Usbekistan 16.01.2019

Merkel muss sich für Pressefreiheit einsetzen

Präsident von Usbekistan Shawkat Mirsijojew © picture alliance / AA

Reporter ohne Grenzen fordert Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, bei ihren Gesprächen mit dem Präsidenten Usbekistans mehr Respekt für die Freiheit der Medien anzumahnen. Zwar hat Schawkat Mirsijojew seit seinem Amtsantritt 2016 prominente Journalisten entlassen, die zum Teil seit Jahrzehnten im Gefängnis saßen. Die zuvor stark zensierten Medien berichten ein wenig freier, doch das Internet bleibt streng kontrolliert und fast alle unabhängigen Nachrichtenseiten sind gesperrt. Kritischen Reportern wird der Zugang zum Land noch immer verwehrt.

„Wenn die vorsichtigen Schritte der Öffnung in Usbekistan nicht nur reine Kosmetik bleiben sollen, muss Präsident Mirsijojew ein Klima schaffen, in dem unabhängige Journalistinnen und Journalisten zurückkehren und aus erster Hand über die Entwicklungen im Land berichten können“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Es ist absurd, wenn Usbekistan die Visapflicht für deutsche Touristen abschafft, sich gegenüber kritischen Journalisten aber weiter abschottet. Deutschland muss hier seinen beträchtlichen politischen Einfluss nutzen und darf sich nicht ausschließlich auf wirtschaftliche Zusammenarbeit konzentrieren.“

Nach dem Tod von Islam Karimow, der das Land 26 Jahre lang diktatorisch regiert hatte, trat sein Nachfolger Schawkat Mirsijojew im September 2016 an, Usbekistan nach innen und außen zu öffnen. Die politischen Signale sind seither allerdings widersprüchlich: Einerseits wurden mehrere prominente Häftlinge entlassen; einige zuvor streng kontrollierte Medien berichten inzwischen ein wenig offener. Ein Vertreter von Reporter ohne Grenzen durfte im Oktober 2017 zum ersten Mal seit Jahren wieder nach Usbekistan einreisen. Andererseits kommen auch unter Mirsijojew unbequeme Journalisten und Blogger ins Gefängnis. Mehrere regimekritische Internetseiten sind nach wie vor gesperrt, in- wie ausländischen Journalisten wird die Einreise verweigert.

Unabhängige Journalistin darf nicht ins Land

Eine von ihnen ist Galima Bucharbajewa, die vor ihrer Flucht aus Usbekistan als Korrespondentin der Nachrichtenagentur AFP und Leiterin des Regionalprogramms am Institute for War and Peace Reporting arbeitete. Sie berichtete als Augenzeugin über das Massaker von Andischan, bei dem usbekische Soldaten 2005 Hunderte unbewaffneter Bürger erschossen, und musste daraufhin das Land verlassen.

Bucharbajewa verbrachte mehrere Jahre im Exil in den USA und in Deutschland. Von 2005 bis 2015 war sie Chefredakteurin der Nachrichtenseite uznews.net, einer der wichtigsten Informationsquellen über Usbekistan. Danach gründete sie das Nachrichtenportal centre1.com, das über ganz Zentralasien berichtet. 2014 entzogen die Behörden unter Islam Karimow Bucharbajewa – zunächst ohne ihr Wissen – die Staatsbürgerschaft. Sie darf seither nicht nach Usbekistan einreisen und arbeitet momentan vom benachbarten Kasachstan aus. Ihre Redaktion bemüht sich Bucharbajewa zufolge seit September 2018 vergeblich darum, die Seite Centre1.com offiziell in Usbekistan registrieren zu lassen.

Kritische Internetseiten bleiben gesperrt

Auch nach Karimows Tod wurde ausländischen Fernsehteams mehrfach die Einreise verweigert oder sie erhielten nur derart eingeschränkte Drehgenehmigungen, dass unabhängige Berichterstattung unmöglich war. Im November 2017 traf dies ein Team des österreichischen Fernsehens ORF, das für eine Reportage kein Visum erhielt. Andererseits erhielt im Mai 2018 zum ersten Mal eine Journalistin des US-amerikanischen Auslandssenders Voice of America (VOA) eine Akkreditierung für Usbekistan. Die Reporterin und Moderatorin Nawbahor Imamowa ist damit die Erste, die seit Beginn des usbekischen Programms von VOA 1972 vor Ort berichten kann.

Die Internetseite von Voice of America bleibt indes in Usbekistan gesperrt, genau wie die Seiten anderer Auslandssender wie der Deutschen Welle, Radio Free Europe/Radio Liberty (Radio Ozodlik), oder des usbekischen Programms der BBC. Sie alle sind seit dem Massaker in Andischan 2005 offiziell nicht mehr zugänglich. Zahlreiche Nutzer erreichen deren Inhalte dennoch zum Beispiel über VPN-Tunnel.

So besuchen die Seite von Radio Ozodlik Angaben des Senders zufolge rund zwei Millionen Nutzer im Monat, auf sozialen Netzwerken wie Odnoklassniki oder Facebook folgen dem Sender jeweils mehr als 500.000 Nutzer.

Die unabhängige Nachrichtenagentur Fergana News, die aus ganz Zentralasien berichtet, änderte im Dezember 2018 ihre URL von fergananews.com in fergana.agency und ist mit der neuen Adresse bisher laut Chefredakteur Daniil Kislow nicht gesperrt worden. Kislow reiste 2018 zum ersten Mal seit 14 Jahren im Exil wieder zurück in seine Heimat. In Taschkent nahm er an einem Gerichtsprozess gegen einen verfolgten Journalisten teil, zudem ist er Mitglied eines Expertenrats der Regierung zur Entwicklung Usbekistans. Seine Nachrichtenagentur betreibt er allerdings weiterhin von Moskau aus.

Journalisten und Bloggern droht willkürliche Haft

Mehrere seit Jahren unschuldig inhaftierte Journalisten kamen nach dem Amtsantritt des neuen Präsidenten zwar frei, doch kritischen Journalistinnen und Bloggern drohen auch unter Mirsijojew willkürliche Haft und Misshandlung, vor allem wenn sie über religiöse Themen, den Geheimdienst oder die Familie des Präsidenten berichten. So nahm der Geheimdienst im September 2017 den Journalisten Bobomurod Abdullajew in Gewahrsam, der u.a. für die unabhängige Nachrichtenseite Fergana News, das Institute for War and Peace Reporting und für Radio Ozodlik gearbeitet hatte. Abdullajew wurde im Gefängnis gefoltert. Sieben Monate später kam er frei und wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Der Journalist durfte sich vor Gericht selbst verteidigen, zum ersten Mal waren Beobachter bei dem Prozess zugelassen – unter Karimow wäre das undenkbar gewesen.

Einer der ersten prominenten Journalisten, die unter Mirsijojew frei kamen, war im Februar 2017 der 62-jährige Muhammad Bekschanow. Er saß 18 Jahre im Gefängnis und war damit einer der weltweit am längsten für seine Arbeit inhaftierten Journalisten. Bekschanow war in den ersten Jahren der Unabhängigkeit Usbekistans Anfang der 1990er Jahre Chefredakteur der Oppositionszeitung Erk (Freiheit) und berichtete über Tabuthemen wie Umweltprobleme und  Zwangsarbeit auf den Baumwollfeldern. Nachdem die Zeitung 1994 verboten wurde, floh er ins Ausland, wurde von der Ukraine ausgeliefert und nach einem unter Folter erzwungenen „Geständnis“ zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Wegen angeblichen Ungehorsams gegen die Wärter wurde seine Haftzeit 2012 erneut verlängert. Bekschanow erkrankte im Gefängnis an Tuberkulose und ist infolge wiederholter Misshandlungen auf einem Ohr taub. Seit Juli lebt Bekschanow, den ROG 2013 als Journalist des Jahres ehrte, bei seiner Familie in den USA.

Jahrelang unschuldig in Gefängnis oder Psychiatrie

Im Oktober 2017 ließen die Behörden nach neun Jahren Haft den Reporter Salidschon Abdurachmanow vorzeitig frei. Er hatte für Radio Ozodlik, Voice of America und Uznews unter anderem über die Austrocknung des Aralsees berichtet, eine der großen ökologischen Katastrophen Usbekistans. Im Sommer 2008 hatten Verkehrspolizisten Abdurachmanow festgenommen, weil sie in seinem Auto angeblich Drogen gefunden hatten – eine gängige Praxis der usbekischen Behörden, um Kritiker aus dem Verkehr zu ziehen. Der Journalist wurde zunächst wegen Drogenbesitzes, später wegen des Verkaufs von Drogen angeklagt und trotz der unklaren Beweislage zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich im Gefängnis stark. 2014 wurde Abdurachmanow mit dem Johann-Philipp-Palm-Preis für Meinungs- und Pressefreiheit ausgezeichnet.

Im März 2017 wurde der Journalist Jamschid Karimow mehr als zehn Jahre nach seiner Zwangseinweisung in eine psychiatrische Klinik entlassen. Der freie Journalist Dilmurod Saidow kam im Februar 2018 frei, er hatte neun Jahre lang aus politischen Gründen im Gefängnis gesessen. Der im Februar 2018 entlassene Jusuf Rusimuradow gehörte wie Bekschanow zu den am längsten inhaftierten Journalisten weltweit: 19 Jahre saß der heute 60-Jährige in Usbekistan im Gefängnis.

Opfer müssen entschädigt, Täter bestraft werden

Genauso wichtig wie die Freilassungen ist nun, dass diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die diese zum Teil jahrzehntelangen Freiheitsberaubungen veranlasst haben. Ohne eine vollständige Rehabilitation der Betroffenen und angemessene Wiedergutmachungen bleiben die Entlassungen ein Feigenblatt und werden vor allem benutzt, um den neuen Präsidenten in ein gutes Licht zu rücken. Außerdem müssen diejenigen bestraft werden, die Journalisten im Gefängnis folterten – und dies bis heute weiter tun.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Usbekistan auf Platz 165 von 180 Staaten.

 



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