China 09.10.2020

EU muss auf Freilassung von Gui Minhai drängen

Demonstrierende hängen Bilder von Gui Minhai und anderen Entführten an das chinesische Verbindungsgebäude
Proteste für die Freilassung von Gui Minhai in Hongkong © picture alliance / AP Photo / Vincent Yu

Rund fünf Jahre nach der Entführung des schwedischen Verlegers Gui Minhai fordert Reporter ohne Grenzen (RSF) die EU auf, die Fortsetzung der Verhandlungen über ein Investitionsabkommen mit China an Guis Freilassung zu knüpfen. Gui war 2015 in Thailand entführt worden und Monate später im chinesischen Staatsfernsehen für ein „Geständnis“ wieder aufgetaucht. Im Februar 2020 verurteilte ihn ein chinesisches Gericht wegen „illegaler Weitergabe von Geheimdienstinformationen ans Ausland“ zu zehn Jahren Haft. Er sitzt trotz Symptomen einer schweren neurologischen Erkrankung weiterhin im Gefängnis. Die EU und Peking planen, das Investitionsabkommen bis zum Jahresende abzuschließen.

„Demokratie und die Achtung von Menschenrechten inklusive der Pressefreiheit sind die Grundwerte, auf denen die Europäische Union aufgebaut ist. Sie müssen gegen autoritäre Regime wie China verteidigt werden“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Ohne mehr Entschlossenheit der EU wird sich das chinesische Regime ermutigt fühlen, unliebsame ausländische Journalistinnen und Journalisten ungestraft zu entführen und festzuhalten.“

Der in China geborene schwedische Autor und Buchverleger Gui Minhai war Miteigentümer der Hongkonger Buchhandlung Causeway Bay Books und des Verlags Mighty Current, der sich auf Enthüllungen über das Privatleben chinesischer Politikerinnen und Politiker spezialisiert hatte. Er verschwand Mitte Oktober 2015 und wurde wahrscheinlich von chinesischen Geheimdienstagenten aus seinem Haus in der thailändischen Stadt Pattaya entführt. Neben Gui wurden vier weitere Eigentümer und Mitarbeiter etwa zur gleichen Zeit entführt und im folgenden Frühjahr nach und nach wieder freigelassen.

Mitte Januar 2016 tauchte Gui im chinesischen Staatsfernsehen CCTV wieder auf und legte dort ein „spontanes“ Geständnis ab, das in einer chinesischen Haftanstalt gedreht wurde. Unter Tränen sagte er, er sei freiwillig nach China zurückgekehrt, um die „rechtliche Verantwortung“ für den Tod eines Schülers zu übernehmen, der Jahre zuvor in China bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, als er angeblich unter Alkoholeinfluss am Steuer saß.

Gui ist damit kein Einzelfall. Mehrmals wurden Inhaftierte in China zu Geständnissen gezwungen, von denen einige auch medial übertragen werden. Ebenfalls davon betroffen war die ehemalige Deutsche-Welle-Journalistin Gao Yu. Zwei Wochen nach ihrem Verschwinden 2014 präsentierte CCTV ein Video eines in Polizeigewahrsam entstandenen erzwungenen Schuldeingeständnisses. Gao sagte später gegenüber Richtern und Staatsanwälten, sie habe das Geständnis nur aufgrund von Drohungen gegen ihren Sohn abgelegt.

Erst freigelassen, dann erneut festgenommen und verurteilt

Offiziell kam Gui am 24. Oktober 2017 frei, er blieb aber unter strenger Beobachtung in der Stadt Ningbo im Südosten des Landes. Am 20. Januar 2018 wurde Gui erneut festgenommen, als er mit zwei schwedischen Diplomaten in einem Zug auf einem Weg nach Peking war, um dort nach der Diagnose einer schweren neurologischen Erkrankung eine zweite Meinung von den Ärztinnen und Ärzten der schwedischen Botschaft einzuholen.

Rund zwei Jahre später verurteilte ihn ein Gericht in Ningbo wegen „illegaler Weitergabe von Geheimdienstinformationen ans Ausland“ zu zehn Jahren Haft. Laut Gericht hat Gui sich schuldig bekannt und wird keine Berufung einlegen. Es behauptete auch, dass der Verleger beschlossen habe, wieder seine chinesische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Gui ist seit 1996 schwedischer Staatsbürger.

Kampf für Gui Minhais Freilassung

RSF hat wiederholt die Freilassung Guis und aller weiteren in China wegen ihrer journalistischen Arbeit inhaftierten Medienschaffenden gefordert. Derzeit sind es mindestens 117, mehr als in jedem anderen Land auf der Welt. Mindestens zehn inhaftierte Medienschaffende und Verteidiger der Pressefreiheit schweben angesichts ihres Gesundheitszustands und der Haftbedingungen in Lebensgefahr, Gui ist einer von ihnen. Sein Fall zeigt, dass auch eine ausländische Staatsangehörigkeit nicht vor willkürlicher Festnahme schützt.

RSF hat den Fall der UN-Arbeitsgruppe gegen willkürliche Inhaftierungen vorgelegt und gemeinsam mit weiteren Verteidigerinnen und Verteidigern der Pressefreiheit in einem offenen Brief an Xi Jinping Guis sofortige Freilassung gefordert. Der Brief wurde in den sechs auflagenstärksten Zeitungen Schwedens veröffentlicht. Zum Ärgernis Pekings verlieh die schwedische Sektion von PEN Gui im November 2019 den Tucholsky-Preis. Gui erhält zudem den diesjährigen Johann-Philipp-Palm-Preis für Meinungs-und Pressefreiheit.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 177 von 180 Staaten.



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