilung

Am Montag sollte in Ägypten auch das Wiederaufnahmeverfahren gegen die Al-Jazeera-Journalisten Peter Greste, Mohamed Adel Fahmi und Baher Mohamed fortgesetzt werden. Sie waren vor knapp einem Jahr in erster Instanz zu sieben bis zehn Jahren Haft verurteilt worden, weil sie mit der Veröffentlichung falscher Nachrichten eine terroristische Organisation – die verbotene Muslimbruderschaft – unterstützt hätten. In der Neuauflage des Prozesses droht dem mittlerweile abgeschobenen Australier Peter Greste eine automatische Verurteilung, weil er weder ins Land zurückkehren noch sich durch einen Verteidiger vertreten lassen darf.

Die Anfang 2014 verabschiedete Verfassung hat Ägypten nur auf dem Papier mehr Presse- und Meinungsfreiheit gebracht. Regierung und Justiz gehen systematisch gegen Medien mit Verbindungen zur Muslimbruderschaft oder Sympathien für die Gruppe vor. Willkürliche Festnahmen und Folter sind an der Tagesordnung. Nach wie vor können Journalisten und andere Zivilisten vor Militärgerichten abgeurteilt werden. Nicht zuletzt infolge eines von Regierung und Staatsmedien geschürten Klimas pauschaler Verdächtigungen müssen Reporter mit Gewalt von Sicherheitskräften und Demonstranten rechnen. Selbstzensur ist verbreitet. Viele Medien ergreifen offen Partei für Armee und Regierung, nur wenige ägyptische Journalisten wagen Kritik.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Ägypten auf Platz 158 von 180 Staaten.



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