Digitale Überwachung 28.10.2021

Fragen und Antworten zur Staatstrojaner-Klage

RSF-Vorstandsmitglied und Journalist Martin Kaul, Whistleblower-Net-Geschäftsführer Thomas Kastning, Rechtsanwalt Niko Härting, RSF-Geschäftsführer Christian Mihr und RSF-Referentin für Internetfreiheit Lisa Dittmer (von links) © RSF
RSF-Vorstandsmitglied und Journalist Martin Kaul, Whistleblower-Net-Geschäftsführer Thomas Kastning, Rechtsanwalt Niko Härting, RSF-Geschäftsführer Christian Mihr und RSF-Referentin für Internetfreiheit Lisa Dittmer (von links) © RSF

Reporter ohne Grenzen (RSF), das Whistleblower-Netzwerk und mehrere Investigativjournalistinnen und -journalisten haben vor verschiedenen deutschen Verwaltungsgerichten Klage gegen die Befugnisse der deutschen Nachrichtendienste zur digitalen Überwachung ihrer beruflichen Kommunikation eingereicht. Was genau erlaubt das im Juni 2021 reformierte Verfassungsschutzrecht den deutschen Nachrichtendiensten? Welche Konsequenzen haben diese Befugnisse? Und was erhoffen sich die Klägerinnen und Kläger?

Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den Beschwerden gegen die Hackingbefugnisse:

Wogegen richten sich die Beschwerden?

Reporter ohne Grenzen (RSF), das Whistleblower-Netzwerk und Investigativjournalistinnen und -journalisten klagen gegen die Befugnisse der deutschen Nachrichtendienste zur digitalen Überwachung ihrer beruflichen Kommunikation. Ziel der vorbeugenden Unterlassungsklagen ist ein Verbot des Einsatzes einschlägiger Staatstrojaner durch den Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt sowie die Landesämter für Verfassungsschutz und das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) gegen unverdächtige Nebenbetroffene. Auch Journalistinnen und Journalisten und andere Unbeteiligte können Ziele solcher Überwachungsmaßnahmen werden, wenn sie mit nachrichtendienstlich relevanten Personen in Kontakt treten. Ihnen würde zwar selbst kein Verdacht anlasten und kein Verfahren gemacht, sie würden deshalb aber auch nichts von der verdeckten Überwachung erfahren. Damit wird Nebenbetroffenen die Möglichkeit genommen, sich im Nachgang auf gerichtlichem Wege zu wehren.

Was dürfen die Nachrichtendienste nach dem neuen Verfassungsschutzrecht?

Mit der Reform des Verfassungsschutzrechts räumte der Deutsche Bundestag im Juni 2021 erstmals allen Nachrichtendiensten die Möglichkeit ein, mittels Spähsoftware in Smartphones und Computer einzudringen und verschlüsselt übermittelte Nachrichten und Telefonate via Signal, Telegram, WhatsApp und Co. direkt auf dem Gerät mitzuschneiden. Das Gesetz erlaubt künftig allen Nachrichtendiensten den Einsatz der reinen und der erweiterten Quellen-Telekommunikationsüberwachung („Quellen-TKÜ plus“). Bei der erweiterten Quellen-TKÜ nach dem G10-Gesetz sollen die Nachrichtendienste nicht nur auf laufende Kommunikation zugreifen können, sondern auch auf ruhende, also insbesondere auf gespeicherte Chats und Textnachrichten. Internet-Anbieter müssen laut dem Gesetz die „berechtigten Stellen“ technisch dabei unterstützen, die Spähsoftware auf dem Gerät zu installieren. Expertinnen und Provider sehen hier ein besonders großes Missbrauchspotenzial: Damit werde nicht nur eine Kopie der Kommunikation ausgeleitet, sondern auch die Möglichkeit zur Manipulation von Daten durch Nachrichtendienste geschaffen. Die „Quellen-TKÜ plus“ weicht die ohnehin rein juristische Grenze zwischen dem Mitschneiden laufender Kommunikation und der allumfassenden Durchsuchung eines digitalen Gerätes zusätzlich auf.

Welche Konsequenzen befürchten die Kläger*innen?

Die Klägerinnen und Kläger befürchten massive Auswirkungen auf den investigativen Journalismus, wenn Journalistinnen und Journalisten nicht grundsätzlich vor einer solchen digitalen Überwachung geschützt sind. Informantinnen und Informanten müssen darauf vertrauen können, dass ihre Gespräche mit Medienschaffenden vertraulich bleiben. Doch gerade die Arbeit mit Informationen und Quellen, die auch für die Nachrichtendienste interessant sind, setzt Journalistinnen und Journalisten einem hohen Risiko aus, zu Überwachungszielen zu werden. Die an der Klage beteiligten Medienschaffenden befürchten einen abschreckenden Effekt auf potenzielle Quellen einerseits und eine Verkomplizierung der eigenen Arbeit andererseits, wenn sie das Risiko einer möglichen Überwachung stets einkalkulieren müssen. RSF sieht sich aufgrund seines Austauschs mit ausländischen Investigativjournalistinnen und -journalisten und politischen Kontakten einem erhöhten Risiko ausgesetzt, von Überwachungsmaßnahmen des Bundesnachrichtendienstes erfasst zu werden. Die Enthüllung, dass der BND die umstrittene Spähsoftware Pegasus einsetzt, verstärkt diese Befürchtungen und wirft grundsätzliche Fragen über die Zusammenarbeit deutscher Behörden mit der NSO Group und anderen viel kritisierten Unternehmen im Bereich digitaler Überwachungstechnologien auf.

Welche weiteren Argumente führen die Klägerinnen und Kläger an?

Journalistinnen und Journalisten sehen eine Ungleichbehandlung ihres Berufsstands im Vergleich zu anderen Berufsgeheimnistragenden wie beispielsweise Rechtsanwälten. Als „Nebenbetroffene“, denen selbst kein Verdacht anlastet und kein Verfahren gemacht wird, würden die Klägerinnen und Kläger von einer verdeckten Überwachung nichts erfahren. Damit hätten sie keine Möglichkeit, sich auf dem Rechtsweg gegen konkrete Überwachungsmaßnahmen zu wehren. Gegen diesen Missstand im Nachrichtendienstrecht geht Reporter ohne Grenzen derzeit mit einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vor. Die nun eingereichten Eilanträge hinterfragen zusätzlich, ob das G10-Gesetz, das Eingriffe in das Grundrecht des Kommunikationsgeheimnisses regelt, überhaupt als Grundlage für den extrem weitreichenden Eingriff in das IT-Grundrecht dienen kann. Aus Sicht der Klägerinnen und Kläger ist eine grundsätzliche Neuregelung nötig, die die Überwachung von Medienschaffenden als Mittel zur Verfolgung von Verdachtspersonen ausschließt. Im Gegensatz zu den wachsenden technischen Möglichkeiten der Sicherheitsbehörden wurde die Nachrichtendienstkontrolle kaum gestärkt. Es steht daher weiterhin in Frage, ob die zunehmend zersplitterte Kontrollarchitektur angesichts immer weitreichenderer Möglichkeiten der verdeckten digitalen Überwachung in der Lage ist, unverhältnismäßige Eingriffe in die Privatsphäre von Bürgerinnen und Bürgern zu erkennen und wirksam zu sanktionieren.

Was erhoffen sich die Kläger*innen von der Klage?

Kurzfristiges Ziel der vorbeugenden Unterlassungsklagen ist ein Verbot des Einsatzes einschlägiger Staatstrojaner durch den Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt sowie die Landesämter für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst (MAD) gegen unverdächtige Nebenbetroffene. Spätestens wenn weitere Journalistinnen und Reporter erfolgreich klagen, kann eine strategische Signalwirkung an die Dienste ausgehen, die Praxis der digitalen Überwachung von sich aus einzustellen. Darüber hinaus sind politische Reformen nötig: Medienschaffende müssen besser vor digitaler Überwachung geschützt werden. Auch sind wirkungsvollere Kontrollmechanismen dringend notwendig. Welche zentralen Informationen gerade der parlamentarischen Kontrolle vorenthalten werden, zeigte sich zuletzt als Anfang Oktober bekannt wurde, dass auch der BND die Überwachungs-Software Pegasus einsetzt. Die Bundesregierung hatte das Parlamentarische Kontrollgremium wohl selbst auf direkte Nachfragen hin nicht über den Einsatz von Pegasus informiert.

Was unterscheidet die vorliegenden Klagen vom BND-Verfahren?

Vor dem Bundesverfassungsgericht hatte Reporter ohne Grenzen erfolgreich gegen die strategische Überwachung von Kommunikation zwischen Ausländerinnen und Ausländern im Ausland geklagt. Diese ist seit 2017 – nach einer umfassenden Reform infolge der Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden – im BND-Gesetz geregelt. Co-Beschwerdeführer waren dabei mehrere Medienschaffende und Berufsgeheimnisträger. Außerdem unterstützten die Gesellschaft für Freiheitsrechte und mehrere Journalistinnen- und Journalistenorganisationen die Verfassungsbeschwerde. In seinem Urteil vom 19. Mai 2020 verpflichtete das Bundesverfassungsgericht die Bundesregierung, die gesetzliche Grundlage für die Ausland-Ausland-Fernmeldeüberwachung des BND bis Ende 2021 zu reformieren. Im Fall der nun bei verschiedenen Verwaltungsgerichten eingereichten Klagen geht es um die gesetzliche Grundlage für nachrichtendienstliche Eingriffe in die Kommunikation von deutschen Staatsbürgerinnen und -bürgern mit Kontakten aus dem In- oder Ausland (G10-Gesetz). Anstatt das Verhältnis von staatlichen Befugnissen und Kontrollmöglichkeiten zum Schutz der Grund- und Menschenrechte im Nachgang des Karlsruher Urteils grundsätzlich zu evaluieren, beschloss der Bundestag im Juni 2021, zusätzliche Überwachungsmöglichkeiten im G10-Gesetz zu verankern.



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