Belarus 26.11.2020

Journalistische Arbeit nicht kriminalisieren

Kazjaryna Andrejewa mit Kameramann
Kazjaryna Andrejewa © Facebook / Catarina Andreeva

Reporter ohne Grenzen ruft das belarusische Regime dazu auf, die inhaftierte Belsat-Journalistin Kazjaryna Andrejewa sofort freizulassen und Medienschaffende nicht durch Strafverfahren an ihrer Arbeit zu hindern. Wegen der angeblichen Teilnahme an Protestdemonstrationen gegen Staatschef Lukaschenko wurde ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet, dafür drohen bis zu drei Jahre Gefängnis. Bisher wurden Reporterinnen und Reporter, die über die Massenproteste im Land berichteten, lediglich mit Arrest von bis zu 15 Tagen bestraft. Andrejewa soll zunächst bis zum 20. Januar in Haft bleiben. Am 24. November wurde überraschend auch ihr Mann, der Belsat-Journalist Ihar Iljasch, festgenommen.

RSF lässt in dieser Woche in der Video-Reihe „Stimmen aus Belarus“ täglich Medienschaffende zu Wort kommen, die schildern, wie das Regime Lukaschenko die Berichterstattung über die Proteste zu unterdrücken versucht.

„Das Vorgehen gegen Kazjaryna Andrejewa ist eine Farce“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Sie filmte eine Demonstration aus dem 14. Stock eines Wohnhauses – und ist nun angeklagt, weil sie aktiv an dieser Demo teilgenommen haben soll. Lukaschenko missbraucht erneut die Justiz, um eine kritische Berichterstatterin mundtot zu machen. Andrejewa und ihr Ehemann müssen sofort freigelassen werden.“

Erstmals mehrere Monate Haft für Protest-Berichterstattung

Kazjaryna Andrejewa, Minsker Reporterin für den in Polen ansässigen Exil-Fernsehsender Belsat, war am 15. November in einer Wohnung festgenommen worden, von der aus sie die Auflösung einer Demonstration auf dem Platz des Wandels in Minsk filmte. Dies bestätigte der Besitzer der Wohnung vor Gericht. Der Journalistin zufolge wurde die Tür aufgebrochen, bevor etwa zehn Sicherheitsleute in die Wohnung eindrangen und sie mitnahmen.

Zunächst wurde gegen die Journalistin eine siebentägige Arreststrafen wegen „Teilnahme an ungenehmigten Veranstaltungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt“ verhängt. Fünf Tage später wurde sie nach Artikel 342 des belarusischen Strafgesetzbuches („Organisation und Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen oder eine aktive Teilnahme daran“) – einem wesentlich schwerer wiegenden Vergehen – angeklagt und soll nun zunächst bis zum 20. Januar in Haft bleiben. Bei einer Verurteilung drohen ihr bis zu drei Jahre Gefängnis. Am 24. November wurde zudem Andrejewas Mann, der Belsat-Journalist Ihar Iljasch festgenommen. Dem Sender zufolge war er nicht an der Berichterstattung über die jüngsten Proteste beteiligt.

Strafverfahren wegen Berichten über die Massenproteste

Insgesamt werden derzeit mindestens neun Journalistinnen und Journalisten in Belarus strafrechtlich verfolgt oder sind davon bedroht. Am gleichen Tag (15.11.) wie Andrejewa wurde in Minsk die Belsat-Journalistin Darja Tschulzowa festgenommen, vermutlich läuft gegen sie ebenfalls ein Strafverfahren. Ihr Anwalt habe jedoch eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnet, und könne deshalb nicht einmal bestätigen, ob ein Verfahren gegen Tschulzowa eröffnet wurde und wenn ja, wegen welcher Vergehen, so die unabhängige Belarusische Journalistenvereinigung (BAJ).

Drei weitere Belsat-Mitarbeiter (Kameramann Smizer Soltan und die Reporter Smizer Krautschuk und Arzjom Bagaslauski) sowie Dsmitryj Dsmitryeu, Fotograf für die unabhängige Wochenzeitung Nowy Tschas wurden am 1. November bei der Berichterstattung über die Proteste festgenommen und einen Tag später zu Verdächtigen in einem Strafverfahren nach Artikel 342 („Massenunruhen“) erklärt. Am 13. November durchsuchten Sicherheitskräfte im Zuge der Ermittlungen Dsmitryeus Wohnung.

Journalistin vom Geheimdienst festgehalten

In einem Gefängnis des belarusischen Geheimdienstes KGB wird seit dem 19. November Kazjaryna Barysewitsch festgehalten, Journalistin des Nachrichtenportals tut.by und eine der bekanntesten Gerichtsreporterinnen des Landes. Sie hatte über den Tod von Raman Bandarenka berichtet, der nach seiner Festnahme am 11. November unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen war. Barysewitsch zitierte einen Arzt mit der Aussage, im Blut des 31-Jährigen sei – anders als von den Behörden behauptet – kein Alkohol festgestellt worden. Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Strafverfahren gegen den Arzt wegen der „Enthüllung medizinischer Geheimnisse“ und „Weitergabe falscher Informationen“, auch Barysewitsch wurde im Rahmen dieses Verfahrens festgenommen.

Gegen den Chefredakteur der Zeitung Nascha Niwa, Jahor Marzinowitsch, wurde im September ein Strafverfahren wegen Verleumdung eröffnet. Grund war ein Artikel, in dem ein bekannter DJ berichtete, der stellvertretende Innenminister Alexander Barsukow habe ihn im Gefängnis geschlagen. Sicherheitskräfte  durchsuchten daraufhin am 23. September Marzinowitsch Wohnung und beschlagnahmten sämtliche technischen Geräte und Speichermedien. Martinowitsch wurde vom Ermittlungskomitee verhört und blieb drei Tage in Isolationshaft.

Von einem Strafverfahren bedroht ist auch der landesweit bekannte Journalist Sjargej Sazuk, Chefredakteur der Nachrichtenseite Jeschednewnik. Er wurde am 25. März festgenommen, nachdem er in einem Text den Umgang Lukaschenkos mit der Corona-Pandemie kritisiert hatte. Zehn Tage nach seiner Festnahme wurde Sazuk unter der Auflage, regelmäßig bei den Behörden zu erscheinen, wieder freigelassen. Sazuk wurde vorgeworfen, Bestechungsgeld entgegengenommen zu haben, wofür eine Haftstrafe von bis zu zehn Jahren droht. Auch wegen Betrug wurde zwischenzeitlich gegen den Journalisten ermittelt, eine offizielle Anklage jedoch nie erhoben.

Zwölf Medienschaffende hinter Gittern

Der unabhängigen Belarusische Journalistenvereinigung zufolge wurden seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August 363 Medienschaffende festgenommen, 78 von ihnen haben bereits Arreststrafen abgesessen. Zwölf Journalistinnen und Journalisten sind derzeit im Gefängnis. Die gröbsten Verletzungen der Pressefreiheit in Belarus in den vergangenen Monaten hat BAJ kürzlich in einem englischsprachigen Bericht zusammengefasst. 

Auf der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit steht Belarus auf Rang 153 von 180 Staaten.



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