Iran 02.09.2003

Der Fall Zahra Kazemi: Widersprüchliche Erklärungen und Konflikte zwischen Reformisten und Hardlinern erschweren Aufklärung des Mordes

Reporter ohne Grenzen bemängelt fehlende Transparenz in der offiziellen iranischen Untersuchung der Todesumstände der iranisch-kanadischen Journalistin Zahra Kazemi. Die Aufklärung drohe den Machtkämpfen zwischen reformistischen und konservativen Kräften zum Opfer zu fallen, befürchtet Robert Ménard, Generalsekretär der Organisation zur Verteidigung der Pressefreiheit, und fordert eine unabhängige internationale Untersuchung des Falls.

Sechseinhalb Wochen nach dem gewaltsamen Tod der Journalistin hat die Teheraner Staatsanwaltschaft am 25. August bekanntgegeben, dass gegen zwei Beamte des Informationsministeriums, das der Reformbewegung nahe steht, Anklage erhoben wird. Sie sollen die Journalistin verhört haben. Ihnen wird der "fast vorsätzliche" Mord Zahra Kazemis vorgeworfen. Die beiden Beschuldigten, die namentlich nicht genannt werden, sind angeblich zur Zeit in Haft. Am Tag darauf dementiert jedoch das Informationsministeriums eine Beteiligung seiner Beamten. In einer Presseerklärung heißt es, für das Ministerium seien die Umstände des Zwischenfalls klar. Die Behörde kündigte an, sich "zu gegebener Zeit dazu zu äußern". Außerdem erklärte der Vize-Informationsminister vor der sogenannten Artikel 90-Kommission, dem Ministerium sei die Identität der Person, die Zahra Kazemi geschlagen habe bekannt. Die Journalistin sei bereits in den ersten Stunden nach der Verhaftung am 23. Juni geschlagen worden. Die Artikel 90 -Kommission hat den Auftrag, bei schriftliche n Beschwerden gegen Exekutive, Legislative oder Judikative Untersuchungen durchzuführen. Auch ein Sprecher der Reformregierung, Abdollah Ramezanzadeh, wies die Beschuldigung der Beamten zurück. Das Informationsministerium steht der Reformregierung nahe, wogegen die Staatsanwaltschaft dem religiös-konservativen Revolutionsführer untersteht. Zwischen den beiden Strömungen bestehen harte politische Konflikte und Auseinandersetzungen.

"Die widersprüchliche n Erklärungen zeigen, wie wenig den iranischen Behörden daran gelegen ist, den Fall aufzuklären", erklärt Robert Ménard, Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen. "Die Namen der inhaftierten Beamten werden verschwiegen. Informationen der Staatsanwaltschaft werden sofort vom Informationsministrium dementiert, das außerdem verschwommene Anspielungen anstelle von Informationen herausgibt. Der Kampf zwischen Hardlinern und Reformisten behindert die Wahrheitsfindung und macht eine unabhängige Untersuchung mit internationalen Gutachtern unabdingbar. Wir verlangen von der kanadischen Regierung in diesem Sinne Druck auszuüben."


Hintergrund:
Zahra Kazemi, Journalistin iranisch-kanadischer Staatsangehörigkeit mit Wohnsitz in Kanada, war am 23. Juni verhaftet worden, als sie Familienangehörige von Gefangenen vor dem Gefängnis von Evin im Norden Teherans fotografierte. Sie starb am 11. Juli an den Folgen einer Kopfverletzung, die ihr während der Verhöre zugefügt worden war. Die Regierung hatte zunächst versucht, die Todesumstände der Journalistin zu
verschleiern. Am 16. Juli räumte Vize-Präsident Ali Abtahi schließlich ein, dass die Journalistin "niedergeschlagen worden" sei. Obwohl die im Iran lebende Mutter Kazemis die überführung der Leiche nach Kanada gefordert hatte, wurde die Journalistin in großer Eile am 22. Juli in Chiraz, im Süden des Landes, beerdigt. Auch die kanadische Regierung besteht, dem Wunsch des Sohnes entsprechend, bislang vergeblich auf der überführung des Leichnams.

Im Verlauf der Auseinandersetzung zum Fall Kazemi haben reformnahe Abgeordnete, die Justizbehörden, eine Hochburg der Konservativen, bezichtigt für den Tod von Zahra Kazemi verantwortlich zu sein. Der Teheraner Staatsanwalt Said Mortasawi, bekannt für seine pressefeindliche Haltung, habe versucht, die Todesumstände der Journalistin zu verschleiern und auf eine rasche Beerdigung gedrängt, wurde aus Reformkreisen erklärt. Der Abgeordnete Mohsen Armin beschuldigte Mortazawi konkret, befohlen zu haben "die Todesversion Schlaganfall zu verbreiten". Er fügte hinzu, Polizeibeamten gegenüber habe Zahra Kazemi während des Verhörs angegeben, sie sei von Sicherheitskräften auf den Kopf geschlagen worden. Elaheh Koulaie, ebenfalls reformnahe Abgeordnete, erklärte: "Zahra Kazemis Tod ist Teil des politischen Klimas, in dem alles zensiert wird, was Presse und Kritik ist."
In einem Brief an die Presse behauptet Mohammad Hussein Choschwakt, Leiter der Abteilung für Auslandsmedien beim Kultusministerium, dass Mortasawi ihn unter Druck gesetzt habe, bekannt zu geben, Zahra Kazemi sei an einem Schlaganfall gestorben. Der Staatsanwalt hätte ihm außerdem vorgeworfen, einer Spionin ein Visa erteilt zu haben. Choschwakt ist auch für Visa ausländischer Journalisten zuständig.

Mit 19 inhaftierten Journalisten ist der Iran das größte Gefängnis im Mittleren Osten.

 

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