Ungarn 27.10.2014

Kritik an geplanter Internetsteuer in Ungarn

Proteste in Budapest gegen die geplante Internetsteuer. © ddp

Reporter ohne Grenzen kritisiert die Pläne der ungarischen Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban zur Einführung einer in Europa einzigartigen Internetsteuer. Das Parlament wird am morgigen Dienstag darüber beraten. Der Vorlage zufolge will die Regierung das Surfen im Internet besteuern. Pro Gigabyte Datenverkehr sollen künftig 150 Forint Abgaben berechnet werden, umgerechnet rund 49 Cent.

„Die jüngsten Pläne der Regierung sind ein weiterer Beweis dafür, dass Viktor Orban die Werte der Europäischen Union egal sind“, sagt ROG- Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Die Regierung muss endlich aufhören, den Bürgern den Zugang zu unabhängigen Informationen zu erschweren. Es ist unerträglich, dass sie kritischen Medien immer mehr die Luft zum Atmen nimmt.“

Mehr als zehntausend Menschen haben in Budapest am Sonntagabend gegen die Einführung der geplanten Internetsteuer protestiert. Nicht nur das Herunterladen, auch das Hochladen von Daten soll künftig besteuert werden. In der vergangenen Woche hat die Regierung die Bürger erstmals darüber informiert. Nur Stunden nach Bekanntwerden der Pläne formierte sich eine Protestgruppe im Internet, die innerhalb kurzer Zeit rund 200 000 Unterstützer fand.

Auch eine im Juni gegen den massiven Protest vieler Zeitungen und Rundfunksender neu eingeführte Steuer auf Werbeeinnahmen erschwert die Arbeit von Medienhäusern. Künftig müssen sie 40 Prozent Steuern auf ihre Werbeeinnahmen entrichten, eine Belastung, die vor allem kleinere Medien in den finanziellen Ruin treiben könnte. Die Situation wird noch dadurch erschwert, dass vor allem staatliche Einrichtungen und Betriebe Anzeigen schalten und unabhängige und kritische Publikationen von den Einnahmen bewusst ausklammern.

In den vergangenen Wochen ist die Regierung massiv gegen Vertreter der Zivilgesellschaft vorgegangen. Bei mehreren Nichtregierungsorganisationen wurden Razzien durchgeführt und Computer beschlagnahmt. Die Regierung kritisiert zudem die Finanzierung unabhängiger NGOs durch Norway Grants, ein Förderprogramm von Europäischer Union mit Norwegen, Island und Liechtenstein in wirtschaftsschwachen Ländern. Die Regierung wirft dem Programm vor, in Ungarn nur linke, regierungskritische NGOs zu finanzieren, etwa die bekannte Webseite für investigativen Journalismus Atlatszo. Die Regierung moniert zudem, dass die Gelder von einem ungarischen Stiftungskonsortium verwaltet werden, das der grünen Partei nahesteht.

Im Juni wurde Gergö Saling, Chefredakteur des zur Deutschen Telekom gehörenden, unabhängigen Online-Nachrichtenportals Origo.hu überraschend abgesetzt. Origo.hu hatte zuvor mehrere kritische Artikel über den Kanzleramtsminister und Orban-Vertrauten Janos Lazar veröffentlicht. Beobachter und Mitarbeiter von Origu.hu führten Salings Absetzung auf die Berichterstattung zurück. 

Seit dem Wahlsieg der Fidesz-Partei im Jahr 2010 hat Ministerpräsident Orban eine Reihe umstrittener Gesetze eingeführt. Medien sind seither etwa zu „ausgewogener Berichterstattung“ angehalten, die weder „öffentliche Moral“ noch die „menschschliche Würde“ verletzen darf. Diese schwammigen Formulierungen haben bei vielen Journalisten zu Selbstzensur geführt. Mehrere hundert Redakteure, darunter viele regierungskritische Journalisten, haben während der vergangenen Jahre im Zuge von Umstrukturierungen ihre Arbeit verloren.

Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Ungarn auf Platz 64 von 180 Ländern. 



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