Parlamentswahl in Polen 09.10.2019

Pressefreiheit in fortschreitendem Verfall

Wahlkampf in Polen © picture alliance/NurPhoto

Vor der Parlamentswahl in Polen am kommenden Sonntag macht Reporter ohne Grenzen auf den fortschreitenden Verfall der Medienfreiheit unter der nationalkonservativen Regierung aufmerksam. Seit die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) Ende 2015 die Regierung übernahm, ist Polen auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit um 31 Plätze auf Platz 59 von 180 Ländern abgestürzt. Die Regierung brachte zielstrebig den öffentlichen Rundfunk und insbesondere das Fernsehen unter Kontrolle. Unabhängige Medien werden wirtschaftlich und juristisch unter Druck gesetzt. Und die PiS, die Umfragen zufolge auch künftig die Regierung bilden dürfte, hat neue Reformen angekündigt, die die Spielräume für unabhängigen Journalismus weiter einzuschränken drohen.

„Nach vier Jahren unter dieser Regierung ist die Pressefreiheit in Polen in einem erschreckenden Zustand“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Leider ist zu befürchten, dass sich das Klima für unabhängigen Journalismus nach der Wahl weiter verschlechtern wird.“

Unabhängige Medien unter Druck

Im Visier der Regierung steht insbesondere die unabhängige Tageszeitung Gazeta Wyborcza, die von Ministerien, Behörden und der PiS seit deren Regierungsübernahme mehr als zwei Dutzend Mal verklagt wurde. Hinzu kommen nach Angaben der Zeitung zahlreiche Aufforderungen zur Löschung von Artikeln und zur Zahlung von Schmerzensgeld. Die Regierung strich der Zeitung Werbeanzeigen und Bekanntmachungen von Ministerien, Behörden und Staatsfirmen und damit eine wichtige, auf bis zu fünf Millionen Euro im Jahr bezifferte Einnahmequelle. Sie kündigte die Abonnements von Behörden und setzt nach Darstellung der Zeitung sogar Privatunternehmen unter Druck, keine Anzeigen bei der Gazeta Wyborcza zu schalten.

Nachdem die Gazeta Wyborcza wochenlang immer weitere Details über die Rolle von PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski bei dubiosen Plänen für den Bau eines Luxus-Wolkenkratzers in Warschau enthüllt hatte, eskalierte der Politiker im Februar das Vorgehen gegen die Zeitung. Er beließ es nicht bei zivilrechtlichen Schritten, sondern veranlasste Strafermittlungen gegen eine Journalistin und einen Journalisten des Blattes, die potenziell zu Haftstrafen für die Betroffenen führen könnten.

Aufsehen erregte auch die Klageandrohung des Nationalbankpräsidenten und eines Senatoren aus den Reihen der PiS gegen fünf Journalisten der Gazeta Wyborcza. Die Zeitung hatte ihnen vorgeworfen, in einen Skandal bei der polnischen Finanzaufsicht verwickelt zu sein, der den Chef der Behörde kurz zuvor zum Rücktritt gezwungen hatte.

In einem weiteren prominenten Fall verhörte die Staatsanwaltschaft Pjotr Wacowski, einen Reporter beim privaten Fernsehsender TVN, wegen des Verdachts, er habe rechtsextremes Gedankengut verbreitet. Tatsächlich hatte er verdeckt bei einer Veranstaltung von Neonazis recherchiert und dabei einen rechtsextremen Gruß gezeigt, um seine Tarnung aufrecht zu erhalten. Aufnahmen davon waren zu einem regierungstreuen Online-Portal gelangt. Nachdem der Polnische Journalistenverband protestierte, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein. Die US-Botschafterin in Warschau zeigte sich „zutiefst besorgt“ über das Vorgehen gegen TVN; der Sender gehört dem US-Medienkonzern Discovery.

Öffentliches Fernsehen und Radio unter Regierungskontrolle

Nach ihrem Amtsantritt Ende 2015 hatte die PiS-Regierung zielstrebig den öffentlichen Rundfunk unter ihre Kontrolle gebracht. Fast 250 Journalistinnen und Journalisten des öffentlichen Fernsehens und Radios wurden entlassen, zur Kündigung gezwungen oder degradiert, um die Berichterstattung auf eine unhinterfragt nationalistische Linie zu bringen. Um diesen Anspruch zu unterstreichen, firmieren die öffentlichen Sender seit Anfang 2016 offiziell als „nationale Medien“.

In der Hauptnachrichtensendung Wiadomosci machte der erste Fernsehsender TVP1 schon bald nicht nur Stimmung gegen liberale Kritiker der Regierung, sondern zunehmend auch gegen deutsche Medien, denen manipulative Berichterstattung vorgeworfen wurde. Regelmäßig brandmarkt Wiadomosci auch die Beteiligungen deutscher Verlage auf dem polnischen Medienmarkt.

Anfang September 2019 warf der ehemalige TVP-Investigativjournalist Mariusz Kowalewski dem Sender vor, er habe gezielt nach belastendem Material gegen Kritiker des von der PiS eingesetzten TVP-Intendant Jacek Kurski gesucht und versucht, diese einzuschüchtern. Als die polnische Newsweek einen kritischen Bericht über TVP und Kurski vorbereitet habe, habe der Sender im Sommer 2018 versucht, Newsweek-Chefredakteur Tomasz Lis auszuforschen. Dazu habe man unter anderem mit einer Drohne Bilder von dessen Privatgrundstück aufnehmen wollen; allerdings habe Lis dort schon seit einiger Zeit nicht mehr gewohnt.

Lis machte daraufhin auch einen anderen Vorfall aus dem gleichen Zeitraum publik: In einem Anruf habe ein TVP-Moderator ihm gedroht, wenn er über TVP berichte, werde TVP sich in einer Sendung um seine Familie kümmern. Er habe die Staatsanwaltschaft über den Vorfall informiert; diese habe es jedoch abgelehnt, Ermittlungen einzuleiten.

Pläne zur "Repolonisierung" von Medien in ausländischem Besitz

Um den Anteil ausländischer Investoren auf dem Medienmarkt zu beschränken, hat die Regierung wiederholt ein Gesetz zur „Repolonisierung“ angekündigt. Dieses dürfte nicht zuletzt regierungskritische Medien wie die vom deutsch-schweizerischen Gemeinschaftsunternehmen Ringier Axel Springer herausgegebene polnische Newsweek und den von US-Eigentümern kontrollierten Fernsehsender TVN treffen. Aus Deutschland wäre unter anderem die Verlagsgruppe Passau betroffen, die über die Gruppe Polska Press einige regionale Tageszeitungen und fast 100 lokale Wochenblätter herausgibt.

Dass das vielfach angekündigte Gesetz bislang nicht konkret wurde, erklären Beobachter wahlweise damit, dass es kaum mit EU-Recht vereinbar sein dürfte, oder mit dem erwarteten Widerstand der US-Regierung gegen Pläne, die US-Unternehmen beeinträchtigen würden.

In einer kurzen Passage in ihrem Wahlprogramm kündigt die PiS die Schaffung einer berufsständischen Kammer für Journalistinnen und Journalisten an, die über die Einhaltung ethischer und professioneller Standards wachen solle. Das nicht näher ausgeführte Vorhaben löste umgehend Sorgen aus, unliebsamen Journalistinnen und Journalisten könnte auf diese Weise der professionelle Status entzogen werden. Folgen könnten sein, dass sie beispielsweise den Anspruch auf Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse oder auf den Schutz ihrer Informantinnen und Informanten verlören.



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