Digitale Überwachung 25.06.2021

Cybersicherheitsstrategie verfehlt ihr Ziel

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© picture alliance / Klaus Ohlenschläger / Klaus Ohlenschläger

Gemeinsam mit 69 weiteren Organisationen, Verbänden und Vertretenden aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft warnt Reporter ohne Grenzen in einem offenen Brief (Stand: 24.06.21) vor der Verabschiedung der neuen Cybersicherheitsstrategie des Bundesinnenministeriums. Die Strategie soll Maßnahmen zur Förderung und Verteidigung der IT-Sicherheit über die nächsten fünf Jahre festlegen. Aus Sicht der Mitzeichnenden fördert die vorliegende Strategie allerdings vor allem die Erweiterung staatlicher Überwachungsbefugnisse – zulasten der IT-Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und trotz der breiten Kritik seitens Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Reporter ohne Grenzen sieht insbesondere die Vertrauenswürdigkeit digitaler Kommunikationsmittel, auf die sich Medienschaffende und ihre Quellen tagtäglich verlassen, massiv bedroht.

„Die Große Koalition hat allein in den vergangenen zwei Wochen tiefgreifende neue Überwachungsmöglichkeiten für den Verfassungsschutz, den Bundesnachrichtendienst, den Militärischen Abschirmdienst und die Bundespolizei geschaffen – entgegen erheblichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze. Dem Bundesinnenministerium geht das offenbar noch immer nicht weit genug. Staatstrojaner sollen noch häufiger eingesetzt werden dürfen, verschlüsselte Nachrichten direkt per Hintertür mitgelesen werden können. Die Grenzen des Erlaubten werden im Akkordtempo verschoben – im Namen eben jener IT-Sicherheit, die hier aktiv untergraben wird“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die wiederholte, breite Kritik aus allen Teilen der Gesellschaft muss endlich gehört werden und zu einem Cybersicherheitsverständnis führen, das nicht allein die Interessen der Sicherheitsbehörden widerspiegelt.“

So fordern die Mitzeichnenden, die Verabschiedung der Cybersicherheitsstrategie in die Hände der künftigen Bundesregierung zu legen, zumindest aber die Ausweitung der Befugnisse für die Sicherheitsbehörden ersatzlos zu streichen. Entscheidende Teile der Strategie seien bereits seit Jahren hochumstritten und fänden keinen Rückhalt in Wirtschaft und Gesellschaft. Sorgen machen sich die Organisationen insbesondere über die vorgesehene „Entwicklung technischer und operativer Lösungen für den rechtmäßigen Zugang zu Inhalten aus verschlüsselter Kommunikation”, Hintertüren, mithilfe derer Polizei und Nachrichtendienste leichter auf Nachrichten und Telefonate aus Diensten wie WhatsApp, Signal oder Threema zugreifen könnten.

Die Implikationen für die Sicherheit und Vertraulichkeit digitaler Kommunikation sind besorgniserregend, nicht zuletzt angesichts der Bedeutung verschlüsselter Messengerdienste als breit genutztes Mittel der sicheren Onlinekommunikation. Für Medienschaffende sind Ende-zu-Ende-verschlüsselte Messengerdienste ein essenzielles Recherche- und Kommunikationsmittel.

In einer Stellungnahme zum Entwurf der Cybersicherheitsstrategie übt Reporter ohne Grenzen des Weiteren Kritik an den Plänen, Sicherheitslücken gezielt für staatliche Zugriffe offenzuhalten und Staatstrojaner über die kürzlich beschlossenen erweiterten Einsatzmöglichkeiten hinaus auch zur Strafverfolgung von weniger schweren Straftatbeständen einzusetzen. Ursprünglich nur zur Verfolgung schwerer Straftaten legalisiert, sollen sie nun beispielsweise auch zur Verfolgung von Cyberkriminalität eingesetzt werden dürfen. Darunter fielen auch Ermittlungen zu Verstößen gegen den Datenhehlerei-Paragraphen, gegen den Reporter ohne Grenzen und weitere Organisationen aufgrund seiner unpräzisen Formulierung und den daraus resultierenden Gefahren für die Arbeit investigativer Journalistinnen und Journalisten und ihrem Umfeld 2016 Verfassungsbeschwerde eingereicht haben.

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