Belarus 03.08.2021

Feldzug gegen die unabhängige Presse

Alexander Lukashenko © picture alliance / AP Photo / Ronald Zak

Vor Beginn des Prozesses gegen die belarussische Oppositionsführerin Maria Kalesnikawa am morgigen Mittwoch (4. August) macht Reporter ohne Grenzen (RSF) auf die zunehmenden Repressionen gegen unabhängige Journalistinnen und Journalisten in Belarus aufmerksam. In den vergangenen Wochen wurden die Redaktionen mehrerer Medien durchsucht, etliche Medienschaffende festgenommen und Webseiten gesperrt. Die RSF-Partnerorganisation Belarussische Journalistenvereinigung (BAJ) soll aufgelöst werden, der Gerichtsprozess beginnt am 11. August. Etwa 500 Medienschaffende wurden seit der international nicht anerkannten Wiederwahl von Präsident Alexander Lukaschenko festgenommen, viele von ihnen mussten Arreststrafen absitzen, etliche wurden im Gefängnis misshandelt. Die Situation der Pressefreiheit in Belarus ist so schlecht wie seit der Unabhängigkeit im Jahr 1991 nicht mehr.

„Lukaschenko versucht, die unabhängige Presse vollständig und nachhaltig auszuschalten“, sagt RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Er will den Menschen das Recht vorenthalten, sich unabhängig zu informieren. Drohende Strafanzeigen oder ein weiterer Imageverlust scheinen ihm mittlerweile völlig egal zu sein. Im Gegenteil: Er setzt auf Brutalität und drakonische Maßnahmen, gegen die endlich auch die Vereinten Nationen ihre Stimme erheben müssen.“

Neben über 40 weiteren zivilgesellschaftlichen Organisationen steht auch die Journalistenvereinigung BAJ unter großem Druck. Für den 11. August ist eine Gerichtsanhörung angesetzt, der BAJ droht die sofortige Schließung. Ihre Büros waren bereits seit einer Razzia am 14. Juli versiegelt. Als Gründe für die Razzia gaben die Behörden an, dass die BAJ Aufforderungen zur Vorlage von Dokumenten unzureichend nachgekommen sei. Allerdings, so die BAJ, sei die Frist etwa für die Einreichung von allen ein- und ausgehenden Nachrichten der letzten Jahre und vieler weiterer Anforderungen mit nur zwei Tagen viel zu kurz gewesen. Die BAJ, seit Jahren die RSF-Partnerorganisation in Belarus, wurde 1995 gegründet und kämpft für das Recht auf freie Meinungsäußerung. Die EU hat ihr dafür 2005 den Sacharow-Preis für Menschenrechte verliehen.

In den vergangenen Wochen nahm die Repression gegenüber der unabhängigen Presse noch einmal deutlich zu. Erst am 2. August wurde Sjarhej Gardsiewitsch, Korrespondent der Nachrichtenseite 1 Region, wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Die regionale Nachrichtenseite Hrodna.life aus Hrodna steht kurz vor der Schließung. Am 27. Juli stuften die Behörden den Sender Belsat TV als „extremistisch“ ein. Den Mitarbeitenden drohen Geld- oder Arreststrafen.

Presseclub Belarus musste bereits schließen

Am 21. Juli ließen die Behörden den Presseclub Belarus schließen. Bereits Ende 2020 waren sechs Mitglieder der unabhängigen Organisation festgenommen worden. Gegen die Gründerin und Vorsitzende Julia Sluzkaja wurde ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung eingeleitet, die anderen Inhaftierten sind wegen Beihilfe ebenfalls angeklagt. Am 16. Juli durchsuchten Sicherheitskräfte die Minsker Redaktion von Radio Free Europe/Radio Liberty (RFE/RL). Sie beschlagnahmten Ausrüstung, versiegelten die Türen und durchsuchten die Wohnungen des Korrespondenten Waljanzin Schdanko sowie von Aleh Hrusdsilowitsch und Inessa Studsinskaja, die in der Vergangenheit für RFE/RL gearbeitet hatten. Tut.by, die größte unabhängige Nachrichtenseite des Landes, wird seit dem 18. Mai vom Informationsministerium blockiert, Chefredakteurin Maryna Solatawa sitzt im Gefängnis.

Anfang Juli wurden während einer groß angelegten Razzia elf Journalistinnen und Journalisten festgenommen, drei Webseiten abgeschaltet und etwa 20 Redaktionen durchsucht. In Minsk wurden mehrere Redaktionsmitglieder von Nascha Niwa festgenommen, einer der ältesten Zeitungen in Belarus, die inzwischen nur noch online erscheint. Betroffen waren neben Chefredakteur Jahor Marzinowitsch der Redakteur Andrej Skurko, die Reporterin Natalja Lubneuskaja, die Fotografin Schura Pilipowitsch-Suschtschiz und Andrej Dynko, Redakteur von Nascha Istorija, einem im Umfeld von Nascha Niwa erscheinenden Magazin.

In der Stadt Orscha nahmen die Behörden Ihar Kasmertschak, Redakteur der unabhängigen Nachrichtenseite Orsha, fest und befragten seine Familie und Freunde. Auch der Fotograf Dsjanis Dubkou, der ebenfalls für die Seite arbeitete, wurde festgenommen, wenig später aber wieder freigelassen. In Brest, nahe der polnischen Grenze, durchsuchte der Geheimdienst KGB die Büros des Online-Mediums Intex-press und beschlagnahmte technische Ausrüstung. Auch die Wohnungen der Redakteure Wladimir Janukewitsch und Ruslan Rewjako wurden durchsucht.

Aus dem Flugzeug entführter Journalist noch immer nicht frei

Eine weltweite Öffentlichkeit bewegt hat das Schicksal von Roman Protassewitsch (Raman Pratassewitsch). Der Journalist und Blogger war am 23. Mai in Minsk verhaftet worden, nachdem ein belarussischer Kampfjet den Ryanair-Flug umgeleitet hatte, in dem auch Protassewitsch und seine Freundin saßen. Beide stehen mittlerweile unter Hausarrest. Protassewitsch hatte den populären Telegram-Kanal Nexta mitgegründet, über den auch Proteste gegen das Regime koordiniert wurden. Zu Beginn seiner Haft wurde er mehrfach öffentlich im Fernsehen vorgeführt, legte ein mutmaßlich erzwungenes Geständnis ab und musste Präsident Lukaschenko „bedingungslosen Respekt“ schwören – Methoden, die auch aus Russland bekannt sind. Spuren an Protassewitschs Körper sowie sein genereller Zustand legten den Verdacht nahe, dass er gefoltert wurde. RSF hat gemeinsam mit sechs weiteren Organisationen die Vereinten Nationen (UN) ersucht, seinen Arrest formell als willkürlich zu erklären. Bereits zwei Tage nach der Entführung hatte RSF nach dem Weltrechtsprinzip in Litauen Strafanzeige gegen Lukaschenko gestellt. Die litauische Staatsanwaltschaft hat Ermittlungen aufgenommen.

Brutale Repression seit der Präsidentschaftswahl

Seit der umstrittenen Wiederwahl Lukaschenkos am 9. August 2020 wurden rund 40.000 Menschen in Belarus festgenommen, darunter etwa 500 Medienschaffende. Ausländische Korrespondentinnen und Korrespondenten können kaum noch aus dem Land berichten. Staatliche Druckereien weigern sich, unabhängige Zeitungen zu drucken. Im Mai ließ Präsident Lukaschenko einen Zusatz zum Gesetz für die Massenmedien verabschieden, der den Behörden weitreichende Eingriffe in die Berichterstattung und die Informationsfreiheit erlaubt. So ist es verboten, Demonstrationen mit Livestreams zu begleiten. Wer als Journalist oder Journalistin über Proteste berichtet, riskiert, als aktiver Teil der Demonstration gewertet zu werden.

Auf der Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Belarus auf Platz 158 von 180 Ländern.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version haben wir geschrieben, dass Roman Protassewitsch noch inhaftiert sei. Er steht mittlerweile aber unter Hausarrest.



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