China 02.09.2019

Merkel muss Freilassungen fordern

Merkel und Xi am Rande des G20-Gipfels in Osaka ©picture alliance/Bernd von Jutrczenka/dpa

Vor der China-Reise Angela Merkels am Donnerstag (5.09.) fordert Reporter ohne Grenzen (ROG) die Bundeskanzlerin auf, die desaströse Lage der Pressefreiheit im Land öffentlich anzuprangern. In keinem anderen Land sitzen mehr Journalistinnen und Journalisten wegen ihrer Arbeit im Gefängnis als in China, derzeit sind es mindestens 113. Einige sind unter lebensbedrohlichen Bedingungen für viele Jahre im Gefängnis, wo sie Opfer von Misshandlung werden und keine angemessene ärztliche Versorgung bekommen. ROG ist vor allem besorgt über die Situation des 56-jährigen Journalisten Huang Qi, der seit mehr als zwei Jahren in der Provinz Sichuan festgehalten wird und schwer krank ist. Ende Juli verurteilte ihn ein Gericht zu zwölf Jahren Haft.

„Pressefreiheit muss einen genauso wichtigen Platz einnehmen wir Wirtschaftsthemen. Sie darf nicht nur vage eingefordert werden, sondern es geht darum, Menschenleben zu retten. Mit großer Sorge beobachten wir aktuell zehn Fälle in China inhaftierter Bürgerjournalistinnen und -journalisten, die infolge von Misshandlung und schlechter ärztlicher Versorgung im Gefängnis sterben könnten. Frau Merkel muss sich für ihre sofortige Freilassung einsetzen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr.

Mihr fügte hinzu: „Wie fordern Angela Merkel zudem auf, die Arbeitsbedingungen von ausländischen Journalistinnen und Journalisten in China anzusprechen, die immer wieder von den Behörden schikaniert werden. Korrespondentinnen und Korrespondenten müssen ohne Einschränkungen über so wichtige Themen wie die Proteste in Hongkong berichten können.“

Lage der Pressefreiheit hat sich unter Xi Jinping deutlich verschlechtert

Merkel wird auf ihrer dreitägigen China-Reise von einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation begleitet und unter anderem Xi Jinping treffen. Unter dem Staats- und Parteichef, der seit einer Verfassungsänderung von 2018 theoretisch lebenslang regieren könnte, hat die Kommunistische Partei mithilfe modernster Technologie und repressiven Vorschriften ihre umfassende Kontrolle über Nachrichten und Informationen weiter ausgebaut. Medienschaffende, die dennoch Tabuthemen wie Menschenrechtsverletzungen oder soziale Unruhen aufgreifen, drohen auf Basis von schwammigen Vorwürfen mehrjährige Haftstrafen. Die Behörden werfen ihnen etwa vor, die Staatsgewalt untergraben, Staatsgeheimnisse weitergegeben, oder einen Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben.

Inhaftierte wurden bereits zu Geständnissen gezwungen, von denen einige auch medial übertragen werden. Beispiele sind der schwedische Verleger Gui Minhai, der wenige Monate nach seiner Entführung in Thailand 2015 im chinesischen Staatsfernsehen wieder aufgetaucht ist, sowie die ehemalige Deutsche-Welle-Journalistin Gao Yu. Laut der Menschenrechts-NGO Safeguard Defenders haben die chinesischen Staatsmedien seit 2013 mindestens 48 erzwungene Geständnisse übertragen.

Inhaftierte Regimekritiker in Lebensgefahr

Mindestens zehn inhaftierten Journalisten schweben aufgrund der Haftbedingungen in Lebensgefahr. Besonders dringlich ist der Fall von Huang Qi, dem Gründer der Nachrichtenwebseite 64Tianwang. Ende Juli verurteilte ein Gericht in der Provinz Sichuan im Südwesten Chinas den Investigativjournalisten zu zwölf Jahren Haft. Wegen seiner journalistischen Arbeit saß Huang insgesamt bereits acht Jahre im Gefängnis. In dieser Zeit bekam er Herzprobleme sowie eine Nieren- und Lebererkrankung.

Huang wurde im November 2016 festgenommen und saß seitdem in Untersuchungshaft. Laut seinen Anwälten wurde er geschlagen und bekam keinen Zugang zu medizinischer Behandlung. Ende Dezember forderten vier UN-Menschenrechtsexperten seine Freilassung. Die Justiz wirft Huang unter anderem die Weitergabe von Staatsgeheimnissen ans Ausland vor. Der wahre Grund für die Verurteilung ist jedoch seine Arbeit: Mit einem Netz von Bürgerjournalistinnen und -journalisten berichtete die Informationswebseite 64Tianwang über Menschenrechtsverletzungen im Land. Wird Huang nicht bald freigelassen, droht ihm das gleiche Schicksal wie dem Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo und dem Blogger Yang Tongyan. Bei beiden wurde 2017 während langjähriger Haftstrafen Krebs im Endstadium diagnostiziert, der im Gefängnis nicht behandelt wurde. Sie starben, kurz nachdem sie in ein Krankenhaus verlegt wurden.

Krititische Berichterstattung über Proteste in Hongkong unerwünscht

Reporter ohne Grenzen fordert Angela Merkel zudem auf, die sich verschlechternde Lage von Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten zu thematisieren. Das Regime in Peking versucht derzeit offenbar insbesondere ausländische Reporterinnen und Reporter einzuschüchtern, die über die andauernden Proteste in Hongkong berichten.

Laut Angaben des Clubs der Auslandskorrespondenten in China (FCCC) wurden Medienschaffende, die via Peking und Shenzhen zwischen der Sonderverwaltungszone und Festland-China reisen, durchsucht und teilweise mehrere Stunden festgehalten. So durchsuchten chinesische Grenzbeamtinnen und -beamte die Handys, Kameras und Laptops von Journalistinnen und Journalisten, die für Medienorganisationen aus Nordamerika, Europa und Australien arbeiten. In mindestens einem Fall durfte ein Korrespondent sein Handy nicht mehr benutzen, um andere über die zeitweise Festnahme zu informieren. Teilweise begründeten die Grenzbeamtinnen und -beamten den Gewahrsam mit angeblichen Visaproblemen.

Vor rund zwei Wochen erhielten mehr als 30 ausländische Medien in Peking einen Brief des chinesischen Außenministeriums. In dem 42-seitigen Dokument, das unter anderem das ARD-Studio in Peking bekam, forderte China eine „neutrale“, „objektive“ und „unparteiische“ Berichterstattung über die Proteste in Hongkong. Diese könne den „Demonstranten, die die Wahrheit nicht kennen“ helfen, „auf den richtigen Weg zurückzukehren.“

Laut dem Ende Januar erschienenen Jahresbericht des FCCC haben sich die Arbeitsbedingungen für ausländische Korrespondentinnen und Korrespondenten in China generell weiter verschlechtert. Ein Büroleiter eines US-amerikanischen Mediums beschreibt die Situation als so schlimm wie seit 20 Jahren nicht mehr, mit Ausnahme von 2011, als die Regierung gegen Berichterstattung über pro-demokratische Proteste vorging. Mehrere Korrespondentinnen und Korrespondenten, darunter auch von deutschen Medien, wurden damals zweitweise festgenommen.

Mittlerweile greift das Regime scheinbar weniger auf offenkundige Einschüchterung zurück, sondern geht heimtückischer vor. So werden ausländische Journalistinnen und Journalisten seltener „zum Tee eingeladen“ – ein Euphemismus für die Vorladung beim Ministerium für Staatssicherheit – sondern stattdessen überwacht, etwa durch Abhören der Telefone. Auch ihre Quellen werden bedroht, insbesondere aus dem akademischen Umfeld. Das passiert inzwischen so häufig, dass ausländische Medienschaffende zögern, sie zu kontaktieren, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Ein Druckmittel bleibt die Verweigerung des Visums. Vergangene Woche verlängerten die Behörden nach einem kritischen Artikel eines Wall-Street-Journal-Reporters seine Presseakkreditierung nicht und verwiesen ihn damit indirekt des Landes.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht China auf Platz 177 von 180 Staaten. In einem ausführlichen Länderbericht hat ROG Pekings Strategie untersucht, Informationen auch jenseits der Landesgrenzen zu kontrollieren. Dieser Versuch, eine neue Weltordnung der Medien zu schaffen, ist eine Gefahr für Pressefreiheit weltweit. 



nach oben