Türkei 21.02.2013

Merkel muss umfassende Reform der Anti-Terror-Gesetze fordern

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Reporter ohne Grenzen appelliert an Bundeskanzlerin Angela Merkel, sich bei ihrem Besuch in der Türkei für eine umfassende Umsetzung der angekündigten Reformen der Anti-Terror-Gesetze einzusetzen. „Dass jede harsche Kritik an Staat, Armee und Kurdenpolitik einen Journalisten ins Gefängnis bringen kann, ist eines Landes unwürdig, das sich als regionaler Vorreiter der Demokratie sieht“, kritisierte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. „Die Bundeskanzlerin muss bei ihren politischen Gesprächen in der Türkei darauf dringen, dass die angekündigten Reformen nicht halbherzig bleiben.“ Zudem sollte sie sich für die Freilassung der zahlreichen Journalisten einsetzen, die ohne triftige Beweise im Gefängnis sind.

Der türkische Justizminister Sadullah Ergin hatte in der vergangenen Woche Einzelheiten einer geplanten Reform der Anti-Terror-Gesetze bekanntgegeben, die ROG seit Jahren als eines der größten Hindernisse für Presse- und Meinungsfreiheit in dem Land kritisiert. So soll der Vorwurf des Terrorismus offenbar nicht mehr für das bloße Äußern kritischer Meinungen, sondern nur noch für Gewalttaten erhoben werden. Gelockert werden soll auch Artikel 215 des Strafgesetzbuchs, der schon die Anrede „Sehr geehrter Herr“ etwa für den inhaftierten Chef der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, als Lob eines Kriminellen unter Strafe stellt. Auch die Strafen für Äußerungen gegen den Wehrdienst gemäß Strafrechtsartikel 318 sollen geringer werden.

Diese Reformen könnten ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung sein – vorausgesetzt, sie fallen umfassend und so detailliert aus, dass die Justiz sie nicht durch willkürliche Anwendung wirkungslos machen kann. Bislang sollen noch zu viele problematische Regelungen unangetastet bleiben. Dazu gehören der Strafrechtsartikel 301, der Kritik an den Staatsorganen unter Strafe stellt, das Gesetz Nr. 5816 gegen Kritik an Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk sowie Gesetz Nr. 5651, das eine weitreichende Internetzensur sowie die Sperrung von Websites ohne richterliche Aufsicht ermöglicht.

Auch intransparente Gerichtsverfahren und die oft extrem lange Dauer der Untersuchungshaft sind Instrumente, mit denen kritische Journalisten mundtot gemacht werden. Ein Beispiel ist der Fall von Füsun Erdogan, Chefredakteurin des pro-kurdischen Freien Radios, die seit mehr als sechs Jahren in Untersuchungshaft sitzt. Die Anklage wirft ihr vor, mit ihrer journalistischen Tätigkeit die eine terroristische Vereinigung unterstützt zu haben. Das Gericht verhandelt nur wenige Tage im Jahr über ihren Fall und konnte ihr bislang keine konkrete Straftat nachweisen.

Ein im Juli 2012 verabschiedetes Reformpaket hat bislang nur geringfügige Verbesserungen gebracht, obwohl die türkische Regierung die Zahl der betroffenen Fälle auf bis zu 5000 bezifferte. Es zielte darauf, Gerichtsverfahren effizienter zu machen sowie Strafverfolgung und Haftstrafen wegen bestimmter Medien- und Meinungsvergehen für zunächst drei Jahre aussetzen.

Dennoch sitzen in der Türkei derzeit 71 Journalisten und Medienmitarbeiter im Gefängnis, davon mindestens 39 aufgrund ihrer journalistischen Arbeit. Mit Sorge beobachtet ROG besonders den am 10. September 2012 in Istanbul begonnenen Massenprozess gegen 44 Mitarbeiter überwiegend linker und prokurdischer Medien, denen Propaganda für die verbotene Union Kurdischer Gemeinschaften (KCK) vorgeworfen wird. Momentan sind noch 26 von ihnen in Haft, darunter der Deutschland-Korrespondent der türkischen Tageszeitung Evrensel, Hüseyin Deniz, der im Dezember 2011 bei einem Türkei-Besuch festgenommen wurde.

In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit von ROG steht die Türkei auf Platz 154 von 179 Ländern. Weitere Informationen (in englischer Sprache) zur Situation der Medien in dem Land finden Sie hier, eine laufend aktualisierte Liste der inhaftierten Journalisten hier.


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