Vereinigtes Königreich / USA 27.10.2021

Berufungsverhandlung im Fall Assange startet

© picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alberto Pezzali

Ab dem heutigen Mittwoch (27.10., 10:30 Uhr Ortszeit) verhandelt der britische High Court im Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange über die Berufung der US-Regierung, nachdem ein Gericht in erster Instanz die Auslieferung Assanges in die USA abgelehnt hatte. Reporter ohne Grenzen versucht wie schon in der Vergangenheit, trotz strenger Zugangsbeschränkungen dem Verfahren im Gericht als Beobachter beizuwohnen. Die Organisation fordert nach wie vor, dass die USA ihre Anklage fallenlassen und Assange umgehend freigelassen wird.

Während der zweitägigen Anhörung am Mittwoch und Donnerstag geht es um die Berufung der US-Regierung gegen die Entscheidung der Bezirksrichterin Vanessa Baraitser vom 4. Januar, Assanges Auslieferung aus Gründen der psychischen Gesundheit abzulehnen. Das Berufungsgericht hatte den USA während einer Anhörung am 11. August gestattet, fünf vorab definierte Argumente gegen die Entscheidung anzuführen. Eine Entscheidung des High Court wird erst in einigen Wochen auf schriftlichem Wege erwartet.

„Auch auf dieser nächsten Etappe des schier endlosen Rechtsstreits, den Julian Assange ausfechten muss, sind wir wieder präsent und machen unseren Standpunkt klar: Die USA haben Julian Assange wegen seiner Beiträge zum Journalismus ins Visier genommen, und eine Auslieferung in die USA und eine Strafverfolgung dort wären ein verheerendes Zeichen für die Pressefreiheit weltweit“, sagte RSF-Generalsekretär Christophe Deloire, der am Mittwoch in London vor Ort ist. „Die juristische Verfolgung von Julian Assange sollte umgehend beendet und er sollte sofort freigelassen werden.“

Am Vortag der Anhörung gab es zahlreiche Berichte, dass NGO-Beobachter, politische Beobachterinnen und Journalisten noch keine Bestätigung ihrer Akkreditierung durch das Gericht erhalten hatten – weder für eine persönliche Anwesenheit noch für den Videolink zum Stream des Verfahrens. Nach welchen Kriterien einige Beobachterinnen und Beobachter zugelassen wurden, ist unklar. RSF erhielt einen Videolink und wird dem Verfahren auf diesem Weg folgen. Ständige Updates gibt es am heutigen Mittwoch auf dem Twitter-Account von Rebecca Vincent, RSF-Direktorin für internationale Kampagnen. Die Organisation ist die einzige NGO, die das gesamte Auslieferungsverfahren trotz umfassender Zugangsbeschränkungen beobachtet hat. Im Laufe der Monate hat die Organisation zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen das Gericht ein transparentes Verfahren verhinderte.

„Wir hatten im Fall Julian Assange so viele Zugangsschwierigkeiten wie in keinem anderen Verfahren in keinem anderen Land zuvor“, sagte Rebecca Vincent. „Wir sind äußerst frustriert über die Zugangsbarrieren, die jetzt, bei der bisher wichtigsten Anhörung in dem Fall, schon wieder eingeführt wurden. Julian Assanges Verfahren ist von immensem öffentlichen Interesse und muss deshalb von unabhängiger Seite beobachtet werden können.“

Sollte Assange an die USA ausgeliefert werden, drohen ihm bis zu 175 Jahre Gefängnis. Die 18 Punkte der US-Anklage unter anderem auf Grundlage des US-Spionagegesetzes beziehen sich auf die Veröffentlichung von mehreren Hunderttausend geheimen Militärdokumenten und diplomatischen Depeschen durch Wikileaks im Jahr 2010. Assange wäre der erste Verleger, der nach dem US-Spionagegesetz angeklagt wird. RSF hat kürzlich im Rahmen einer Koalition von 25 Pressefreiheits- und Menschenrechtsorganisationen das US-Justizministerium erneut aufgefordert, die Anklage gegen Assange fallen zu lassen.

Kurz vor Verkündung der Gerichtsentscheidung in erster Instanz hatte sich in Deutschland Ende Dezember 2020 die fraktionsübergreifende Arbeitsgemeinschaft „Freiheit für Julian Assange“ im Bundestag gegründet. Abgeordnete von CDU, SPD, Linken, Grünen und FDP forderten gemeinsam, dass Assange nicht ausgeliefert und umgehend freigelassen werden soll. Die Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Bärbel Kofler, mahnte zum gleichen Zeitpunkt unter Berufung auf die Europäische Menschenrechtskonvention an, Großbritannien müsse bei einer Entscheidung über die Auslieferung den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand Assanges berücksichtigen.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit stehen die USA auf Platz 44 und Großbritannien auf Platz 33 von 180 Ländern.



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