Griechenland 18.09.2020

Polizei behindert Berichterstattung aus Moria

Geflüchtete auf Lesbos halten Schilder empor
Geflüchtete demonstrieren auf Lesbos © picture alliance / ASSOCIATED / PRESS / Petros / Giannakouris

Reporter ohne Grenzen (RSF) verurteilt die willkürlichen und teils gewalttätigen Einschränkungen der Pressefreiheit durch die griechische Polizei auf der Insel Lesbos. Seit gut einer Woche werden immer wieder Medienschaffende in ihrer Arbeit behindert, die nach der Zerstörung des Lagers Moria über die Situation der ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner berichten wollen. Einige bekamen Zugang zu dem Bereich, in dem seit Tagen Tausende von Geflüchteten ausharren, anderen wurde der Zugang verwehrt – entweder ohne Begründung oder unter Berufung auf eine laufende Militäroperation oder auf Corona-Schutz-Bestimmungen.

„Die Strategie der griechischen Behörden ist eindeutig: Sie wollen Journalistinnen und Journalisten teils sogar unter Einsatz von Gewalt davon abhalten, über ihren Umgang mit der Krisensituation in Moria zu berichten. Das verletzt nicht nur das Recht der Medienschaffenden, die menschenunwürdigen Zustände dort frei zu dokumentieren und zu bewerten. Es schränkt auch das Recht der internationalen Öffentlichkeit auf eine unabhängige Berichterstattung über ein so drängendes aktuelles Thema ein“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Freie Berichterstattung ist für die europaweite öffentliche Diskussion über die Zukunft der Menschen in Moria unerlässlich. Die griechischen Behörden müssen deshalb umgehend sicherstellen, dass Journalistinnen und Journalisten sich ungehindert ihr eigenes Bild von der Lage verschaffen können.“

Seit am Morgen des 9. September das Flüchtlingslager Moria durch mehrere Feuer zerstört wurde und mehr als 11.000 Menschen obdachlos wurden, sehen sich die Medienschaffenden vor Ort mit wechselnden Reaktionen der Polizei konfrontiert: Teils gewähren sie Zutritt zum zerstörten Lager oder zu dem Areal, auf dem die ehemaligen Lagerbewohnerinnen und -bewohner ausharren, teils verwehren sie ihn. Diese willkürlichen Zugangsbeschränkungen wurden unter anderem dokumentiert von der ARD-Journalistin Isabel Schayani und ihrem Kollegen Bamdad Esmaili, der freiberuflichen Journalistin Franziska Grillmeier, Maria Malagardis von der französischen Tageszeitung Libération, Mortaza Behboudi vom deutsch-französischen Fernsehsender ARTE, Marina Rafenberg, Korrespondentin für mehrere französische Medien, und Katy Fallon, die für englischsprachige Medien arbeitet. Die Polizeikräfte begründeten die Einschränkungen in einigen Fällen mit Corona-Schutz-Bestimmungen, in anderen mit einer laufenden Militäroperation oder nicht näher bestimmten Anweisungen. Nach RSF-Erkenntnissen fragten sie teils auch nach speziellen Akkreditierungen.

Ein Fall von brutaler Polizeigewalt gegen einen Journalisten ereignete sich am 11. September nach einem Solidaritätsmarsch von griechischen Einheimischen. Iason Athanasiadis, Korrespondent der Tageszeitung Die Welt, bekam mit, wie die Polizei mehrere Griechen gewaltsam festnahm. Wie er gegenüber dem Portal ThePressProject schilderte, gab er sich als Journalist zu erkennen und begann mit einem der Festgenommenen zu sprechen. Daraufhin behaupteten die Polizisten, er habe sich ihren Anweisungen widersetzt, und legten ihm Handschellen an. Drei oder vier Beamte warfen ihn zu Boden und pressten mit ihren Knien so fest auf seinen Körper, dass er vor Schmerzen schrie, wie in einem Video zu hören ist, das von der Fernsehsendung To Kouti tis Pandoras online veröffentlicht wurde. Nach einer Stunde wurde er aus dem Gewahrsam entlassen.

Gemeinsam mit sechs weiteren Pressefreiheitsorganisationen hat RSF die willkürlichen Maßnahmen und die unsicheren Arbeitsbedingungen für Medienschaffende auf Lesbos in einem offenen Brief an die griechischen Behörden verurteilt. Die Organisationen berufen sich darin auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Oktober 2019. Darin erklärte das Gericht, die Frage, wie Asylsuchende untergebracht werden und ob der Staat seinen internationalen Verpflichtungen ihnen gegenüber nachkommt, sei „unbestritten berichtenswert und von großer öffentlicher Bedeutung“. Geklagt hatte ein Journalist, dem im Jahr 2015 der Zutritt zu einem Flüchtlingsaufnahmezentrum in Ungarn verwehrt worden war.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Griechenland auf Platz 65 von 180 Staaten.



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