Schweden 15.10.2020

Aufarbeitung von Estonia-Unglück ermöglichen

Denkmal für die Opfer des Schiffsunglücks
Denkmal für die Opfer des Schiffsunglücks © picture alliance / dpa / Peer Körner

Update: Am 8. Februar 2021 entschied ein Gericht in der schwedischen Stadt Göteborg, dass Henrik Evertsson und Linus Andersson sich nicht der "Verletzung einer Grabstätte" schuldig machten, als sie das Schiffswrack der MS Estonia filmten. Das Gericht begründete sein Urteil allerdings nicht unter Berufung auf die Pressefreiheit, sondern wies darauf hin, dass die Angeklagten nicht verurteilt werden könnten, weil sie bei den Dreharbeiten an Bord eines Schiffs waren, das unter deutscher Flagge in internationalen Gewässern fuhr.

In Schweden sind Regisseur und Kameramann einer neuen Dokumentarserie über den Untergang der Fähre MS Estonia im Jahr 1994 wegen der „Verletzung einer Grabstätte“ angeklagt worden. Hintergrund sind die Dreharbeiten am Wrack des Schiffes auf dem Grund der Ostsee. Reporter ohne Grenzen (RSF) erinnert die zuständigen Ermittlungsbehörden daran, dass solche Dokumentationsarbeiten von der Pressefreiheit geschützt sind.

„Die von Henrik Evertsson und seinem Team gedrehte Dokumentation ist die Antwort auf den Wunsch vieler betroffener Familien, herauszufinden, was wirklich in jener schrecklichen Nacht im September 1994 geschah“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die zuständigen Ermittlungsbehörden dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass hier das Recht auf Pressefreiheit überwiegt. Dass die Dokumentarfilmer im öffentlichen Interesse gehandelt haben, ist deutlich daran zu erkennen, dass die neuen Erkenntnisse durch die Filmreihe Anlass zu neuen Ermittlungen über die Ursache der Katastrophe gegeben haben.“

Dreharbeiten decken mögliche neue Ursache für Schiffsunglück auf

Die Dokumentationsreihe „Estonia: Die Entdeckung, die alles verändert“ wurde erstmals am 28. September von dem Sender Discovery Networks ausgestrahlt. Sie behandelt die möglichen Ursachen der Schiffskatastrophe um die Fähre MS Estonia, die am 28. September 1994 auf ihrem Weg von Tallinn nach Stockholm in internationalen Gewässern der Ostsee sank. Dabei starben insgesamt 852 Menschen, wodurch der Vorfall als das folgenreichste Schiffsunglück der europäischen Nachkriegsgeschichte gilt.

Bei den Dreharbeiten wurde durch eine ferngesteuerte und an einem Unterwasserfahrzeug angebrachte Kamera ein vier Meter tiefes Loch im Rumpf der Fähre entdeckt. Dieses lässt Zweifel an der offiziell verkündeten Ursache für das Schiffsunglück aufkommen, wonach die Fähre wegen einer Fehlkonstruktion der Bugklappe gesunken sei. Während der Filmarbeiten drang die Unterwasserkamera jedoch zu keinem Zeitpunkt in das Schiffswrack ein, da den Produzierenden die überregionale Vereinbarung zwischen Schweden, Estland und Finnland aus dem Jahre 1995 bekannt war, dass es sich hierbei um eine Begräbnisstätte handelt. Zudem wurden die Filmarbeiten von der finnischen Küstenwache überwacht. 

Trotzdem sehen sich der Mit-Regisseur der Serie, Henrik Evertsson, und sein Kameramann Linus Andersson mit einer Anklage wegen der angeblichen „Verletzung einer Grabstätte“ konfrontiert. Im Januar 2021 erwartet sie ein Gerichtsverfahren in der schwedischen Großstadt Göteborg. Bei einer Verurteilung könnte ihnen eine Haftstrafe von bis zu zwei Jahren drohen.

Schweden steht auf Platz 4 von 180 Ländern auf der Rangliste der Pressefreiheit.



nach oben