Türkei 26.09.2017

Cumhuriyet-Mitarbeiter freisprechen

Protest für die Freilassung der Cumhuriyet-Mitarbeiter © picture alliance / AP Photo

Reporter ohne Grenzen ist enttäuscht über die Entscheidung eines türkischen Gerichts, vier Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet nicht aus der Haft zu entlassen. Zwar kommt der Kolumnist Kadri Gürsel bis zu einem Urteil unter Auflagen frei, Chefredakteur Murat Sabuncu, Herausgeber Akin Atalay, Investigativjournalist Ahmet Sik und Buchhalter Emre Iper bleiben aber weiter in Untersuchungshaft. Den Cumhuriyet-Mitarbeitern werden Verbindungen zu verschiedenen „terroristischen“ Gruppen vorgeworfen. Ihnen drohen zwischen siebeneinhalb und 43 Jahre Haft. Die nächste Anhörung ist am 31. Oktober.

„Unsere Freude über Kadri Gürsels Freilassung ist getrübt von der unerträglichen Untersuchungshaft der weiteren Cumhuriyet-Mitarbeiter. Wir fordern die türkische Justiz auf, alle Mitarbeiter umgehen freizulassen und freizusprechen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die absurden Anschuldigen und die Willkürhaft für Journalisten in der Türkei nehmen kein Ende. Es ist höchste Zeit, dass Journalisten nicht mehr wie Terroristen behandelt werden und der Medienpluralismus im Land  wieder hergestellt wird.“

In der Anhörung am Montag wurden weitere Zeugen vernommen. Aus Sicht des Gerichts hätte eine Fortdauer der Untersuchungshaft für Gürsel „eine unangemessene Maßnahme“ dargestellt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.

Richter thematisieren Wahl der Überschriften und Redaktionskonferenz

Der Prozess gegen zunächst 17 Cumhuriyet-Mitarbeiter begann am 24. Juli in Istanbul. In den ersten Anhörungen ging es unter anderem um die redaktionelle Ausrichtung der Zeitung. Die Richter hatten etwa die Wahl der Überschriften thematisiert und Fragen zum Ablauf von Redaktionskonferenzen gestellt. Angeblich sollen die Angeklagten von Personen kontaktiert worden sein, die verdächtigt werden, der Bewegung des Exil-Predigers Fethullah Gülen anzugehören. Das Gericht entschied nach fünf Verhandlungstagen, dass sieben der elf ursprünglich inhaftierten Mitarbeiter vorläufig freigelassen werden: Güray Tekin Öz, Bülent Utku, Turhan Günay, Mustafa Kemal Güngör, Musa Kart, Hakan Karasinir und Önder Celik. Sabuncu, Gürsel, Atalay und Sik blieben in Haft.

Vor der zweiten Anhörung am 11. September war der Prozess gegen Cumhuriyet-Buchhalter Emre Iper mit dem gegen die 17 weiteren Mitarbeiter zusammengelegt worden. Während der mehr als 13 Stunden dauernden zweiten Anhörung wiesen die Angeklagten die Vorwürfe in ihren Plädoyers zurück. Sie fand in einem Gerichtssaal im rund 80 Kilometer außerhalb von Istanbul liegenden Hochsicherheitsgefängnis Silivri statt, in dem auch der deutsch-türkische Welt-Korrespondent Deniz Yücel sitzt. Kurz vor Mitternacht entschied das Gericht, dass keine weiteren Mitarbeiter freikommen. Die Richter begründeten ihre Entscheidung unter anderem damit, die Gefahr sei zu groß, dass Beweise vernichtet würden.

Anklageschrift erst nach sechs Monaten in Untersuchungshaft

Die inhaftierten Mitarbeiter sitzen zum Teil schon seit neun bis elf Monaten in Untersuchungshaft.  Unter den Angeklagten ist auch der mittlerweile im deutschen Exil lebende ehemalige Chefredakteur Can Dündar. Im gleichen Verfahren stehen zudem der ehemalige freie Cumhuriyet-Journalist Ilhan Tanir und der Twitter-Nutzer Ahmet Kemal Aydogdu vor Gericht.

Die Anklageschrift gegen die Cumhuriyet-Mitarbeiter wurde Anfang April 2017 vorgelegt. Einige Mitarbeiter saßen zu dem Zeitpunkt bereits seit knapp sechs Monaten in Untersuchungshaft . Darin wird ihnen die angebliche Unterstützung von terroristischen Organisationen vorgeworfen, darunter die Gülen-Bewegung und die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Laut Anklageschrift soll sich die redaktionelle Linie von Cumhuriyet „radikal verändert“ haben, nachdem Can Dündar im Februar 2015 die Position des Chefredakteurs übernahm. Demnach habe die Zeitung danach angeblich die Ziele dieser Organisationen unterstützt.

Cumhuriyet ist eine der ältesten Zeitungen in der Türkei und eines der wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien im Land. Im November 2015 hat ROG die Zeitung als Medium des Jahres ausgezeichnet.

Journalisten, die über den Cumhuriyet-Prozess berichteten, sahen sich in den vergangenen Wochen Anfeindungen ausgesetzt. Regierungsfreundliche Medien haben rund 30 Journalisten als „Verräter“ und „Feinde Erdogans“ beschuldigt. Unter den Beschuldigten sind prominente Journalisten wie Ertugrul Mavioglu, Banu Güven und Fatih Polat aber auch Verteidiger der Pressefreiheit wie der langjährige Türkei-Korrespondent von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu, der als Prozessbeobachter vor Ort war. 

Weitere Schauprozesse gegen Journalisten

 

Am 18. September begann der Prozess gegen 30 Journalisten, Kolumnisten und sonstige Mitarbeiter der Zeitung Zaman, darunter Sahin Alpay, Ali Bulac, Ahmet Alkan Turan und Mümtazer Türköne. Angelastet wird ihnen die Arbeit für Zaman, eine kurz nach dem Putschversuch per Dekret geschlossene Oppositionszeitung.  In der Anklageschrift wird die Zeitung als „Presseorgan der FETÖ/PDY“ bezeichnet – die amtliche Abkürzung für die Bewegung des Exil-Predigers Fethullah Gülen, den die Regierung als Urheber des Putschversuchs betrachtet. Dementsprechend wird den Journalisten „Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation“ und Beteiligung am Putschversuch vorgeworfen. Ein Gericht in Istanbul entschied vergangene Woche, dass die inhaftierten Angeklagten weiter in Untersuchungshaft bleiben. Das Verfahren geht am 8. Dezember weiter.

Am 11. Oktober beginnt der Prozess gegen die deutsche Journalistin Mesale Tolu. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr laut Anklageschrift, die ROG vorliegt, Mitgliedschaft in einer bewaffneten Terrororganisation und Terror-Propaganda vor. Demnach drohen ihr bis zu 15 Jahre Haft, die laut Tolus Anwältin Kader Tonc gemäß den geltenden Anti-Terror-Gesetzen um weitere fünf Jahre verlängert werden könnten. Tolu wurde am 30. April in Istanbul festgenommen und ist seit dem 5. Mai im Frauengefängnis Bakirköy in Haft.

Laut der türkischen Medienplattform P24 sitzen derzeit 170 Journalisten in der Türkei in Haft. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 155 von 180 Staaten.
 

 

 



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